OGH 11Os17/00

OGH11Os17/0011.4.2000

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. April 2000 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Graf als Schriftführer in der Strafsache gegen Danijel M***** wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 erster Satz zweiter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 24. November 1999, GZ 20m Vr 3815/99-53, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Bierlein, und des Verteidigers Dr. Elmar Kresbach, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben; es werden der Wahrspruch der Geschworenen zu den Hauptfragen 3 und 4 sowie das angefochtene Urteil, das im Übrigen (in Ansehung der Schuldsprüche wegen des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 erster Fall StGB sowie wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB) unberührt bleibt, im Freispruch des Angeklagten von den Fakten der Nachtragsanklage (ON 12 in ON 34) und demzufolge im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruchs über die Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Strafsache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien als Schöffengericht verwiesen, dem aufgetragen wird, den unberührt gebliebenen Teil des Wahrspruchs der Entscheidung mit zugrunde zu legen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Danijel M***** (entgegen der mit Anklageschrift vom 1. Juni 1999, ON 22, angelasteten Verbrechen der [versuchten] Vergewaltigung nach §[§ 15 und] 201 Abs 1 StGB und des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 erster Satz zweiter Fall StGB) des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach (zu ergänzen: §§ 15, 105 Abs 1) § 106 Abs 1 (erster Fall) StGB sowie des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (rechtskräftig) schuldig erkannt.

Hingegen wurde der Genannte von den auf Grund eines anderen Vorfalls mit (Nachtrags-)Anklageschrift vom 10. August 1999 (ON 12 in ON 34) angelasteten Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB (1) und des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (2) gemäß § 336 StPO freigesprochen.

Danach habe er am 24. März 1999 in Wien Karin G*****

zu 1) mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben, indem er sie am Hals packte, würgte und wiederholt mit dem Umbringen bedrohte, zur Duldung des Beischlafs genötigt, sowie

zu 2) mit dem Vorsatz unrechtmäßiger Bereicherung durch die zu 1) beschriebenen (und ein weiteres) Tatmittel eine Handtasche, eine Geldbörse mit ca 1.000 S Bargeld, einen Metallanhänger, ein Paket Zigaretten und ein Feuerzeug weggenommen.

Die Laienrichter haben die (für diese Tatvorwürfe und die Beschwerdeerledigung) maßgeblichen Hauptfragen 3 und 4 nach Vergewaltigung und nach Raub (fortlaufende Zahl 16 und 19) jeweils stimmenmehrheitlich verneint, weshalb die hiezu gestellten Zusatzfragen 6 und 7 nach Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB; Zahl 17 und 20) sowie die Eventualfragen 9 und 10 nach Begehung dieser Taten im Zustand voller Berauschung (§ 287 Abs 1 StGB; Zahl 18 und 21) gegenstandslos geworden sind.

Die Staatsanwaltschaft bekämpft das Urteil in diesen Freisprüchen des Angeklagten von den Fakten der Nachtragsanklage mit auf § 345 Abs 1 Z 8 und (nominell) Z 9 StPO gestützter Nichtigkeitsbeschwerde.

Die Instruktionsrüge (Z 8) ist im Recht:

Rechtliche Beurteilung

Die vom Vorsitzenden nach § 321 Abs 2 StPO niederschriftlich abzufassende Rechtsbelehrung muss für jede Frage gesondert eine Darlegung der gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung, auf welche die Haupt- oder Eventualfrage gerichtet ist, sowie eine Auslegung der in den einzelnen Fragen vorkommenden Ausdrücke des Gesetzes enthalten und das Verhältnis der einzelnen Fragen zueinander sowie die Folgen der Bejahung oder Verneinung jeder Frage klarlegen. Die Rechtsbelehrung hat eindeutig zu sein und den Geschworenen eine richtige Vorstellung von der für die Fragebeantwortung bedeutsamen Rechtslage zu vermitteln. Sie darf keine Aussage enthalten, die bei Berücksichtigung ihrer den Laienrichtern zugänglichen sprachlichen Bedeutung und unter der Voraussetzung ihrer denkgesetzmäßigen Handhabung eine falsche Rechtsansicht nahezulegen vermag. Eine der Unrichtigkeit der Instruktion gleichzustellende Unvollständigkeit liegt dann vor, wenn es zufolge dieser Unvollständigkeit zu Missverständnissen über die gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung, auf die Haupt- und (oder) Eventualfrage gerichtet sind, zu irriger Auslegung der in den Fragen enthaltenen Ausdrücke des Gesetzes oder zu Irrtümern über das Verhältnis der einzelnen Fragen zueinander oder über die Folgen deren Bejahung oder Verneinung kommen kann, oder die Rechtsbelehrung überhaupt nach den Umständen des Falles geeignet ist, die Geschworenen bei Beantwortung der an sie gestellten Fragen auf einen falschen Weg zu weisen (Mayerhofer StPO4 § 345 Abs 1 Z 8 E 66).

Eine derartige - den Grad einer Unrichtigkeit erreichende - irreführende Unvollständigkeit der Rechtsbelehrung wird von der Anklagebehörde zutreffend aufgezeigt:

Die vorliegende Instruktion (Beilage B zu ON 52) bezieht sich ausschließlich auf die ursprüngliche Anklage (ON 22) und gibt den Geschworenen lediglich eine Anleitung zur Beantwortung der hiezu gestellten Fragen (fortlaufende Zahl 1 bis 15), während die zur Nachtragsanklage (ON 12 in ON 34) gehörigen weiteren Fragen (Zahl 16 bis 21) überhaupt keine Erwähnung finden. Die für den hinzugekommenen Komplex bedeutsamen rechtlichen Ausführungen hätten die Geschworenen nur aus den Erläuterungen zu den die erste Anklage betreffenden Schuldfragen, nämlich zur Hauptfrage 1 (= Zahl 1) nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB, der Eventualfrage 2 (= Zahl 4) nach §§ 15, 201 Abs 2 StGB und zur Hauptfrage 2 (= Zahl 7) nach §§ 142 Abs 1, 143 erster Satz zweiter Fall StGB herausfinden können, doch fehlt hiezu jeglicher Hinweis auf die Relevanz für die weiteren Hauptfragen 3 und 4 (= Zahl 16 und 19).

Mag auch die Eignung der Rechtsbelehrung, die Geschworenen irrezuführen, nicht nach Teilstücken, sondern anhand des Gesamtinhaltes der Instruktion zu prüfen sein (Mayerhofer StPO4 § 345 Abs 1 Z 8 E 49, 50), und die Judikatur - ungeachtet der im § 321 Abs 2 StPO normierten gesonderten Belehrungspflicht zu jeder einzelnen Frage - zusammenfassende Rechtsausführungen und Verweisungen auf gleichartige Erläuterungen, die für mehrere Fragen entscheidend sind, genügen lassen (aaO E 53; § 321 E 5), muss doch an der Prämisse festgehalten werden, dass die Instruktion ihrer inhaltlichen Gestaltung nach nicht zu für das Verdikt bedeutsamen Missverständnissen der Laienrichter Anlass geben darf.

Fallspezifisch ist eine solche Möglichkeit der Irreleitung der Geschworenen über relevante Rechtsbegriffe gegeben. Denn das Vorliegen von Unklarheiten bei den Laienrichtern über die gesetzlichen Merkmale der die Hauptfragen 3 und 4 betreffenden Tathandlungen (vor allem hinsichtlich der subjektiven Erfordernisse beim Delikt der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB) ist bereits auf Grund des aufgezeigten Fehlens jeglicher Bezugnahme auf die Beachtlichkeit für die hinzugekommenen Fragen (Zahl 16 bis 21) nicht von der Hand zu weisen.

Gemäß den bei Prüfung der Instruktion auf ihre Verständlichkeit heranzuziehenden Erwägungen in der Niederschrift der Geschworenen (Mayerhofer StPO4 § 331 E 16, 17; § 345 Abs 1 Z 8 E 69) sind die Laienrichter bei Verneinung der Hauptfrage 3 "mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit" von der Täterschaft des Angeklagten ausgegangen, haben allerdings den Vorsatz mit dem ausdrücklichen Bemerken "Triebtat eher" für nicht gegeben erachtet (Beilage E zu ON 52). Demnach ist die Möglichkeit, dass die erörterte Unvollständigkeit der Belehrung bei den Geschworenen einen den Wahrspruch zum Nachteil der Anklagebehörde beeinflussenden (Rechts-)Irrtum über das Fehlen der Vorsatzkomponenten beim Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB im Fall der Tatbegehung aus übersteigertem Sexualtrieb ("Triebtat") ausgelöst hat, nicht nur in abstracto denkbar (aaO § 345 Abs 1 Z 8 E 7, 8), sondern geradezu indiziert.

Im Interesse künftiger Prozessfehlervermeidung sei zu diesen von den Geschworenen angegebenen Erwägungen angemerkt, dass der Schwurgerichtshof zur vergleichenden Überprüfung des Wahrspruchs sowie der Niederschrift der Geschworenen verpflichtet ist und in der Regel mit Verbesserungsauftrag (§ 332 Abs 4 StPO) zu reagieren hat, wenn eine Schuldfrage (unter anderem) mit der Begründung "eher Triebtat" verneint wird.

Wie sich aus der Niederschrift weiters ergibt, war die Relevanz der schriftlichen Unterweisungen zu den nur teilweise übereinstimmenden Schuldfragen zur ursprünglichen Anklage für die juristisch ungeschulten Geschworenen auch deshalb nicht ohne weiteres erkennbar, weil die Verneinung der auf die Fakten der ersten Anklage bezogenen Schuldfragen schon aus tatsächlichen Gründen eine nähere Befassung der Laienrichter mit den gesamten rechtlichen Erläuterungen keineswegs nahelegte. Der Rechtsbelehrung zur Hauptfrage 2 (nach schwerem Raub) lässt sich außerdem keine Klarlegung für die Beantwortung der Hauptfrage 4 dahingehend entnehmen, inwieweit eine Gewaltanwendung zur Tatbestandsverwirklichung nach § 201 Abs 2 StGB (Hauptfrage 3) zugleich als Mittel zur Begehung eines Raubes nach § 142 Abs 1 StGB genügt.

Überdies wurden die Geschworenen über das prozessuale Verhältnis der Fragen zueinander nur in Ansehung des Fragenkatalogs zum ursprünglichen Anklagesachverhalt (ON 22; Zahl 1 bis 15) unterrichtet, während die verfahrensrechtlichen Beziehungen zwischen

den in Rede stehenden Hauptfragen 3 und 4 (= Zahl 16 und 19), den

hiezu gestellten Zusatzfragen 6 und 7 nach Zurechnungsunfähigkeit (=

Zahl 17 und 20) sowie den Eventualfragen 9 und 10 in Richtung § 287 Abs 1 StGB (= Zahl 18 und 21) - entgegen der Vorschrift des § 321 Abs 2 StPO - schriftlich ebensowenig klargelegt wurden wie die Folgen der Bejahung oder Verneinung jeder dieser Fragen, wobei auch das Fragenschema selbst hierüber keinen Aufschluss gibt. Angesichts der undeutlichen Beantwortung der erwähnten (zufolge Verneinung der jeweiligen Hauptfragen gar nicht mehr aktuell gewordenen) Zusatzfragen und der Eventualfrage 9 jeweils mit der Wendung "nein, entfällt" (Beilage C zu ON 52) kann auch insoweit nicht ausgeschlossen werden, dass die Laienrichter einem Missverständnis über die betreffenden gesetzlichen Regelungen unterlegen sind, das geeignet war, sich auf die Entscheidung auszuwirken (aaO § 345 Abs 1 Z 8 E 44, 67). Der diesbezügliche Inhalt der Niederschrift lässt ebenfalls keine verlässliche Aussage darüber zu, ob sich die Geschworenen über die Konsequenzen ihres jeweiligen Votums und über die Relation der einzelnen Fragen zueinander im Klaren waren.

Die sohin zu Recht gerügten Mängel der Belehrung zu den Hauptfragen 3 und 4 zwingen in ihrer Gesamtheit fallbezogen zur Aufhebung der hievon betroffenen Teile des Wahrspruchs und der darauf gegründeten Freisprüche des Angeklagten sowie zur Verfahrenserneuerung in diesem Umfang, weshalb sich ein Eingehen auf die weiteren Beschwerdeausführungen erübrigt.

Für das Verfahren im zweiten Rechtsgang liegt sowohl hinsichtlich des aufrecht bleibenden Schuldspruchs als auch zur Entscheidung über die Fakten der Nachtragsanklage die Zuständigkeit des Schöffengerichtes vor (aaO § 349 E 20 bis 25; 13 Os 148/88; 11 Os 140, 141/98).

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