OGH 7Ob17/99x

OGH7Ob17/99x7.4.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon-Prof. Dr. Danzl und Dr. Schaumüller als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anna F*****, vertreten durch Schuppich, Sporn & Winischhofer, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Elisa P*****, vertreten durch Dr. Nikolaus Gabor, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 660.000,-- sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 13. Juli 1998, GZ 15 R 220/97a-41, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 16. Juni 1997, GZ 24 Cg 111/94h-31, zum Teil als nichtig aufgehoben, zum Teil bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 21.807,-- (darin S 3.634,50 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 19. 5. 1992 verstorbene Dipl.-Ing. Marian Bruno F***** war bei seinem Ableben mit der Klägerin aufrecht verheiratet. Sein einziger Verwandter war sein Bruder. Er hinterließ eine letztwillige Verfügung vom 20. 8. 1991 mit folgendem Wortlaut:

"Mein letzter Wille!

Elisa P*****, meine Lebensgefährtin seit 1986, die mit mir in H*****, lebt, ist meine Universalerbin.

Mein Bruder bekommt nichts! Er ist explizit enterbt!

Mit Anna F***** habe ich ja schon vor geraumer Zeit eine Teilung der ehelichen Güter durchgeführt: Sie bekam S 350.000,-- in bar und das Geschäft am Bauernmarkt, von dem ich 70 % Eigentümer war.

Falls es judizielle Schwierigkeiten gibt, und Elisa das Anwesen in Höflein nicht erben kann, so bekommt Anni das Anwesen. Meine Bitte an sie ist, de facto das Anwesen an Elisa P***** zu überlassen, und so bald das möglich ist, es auch formal an Elisa ins Eigentum zu übertragen (unentgeltlich)."

Die Beklagte hat auf Grund dieses Testamentes vor dem Bezirksgericht Klosterneuburg zu A 273/92 eine Erbserklärung abgegeben, der gesamte Nachlass wurde ihr eingeantwortet.

Mit der zitierten letztwilligen Erklärung vom 20. 8. 1991 wollte der Erblasser seinen subjektiven Willen zum Ausdruck bringen, dass nach seinem Ableben seine gesamten vererbbaren Vermögenswerte an die Beklagte kommen sollen und seine Ehegattin, die Klägerin, aber auch sein Bruder neben der Beklagten nichts bekommen sollen. Mit der Erklärung, dass sein Bruder "explizit enterbt ist", wollte er daher eine Sicherung des testamentarischen Universalerbrechtes der Beklagten bewirken. Er war rechtsirrtümlich der Auffassung, dass dies notwendig sei, um der Beklagten neben dem überlebenden Bruder das ganze Erbe zukommen zu lassen. Der Erblasser befand sich bei Abfassung des Testamentes daher in einem Irrtum, weil er davon ausging, dass sein Bruder Karl - ebenso wie seine Frau, die Klägerin - neben der Beklagten auch für den Fall, dass er die Beklagte (nur) als Universalerbin einsetzt, "Erbrechte" habe. Er hat hiebei nicht gewusst, was ein gesetzliches Erbrecht bzw ein Pflichtteilsanspruch ist, welche Personen ein Noterbrecht haben, was die "Unumgehbarkeit" von Pflichtteilsansprüchen bedeutet. Insbesondere hat er nicht gewusst, dass man einen nicht Pflichtteilsberechtigten (im Falle der Bestellung eines Testamentserben) gar nicht ausdrücklich enterben muss. Er hat daher auch nicht bedacht bzw gewusst, dass der Klägerin für den Fall, dass er seinem Bruder Karl das gesetzliche Erbrecht entzieht (gemeint ist: enterbt), "enterbe", ein größerer Pflichtteil zukommt. Hätte er diese Umstände jedoch bedacht, so hätte er verfügt, dass er seinem Bruder Karl das gesetzliche Erbrecht nicht entziehe, damit sein Hauptwunsch, sein wahrer Wille, das gesamte Vermögen seiner Lebensgefährtin zu hinterlassen, verwirklicht werde. Das Verhältnis des Erblassers zu seinem Bruder Karl war äußerst schlecht. Es hat von Jugend an zwischen den Beiden ein starkes Konkurrenzverhältnis gegeben, das schließlich zu einer Entfremdung geführt hat, die von Seiten des Erblassers auch durch Hass geprägt war und dazu führte, dass zumindest in den letzten Jahren nach dem Ableben der Mutter fast keine Kontakte zwischen den Beiden bestanden. Sporadische Kontakte, wie Telefonate, sind über Initiative des Bruders Karl zustande gekommen.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Hälfte des Reinnachlasses mit dem wesentlichen Vorbringen, dass ihr in Ermangelung anderer gesetzlicher Erben gemäß § 757 Abs 1 ABGB als Ehegattin zum gesamten Nachlass ihres verstorbenen Ehegatten ein gesetzliches Erbrecht zugestanden wäre. Der Bruder des Erblassers sei gemäß § 762 ABGB nicht pflichtteilsberechtigt; er sei im Testament des Erblassers vom gesetzlichen Erbrecht ausgeschlossen worden und bei der Pflichtteilsberechnung der Klägerin unberücksichtigt zu lassen. Da ihr Ehegatte jedoch die Beklagte als Alleinerbin eingesetzt habe, stehe der Klägerin gemäß § 765 ABGB ein Pflichtteil im Ausmaß der Hälfte dessen zu, was ihr nach dem Gesetz zugefallen wäre, somit der halbe Wert des gesamten Reinnachlasses. Von diesem begehre sie vorläufig den Zuspruch von S 2,020.00,-- sA.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Klägerin stehe gemäß § 765 ABGB ein Pflichtteil im Ausmaß der Hälfte dessen zu, was ihr nach der gesetzlichen Erbfolge zugefallen wäre. Gemäß § 757 Abs 1 ABGB wäre jedoch dem Bruder des Erblassers ein gesetzliches Erbrecht zu einem Drittel des Nachlasses und der Klägerin ein derartiges von zwei Drittel des Nachlasses zugestanden. Wäre kein Testament errichtet worden, hätte die Klägerin zwei Drittel und der Bruder ein Drittel des Nachlasses geerbt. Der Pflichtteil der Klägerin betrage somit ein Drittel (die Hälfte des gesetzlichen Erbteiles von zwei Dritteln) und nicht, wie von der Klägerin begehrt, die Hälfte des Nachlasses.

Die Bemessungsgrundlage für den Pflichtteilsanspruch der Klägerin steht mit S 3,960.000,-- außer Streit.

Der im ersten Verfahrensgang ergangene Zuspruch von S 1,320.000,-- an die Klägerin erwuchs unangefochten in Rechtskraft. Revisionsgegenständlich ist nur die darüber hinausgehende Klagsforderung von S 660.000,- -.

Das Erstgericht wies (unter anderem) dieses restliche Klagebegehren ab. Es folgerte rechtlich, dass es der Wille des Erblassers gewesen sei, die Beklagte als Universalerbin einzusetzen, und dem Bruder Karl neben der Universalerbin nichts zukommen zu lassen. Auch der Klägerin sollte nichts mehr zukommen, weil diese schon mit ihren Ansprüchen befriedigt worden sei. Eine Enterbung der Klägerin sei nicht erklärt worden, dies wäre auch nur bei Vorliegen von Enterbungsgründen möglich. Der Erblasser habe mit seinen Aussagen im Testament bezüglich seines Bruders und der Klägerin nur den Universalrechtsanspruch der Beklagten neben dem Bruder Karl und neben der Ehefrau sichern wollen. Dementsprechend gebühre der Ehefrau als Pflichtteil die Hälfte dessen, was ihr nach der gesetzlichen Erbfolge zugefallen wäre (§ 765 ABGB). Ihr wäre sohin bei Fehlen eines Testamentes und bei Berücksichtigung des gesetzlichen Erbrechtes des Bruders des Erblassers als dem einzigen vorhandenen Verwandten, dem sein gesetzliches Erbrecht nicht entzogen worden sei, zwei Drittel des Nachlasses zugestanden (§ 757 Abs 1 ABGB). Ausgehend von einer unbestrittenen Bemessungsgrundlage für den Pflichtteilsanspruch von S 3,960.000,-- bemesse sich der Umfang des gesetzlichen Erbrechtes der Klägerin mit S 2,640.000,-- und die Hälfte davon (Pflichtteil) betrage S 1,320.000,- -.

Das Berufungsgericht bestätigte mit der angefochtenen Entscheidung die Abweisung des restlichen Klagebegehrens und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes im klagsgegenständlichen Punkt. Der Bruder des Erblassers sei nicht im Sinne des § 768 ABGB enterbt worden. Mit der "Enterbung" habe der Erblasser nur seine Absicht, der Beklagten sein gesamtes Erbe zukommen zu lassen, absichern wollen.

Die Revision sei zuzulassen gewesen, weil zur Frage, ob der nicht pflichtteilsberechtigte Bruder des Erblassers bei Ermittlung des Pflichtteiles der Ehegattin in Konkurrenz stehe, noch keine oberstgerichtliche Judikatur vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.

Soweit die Revision davon ausgeht, dass der Erblasser auf Grund seines schlechten Verhältnisses zu seinem Bruder diesen nach § 768 ABGB enterbt habe, geht sie nicht von den erstgerichtlichen Feststellungen aus.

Gemäß § 762 ABGB zählt der Ehegatte zu den pflichtteilsberechtigten Personen. Es gebührt ihm gemäß § 765 ABGB die Hälfte dessen, was ihm nach der gesetzlichen Erbfolge zugefallen wäre. Gemäß § 757 ABGB ist der Ehegatte des Erblassers für den Fall, dass dieser keine Kinder hinterlassen hat, neben den Eltern des Erblassers und deren Nachkommen zu 2/3 des Nachlasses gesetzlich erbberechtigt. Sind weder gesetzliche Erben der ersten oder der zweiten Linie noch Großeltern vorhanden, so erhält der Ehegatte den ganzen Nachlass.

Enterbung im technischen Sinn ist die gänzliche oder teilweise Entziehung des Pflichtteils durch letztwillige Verfügung. Sie kann ausdrücklich oder stillschweigend (durch Übergehung) erfolgen, ist aber nur bei Vorliegen eines Enterbungsgrundes wirksam (rechtmäßige Enterbung). Im untechnischen Sinn ist Enterbung auch die Entziehung des gesetzlichen Erbrechts, die nicht an die Voraussetzungen der §§ 768 ff ABGB gebunden ist. Die ausdrückliche Enterbung ist im Zweifel auch als negatives Testament zu verstehen (vgl Welser in Rummel ABGB2 vor § 768 Rz 1 mwN). Das "negative Testament" schließt ohne Erbseinsetzung einen oder mehrere gesetzliche Erben vom Nachlass oder einen Teil davon aus (vgl Welser aaO § 552, 553 Rz 4 mwN). Die durch den Inhalt der letztwilligen Verfügung zum Ausdruck gebrachte Absicht ist nach dem wahren Willen des Erblassers zu beurteilen. Bei der Auslegung einer letztwilligen Verfügung darf man nicht am Wortlaut der Verfügung haften, sondern es sind alle Umstände zu berücksichtigen, damit dem Willen des Erblassers gerecht bzw entsprochen wird (Welser aaO Rz 7 mwN; RS0012238). Der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, dass der Erblasser mit der "Enterbung" seines Bruders nur die Einsetzung der Beklagten als Universalerbin absichern wollte, trifft daher zu. Es kam daher zu keiner Vergrößerung der gesetzlichen Erbportion der Klägerin nach § 757 ABGB zufolge der Nichtberücksichtigung des Bruders des Erblassers und damit auch nicht zu einer Vergrößerung ihres Pflichtteilsanspruches.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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