OGH 8ObA102/00h

OGH8ObA102/00h30.3.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter MR Dr. Walter Kraft und MMag. Albert Ullmer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Zvonko R*****, Hilfsarbeiter, *****, vertreten durch Dr. Siegfried Kommar, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S***** GesmbH, *****, vertreten durch Dr. Alfred Lind und Dr. Klaus Rainer, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 33.173,06 brutto abzüglich S 7.201,-

netto sA (Revisionsinteresse S 20.498,56 brutto sA), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Dezember 1999, GZ 7 Ra 378/99f-17, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 17. September 1999, GZ 34 Cga 210/98w-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 5.325,60 (darin S 887,60 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 5.635,68 (darin S 609,28 Umsatzsteuer und S 1.980,- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger, der mit seiner Frau und seinen drei Kindern in seinem Haus in P***** (Burgenland) wohnhaft ist, war bei der Beklagten vom 9. 3. 1998 bis zum 17. 7. 1998 als Hilfsarbeiter beschäftigt. Während des (durch Arbeitnehmerkündigung beendeten) Arbeitsverhältnisses war er ausschließlich auf einer Baustelle im 2. Wiener Gemeindebezirk eingesetzt. Er hatte von Montag bis Donnerstag von 7.00 bis 18.00 Uhr zu arbeiten. Montag morgens wurde der Kläger von einem aus Graz kommenden Arbeitskollegen in P***** aufgenommen und zur Baustelle nach Wien gebracht. Donnerstag nach Arbeitsschluss fuhr er wieder nach P*****. Während der Arbeitswoche nächtigte er in einem von der Beklagten zur Verfügung gestellten Quartier in Wien. Die Fahrzeit für eine (einfache) Fahrt zwischen Wien und P***** beträgt etwa 1 1/2 Stunden. Bei Beginn des Arbeitsverhältnisses legte der Kläger der Beklagten ua einen Meldezettel vor, in dem als sein Wohnort P***** ausgewiesen ist. Im März und im April 1998 wurde dem Kläger jeweils Trennungsgeld für zwei Tage ausgezahlt. Aufgrund einer Nachfrage des Klägers wurde ihm seitens des Arbeitgebers erklärt, es müsse sich um eine Fehlberechnung des Lohnbüros handeln, er werde sein ausständiges Trennungsgeld noch bekommen. Bei weiteren Urgenzen wurde er vertröstet.

Auf das Arbeitsverhältnis ist der Kollektivvertrag für Bauindustrie und Baugewerbe anzuwenden, der in seinem § 9 Pkt. II bestimmt, dass jene Arbeitnehmer, die so weit weg von ihrem ständigen Wohnort (Familienwohnsitz) arbeiten, dass ihnen eine tägliche Rückkehr zu ihrem Wohnort nicht zugemutet werden kann, Anspruch auf ein Trennungsgeld haben, das 292,5 % des Stundenlohns der Beschäftigungsgruppe III b je Arbeitstag beträgt.

Der Kläger begehrt in seiner Klage insgesamt S 33.173,- brutto abzüglich S 7.201,- netto, wobei nur mehr das Begehren auf Zuspruch von S 20.498,56 an Trennungsgeld für 64 Tage strittig ist. Der Kläger bringt dazu im Wesentlichen vor, dass ihm eine tägliche Rückkehr zum Wohnort nicht zumutbar gewesen sei, sodass ihm ein Anspruch auf Trennungsgeld zustehe, der überdies durch die Gewährung von Trennungsgeld für vier Tage anerkannt worden sei.

Die beklagte Partei bestritt - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Anspruch auf Gewährung von Trennungsgeld.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Zum Trennungsgeldbegehren vertrat es die Rechtsauffassung, dass dem Kläger die tägliche An- und Zureise von Wien nach P***** angesichts einer Gesamtfahrzeit von drei Stunden täglich nicht zumutbar gewesen sei.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil, das im Zuspruch des verbleibenden Klagebegehrens unangefochten in Rechtskraft erwuchs, in der Entscheidung über das Begehren auf Zuspruch von Trennungsgeld im abweisenden Sinne ab; es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Zur im Revisionsverfahren allein strittigen Frage, ob dem Kläger die tägliche Rückkehr zum Familienwohnsitz zumutbar gewesen sei, führte es im Wesentlichen aus, dass die rund 116 km lange Strecke zwischen Wien und P***** eine Fahrzeit von rd. 1 Stunde 20 Minuten erfordere, wenngleich gerichtsbekannt sei, dass die dabei zu befahrende "Südosttangente" fast täglich "zu Stauungen neige", wodurch mit unter Umständen erheblich längeren Fahrzeiten zu rechnen sei. Eine Zugverbindungen bestehe -"unter Berücksichtigung einer normalen Arbeitswoche Montag bis Freitag mit späterem Arbeitsbeginn als 7 Uhr" - ab P***** um 5 Uhr 28, (über Friedberg [an 5 Uhr 57, ab 5 Uhr 49] und Wr. Neustadt [an 6 Uhr 55, ab 7 Uhr]) nach Wien Süd, Ankunft 7 Uhr 45. Eine Rückfahrmöglichkeit bestehe von Wien Süd (ab 16 Uhr 58) über Wr. Neustadt (an 17 Uhr 29, ab 17 Uhr 36) nach P***** (an 19 Uhr 14). Postbusverbindungen zwischen P***** und Wien gäbe es nicht. Da bisher der Anspruch auf Trennungsgeld von der Rechtsprechung nur bei viel erheblicheren Fahrzeiten (etwa 5 oder 6 Stunden) anerkannt worden sei, sei der vom Kläger geltend gemachte Anspruch zu verneinen.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage, ob bei einer Wegstrecke von ca 120 km ein Trennungsgeldanspruch zustehe, Rechtsprechung fehle.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es iS der Stattgebung des noch offenen Begehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Obzwar der Umstand, dass zu der im konkreten Einzelfall maßgebenden Wegstrecke noch keine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs ergangen ist, im Allgemeinen keine Rechtsfrage iS § 46 Abs 1 ASGG darstellt, ist die Revision schon deshalb zulässig, weil das Berufungsgericht die Rechtslage verkannt hat.

Die Revision ist auch berechtigt.

Dass in den von der zweiten Instanz zitierten Entscheidungen Trennungsgeldansprüche in Fällen bejaht wurden, in denen höhere als die hier zu beurteilenden Fahrzeiten zurückzulegen waren, besagt für den vorliegenden Fall nichts, weil keiner dieser Entscheidungen eine Untergrenze für die Bejahung eines solchen Anspruchs zu entnehmen ist.

Im Übrigen zeigen gerade die Ausführungen des Berufungsgerichtes über die dem Kläger offenstehenden Möglichkeiten der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, dass ihm der geltend gemachte Anspruch zusteht.

Die Ausführungen des Berufungsgerichtes gehen nämlich deklariert von einem Arbeitsbeginn "nach 7 Uhr" aus. Die in der Berufungsentscheidung aufgezeigte Zugverbindung käme - berücksichtigt man, dass der Kläger auch vom Bahnhof Wien Süd zur Baustelle fahren hätte müssen - nur in Betracht, wenn Arbeitsbeginn frühestens um 8 Uhr gewesen wäre. Demgegenüber steht fest, dass der Kläger bereits um 7 Uhr zu arbeiten beginnen musste. Die von der zweiten Instanz aufgezeigte Rückfahrmöglichkeit beruht auf einer Abfahrtszeit (vom Bahnhof Wien Süd !) um 16 Uhr 58, obwohl feststeht, dass der Kläger bis 18 Uhr arbeiten musste. Diese Zugverbindung, die im Übrigen ohnedies (unter Einschluss der für die Fahrten zwischen dem Bahnhof Wien Süd und der Baustelle) eine (vom Berufungsgericht geforderte) Fahrzeit von 5 Stunden täglich mit sich gebracht hätte, kam daher für den Kläger nicht in Betracht.

Dem Kläger wäre daher nur die Möglichkeit offengestanden, mit seinem eigenen PKW zu fahren, was nach den maßgebenden erstgerichtlichen Feststellungen eine tägliche Fahrzeit von drei Stunden mit sich gebracht hätte, wobei der Umstand, dass die tägliche Fahrt nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln hätte zurückgelegt werden können, wegen der damit verbundenen Anstrengungen - vor allem bei schlechter Witterung - erschwerend ins Gewicht fällt. Berücksichtigt man überdies die ohnedies vom Berufungsgericht hervorgehobene Stauanfälligkeit der in Wien zurückzulegenden Strecke und die dadurch gegebene Notwendigkeit der Einplanung von Verzögerungen, kann nach Ansicht des erkennenden Senates nicht zweifelhaft sein, dass dem Kläger die tägliche Heimfahrt nicht iS des § 9 Punkt II zumutbar war. Dies entspricht im Übrigen auch dem Umstand, dass der Kläger eine solche tägliche Fahrzeit nicht auf sich nahm und statt dessen während der Arbeitswoche in Wien übernachtete. Auf den in der Revision vorgebrachten Einwand, der Kläger wäre zur Benützung des eigenen Fahrzeuges nicht verpflichtet gewesen, braucht daher nicht mehr eingegangen zu werden.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte