OGH 6Ob158/99z

OGH6Ob158/99z29.3.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Manfred P***** und 2. Maria P*****, 8733 S*****, beide vertreten durch Dr. Karl Maier, Rechtsanwalt in Knittelfeld, gegen die beklagten Parteien 1. Adolf G*****, 8733 S*****, 2. Rudolf E*****, 8733 S*****, beide vertreten durch Dr. Gottfried Reif, Rechtsanwalt in Judenburg, wegen Feststellung des Nichtbestehens eines Fahrrechtes und Unterlassung, über die ordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Leoben vom 15. Jänner 1999, GZ 3 R 284/98s-44, mit dem das Urteil des Bezirksgerichtes Knittelfeld vom 29. Juli 1998, GZ 2 C 994/95x-38, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wieder hergestellt wird.

Die Kläger sind zur ungeteilten Hand schuldig, den Beklagten die mit insgesamt 23.133,57 S (darin enthalten 2.586,75 S USt und 7.613,-- S Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger waren je zur Hälfte Eigentümer des landwirtschaftlichen Grundstückes 189 und des einen Weg darstellenden Grundstückes 412 je der EZ 19 Grundbuch S*****. Sie haben das landwirtschaftliche Anwesen 1963 von ihren Rechtsvorgängern übernommen. Während des Rechtsstreites verkauften sie die Liegenschaft an Michael E*****.

Der genannte Weg führt von einem öffentlichen Weg in südliche Richtung abzweigend zum Grundstück 189 und trennt die westlich und östlich des Weges gelegenen Grundstücke des Erstbeklagten (Grundstück 188/1) und des Zweitbeklagten (Grundstück 405). Die Beklagten haben die Liegenschaften je von ihren Vätern übernommen, und zwar der Erstbeklagte 1975, der Zweitbeklagte 1969.

Der Weg wurde im Zug eines 1953 eingeleiteten Zusammenlegungsverfahrens landwirtschaftlicher Grundstücke im Jahr 1954 neu angelegt. Mit Bescheid der Agrarbezirksbehörde L***** vom 21. 9. 1954 wurden gemäß § 97 Abs 4 des Gesetzes vom 26. 5. 1909 LGBl 1909/45 (Zusammenlegungs-Landesgesetz, ZLG) von den Beteiligten des Zusammenlegungsverfahrens die Abfindungsgrundstücke sofort provisorisch übernommen, wobei als Tag des Vollzuges der Übergabe der 16. 9. 1954 festgelegt wurde. Darunter befand sich auch der genannte Weg. Seit der Übergabe wurde der Weg von den Rechtsvorgängern der Beklagten und in der Folge auch von diesen zur vorteilhafteren Bewirtschaftung ihrer Grundstücke mit landwirtschaftlichen Maschinen befahren, um zu ihren bis zu den beiden Wegrändern im Osten und Westen bebauten Grundstücken zuzufahren und auf dem Weg zu wenden. Eine Zufahrt vom Gemeindeweg im Norden der Grundstücke der Beklagten und ein Wenden der landwirtschaftlichen Maschinen innerhalb ihrer Grundstücke ohne Benützung des Weges der Kläger würde zu einem Flurschaden und Verdienstentgang der Beklagten führen.

Bei der Benützung des Weges wurden die Beklagten und deren Rechtsvorgänger von niemandem gehindert. Die Benützung wurde ihnen weder ausdrücklich gestattet noch untersagt. Der Erstkläger hat den Erstbeklagten einmal gefragt, ob ihm klar sei, dass der Weg sein Eigentum sei. Dem Zweitbeklagten eröffnete er, dass er auf dessen Grundstück eine Wende errichten werde, wenn der Zweitbeklagte den Weg benütze. Der Erstkläger hat ferner zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt beiden Beklagten die Benützung des Weges verboten.

In dem im Zuge des Zusammenlegungsverfahrens am 4. 9. 1961 erlassenen Generalakt wurde der Weg nicht erwähnt. Das Wegegrundstück scheint erstmals im Verbücherungsbeschluss des Erstgerichtes als Grundbuchsgericht vom 15. 10. 1968 als "412 Privatweg" unter "Neueintragung der ermittelten Abfindungsgrundstücke" neben anderen Parzellen betreffend die im Eigentum der Kläger stehenden Liegenschaft EZ 19 der KG S***** auf.

Mit ihrer am 1. 6. 1995 eingebrachten Klage begehren die Kläger die Feststellung, dass zugunsten der jeweiligen Eigentümer der Grundstücke 188/1 und 405 keine Dienstbarkeit des Fahrrechtes auf dem Weg bestehe sowie weiters die Verurteilung der Beklagten, alle Handlungen zu unterlassen, die sich als Ausübung einer solchen Dienstbarkeit darstellen. Der Weg sei von den Beklagten widerrechtlich benützt worden, obwohl ihnen dies jahrelang untersagt worden sei. Ihre Grundstücke seien unmittelbar über den öffentlichen Weg zu erreichen. Der strittige Weg sei den Rechtsvorgängern der Kläger mit dem erst im Jänner 1977 in Rechtskraft erwachsenen Zusammenlegungsbescheid zugewiesen worden. Erst in diesem Zeitpunkt sei Eigentum begründet worden und hätte eine Ersitzungszeit zu laufen beginnen können. Den Beklagten und ihren Rechtsvorgängern fehle es an der Redlichkeit.

Die Beklagten beantragten die Abweisung der Klagebegehren, weil sie und ihre Rechtsvorgänger durch mehr als dreißigjährige gutgläubige Benützung des Weges zur besseren Bewirtschaftung ihrer Grundstücke eine Wegeservitut ersessen hätten. Die Übergabe und damit der Eigentumsübergang im Zuge des Zusammenlegungsverfahrens sei bereits 1954 erfolgt.

Das Erstgericht wies die Klagebegehren im ersten Rechtsgang ab, weil die Beklagten das Wegerecht gutgläubig ersessen hätten.

Der Oberste Gerichtshof bestätigte mit seiner Entscheidung vom 17. 12. 1997, 6 Ob 35/97h den dieses Urteil aufhebenden Beschluss des Berufungsgerichtes, wobei er klarstellte, dass der Beginn der Ersitzungszeit bereits ab dem 16. 9. 1954 grundsätzlich durch Besitzausübung eines Nichtberechtigten gegen die Rechtsvorgänger der Kläger als (bedingte) neue Eigentümer in Lauf gesetzt werden konnte. Hinsichtlich der Frage der Redlichkeit der Beklagten und ihrer Rechtsvorgänger sei das Verfahren aber noch ergänzungsbedürftig.

Im zweiten Rechtsgang brachten die Kläger ergänzend vor, dass den Rechtsvorgängern der Beklagten der Grundbuchsbeschluss TZ 1167/86 des Erstgerichtes zugestellt worden sei, aus dem ersichtlich sei, dass der Weg nicht mit einer Dienstbarkeit belastet sei. Spätestens dadurch sei den Rechtsvorgängern der Beklagten bekannt geworden, dass die Benützung des Weges nicht rechtmäßig sei.

Die Beklagten wendeten ein, dass sie als rechtsunkundige Personen nicht in der Lage gewesen seien, den umfangreichen Grundbuchsbeschluss nachzuvollziehen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren neuerlich ab. Es lasse sich nicht mehr klären, ob den Rechtsvorgängern der Beklagten der Grundbuchsbeschluss zugestellt worden sei. Selbst eine Zustellung des Beschlusses würde an der Redlichkeit der Rechtsausübung nichts ändern. Es sei einem Laien nahezu unmöglich, aus dem 77 Seiten langen Beschluss zu entnehmen, dass den Rechtsvorgängern der Kläger lastenfreies Eigentum am strittigen Weg übertragen worden sei. Insbesondere aber hätten die Beklagten und ihre Rechtsvorgänger den Weg bis dahin bereits 14 Jahre lang unbeanstandet benützt.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im Sinn einer Klagestattgebung ab. Es stellte nach Beweisergänzung durch Verlesen des Grundbuchsaktes TZ 1167/68 des Erstgerichtes abweichend von der zitierten Negativfeststellung des Erstgerichtes fest, dass der Grundbuchsbeschluss den Rechtsvorgängern der Beklagten im November oder Dezember 1968 zugestellt wurde. Daraus zog das Berufungsgericht den Schluss, dass den Rechtsvorgängern der Beklagten der gute Glaube gefehlt habe, weil sich aus dem Grundbuchsbeschluss entnehmen lasse, dass der Weg im unbelasteten Eigentum der Kläger stehe und dass daher den Rechtsvorgängern der Beklagten kein Fahrrecht zustehe. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes insgesamt 52.000 S, nicht jedoch 260.000 S übersteige und dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage fehle, ob in einem Fall wie dem vorliegenden Unredlichkeit der Rechtsvorgänger der Beklagten angenommen werden könne.

Rechtliche Beurteilung

Die ordentliche Revision der Beklagten ist zulässig und berechtigt.

Die darin geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Die Beklagten haben in erster Instanz die Behauptung der Kläger, dass der Grundbuchsbeschluss ihren Rechtsvorgängern zugestellt worden sei, gar nicht bestritten. Die Rechtssache ist im Übrigen auch auf Grund der nunmehr vom Erstgericht und vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhaltsgrundlage ohnehin im Sinn einer Abweisung der Klagebegehren spruchreif.

Wie das Berufungsgericht insoweit zutreffend ausführte, wird die zu den Voraussetzungen der von den Beklagten behaupteten Ersitzung des Fahrrechtes zählende Redlichkeit vom Gesetz gemäß § 328 ABGB im Zweifel vermutet, sodass es den Klägern oblegen gewesen wäre, die Unredlichkeit der Beklagten nachzuweisen.

Der vom Berufungsgericht gezogene Schluss, den Rechtsvorgängern der Beklagten habe spätestens ab Zustellung des Grundbuchsbeschlusses der gute Glaube gefehlt, ist jedoch unzutreffend. Der Grundbuchsbeschluss bildete den formellen Abschluss eines behördlichen Verfahrens zur Flurbereinigung, die in der Natur bereits 14 Jahre zuvor durchgeführt worden war. Während dieser gesamten Zeit befuhren die Beklagten und deren Rechtsvorgänger den Weg unbeanstandet und - wozu im Zweifel auszugehen ist, weil auch die im zweiten Rechtsgang ergänzten Feststellungen nichts Anderes ergeben haben - im guten Glauben, hiezu berechtigt zu sein. Dass sie sich für die Eigentümer des Weges hielten, haben sie ohnehin nicht behauptet. Selbst wenn die Rechtsvorgänger der Beklagten den Grundbuchsbeschluss zumindest insoweit gelesen hätten, als ihre Liegenschaften von den Änderungen auf Grund des Zusammenlegungsverfahrens betroffen waren, hätten sie dem Beschluss bloß entnehmen können, dass auf ihren Liegenschaften keine Wegparzelle mit der Nr. 412 ausgewiesen war (beim Erstbeklagten wurde sogar ein Abfindungsgrundstück mit der Bezeichnung "Privatweg", allerdings mit der Nr. 182, neu eingetragen). Hätten sie auch bei den die Kläger betreffenden Änderungen nachgelesen, hätten sie aus dem Beschluss nicht mehr entnehmen können als dass bei deren Liegenschaft EZ 19 eine Parzelle mit der Bezeichnung "412 Privatweg" neu eingetragen wurde.

Im Gegensatz zur Ansicht des Berufungsgerichtes konnte von den Rechtsvorgängern der Beklagten nicht erwartet werden, sie hätten aus diesen Passagen des Grundbuchsbeschlusses den Schluss ziehen müssen, dass ihnen mangels eines Hinweises auf ein Wegerecht ein solches auch nicht zustehe. Das Erstgericht wies in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass die Rechtsvorgänger der Kläger als Eigentümer des Weges bis zu diesem Zeitpunkt schon seit vielen Jahren die Benützung durch die Rechtsvorgänger der Beklagten widerspruchslos duldeten. Der Umstand, dass niemand die Benützung hinderte oder dafür ein Entgelt verlangte, bildete - gleich wie bei der Eigentumsersitzung im Sinn des § 326 ABGB (SZ 50/53 ua) - einen wahrscheinlichen Grund, sich zur Ausübung des Wegerechtes berechtigt zu erachten. Die Einrichtung der Ersitzung dient gerade dazu, Personen, die eine Sache durch lange Zeit wie ein Eigentümer besitzen oder wie ein Berechtigter benützen, den Nachweis des Rechtserwerbes zu ersparen (6 Ob 563/79 betreffend eine Dienstbarkeit). Dies gilt auch im Fall eines gegenteiligen Grundbuchsstandes, durch den jedenfalls die uneigentliche Ersitzung nicht gehindert wird (5 Ob 559/79). Selbst die Ersitzung eines Grundstücksteiles wird nach der Rechtsprechung nicht dadurch gehindert, dass es der Erwerber einer Liegenschaft unterlässt, sich vom wahren Liegenschaftsumfang, der sich aus der Grundbuchsmappe ergibt, Kenntnis zu verschaffen (8 Ob 645/93). Bloß an Hand des Grundbuchsbeschlusses - ohne Einsicht in entsprechende Pläne - war für die Rechtsvorgänger der Beklagten gar nicht erkennbar, dass es sich beim Grundstück "412 Privatweg" um den nunmehr strittigen Weg handelt. Vor allem aber ließ sich allein aus dem Umstand, dass sich im Grundbuchsbeschluss kein Hinweis auf eine Servitut an diesem Weg findet, nicht ohne weiters der Schluss ziehen, dass sie einen Weg in Anspruch nehmen, ohne hiezu berechtigt zu sein, übten sie doch das Wegerecht bereits seit vielen Jahren unbeanstandet aus.

Die Kläger hätten daher ungeachtet dessen, dass den Rechtsvorgängern der Beklagten der Verbücherungsbeschluss zugestellt wurde, nachweisen müssen, aus welchen konkreten Umständen - abgesehen von ihrem Grundeigentum - die Beklagten ein Verbot der Benützung des Weges in ernstliche Erwägung hätten ziehen müssen (SZ 50/53). Solche Umstände, die Unredlichkeit bewirken könnten, wie zB die Mitteilung des Rechtsstandpunktes durch den Eigentümer (JBl 1978, 257) oder die Hinderung an der Ausübung des Fahrrechtes wurden jedoch weder hinsichtlich der jeweiligen Rechtsvorgänger noch der Streitparteien erwiesen. Dass die Mitteilung des Erstklägers an die beiden Beklagten, dass sie den Weg nicht benützen dürften, noch innerhalb der Ersitzungszeit erfolgte, steht nicht fest. Der Hinweis des Erstklägers auf sein Eigentum am Weg hindert für sich allein die Redlichkeit der Benützung des Weges als Fahrweg nicht. Da somit die gesetzliche Vermutung der Redlichkeit der Beklagten und ihrer Rechtsvorgänger nicht widerlegt werden konnte, ist das die Klage abweisende Urteil des Erstgerichtes wieder herzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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