Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidung des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 18.594,08 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 1.995,68 und Barauslagen von S 6.620) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die klagende Partei begehrt die Feststellung, dass der Beklagte für alle künftigen Pflichtleistungen, die sie aus Anlass des Vorfalls vom 6. 9. 1995 ihres am 20. 8. 1970 geborenen Versicherten Fuat G***** auf Grund der jeweils geltenden Bestimmungen des ASVG an Fuat G***** zu erbringen habe, insoweit diese Leistungen im Schaden Deckung finden, den Fuat G***** ohne Berücksichtigung der Legalzession nach § 332 ASVG gegenüber dem Beklagten geltend zu machen berechtigt sei, ersatzpflichtig sei.
Sie brachte dazu vor, der Beklagte habe Fuat G***** eine Stichverletzung im Nackenbereich zugefügt, die dessen schwere Verletzung zur Folge gehabt habe. Es seien bei ihm gesundheitliche Dauerfolgen verblieben, Spätfolgen seien nicht ausgeschlossen. In einem Verfahren wegen einer vom Verletzten beantragten Invaliditätspension sei seine Arbeitsfähigkeit zwar bejaht worden, jedoch nur eingeschränkt, der Invaliditätsgrad könne durchaus über 50 % ansteigen. Die Klägerin müsse daher damit rechnen, dass sie künftig Rentenleistungen erbringen müsse. Sie habe ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung, weil gemäß § 332 ASVG sämtliche Ansprüche, für die sie Leistungen erbringen müsse, auf sie übergegangen seien. Das rechtliche Interesse werde durch die Abschiebung des Verletzten nicht ausgeschlossen, weil die gesetzliche Zahlungspflicht auch in diesem Fall bestehen könne.
Der Beklagte wendete ein, er habe bei der Verletzung des Fuat G***** in Notwehr gehandelt, jedenfalls treffe diesen ein erhebliches Mitverschulden. Der Invaliditätsgrad des Verletzten liege unter 50 %, es sei ausgeschlossen, dass dieser in Hinkunft überschritten werde. Des weiteren sei der Verletzte in die Türkei abgeschoben worden, eine Rückkehr sei ausgeschlossen. Es fehle der Klägerin am rechtlichen Interesse.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, wobei im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen wurden:
Am 6. 9. 1995 kam es zwischen Fuat G***** und dem Beklagten zu einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Beklagte dem Fuat G***** mit einem Messer einen Stich in den rechten Nackenbereich versetzte, wodurch die linke Hälfte des Rückmarks teilsweise durchtrennt wurde. Es konnte nicht festgestellt werden, dass es unmittelbar zuvor zu einem Angriff des Klägers (richtig: Fuat G*****) gegen den Beklagten gekommen ist, wobei der Beklagte dem Fuat G***** das Messer entriss und sich selbst in den Nacken rammte. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der Beklagte den Stich in einer Abwehrhandlung gegen einen Angriff des Fuat G***** gesetzt habe.
Fuat G***** erlitt durch den Vorfall eine tiefreichende Stichverletzung im Nacken mit einer knöchernen Verletzung am rechtsseitigen Bogen des vierten Halswirbelkörpers, einer Eröffnung des Rückenmarkskanals und Teildurchtrennung des Rückmarks. Dadurch kam es zu einer Teillähmung. Am 13. 2. 1997 war der Heilungsverlauf so weit fortgeschritten, dass der Verletzte motorisch nur noch diskrete Ausfälle zeigte. Die Tiefensensibilität war ebenso wie die Schmerz- und Temparaturempfindung in den betroffenen Bereichen erloschen. Inwieweit sich der Gesundheitszustand des Verletzten seit Februar 1997 gebessert hat, konnte nicht festgestellt werden. Rein neurologisch wird man bei ihm immer elektrophysiologische Ausfälle feststellen können. Es nicht auszuschließen, dass der Verletzte, bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, ein Leistungskalkül erreichen wird, das uneingeschränkt ist. Dem Verletzten waren im Juni 1998 nur leichte Arbeiten, vorwiegend im Sitzen, gelegentlich bzw selten im Gehen möglich; seither hat sich das Leistungskalkül jedenfalls verbessert. Es ist auszuschließen, dass sich wegen der Verletzung das Leistungskalkül so verschlechtern wird, dass er nicht mehr im Stande sein wird, durch eine Tätigkeit, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die ihm unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeit zugemutet werden kann, weniger als die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig Gesunder regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt. Allerdings ist es nach Art der Verletzung denkmöglich, dass eine andere Verschlechterung seines körperlichen und/oder geistigen Zustandes, die für sich allein eine über 50 %ige Erwerbsminderung im Sinne des § 255 ASVG nicht begründen würde, zusammen mit der Minderung der Erwerbsfähigkeit durch die in diesem Verfahren gegenständliche Verletzung eine über 50 %ige Erwerbsminderung bewirken wird.
Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht wurde der Beklagte von der wegen des oben wiedergegebenen Sachverhalts erhobenen Anklage der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen mit der Begründung freigesprochen, das Gericht habe im Zweifel zu Gunsten des Beklagten nicht ausschließen können, dass dieser doch in Notwehr gehandelt habe. Die Klage des Fuat G***** gegen die beklagte Versicherungsanstalt wegen Gewährung einer Invaliditätspension wurde mit der Begründung abgewiesen, dass eine Erwerbsminderung unter 50 % durch den verfahrensgegenständlichen Vorfall nicht eingetreten sei.
Der Beklagte wurde mit Urteil vom 3. 3. 1998 zur Zahlung von Schmerzengeld an Fuat G***** verurteilt und festgestellt, dass er dem Fuat G***** für alle zukünftigen aus der Stichverletzung vom 6. 9. 1995 zukünftig noch entstehenden Schäden zu haften habe.
Fuat G***** wurde wegen Vergehens nach § 14a SGG und § 16 Abs 1 SGG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt und nach deren Verbüßung aus Österreich abgeschoben. Fuat G***** war zum Zeitpunkt der Verletzung bei der Klägerin pflichtversichert. Es kann nicht festgestellt werden, dass er im Falle, dass er je über 50 % erwerbsgemindert im Sinne des § 255 ASVG sein sollte, von der klagenden Partei keine Invaliditätspension beanspruchen werde oder zu Recht beanspruchen könne.
In rechtlicher Hinsicht bejahte das Erstgericht das rechtliche Interesse der klagenden Partei an der von ihr begehrten Feststellung, weil die Ansprüche des Verletzten gemäß § 332 ASVG ex lege auf sie übergegangen seien. Da das Fremdengesetz 1997 Möglichkeiten vorsehe, die zu einer Rückkehr des Beklagten führen könnten, bestehe eine gewisse rechtliche Möglichkeit der Rückkehr. Für die behauptete Notwehrsituation habe der Beklagte den Beweis nicht erbringen können. Da die Stichverletzung zumindest mitursächlich dafür sein könnte, dass ein Invaliditätsgrad eintrete, der einen Anspruch auf Invaliditätspension begründe, sei auch aus diesem Grunde das Feststellungsinteresse zu bejahen.
Das von der beklagten Partei angerufene Berufungsgericht änderte die Entscheidung dahin ab, dass das Klagebegehren abgewiesen wurde. Das Berufungsgericht sprach aus, der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteige S 52.000, nicht aber S 260.000, die Revision sei zulässig.
Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und führte in rechtlicher Hinsicht aus, es fehle der klagenden Partei am rechtlichen Interesse an der von ihr begehrten Feststellung. Sie strebe in Wahrheit die Feststellung an, dass der Beklagte dem Verletzten gegenüber für alle diesem künftig entstehenden Schäden einzustehen habe und weiters die Feststellung, dass im Falle der Leistung der klagenden Partei an den Verletzten zufolge Legalzession diese Ansprüche der Klägerin zustünden. Durch das im Rechtsstreit zwischen dem Beklagten und Fuat G***** ergangene Feststellungsurteil sei gerade das festgestellt worden, was auch die klagende Partei zum Gegenstand des von ihr angestrebten Rechtsstreites zu machen suche. In diesem Prozess sei abschließend geklärt, dass der Beklagte dem Verletzten für die künftigen Schäden einzustehen habe. Worin nun das Interesse der klagenden Partei gelegen sein solle, ihrerseits diese Feststellung zu erreichen, könne nicht ersehen werden. Auch wenn die klagende Partei künftig Pflichtleistungen erbringen werde und insoweit die Ansprüche des Verletzten auf sie übergehen könnten, ändere dies nichts daran, dass es sich in Wahrheit um Ersatzansprüche des Verletzten gegen den Beklagten handle und diesbezüglich ein rechtskräftiges Feststellungsurteil vorliege. Der Übergang der Forderung des Verletzten auf die klagende Versicherungsanstalt ergebe sich aber aus dem Gesetz und sei schon aus diesem Grunde nicht feststellungsfähig.
Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil für die hier vorliegende Fallkonstellation höchstgerichtliche Judikatur zur Frage eines Feststellungsinteresses nicht vorliege, dieser Frage aber eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.
Dagegen richtet sich die Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass das Ersturteil wiederhergestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel der klagenden Partei keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.
Die klagende Partei vertritt in ihrem Rechtsmittel die Ansicht, die Entscheidung des Berufungsgerichtes stehe mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in Widerspruch. Dieser habe nämlich vielfach (zB in der Entscheidung SZ 47/68) ausgeführt, ein nach dem Rechtsübergang zu Gunsten des Geschädigten gefälltes Feststellungsurteil erstrecke sich nur auf den diesem verbliebenen Anspruchsteil; es habe aber keine Wirkung auf den vorher auf den Legalzessionar übergegangenen Anspruchsteil, weshalb hiedurch auch nicht anstelle der dreijährigen Verjährungsfrist die für Judikatschulden geltende 30jährige trete. Da nach § 332 ASVG bereits mit Eintritt des Versicherungsfalles die sofortige Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers eintrete, handle es sich bei seinen Regressforderungen um selbständige Ansprüche. Diese Selbständigkeit gelte auch für die gerichtliche Feststellung von Grund und Höhe der Forderung. Darüber könnte auch gegebenenfalls sogar difform entschieden werden. Wenn der gesamte kongruente Schadenersatzanspruch bereits mit dem Entstehen der Leistungspflicht auf den Sozialversicherungsträger übergehe und niemals beim Geschädigten verbleibe, dann könne auch ein vom Geschädigten erwirktes Feststellungsurteil nicht Rechtswirkungen für den Sozialversicherungsträger erzeugen.
Diese Ausführungen sind zutreffend:
Gemäß § 332 ASVG kommt es zum Übergang der Schadenersatzansprüche des Sozialversicherten auf den leistungspflichtigen Sozialversicherungsträger insoweit, als dieser auf Grund des Sozialversicherungsrechts den Haftpflichtansprüchen entsprechende Leistungen zu erbringen hat (Legalzession). Die Legalzession erfolgt grundsätzlich mit dem materiellen Eintritt des Versicherungsfalls, worunter grundsätzlich das schädigende Ereignis anzusehen ist, mit dem auch der Schadenersatzanspruch in der Person des Geschädigten entsteht (Neumayr in Schwimann2, ABGB, Rz 25 f zu § 332 ASVG mwN). Die auf Grund der Legalzession an den Sozialversicherungsträger übergegangenen und die etwa beim Geschädigten verbliebenen Anspruchsteile stehen sich vom Beginn des Überganges an als selbständige Forderungen gegenüber. Daher wird durch die vom Geschädigten selbst erhobene Klage die Verjährung des auf den Legalzessionars bereits im Zeitpunkt der Entstehung des Schadenersatzanspruches übergegangenen Teil der Forderung nicht unterbrochen (RIS-Justiz RS0034634; SZ 47/68; Neumayr, aaO, Rz 104 zu § 332 ASVG mwN; Christian Huber, Die Verjährung von gesetzlichen Rückersatzansprüchen, JBl 1985, 395 [402]).
Es hat daher der Geschädigte kein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung der Schadenersatzpflicht des Schädigers hinsichtlich jenes Teiles des Schadenersatzanspruches, der bereits dem Grunde nach auf den Legalzessionar übergegangen ist (RIS-Justiz RS0038870; SZ 47/68), und erstreckt sich das einem Feststellungsbegehren des Geschädigten stattgebende Feststellungsurteil nur auf den diesem verbleibenden Teil des Anspruches und hat keine Wirkung auf den vorher auf den Legalzessionar übergegangenen Anspruch (RIS-Justiz RS0034360). Der klagenden Partei, auf die die kongruenten Ansprüche des Verletzten mit Eintritt des schädigenden Ereignisses übergegangen sind, ist daher ein rechtliches Interesse an der Feststellung trotz des vom Geschädigten erwirkten Feststellungsurteiles nicht abzusprechen.
Ein rechtliches Interesse des Sozialversicherungsträgers an der Feststellung im Sinne des § 228 ZPO ist schon dann gegeben, wenn bloß die Möglichkeit weiterer Regressansprüche besteht (RIS-Justiz RS0038996; SZ 49/100). Diese Möglichkeit besteht im vorliegenden Fall, weil es denkmöglich ist, dass durch eine andere Verschlechterung des körperlichen und/oder geistigen Zustandes des Verletzten, die für sich allein eine über 50 % Erwerbsminderung im Sinne des § 255 ASVG nicht begründen würde, zusammen mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit durch die in diesem Verfahren gegenständliche Verletzung eine über 50 %ige Erwerbsminderung und damit eine Leistungspflicht der klagenden Partei bewirken würde. Auch die Abschiebung des Verletzten schließt nicht endgültig eine Rückkehr nach Österreich aus.
Es war daher der Revision der klagenden Partei stattzugeben und das klagsstattgebende Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.
Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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