Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung wie folgt zu lauten hat:
"Einstweilige Verfügung
Zur Sicherung des mit der Klage geltend gemachten Unterlassungsanspruchs wird der beklagten Partei bis zur Rechtskraft des über die Klage ergehenden Urteils im geschäftlichen Verkehr verboten, das Kräuterdestillat "Ginkgo biloba" oder ähnliche Tropfen, die dazu bestimmt sind, als Arzneimittel verwendet zu werden und/oder rezeptpflichtige Bestandteile enthalten, abzugeben, wenn für diese Tropfen keine Zulassung als Arzneimittel vorliegt."
Die klagende Partei hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens vorläufig, die beklagte Partei hat die Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen endgültig selbst zu tragen.
Text
Begründung
Der klagende Verband ist eine Interessenvertretung der selbständigen Apotheker Österreichs, der bei freiwilliger Mitgliedschaft 98% dieser Personengruppe angehören; satzungsgemäß verfolgt sie zur Erreichung ihres Verbandszwecks unter anderem berechtigte Ansprüche ihrer Mitglieder zum Schutz des lauteren Wettbewerbs.
Die Beklagte stellt das Produkt "Kräuterdestillat Gingko biloba" her und vertreibt es über Drogeriemärkte. Das Etikett weist neben der Produktbezeichnung und den Zutaten (Ginkgo, aqua dest., Alkohol) die Anwendungsempfehlung "3x täglich 10 Tropfen vor dem Essen einnehmen" auf. In den Verkaufslokalen liegt in der Nähe des Produkts eine Informationsbroschüre mit dem Titel "Kräuter-Destillate in höchster Reinheit für Ihre Gesundheit" zur freien Entnahme auf. Darin werden in Form eines "Kleinen Kräuterlexikons" 18 verschiedene Kräuter abgebildet und jeweils mit Empfehlungen zur Einnahme bei bestimmten Beschwerden vorgestellt. In dieser Broschüre wird Ginkgo bei "altersbedingten Gefäßablagerungen, schlechter Blutzirkulation, altersbedinger Vergesslichkeit" empfohlen. Auf der letzten Seite findet sich der Hinweis "Diese Informationen dienen als Orientierungshilfe und wurden folgender Literatur entnommen: Das Handbuch der modernen Pflanzenheilkunde; Heilkräuter und Arzneipflanzen; Heilpflanzen". Die Beklagte hat das Produkt als Verzehrprodukt gem § 18 Abs 1 LMG angemeldet; die Untersagungsfrist ist abgelaufen, ohne dass ein Untersagungsbescheid erlassen worden wäre.
Zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs beantragt der Kläger, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung aufzutragen, es bis zur Rechtskraft des über die Klage ergehenden Urteils im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, das Kräuterdestillat "Ginkgo biloba" oder ähnliche Tropfen, die dazu bestimmt sind, als Arzneimittel verwendet zu werden und/oder rezeptpflichtige Bestandteile enthalten, abzugeben, wenn für diese Tropfen keine Zulassung als Arzneimittel vorliegt. Aus der Gebrauchsinformation der Beklagten gehe hervor, dass das damit beworbene Produkt dazu bestimmt sei, Krankheiten und Körperschäden zu heilen und zu lindern; das Produkt werde somit verbotenerweise als Arzneimittel abgegeben. Das beanstandete Kräuterdestillat werde aus dem Stoff einer Pflanze gewonnen, die in Teil 3 der Anlage zur Rezeptpflichtverordnung als rezeptpflichtig genannt sei. Die Beklagte verstoße somit auch gegen das Rezeptpflichtgesetz.
Die Beklagte beantragt die Abweisung des Sicherungsantrags. Das beanstandete Produkt sei kein Arzneimittel, sondern ein Verzehrprodukt und unterliege damit auch nicht dem Rezeptpflichtgesetz. Die Broschüre sei eine reine Orientierungshilfe ohne konkrete Hinweise auf Wirkung oder Anwendung bestimmter Produkte.
Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Das Bundesministerium für Arbeit und Gesundheit habe die Auffassung vertreten, im Hinblick auf die besondere Art des Herstellungsverfahrens sei (unter anderem) das beanstandete, als Verzehrprodukt angemeldete Produkt nicht als Arzneimittel zu beurteilen. Damit sei hinlänglich bescheinigt, dass es sich bei dem von der Beklagten erzeugten Produkt um kein Arzneimittel handle.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 260.000 S übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei. Die im Verkaufslokal aufliegende Broschüre beschreibe allgemein bekannte Wirkungen verschiedener Kräuter, darunter auch Ginkgo; sie sei aber nicht produktbezogen und bewerbe das beanstandete Kräuterdestillat nicht mit gesundheitsbezogenen Angaben, die den Anschein erweckten, das Produkt sei dazu bestimmt, arzneiliche Wirksamkeit iSd § 1 Abs 1 Z 1 bis 5 AMG zu entfalten. Das Produkt dürfe deshalb auch ohne Zulassung als Arzneispezialität in Verkehr gebracht werden.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des Klägers ist zulässig, weil das Rekursgericht in einer die Rechtssicherheit gefährdenden Weise von höchstgerichtlicher Rechtsprechung abgewichen ist; das Rechtsmittel ist auch berechtigt.
Der Kläger vertritt die Ansicht, für die Beurteilung eines Produkts als Arzneimittel reiche es aus, wenn es entweder objektiv oder subjektiv als Arzneimittel bestimmt werde; letzteres sei hier durch die Informationsbroschüre der Fall. Auch lasse das Rekursgericht unberücksichtigt, dass der in der Anlage 3 zur Rezeptpflichtverordnung aufgezählte Stoff Ginko biloba rezeptpflichtig sei. Dazu ist zu erwägen:
Soweit nicht schon nach der objektiven Zweckbestimmung ein Arzneimittel im Sinne des § 1 Abs 1 AMG vorliegt, ist die subjektive Zweckbestimmung des Herstellers dafür ausschlaggebend, ob es sich bei einem Stoff, der dazu bestimmt ist, von Menschen gegessen, gekaut oder getrunken zu werden, ohne überwiegend Ernährungs- oder Genusszwecken zu dienen (§ 3 LMG), um ein Arzneimittel oder um ein Verzehrprodukt handelt. Für die Beurteilung als Arzneimittel sind demnach zwei Kriterien maßgeblich, wobei eines dieser Kriterien ausreicht (stRsp ua SZ 59/32 = ÖBl 1986, 45 - Kräutertee; ÖBl 1993, 68 - Capillaris - Haaraktivator; 4 Ob 311/98h; 4 Ob 211/99d; 4 Ob 212/99a).
Für die Beurteilung, ob ein Produkt nach Art und Form des Inverkehrbringens dazu bestimmt ist, bei Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper die Zweckbestimmung des Arzneimittelgesetzes zu erfüllen, ist die allgemeine Verkehrsauffassung maßgebend. Demnach kommt es darauf an, wie die Angaben der Beklagten auf der Verpackung ihres Mittels und ihre sonst beim Inverkehrbringen des Produkts gemachten Angaben vom Verkehr aufgefasst wurden, nicht aber darauf, wie sie die Beklagte verstanden wissen wollte. Die für die Beurteilung von Werbeankündigungen zu § 2 UWG entwickelten Grundsätze sind auch hier heranzuziehen; entscheidend ist danach der Gesamteindruck der Ankündigung, wie er sich bei flüchtiger Wahrnehmung für einen nicht ganz unerheblichen Teil der angesprochenen Kreise ergibt. Allfällige Zweifel gehen dabei zu Lasten der Beklagten, weil nach ständiger Rechtsprechung jeder Werbende bei mehrdeutigen Äußerungen die für ihn ungünstigste Auslegung gegen sich gelten lassen muß (ÖBl 1993, 68; Capillaris Haaraktivator mwN, 4 Ob 311/98h).
Behauptet der Hersteller arzneiliche Wirkungen seines Produkts und bringt er es damit als Arzneimittel in Verkehr, so unterliegt es den Zulassungsbestimmungen des Arzneimittelgesetzes und darf nur nach seiner Zulassung als Arzneimittel vertrieben werden (§ 11 Abs 1 AMG). Der Hersteller handelt demnach gesetzwidrig, wenn er das Arzneimittel vertreibt, ohne über die notwendige Zulassung zu verfügen. In einem solchen Fall kann ihm nicht verboten werden, die Hinweise auf arzneiliche Wirkungen zu unterlassen, weil es ihm freisteht, ob er sein Produkt als Arzneimittel oder als Verzehrprodukt in Verkehr bringt. Gesetzwidrig handelt er nur, wenn er das von ihm als Arzneimittel in Verkehr gebrachte Produkt vertreibt, ohne über eine Zulassung zu verfügen. Nur dieses - wegen Verstoßes gegen § 1 UWG auch wettbewerbswidrige - Verhalten kann ihm verboten werden; nur ein darauf gerichtetes Verbot ist geeignet, den wettbewerbswidrigen Zustand zu beseitigen (4 Ob 311/98h; 4 Ob 211/99d; 4 Ob 212/99a).
Aufmachung und Inhalt der Informationsbroschüre der Beklagten erwecken beim Konsumenten den Eindruck, die darin enthaltenen Aussagen über Ginko beziehen sich (schon wegen des weitgehenden Gleichlauts zwischen dem Titel der Broschüre "Kräuter-Destillate" und der Produktbezeichnung "Kräuterdestillat Ginkgo") auf das vertriebene Produkt, und es werde damit ein - wenngleich aus der Natur gewonnenes pflanzliches - Arzneimittel angeboten, das im Sinn des § 1 Abs 1 Z 1 AMG dazu bestimmt sei, Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern oder zu verhüten. Wenn die Beklagte demgegenüber ihre Broschüre nur als "neutrale Orientierungshilfe" verstanden wissen will, übersieht sie die darin enthaltenen konkreten Empfehlungen, Ginkgo bei altersbedingten Gefäßablagerungen, schlechter Blutzirkulation, altersbedinger Vergesslichkeit anzuwenden.
Soweit daher die Beklagte - ungeachtet der Anmeldung des Kräuterdestillats als Verzehrprodukt - in ihrem Verkaufsfolder den Eindruck erweckt, das Kräuterdestillat Ginkgo sei ein Arzneimittel, verstößt das Inverkehrbringen mangels vorhergehender Zulassung gegen § 11 Abs 1 AMG. Dass mit den beanstandeten Angaben in der Absicht geworben wurde, einen Vorsprung vor gesetzestreuen Mitbewerbern zu erlangen, ist ebenso offenkundig wie das Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs; es liegt daher auch ein Verstoß gegen § 1 UWG vor, den derjenige begeht, der sich schuldhaft über ein Gesetz (auch nicht wettbewerbsregelnden Charakters) in der genannten Absicht hinwegsetzt (ÖBl 1993, 68 - Capillaris-Haaraktivator mwN; ÖBl 1998, 200 - Schwarz- kümmelöl).
Darüber hinaus verstößt die Beklagte aber auch gegen § 1 Abs 2 Rezeptpflichtgesetz. Danach dürfen Arzneimittel iS dieses Gesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen nur in Apotheken zur Abgabe bereitgehalten, angeboten oder abgegeben werden. Das beanstandete Produkt der Beklagten fällt unter diese Bestimmung, weil die Rezeptpflichtverordnung BGBl Nr 475/1973, zuletzt geändert durch BGBl II Nr 285/1999, in ihrer Anlage Teil 3 (Pflanzen und Pflanzenteile) Ginkgo biloba als rezeptpflichtig ausweist.
Das Unterlassungsgebot ist somit infolge Verstoßes gegen § 11 AMG und gegen § 1 RezeptpflichtG berechtigt. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren deshalb im aufgezeigten Sinn abzuändern.
Die Entscheidung über die Kosten des Klägers beruht auf § 393 Abs 1 EO, jene über die Kosten der Beklagten auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 40, 50 Abs 1 ZPO.
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