OGH 12Os10/00

OGH12Os10/0017.2.2000

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Februar 2000 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler, Dr. E. Adamovic, Dr. Holzweber und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Podrazil als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Metin S***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, AZ 5 U 8/98w des Bezirksgerichtes Mittersill, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil und den Beschluss des Bezirksgerichtes Mittersill vom 20. Oktober 1999, GZ 5 U 8/98w-39, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kirchbacher, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Bezirksgerichtes Mittersill vom 20. Oktober 1999, GZ 5 U 8/98w-39, verletzt §§ 31 Abs 1 und 40 StGB, soweit bei der Entscheidung über die Verhängung einer Zusatzstrafe auch auf die Urteile des Landesgerichtes Salzburg vom 9. März 1999, GZ 31 E Vr 340/99-10, und vom 17. September 1999, GZ 31 E Vr 1732/99-30, Bedacht genommen wurde.

Der zugleich gefasste Beschluss des Bezirksgerichtes Mittersill, mit dem vom Widerruf der im zuletzt genannten Urteil des Landesgerichtes Salzburg gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und die von diesem Gericht bestimmte Probezeit auf fünf Jahre verlängert wurde, verletzt § 53 Abs 1 und 2 StGB.

Dieser Beschluss wird ersatzlos aufgehoben.

Text

Gründe:

Das Landesgericht Salzburg verhängte über Metin S***** mit Urteil vom 27. Jänner 1998, GZ 31 E Vr 3397/97-7, wegen des Vergehens des versuchten tätlichen Angriffs auf einen Beamten nach §§ 15, 270 Abs 1 StGB eine Geldstrafe.

Wegen nach diesem Urteil begangener Taten wurden über ihn vom selben Gericht weitere Strafen ausgesprochen, und zwar wegen des Vergehens nach § 27 Abs 1 und Abs 2 Z 1 SMG (Tatzeit: 10. September 1998) mit Urteil vom 9. März 1999, GZ 31 E Vr 340/99-10, eine für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von zwei Monaten, und wegen der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB und der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (Tatzeit: 3. August 1999) mit Urteil vom 17. September 1999, GZ 31 E Vr 1732/99-30, eine gleichfalls für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von 10 Wochen. Zugleich mit dem letzten Urteil wurde die frühere Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Mittersill vom 20. Oktober 1999, GZ 5 U 8/98w-39, erging wegen eines am 18. Oktober 1997, somit vor dem ersten Urteil gesetzten strafbaren Verhaltens (Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB) neuerlich ein Schuldspruch. Dabei sah das Gericht, gestützt auf §§ 31 und 40 StGB, unter Bedachtnahme auf die drei genannten Vor-Urteile von der Verhängung einer Zusatzstrafe ab. Mit zugleich gefasstem Beschluss wurde auch vom Widerruf der bedingten Nachsicht der mit dem genannten Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 17. September 1999 verhängten Freiheitsstrafe abgesehen und die in diesem Verfahren bestimmte Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

Wie die Generalprokuratur gemäß § 33 StPO zutreffend geltend macht, stehen das Urteil und der Beschluss des Bezirksgerichtes Mittersill vom 20. Oktober 1999, GZ 5 U 8/98w-39, mit dem Gesetz nicht in Einklang:

Rechtliche Beurteilung

Nach herrschender Rechtsprechung kommt die Anwendung des § 31 Abs 1 StGB dann, wenn zwischen Tatbegehung und Aburteilung mehrere bestrafende Urteile liegen, nur in Betracht, wenn sämtliche Taten vor dem ersten Urteil liegen, somit alle Vor-Urteile durch das in § 31 Abs 1 StGB beschriebene Verhältnis verknüpft sind (Leukauf/Steininger Komm3 § 31 RN 15 unter Ablehnung von EvBl 1975/97; Ratz WK § 31 Rz 5; jüngst 14 Os 129-131/99). Ist dies nicht der Fall, sondern liegt - wie hier - nach dem Urteil im ersten Verfahren, in dem die frühere Tat nach der Zeit ihrer Begehung hätte abgeurteilt werden können, weiteres strafbares Verhalten, das zu Nachverurteilungen geführt hat, trifft auf diese die in § 31 Abs 1 StGB normierte Voraussetzung einer Bedachtnahme in einem nachfolgenden Urteil schon nach dem Gesetzeswortlaut nicht zu, weil die in Rede stehende (vor dem ersten Urteil begangene) Tat - ihre frühestmögliche Aburteilung vorausgesetzt - in jenen Verfahren nicht abermals hätte abgeurteilt werden können. Im Fall mehrerer nicht gemäß § 31 Abs 1 StGB verbundener Vor-Urteile ist entgegen einer weitverbreiteten Praxis demnach nur auf das erste (tatnächste) Bedacht zu nehmen (idS Faseth, ÖJZ 1968, 458; 14 Os 129-131/99).

Das Bezirksgericht Mittersill hätte daher bei Bestimmung der Strafe nur das erste Urteil des Landesgerichtes Salzburg, aber nicht zusätzlich die erwähnten weiteren Urteile dieses Gerichtes berücksichtigen dürfen.

Diese den Verurteilten begünstigende Gesetzesverletzung war gemäß § 292 StPO festzustellen.

Dazu kommt, dass nach Lage des Falles für den Beschluss auf Absehen vom Widerruf der mit dem Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 17. September 1999 gewährten bedingten Strafnachsicht und auf Verlängerung der dazu bestimmten Probezeit jedwede gesetzliche Grundlage fehlte.

Der Anwendung des § 55 Abs 1 StGB standen nicht nur die insoweit fehlenden Voraussetzungen des § 31 Abs 1 StGB sondern auch ein weiterer Grund entgegen:

Kommt es nach dieser Regelung nämlich nicht zum Widerruf der im ersten Urteil gewährten bedingten Nachsicht und wurde auch im zweiten Urteil eine bedingte Strafnachsicht ausgesprochen, so dauert kraft Gesetzes jede der zusammentreffenden Probezeiten bis zum Ablauf jener Probezeit, die zuletzt endet, jedoch nicht länger als fünf Jahre (§ 55 Abs 3 StGB). Eine Beschlussfassung über eine Probezeitverlängerung kommt demnach in einer solchen Konstellation nicht in Betracht.

Ein Absehen vom Widerruf der im früheren Urteil gewährten Strafnachsicht und die Verlängerung der dazu bestimmten Probezeit wäre fallbezogen demnach nur dann möglich gewesen, wenn dem neuen Urteil eine Tatbegehung nach dem früheren zugrundegelegen wäre (§ 53 Abs 1 und Abs 2 StGB, § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO). Auch diese Voraussetzung traf im gegebenen Fall jedoch nicht zu.

Weil die gesetzwidrige Probezeitverlängerung dem Angeklagten zum Nachteil gereichte, war der betreffende Beschluss ersatzlos aufzuheben.

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