OGH 15Os175/99 (15Os176/99)

OGH15Os175/99 (15Os176/99)27.1.2000

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Jänner 2000 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Handler als Schriftführer, in der Strafsache des Privatanklägers Dr. Anton S***** gegen Monica M***** wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB, AZ 9d E Vr 3475/96, Hv 2070/96 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Urteile des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 30. Jänner 1997, GZ 9d E Vr 3475/96-21, und des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 2. Juni 1997, AZ 18 Bs 149/97 (ON 32), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Staatsanwältin Mag. Schnell, des Privatanklägers Dr. Anton S*****, der Privatangeklagten Monica M***** und des Verteidigers Dr. Richard Soyer zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Urteile des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 30. Jänner 1997, GZ 9 d E Vr 3475/96-21, und des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 2. Juni 1997, AZ 18 Bs 149/97 (= ON 32 des Vr-Aktes), verletzen § 117 Abs 2 zweiter Satz iVm § 74 Z 4 StGB.

Text

Gründe:

Mit Urteil der Einzelrichterin des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom (richtig:) 30. Jänner 1997, GZ 9d E Vr 3475/96-21, wurde Monica M***** von der gegen sie wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und 2 StGB erhobenen Privatanklage gemäß § 259 Z 1 StPO freigesprochen.

Nach den (für die Beschwerdeerledigung) maßgeblichen Feststellungen hat M***** in einem in der Tageszeitung "Die Presse" am 24. Februar 1996 veröffentlichten Leserbrief den (damals) bereits im Ruhestand befindlichen früheren österreichischen Diplomaten Dr. Anton S***** mit Beziehung auf seine in den Jahren 1974 bis 1976 in Chile als Botschafter der Republik Österreich ausgeübten Berufshandlungen durch den (im Urteil detailliert wiedergegebenen) Vorwurf menschenverachtender Behandlung politisch verfolgter Asylwerber eines unehrenhaften Verhaltens beschuldigt.

Die Erstrichterin beurteilte die inkriminierten Textpassagen zwar als tatbestandsmäßigen Angriff auf die Ehre des Privatanklägers im Sinne des § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB. Sie verneinte aber dessen Berechtigung zur Erhebung einer Privatanklage, weil Dr. S***** nicht als (bereits in Pension befindliche) Privatperson, sondern als ehemaliger Botschafter der Republik Österreich, somit als Beamter (im Sinne der Legaldefinition des § 74 Z 4 StGB) in Ausübung seines Amtes beleidigt worden sei. Folglich hätte der Privatanklageberechtigte die Verfolgung des tataktuellen Vorwurfs gemäß § 117 Abs 2 zweiter Satz StGB unter Vorlage der Ermächtigung seiner vorgesetzten Dienststelle und mit seiner persönlichen Ermächtigung dem Staatsanwalt überlassen müssen. Nur bei Unterbleiben entsprechender Verfolgungsschritte durch den öffentlichen Ankläger oder bei dessen späterem Rücktritt von der Verfolgung oder im Fall (fristgerechter) ausdrücklicher Erklärung, die Ermächtigung nicht zu erteilen (§ 2 Abs 2 zweiter Satz StPO), wäre dem Privatankläger ein (selbständiges) Verfolgungsrecht zugekommen. Da aber Dr. S***** von diesen prozessualen Möglichkeiten keinen Gebrauch gemacht und zufolge Fristablaufs gemäß § 117 Abs 2 erster Satz StGB iVm § 46 Abs 1 StPO eine Verfolgung durch die Anklagebehörde gemäß § 117 Abs 2 StGB verwirkt habe, sei mangels Vorliegens eines berechtigten Anklägers mit Freispruch gemäß § 259 Z 1 StPO vorzugehen (ON 21).

Der dagegen vom Privatankläger erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld gab das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 2. Juni 1997 keine Folge. Der Gerichtshof zweiter Instanz teilte im Ergebnis den vom Erstgericht vertretenen Rechtsstandpunkt über das Fehlen der Prozessvoraussetzungen eines gesetzlich berechtigten Anklägers. Ebenso bejahte es - wenngleich ohne erschöpfende Auseinandersetzung mit dem Vorbringen in der auf § 281 Abs 1 Z 9 lit c StPO gestützten Rechtsrüge - die Objektqualität des sich zum Zeitpunkt der Beleidigung bereits im Ruhestand gewesenen Beamten im Sinne des § 117 Abs 2 zweiter Satz StGB mit dem Hinweis, der ehrenrührige Angriff beziehe sich auf Berufshandlungen während seiner Aktivzeit (ON 32).

Die Urteile der Gerichtshöfe erster und zweiter Instanz stehen - wie der Generalprokurator in seiner gemäß § 33 Abs 2 StPO dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz insoweit nicht im Einklang, als dem Privatankläger Dr. S***** die Aktivlegitimation gemäß § 117 Abs 1 erster Satz StGB aberkannt wurde:

Rechtliche Beurteilung

Nach der für den Strafrechtsbereich grundsätzlich geltenden (von jener des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 abweichenden - vgl Leukauf/Steininger Komm3 RN 11, Foregger/Fabrizy StGB7 Rz 7 jeweils zu § 74) Legaldefinition des § 74 Z 4 StGB ist "Beamter" jeder, der bestellt ist, im Namen des Bundes, eines Landes, eines Gemeindeverbandes, einer Gemeinde oder einer anderen Person des öffentlichen Rechtes, ausgenommen einer Kirche oder Religionsgesellschaft, als deren Organ allein oder gemeinsam mit einem anderen Rechtshandlungen vorzunehmen (erste Alternative), oder sonst mit Aufgaben der Bundes-, Landes- oder Gemeindeverwaltung betraut ist (zweite Alternative). Im Sinn der ersten Alternative sind darunter demnach (nur) Personen zu verstehen, die kraft ihrer Bestellung als Organ einer Gebietskörperschaft Rechtshandlungen vornehmen, die dem Rechtsträger zugerechnet werden. Dabei kommt es immer auf eine bestimmte Funktion an. Alle diese Kriterien fehlen aber beim pensionierten Beamten.

Vom strafrechtlichen Beamtenbegriff ist (entgegen der in der Stellungnahme zur Nichtigkeitsbeschwerde vertretenen Ansicht) jener im § 1 Abs 1 Beamten-Dienstrechtsgesetz (BDG) definierte zu unterscheiden, der zur Lösung der aktuellen Rechtsfrage unbrauchbar ist. Das grundsätzlich auf Lebenszeit begründete öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis eines solchen Beamten wird durch Übertritt oder die Versetzung in den Ruhestand zwar inhaltlich umgestaltet, jedoch nicht beendet. Als "Beamter des Ruhestandes" hat er auch eine Schlechterstellung gegenüber den (aktiven) "Beamten des Dienststandes" in Kauf zu nehmen (vgl Fellner Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 mit 31. Ergänzungslieferung, ausgegeben im Dezember 1999 S 50/3).

Der im § 74 Z 4 StGB umschriebene Begriff des funktionalen Beamten, der einerseits unter dem besonderen Schutz des Gesetzes steht und dem andererseits besondere Verantwortlichkeiten auferlegt sind, gilt uneingeschränkt auch für § 117 Abs 2 StGB (Leukauf/Steininger aaO RN 14, Foregger in WK2 Rz 11, Kienapfel BT4 Rz 9 jeweils zu § 117 und Jerabek in WK2 Rz 2 zu § 74). Gemäß dieser Bestimmung hat der öffentliche Ankläger unter den dort weiter angeführten Voraussetzungen ehrenrührige Angriffe gegen einen Beamten zu verfolgen, wenn sie entweder (Satz 1) während der Ausübung seines Amtes oder Dienstes, also von Person zu Person begangen wurden, wobei sich der Beleidigte in nach außen hin erkennbarer, rechtmäßiger Erfüllung spezifischer amtlicher oder dienstlicher Aufgaben betätigen muss (Leukauf/Steininger aaO RN 15, Foregger aaO Rz 74, Kienapfel aaO Rz 7 jeweils zu § 117), oder (Satz 2) die in Beziehung auf eine seiner Berufshandlungen unter den Voraussetzungen qualifizierter Öffentlichkeit (vorliegend: in einem Druckwerk) erfolgt sind.

Demnach beinhaltet der - hier allein interessierende - zweite Satz des § 117 Abs 2 StGB für das Verfolgungsrecht des Staatsanwaltes unmissverständlich zwei voneinander unabhängige, aber kumulativ verlangte essentielle Kriterien, nämlich die Begehung einer strafbaren Handlung gegen die Ehre eines funktionalen Beamten (§ 74 Z 4 StGB) und dass der ehrenrührige Vorwurf mit Beziehung auf dessen Berufshandlungen unter qualifizierter Publizitätswirkung erhoben wurde. Daraus folgt, dass Objekt eines Ehrenbeleidigungsdelikts (auch) im Sinne des § 117 Abs 2 zweiter Satz StGB nur ein aktiver Beamter sein kann, aber nicht auch ein bereits in Ruhestand getretener, weshalb ein pensionierter Beamter von vorneherein aus der Regelung des § 117 Abs 2 StGB ausscheidet.

Hätte der Gesetzgeber die Verletzung der Ehre (auch) eines nicht mehr aktiven Beamten als ein von Amts wegen zu verfolgendes Ermächtigungsdelikt nach § 117 Abs 2 StGB normieren wollen, wäre eine entsprechende ausdrückliche Regelung erforderlich gewesen.

Angesichts des klaren Gesetzestextes im § 117 Abs 2 StGB bleibt aber für die Annahme einer vom Gesetzgeber unbeabsichtigten (regelwidrigen), im übrigen nur zum Vorteil des Beschuldigten durch methodische Rechtsfortbildung schließbaren Lücke (Leukauf/Steininger aaO § 1 RN 8, Mayerhofer StPO4 § 1 E 42) in Bezug auf die vorliegend relevante Beamtendefinition kein Raum. Auch die - nur bei (hier nicht aktueller) zweifelhafter Ausdrucksweise des Gesetzes heranzuziehende (Leukauf/Steininger aaO RN 14, Mayerhofer aaO E 26 f) - Entstehungsgeschichte des § 117 Abs 2 StGB (RV zum StGB 1971 30 BlgNR XIII. GP, 250) lässt unter Berücksichtigung der weitgehenden Anknüpfung an die frühere Rechtslage des § 495 Abs 2 StG eine Interpretation des Gesetzeswortlautes im von beiden Instanzen aufgezeigten (erweiternden) Sinne nicht zu: Denn die Wahrung öffentlicher Interessen sowie der Schutz des Beamten durch Übernahme der Verfolgung durch den Staatsanwalt und die Verhinderung des Kostenrisikos (siehe schon zu § 495 StG - AB 398 BlgNR III. GP 1 f; Hager/Walenta Persönlichkeitsschutz im Straf- und Medienrecht3 S 19) sollen nach dem klaren legistischen Willen eben nur dem aktiven staatlichen Organträger zukommen.

Zufolge der rechtsfehlerhaften Bejahung der Beamteneigenschaft des ehemaligen Botschafters Dr. Anton S***** wurde diesem das von ihm - wie dargelegt - zutreffend nach § 117 Abs 1 erster Satz StGB in Anspruch genommene persönliche Verfolgungsrecht (ON 1) von den damit befassten Gerichten zu Unrecht abgesprochen.

Demnach war der Beschwerde Folge zu geben und der gerügte - ausschließlich zum Vorteil der Privatangeklagten ausschlagende - Gesetzesverstoß (§ 281 Abs 1 Z 9 lit c StPO) aus Gründen der Rechtssicherheit wie im Spruch ersichtlich festzustellen.

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