OGH 8ObA7/00p

OGH8ObA7/00p27.1.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter OSR Dr. Felix Joklik und Mag. Thomas Kallab als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Stefan R*****, Arbeiter, *****, vertreten durch Dr. Alfred Hawel und Dr. Ernst Eypeltauer, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Ö***** KG, *****, vertreten durch Dr. Franz Gütlbauer und Dr. Siegfried Sieghartsleitner, Rechtsanwälte in Wels, wegen S 82.000,- und Feststellung (S 588.000,-), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5. Oktober 1999, GZ 12 Ra 221/99b-15, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 21. Juni 1999, GZ 17 Cga 47/99s-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:

"Das Klagebegehren,

a) die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei S 82.000,- netto sA zu zahlen und

b) es werde festgestellt, dass das Dienstverhältnis zwischen den Parteien über den 5. 3. 1998 hinaus bis 22. 6. 1999 aufrecht besteht,

wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 59.536,80 bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin S 9.922,80 Umsatzsteuer) und die mit S 35.618,- bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz (darin S 5.053,- Umsatzsteuer und S 5.300 Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die klagende Partei ist ferner schuldig, der beklagten Partei die mit S 28.454,- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 3.639 Umsatzsteuer und S 6.620 Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist begünstigter Behinderter iS des Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinstG). Am 13. 9. 1996 beantragte die Beklagte beim Bundessozialamt für Oberösterreich die Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung des Klägers. Diesem Antrag wurde mit Bescheid vom 5. 6. 1997 stattgegeben. Der vom Kläger dagegen erhobenen Berufung wurde von der Berufungskommission keine Folge gegeben. Daraufhin sprach die Beklagte am 19. 2. 1998 die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit 5. 3. 1998 aus. Der Kläger wurde mit diesem Tag abgemeldet und bezieht seither kein Entgelt mehr von der Beklagten.

Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. 8. 1998 wurde der Bescheid der Berufungskommission wegen der Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Dieses Erkenntnis wurde den Parteienvertretern am 23. 9. 1998 zugestellt. Mit Bescheid der Berufungskommission vom 18. 2. 1999, den Parteien zugestellt am 20. 5. 1999, wurde der Berufung des Klägers gegen den Bescheid vom 5. 6. 1997 (neuerlich) keine Folge gegeben. Mit Schreiben vom 21. 5. 1999 sprach die Beklagte daraufhin für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis noch nicht durch eine frühere Kündigung als aufgelöst anzusehen sei, erneut die Kündigung des Klägers aus.

Zuvor hatte die Beklagte im Oktober 1998 beim Bundessozialamt für Oberösterreich vorsichtsweise den Antrag auf nachträgliche Zustimmung zu der am 19. 2. 1998 ausgesprochenen Kündigung beantragt, weil durch ein zwischenzeitig in Rechtskraft erwachsenes Urteil eine weitere strafbare Handlung des Klägers während des Arbeitsverhältnisses festgestellt worden sei. Das Verfahren über diesen Antrag ist noch in erster Instanz anhängig.

Der Kläger begehrt im vorliegenden Verfahren zuletzt S 82.000,- an laufendem Entgelt vom 6. 3. 1998 bis Mai 1999 (unter Anrechnung der schon erhaltenen Abfertigung und der Urlaubsabfindung) sowie die Feststellung des aufrechten Bestandes des Arbeitsverhältnisses bis 22. 6. 1999. Durch die nachträgliche Aufhebung des (ersten) Berufungsbescheides sei die am 19. 12. 1998 ausgesprochene Kündigung rückwirkend rechtsunwirksam geworden. Daran ändere auch der Antrag auf nachträgliche Zustimmung nichts, weil über diesen Antrag noch nicht entschieden worden sei. Das Arbeitsverhältnis sei daher jedenfalls bis zur Wirksamkeit der (zweiten) Kündigung, also bis 22. 6. 1999, aufrecht.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen, weil die zum 5. 3. 1998 ausgesprochene Kündigung rechtswirksam sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Durch die kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes sei mit Wirkung ex tunc der (erste) Berufungsbescheid beseitigt worden, wodurch auch rückwirkend die Rechtskraft des Zustimmungsbescheids des Behindertenausschusses beseitigt worden sei. Die am 19. 2. 1998 ausgesprochene Kündigung sei daher - weil die rechtswirksame Kündigung eines begünstigten Behinderten das Vorliegen eines rechtskräftigen Zustimmungsbescheids zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung voraussetze - rechtsunwirksam. Erst die nach Vorliegen der zweiten Berufungsentscheidung ausgesprochene zweite Kündigung habe das Arbeitsverhältnis rechtswirksam per 22. 6. 1999 aufgelöst. Der Antrag der Beklagten auf nachträgliche Zustimmung ändere daran nichts, weil die Kündigung - solange über diesen Antrag noch nicht entschieden worden sei - schwebend unwirksam bleibe.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es billigte die Rechtsauffassung des Erstgerichtes und wies im übrigen darauf hin, dass - sofern der Behindertenausschuss im Verwaltungsverfahren die nachträgliche Zustimmung zur Kündigung gemäß § 8 Abs 2 Satz 2 BEinstG erteilen sollte - in erweiterter Anwendung des § 530 Abs 1 Z 5 ZPO ein Grund zur Wiederaufnahme des gerichtlichen Verfahrens gegeben sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines begünstigten Behinderten kann erst nach Vorliegen des (rechtskräftigen) Zustimmungsbescheides des Behindertenausschusses rechtswirksam ausgesprochen werden (SZ 57/158; Arb 10584). Eine Kündigung ohne vorherige Zustimmung des Behindertenausschusses ist rechtsunwirksam, wenn dieser nicht in besonderen Ausnahmefällen nachträglich die Zustimmung erteilt (§ 8 Abs 2, zweiter Satz BEinstG).

Im hier zu beurteilenden Fall wurde die Kündigung des Klägers vom 19. 2. 1998 erst ausgesprochen, nachdem die Berufungskommission mit ihrer ersten Entscheidung die Berufung gegen die Zustimmung des Behindertenausschusses abgewiesen hatte. Damit war der Zustimmungsbescheid voll wirksam (Ernst/Haller, Behinderteneinstellungsgesetz, Rz 23 zu § 8). Die Kündigung wurde daher (anderes als etwa im der Entscheidung SZ 57/158 zugrunde liegenden Fall) nicht verfrüht ausgesprochen. Richtig ist aber, dass mit der Aufhebung der (ersten) Entscheidung der Berufungskommission durch den Verwaltungsgerichtshof rückwirkend die Rechtskraft der Zustimmung des Behindertenausschusses beseitigt wurde. Im Gegensatz zur Meinung der Vorinstanzen darf aber nicht unbeachtet bleiben, dass die Berufungskommission mit ihrer zweiten Entscheidung (noch vor Schluss der Verhandlung erster Instanz im hier zu beurteilenden Gerichtsverfahren) die Zustimmung des Behindertenausschusses abermals bestätigt hat. Damit wurde die schon seinerzeit erteilte Zustimmung des Behindertenausschusses wieder voll wirksam. Unter den hier gegebenen Umständen ist es daher geboten, dieser Zustimmung im Ergebnis jene Wirkung zuzuerkennen, die einer nachträglichen Zustimmung iS § 8 Abs 2, zweiter Satz BEinstG zukommen. Nur so kann das völlig unbillige Ergebnis vermieden werden, dass der Arbeitgeber, der - wie hier - im Vertrauen auf die Bestätigung der Zustimmung des Behindertenausschusses durch die Berufungskommission die Kündigung ausgesprochen hat, im Falle einer nachträglichen Behebung der Berufungsentscheidung in einem Rechtsstreit über die Wirksamkeit der Kündigung (wie im Verfahren vor den Vorinstanzen) unterliegt, obwohl die von ihm rechtzeitig eingeholte Zustimmung mittlerweile bestätigt wurde und damit klargestellt ist, dass sie von Anfang an zu Recht erteilt wurde. Hingegen stellt das hier erzielte Ergebnis für den Arbeitnehmer keine unbillige Härte dar, weil er in einem Fall, in dem der Arbeitgeber nach der von der zweiten Instanz bestätigten Zustimmung des Behindetenausschusses gekündigt hat, kein schützenswertes Interesse auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses hat, wenn die Bestätigung der zu Recht erteilten Zustimmung wegen eines Formalfehlers der zweiten Instanz vorübergehend beseitigt wurde, mittlerweile aber bereits wieder vorliegt.

Der Entscheidung SZ 57/158 ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen, weil im dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall die Kündigung von vornherein vor der Entscheidung der Berufungskommission - also vor der Wirksamkeit der Zustimmung und damit verfrüht - ausgesprochen wurde. Hat hingegen der Arbeitgeber - wie hier - die Kündigung nach Vorliegen der (ersten) Bestätigung der Zustimmung des Behindertenausschusses durch die Berufungskommission ausgesprochen, und wurde diese Bestätigung nachträglich vom Verwaltungsgerichtshof aufgehoben, so kommt der neuerlichen Bestätigung der Zustimmung durch die Berufungskommission die Wirkung einer nachträglichen Zustimmung zur Kündigung iS § 8 Abs 2, zweiter Satz BEinstG zu. Im hier zu beurteilenden Fall bedeutet dies, dass die (noch vor Schluss des erstinstanzlichen Verfahrens erfolgte) neuerliche Bestätigung der Zustimmung die Wirksamkeit der Kündigung vom 12. 9. 1998 zur Folge hat. Die Revision ist daher berechtigt.

Dass der Kläger - wie er vorbrachte - auch die neuerliche Bestätigung der Zustimmung des Behindertenausschusses abermals beim Verwaltungsgerichtshof bekämpft hat, ändert an diesem Ergebnis nichts, weil - wie bereits ausgeführt - die Zustimmung schon durch ihre Bestätigung durch die Berufungskommission wirksam wird und die Kündigung erlaubt. Dass der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt worden sei, wurde nicht behauptet. Eine allfällige Änderung der Sachlage durch eine nachträgliche Beseitigung der Zustimmung (oder ihrer Bestätigung) durch den Verwaltungsgerichtshof würde - so wie die insoweit vergleichbare nachträgliche Erteilung der Zustimmung iS § 8 Abs 2, zweiter Satz BEinstG (Arb 10.584; SZ 60/144) - einen Grund zur Wiederaufnahme des Verfahrens darstellen.

In Stattgebung der Revision waren daher die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens aller Instanzen gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Das erstinstanzliche Kostenverzeichnis der Beklagten weist einen Additionsfehler auf, der richtig zu stellen war. Für das Berufungsverfahren steht der Beklagten - weil keine mündliche Berufungsverhandlung stattfand - nur der dreifache Einheitssatz zu (§ 23 lit e RATG).

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