OGH 16Ok9/99

OGH16Ok9/9920.12.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Kartellrechtssachen durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Birgit Langer als Vorsitzende sowie die fachkundigen Laienrichter Kommerzialräte Dr. Fidelis Bauer, Dkfm. Joachim Lamel, Dkfm. Alfred Reiter und Dr. Thomas Lachs als weitere Richter in der Kartellrechtssache der antragstellenden und gefährdeten Partei Walter D*****, vertreten durch Dr. Karl Muzik, Rechtsanwalt in Wien, wider die Gegner der antragstellenden und gefährdeten Partei 1. V***** reg. Genossenschaft mit beschränkter Haftung, *****, 2. W***** reg. Genossenschaft mit beschränkter Haftung, *****, 3. F*****gesellschaft mbH & Co KG, *****, 4. Vienna T***** GmbH, *****, 5. "T*****" O***** Gesellschaft mbH, *****, 6. "G***** Gesellschaft mbH, *****, 7. "C***** Gesellschaft mbH, *****, und 8. T***** T*****gesellschaft mbH, *****, Sechstantragsgegner vertreten durch Dr. Helmut Adelsberger, Rechtsanwalt in Wien, die übrigen Antragsgegner vertreten durch Dr. Josef Bock und Dr. Thomas Wiesinger, Rechtsanwälte in Wien, wegen Untersagung der Durchführung von Kartellen, der Abstellung des Missbrauches von marktbeherrschenden Stellungen und Ermächtigung zur Entscheidungsveröffentlichung, sowie einstweiliger Verfügung infolge Rekurses der antragstellenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Kartellgericht vom 30. April 1999, GZ 27 Kt 382, 383, 384/98-21, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens werden gegenseitig aufgehoben.

Text

Begründung

Das Erstgericht wies den Antrag des Antragstellers, mit einstweiliger Verfügung

1. den Antragsgegnern die Durchführung der Vereinbarungskartelle bzw Absichtskartelle, die einerseits vom Erst- bis Drittantragsgegner beschlossen und insbesonders über den Viert- bis Siebentantragsgegner abgewickelt werden, nämlich die Fahrten von und zum Airport Wien-Schwechat zu einem fixen bindenden Einheitspreis von S 340 und die Vereinbarung eines fixen Zonentarifs für "Kurierfahrten" des Erst-, Zweit-, Dritt- und Sechstantragsgegners von S 120 für den Zonentarif 1, von S 180 für den Zonentarif 2 und von S 240 für den Zonentarif 3 zu untersagen; und

2. sämtlichen Antragsgegnern den Missbrauch ihrer marktbeherrschenden Stellungen abzustellen, insbesonders indem ihnen der Auftrag erteilt wird, jedermann die freie Wahl ihrer gegebenen Vertragskonditionen zu gewähren, den vertraglichen Zwang für die bargeldlose Abrechnung von Taxifahrten durch Taxikarten, welcher Art und welchen Inhalt auch immer, mittels Taxiterminals, die ausschließliche Nutzung von den Antragsgegnern gehörenden bzw von ihnen gemieteten oder ihnen sonst wie zur Verfügung stehenden privaten Taxistandplätzen, wo immer sie sich befinden, und zwar ausschließlich durch Mitglieder bzw Vertragspartner der Antragsgegner, zu untersagen; weiters die Kanalisierung von Aufträgen an Mitglieder des Fünft- und des Siebentantragsgegners abzustellen, alle derzeit ausgegebenen Bons und Einmal-Wertkarten sowie alle sonstigen Fahrtenausweise für Kurierfahrten mit Zonentarif einzuziehen und dem Achtantragsgegner, die durch Werbung auf den Taxitelefonrufsäulen für die verbotene kartellrechtswidrige Tätigkeit des Viertantragsgegners erfolgte Unterstützung einzustellen, mangels Antragslegitimation des Antragstellers ab.

Hiezu stellte es, soweit es die Antragslegitimation des Antragsstellers betrifft, auf Grund der Angaben des Antragstellers anlässlich seiner Vernehmung lediglich fest:

Der Antragsteller betrieb von 1992 bis 1997 ein Taxiunternehmen in Wien. 1997 meldete er seine Taxikonzession ruhend. Er hat derzeit kein Auto angemeldet, könnte aber jederzeit wieder als Taxiunternehmer tätig sein. Er hatte zunächst mit der Erstantragsgegnerin nur einen Funkvertrag abgeschlossen und wurde später Genossenschafter. Nachdem er 1996 als Genossenschafter ausgeschieden war, schloss er einen Funkvertrag mit der Sechstantragsgegnerin.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass zur Antragstellung zur Untersagung der Durchführung von Kartellen jeder Unternehmer berechtigt sei, dessen rechtliche oder wirtschaftliche Interessen durch das Kartell berührt werden (§ 25 Abs 3 Z 3 KartG). Das Kartellgesetz definiere die Begriffe Unternehmer/Unternehmern nicht. Der Adressatenkreis konkreter kartellgesetzlicher Normen sei jeweils nach deren Zweck zu ermitteln. Für die Unternehmereigenschaft iSd § 10 KartG werde die Auffassung vertreten, dass auch ein potentieller Unternehmer unter gewissen Umständen eine Vereinbarung iSd § 10 KartG schliessen könne. Potentielle Unternehmereigenschaft reiche nach Ansicht des Erstgerichtes zur Begründung der Antragsberechtigung gemäß § 25 Abs 3 Z 3 KartG aus, wenn nicht bloß die abstrakte Möglichkeit bestehe, Waren oder Leistungen für den Markt zu erbringen; es müsse vielmehr damit zu rechnen sein, dass der Betreffende in absehbarer Zeit lediglich durch Aktualisierung bereits vorhandener Qualitäten zum aktiven Teilnehmer im Wirtschaftsverkehr werde (Gugerbauer, KartG2 § 10 Rz 3 mwN). Der Antragsteller sei nur potentieller Unternehmer und habe nicht dargelegt, dass er das Taxigewerbe in absehbarer Zeit ausüben werde. Aus denselben Erwägungen fehle dem Antragsteller auch die Legitimation zur Stellung des Antrages auf Abstellung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Antragstellers wegen Mangelhaftigkeit des Bescheinigungsverfahrens und "neuem Vorbringen", unrichtiger Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im Sinn der Stattgebung seiner Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung abzuändern, in eventu ihn aufzuheben und die Provisorialrechtssache zur Ergänzung des Bescheinigungsverfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Sämtliche Antragsgegner erstatten Gegenäußerungen, hievon der Sechstantragsgegner, der durch einen anderen Anwalt vertreten ist, eine gesonderte; hierin beantragen sie, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Der Antragsteller meint, das Bescheinigungsverfahren sei mangelhaft geblieben, weil das Erstgericht im Hinblick auf die Amtswegigkeit und die Instruktionsmaxime im Sinn des Begriffes der "potentiellen Unternehmereigenschaft" hätte hinterfragen müssen, ob er, wenn er seine Taxikonzession als ruhend gemeldet habe, zumindest den Tatbestand des potentiellen Unternehmers nach § 10 KartG erfülle, nämlich dahingehend, dass er etwa eine Verpflichtung eingegangen hätte, sich nicht als Mitbewerber zu betätigen oder für den Fall, dass er sich betätige, Beschränkungen unterliege. Es genüge nämlich, wenn jemand "latent" darauf ausgerichtet sei, Waren oder Leistungen für den Markt zu erbringen, wenn auch freilich nicht bloß die abstrakte Möglichkeit genüge. Es müsse vielmehr damit zu rechnen sein, dass der Betreffende in absehbarer Zeit lediglich durch Aktualisierung der bereits vorhandenen Qualitäten zum aktiven Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr werde. Aus seiner Vernehmung hätte sich insgesamt und inhaltsgemäß jedenfalls ableiten lassen, dass er seine derzeitige Hausbesorgerfunktion nur deshalb aufgenommen habe, weil seine Existenz wegen der erdrückenden Gebühren- und Abgabenlast im Zusammenhang mit der von den Antragsgegnern eingeführten und aufrecht erhaltenen kartellrechtswidrigen marktbeherrschenden Stellung bei weiterer Aufrechterhaltung seines Taxigewerbes erheblich beeinträchtigt oder gefährdet gewesen wäre. Er hätte zu erkennen gegeben, dass er nur vorübergehend bis zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes sein Taxigewerbe als ruhend gemeldet habe.

Aus seiner protokollierten Vernehmung ergibt sich nichts derartiges; das Erstgericht hat die gesamte sich auf die Ruhestellung des Gewerbe beziehende Aussage des Antragstellers in den bescheinigten Sachverhalt aufgenommen. Auch aus dem Antrag ON 1 ergibt sich keinerlei Anhaltspunkt hiezu. Dort bezeichnete sich der Antragsteller schlicht als Taxiunternehmer; von einer Ruhestellung seines Gewerbes und der Absicht, es nach Abstellung der behaupteten Kartellrechtsverletzungen der Antragsgegner wieder aufzunehmen, ist keine Rede.

Es bestand daher für das Erstgericht kein Anlass, von Amts wegen weitere Nachforschungen über die Motive, die den Antragssteller veranlasst hatten, sein Gewerbe ruhend zu melden, zu pflegen, zumal der von einem Rechtsanwalt verfasste Antrag ersichtlich sehr sorgfältig und sachkundig ist und der Einwand der mangelnden Aktivlegitimation zur Stellung der vorliegenden Anträge infolge mangelnder Unternehmereigenschaft iSd § 25 Abs 2 Z 3 und § 37 Z 3 KartG nahegelegen wäre. Auch nach der Vernehmung des Antragstellers in Beisein seines ausgewiesenen Vertreters, in der der Antragsteller erstmals über die Ruhendstellung seines Taxigewerbes berichtete, wurde kein ergänzendes Vorbringen erstattet und unterließ es der ausgewiesene Vertreter dies näher zu hinterfragen, obwohl der Antragsteller diese Angaben auf Befragen seines Vertreters gemacht hatte (Rekursvorbringen S 9).

Im Rekursverfahren kann der Antragsteller nicht mehr das in erster Instanz auch nicht wenigstens andeutungsweise erstattete Vorbringen nachholen. Zwar können im kartellrechtlichen Rekursverfahren die Parteien, wie auch sonst im Außerstreitverfahren (§ 43 KartG), das vorliegende Tatsachenmaterial ergänzen und berichtigen, sie dürfen aber nicht von den bisherigen Behauptungen abweichende Tatsachenbehauptungen oder solche vortragen, die bisher überhaupt noch nicht aufgestellt worden sind (Okt 3/93, ÖBl 1993, 124; 16 Ok 5/98, SZ 71/103). Bei dem nunmehrigen Rekursvorbringen handelt es sich daher um eine unzulässige und deshalb unbeachtliche Neuerung.

Eine Überprüfungsmöglichkeit der Beweiswürdigung besteht im vorliegenden kartellrechtlichen Bescheinigungsverfahren nicht, weil der bescheinigte Sachverhalt auf Grund der vor dem Erstgericht abgegebenen Zeugenaussagen getroffen wurde (16 Ok 20/97, SZ 70/272; 16 Ok 22/97, ÖBl 1998, 309).

Auch die Rechtsrüge ist nicht berechtigt. Nach herrschender Ansicht ist zwar für die Unternehmereigenschaft iSd § 10 und §§ 34 ff KartG, die auch für die Antragslegitimation auf Untersagung der Durchführung eines Kartells nach § 25 Abs 3 Z 3 KartG und auf Untersagung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung nach § 37 Z 3 KartG maßgeblich ist, keine organisierte Erwerbsgelegenheit notwendig, sondern es genügt auch eine potentielle unternehmerische Tätigkeit (Koppensteiner, Österreichisches und Europäisches Wettbewerbsrecht3 94, 222; Gugerbauer, Komm KartG2 § 10 Rz 3, § 34 Rz 2; Tahedl, Der Missbrauch marktbeherrschender Stellung im österreichischen Kartellrecht 54, insb FN 54 mwN; für das insoweit vergleichbare deutsche Recht für alle Langen/Bunte, Komm zum deutschen und europäischen Kartellrecht2 § 1 Rz 16 mwN auch zur deutschen Judikatur; im österreichischen Recht finden sich zum potentiellen Unternehmer nur wettbewerbsrechtliche Entscheidungen, die allerdings im gleichen Sinn abgrenzen, Koppensteiner aaO 500 FN 50 mwN, insb JBl 1991, 390).

Der Oberste Gerichtshof teilt die Meinung des Erstgerichts, dass die rein abstrakte Möglichkeit zur aktiven Teilnahme am Wirtschaftsverkehr nicht ausreicht, sondern dass damit zu rechnen sein muss, dass der betreffende in absehbarer Zeit lediglich durch Aktualisierung der bereits vorhandenen Qualitäten zum aktiven Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr wird (so Gugerbauer aaO und Müller-Henneberg/Schwartz, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und europäisches Kartellrecht; Gemeinschaftskommentar4 § 1 Rz 6, auf den sich übrigens auch der Rekurswerber beruft).

Eine gegenteilige Ansicht, nämlich dass die rein abstrakte Möglichkeit zur aktiven Teilnahme am Wirtschaftsverkehr genügen würde, ließe die Antragslegitimation völlig ausufern; das wollte der Gesetzgeber offensichtlich nicht, weil er die Antragsberechtigung davon abhängig macht, dass die rechtlichen oder wirtschaftlichen Interessen des Unternehmers durch das Kartell bzw das zu untersagende Verhalten berührt werden. Bei einem "potentiellen Unternehmer", der wie der Antragsteller sein Gewerbe ruhend gemeldet hat, muss gefordert werden, dass dieser behauptet und bescheinigt, dass er in absehbarer Zeit wieder aktiver Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr werden wird; im vorliegenden Fall hätte der Antragsteller also behaupten und bescheinigen müssen, dass er das Taxigewerbe in absehbarer Zeit wieder ausüben wolle und werde; dies hat er nicht getan, sodass seine Aktivlegitimation zu Recht verneint wurde.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 45 Abs 2 KartG. Der Antragsteller ist zwar im Provisorialverfahren endgültig unterlegen, jedoch kann im Hinblick auf die fehlende oberstgerichtliche Judikatur zur Frage der Antragslegitimation bei einem ruhenden Gewerbe die Rechtsverfolgung nicht als mutwillig angesehen werden, weshalb die Kosten des Rekursverfahrens gemäß § 273 ZPO gegenseitig aufgehoben werden.

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