OGH 10ObS99/99b

OGH10ObS99/99b14.12.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Steinbauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hartmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Helmut Stöcklmayer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Maria P*****, vertreten durch Dr. Johannes Grund und Dr. Wolf D. Polte, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Jänner 1999, GZ 11 Rs 3/99m-31, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom 15. Mai 1998, GZ 30 Cgs 83/96p-25, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahingehend abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichtes wieder hergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 5.916,96 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin S 986,16 USt) und die mit S 4.058,88 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 676,48 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Partei lehnte den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Invaliditätspension mangels Invalidität ab. In der dagegen erhobenen Klage brachte die Klägerin vor, nicht mehr in der Lage zu sein, einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.

Die am 2. 10. 1950 geborene Klägerin war von 1989 bis 1994 als Kontrollarbeiterin in der Strumpferzeugung beschäftigt, wobei sie Strümpfe und Strumpfhosen händisch oder durch Überstülpen auf eine Attrappe auf Fehler überprüfen mußte. Die überprüften Strümpfe mußten in Wannen abgelegt und zu viert übereinander geschlichtet werden. Eine Wanne wog ca 15 kg, die zu zweit mit einer anderen Arbeiterin zu heben war. Die Klägerin kann nur mehr leichte und fallweise mittelschwere Arbeiten in gehender, stehender und sitzender Körperhaltung verrichten. Arbeiten über Kopfhöhe, in gebückter Körperhaltung und solche mit häufig kniender Tätigkeit scheiden aus. Die Klägerin benötigt aufgrund der reduzierten psycho-physischen Gesamtbelastbarkeit zusätzlich zur üblichen Mittagspause zwei zusätzliche Arbeitspausen in der Dauer von je 15 Minuten. Auch bei einer Halbtagsbeschäftigung müsste sie eine Arbeitspause von 15 Minuten einhalten. Das Arbeiten auf Leitern und Gerüsten ist ihr nicht mehr möglich. Auf Kälte-, Nässe- und Zugluftexposition ist Bedacht zu nehmen. Die Klägerin kann Lasten bis 8 kg heben oder tragen. Einschränkungen im ortsüblichen Anmarschweg bestehen nicht. Öffentliche Verkehrsmittel können benützt werden. Schicht-, Akkord-, Nachtarbeiten und sonstige Arbeiten unter Zeitdruck oder solche, die mit Parteien- und Kundenverkehr verbunden sind, sowie Arbeiten mit überdurchschnittlichen kommunikativen Belastungen können nicht mehr verrichtet werden. Weit überdurchschnittliche Krankenstände sind nicht zu erwarten. Der seit Antragstellung bestehende Zustand wird sich in absehbarer Zeit nicht mehr verändern.

Unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes sind Arbeitgeber nicht bereit, Arbeitskräfte zu beschäftigen, die über das gesetzliche Ausmaß hinaus Arbeitspausen in der Dauer von zweimal je 15 Minuten während eines Arbeitstages benötigen.

Es gibt in Österreich eine verhältnismäßig große Anzahl von Heimarbeitern, allein im Raum S***** zumindest über 100. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Arbeitsplätze im Gablonzer-Gewerbe. Um einen durchschnittlichen Verdienst zu erzielen, ist eine durchgehende Arbeit von etwa 8 Stunden erforderlich. Die Klägerin müsste sich ihre Heimarbeit unter Berücksichtigung der notwendigen zusätzlichen Arbeitspausen einteilen, sie müßte mindestens 9 Stunden aufwenden, um eine entsprechende Stückzahl zu erreichen, für die ein gesunder Arbeitnehmer normalerweise 8 Stunden benötigt. Die Klägerin war bisher nicht als Heimarbeiterin tätig.

Das Erstgericht sprach aus, dass das Klagebegehren, der Klägerin ab 1. 12. 1995 die Invaliditätspension zu bezahlen, dem Grunde nach zu Recht bestehe. Es trug der beklagten Partei auf, der Klägerin ab 1. 12. 1995 eine vorläufige Zahlung von S 5.000 monatlich zu erbringen.

Es vertrat die Rechtsansicht, dass die nur mehr auf Heimarbeiten verweisbare Klägerin Anspruch auf Invaliditätspension habe, weil die Verweisung einer Versicherten auf Heimarbeit nicht in Frage komme.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, dass es das Begehren auf Gewährung einer Invaliditätspension ab 1. 12. 1995 abwies.

Es bestehe kein Hindernis gegen die Verweisung einer Arbeiterin ohne Berufsschutz auf Heimarbeitstätigkeiten. Die vom Erstgericht als Verweisungshindernis angeführte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 10 ObS 217/97b beinhalte lediglich den Ausspruch, dass der auf Erwerbsunfähigkeitspensionen nach dem GSVG angewendete Rechtssatz, ein Versicherter müsse sich auch auf Heimarbeit verweisen lassen, in seiner Allgemeinheit bei Prüfung des Verweisungsfeldes nach § 255 oder § 273 ASVG nicht zutreffe. Eine abschließende Stellungnahme zur Zulässigkeit der Verweisung eines Arbeiters auf Heimarbeit sei in dieser Entscheidung nicht vorgenommen worden. Bei Heimarbeit handle es sich nicht um ein Arbeitsverhältnis, jedoch seien Heimarbeiter gemäß § 4 Abs 1 Z 7 ASVG in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung voll versichert, ohne daß es auf die Dienstnehmereigenschaft ankäme. Die Schutzbestimmungen im Heimarbeitsgesetz seien den arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen für Arbeiter gleichzuhalten, so dass keine Bedenken gegen die Verweisung eines Arbeiters auf Heimarbeitstätigkeiten bestünden. Feststellungen zum Einfluß der Umgebung (Verhalten des Ehemanns) auf den psychischen Zustand der Klägerin seien nicht erforderlich gewesen, weil nur Einschränkungen der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit ein Verweisungshindernis darstellen könnten, nicht aber ungünstige sonstige Umstände wie etwa das unleidliche Verhalten des Ehepartners. Verweisungsmöglichkeiten müßten abstrakt geprüft werden.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Das Verweisungsfeld eines ungelernten Arbeiters nach § 255 Abs 3 ASVG umfasst den gesamten Arbeitsmarkt und beschränkt sich auf Tätigkeiten, die auf diesem noch bewertet werden, dem Versicherten unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden können und bei denen zumindest die Lohnhälfte eines körperlich und geistig gesunden Versicherten erzielt werden kann (Schrammel, Zur Problematik der Verweisung in der PV und UV ZAS 1984, 83 [86]; Teschner in Tomandl System 2.4.2.1.2.; SSV-NF 1/4; 10 ObS 27/98p).

Entscheidend ist sohin, ob die Klägerin auf Grund ihres Leistungskalküls irgendwelche Berufsanforderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erfüllen könnte.

Die Vorinstanzen haben die mangelnde Verweisbarkeit der Klägerin auf den allgemeinen Arbeitsmarkt auf die Notwendigkeit von zwei über das gesetzliche Pausenausmaß hinausgehende zusätzliche Pausen von je 15 Minuten allein gegründet. Sie haben aber übersehen, dass die Klägerin ausgehend von den Feststellungen auf Grund ihrer reduzierten psycho-physischen Gesamtbelastbarkeit nicht nur zusätzliche Pausen benötigt, sondern darüberhinaus Schicht-, Akkord-, Nachtarbeiten und sonstige Arbeiten unter Zeitdruck, Arbeiten verbunden mit Parteien- und Kundenverkehr und darüberhinaus Arbeiten verbunden mit überdurchschnittlichen kommunikativen Belastungen ausgeschlossen sind. Da das Erstgericht entgegen dem Gutachten des Sachverständigen für Neurologie und Psychiatrie unbekämpft feststellte, dass nur Arbeiten mit überdurchschnittlichen kommunikativen Belastungen ausgeschlossen sind, ist davon auszugehen.

Entscheidend ist der Ausschluss von Arbeiten unter Zeitdruck. Damit fällt aber auch die Verweisbarkeit auf Heimarbeiten weg, ohne dass geprüft werden müsste, ob grundsätzlich ungelernte Arbeiter auf solche Tätigkeiten verwiesen werden dürfen.

Bei Heimarbeiten kommt es auf die gelieferte Stückzahl an, weil die Entlohnung, wenn auch unter Zugrundelegung des an den Kollektivvertrag angeglichenen Stundenlohnes nach Stückzahlen in Stückentgelten erfolgt. Es ist daher eine bestimmte in der normalen Arbeitszeit zu erreichende Stückzahl erforderlich, um den vergleichbaren Lohn eines gesunden Arbeitnehmers zu erreichen. Daraus ergibt sich von selbst, dass gegenüber dem auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt üblichen Stundenlohn, der ungeachtet der geleisteten Arbeitsmenge anfällt, beim Stückentgelt ein gewisser Leistungsbezug gefordert ist, weil eine Leistungsentlohnung erfolgt (Ritzberger-Moser/Wiedorn, HeimAG 1960, 40). Daraus lässt sich notwendigerweise auch ein Zeitdruck ableiten.

Da die Einschränkung der Klägerin nicht nur den überdurchschnittlichen Zeitdruck berücksichtigt, sondern Zeitdruck im Allgemeinen, ist jeder Zeitdruck auch der gewöhnliche ausgeschlossen. Dies bedeutet aber, dass die Klägerin wegen ihrer reduzierten Gesamtbelastbarkeit auch nicht in der Lage ist, Heimarbeiten zu leisten.

Es war daher das Urteil des Erstgerichtes wieder herzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a, Abs 2 ASGG.

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