OGH 10ObS310/99g

OGH10ObS310/99g14.12.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Fellinger sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Werner Hartmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Helmut Stöcklmayer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Michael H*****, Pensionist, *****, vertreten durch Dr. Andreas Lintl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Alterspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Juli 1999, GZ 10 Rs 121/99h-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 19. Jänner 1999, GZ 29 Cgs 165/98m-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 9. 3. 1924 in Polen geborene Kläger war in der Zeit vom 1. 7. 1942 bis 31. 5. 1945 in namentlich nicht mehr feststellbaren landwirtschaftlichen Betrieben in der Gemeinde Mallnitz (Kärnten) als Zwangsarbeiter beschäftigt. Er war allerdings nur im Zeitraum vom 7. 7. 1944 bis 27. 5. 1945 zur Sozialversicherung angemeldet. Weitere Versicherungszeiten des Klägers in Österreich konnten nicht festgestellt werden.

Mit Bescheid vom 10. 11. 1997 wies die beklagte Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter den Antrag des Klägers auf Zuerkennung einer Pension aus der österreichischen Pensionsversicherung mit der Begründung ab, dass auch unter Berücksichtigung des AbkSozSi - Großbritannien und der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 kein Anspruch auf die begehrte Leistung bestehe, weil der Kläger nicht zumindest 12, sondern lediglich 11 Versicherungsmonate in Österreich erworben habe.

Das Erstgericht wies das auf Gewährung einer Alterspension im gesetzlichen Ausmaß gerichtete Klagebegehren ab. Gemäß § 226 ASVG seien Beitragszeiten vor dem 1. 1. 1956 unter anderem Zeiten, die in der reichsrechtlichen Sozialversicherung für einen Zeitraum nach deren Einführung in Österreich erworben worden seien, sofern der Beschäftigungsort in Österreich gelegen gewesen sei. Als Beitragszeiten kämen nur solche Zeiten in Betracht, für die tatsächlich Beiträge entrichtet oder wirksam nachentrichtet worden seien. Der Kläger sei insgesamt nur 11 Monate in Österreich sozialversichert gewesen. Seine vorangegangene Beschäftigung sei ohne Anmeldung zur Pflichtversicherung und damit ohne Beitragsentrichtung erfolgt. Solche Zeiten könnten selbst dann nicht als Beitragszeiten herangezogen werden, wenn zwar eine Versicherungspflicht bestanden habe, Beiträge aber nicht entrichtet oder nachentrichtet worden seien. Die Zuerkennung einer Pension an den Kläger scheitere daran, dass dieser das im Abkommen zwischen der Republik Österreich und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland über Soziale Sicherheit vom 22. 7. 1980 statuierte Mindesterfordernis von 12 Versicherungsmonaten nicht erfülle.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Nach der Rechtsprechung konnten Beitragszeiten in der Zeit vom 1. 1. 1939 bis 31. 3. 1952 grundsätzlich nur durch Entrichtung der Beiträge erworben werden. § 228 Abs 1 Z 4 ASVG sehe für Versicherte, die infolge einer Freiheitsbeschränkung an der Verfügung über ihre Arbeitskraft gehindert waren, eine Ersatzzeitenregelung vor. Diese Vorschrift sei auch auf Zwangsarbeiter, die auf einem Bauernhof gearbeitet haben, anwendbar. Die Zeiten der Zwangsarbeit gelten aber nach dem letzten Satz dieser Gesetzesstelle nur dann als Ersatzzeiten, wenn ihnen eine Beitrags- oder Ersatzzeit vorangehe. Diese Voraussetzung sei nur im Zeitraum vom 28. 5. bis zum 31. 5. 1945 erfüllt. Damit habe der Kläger aber keine weiteren Versicherungsmonate mehr erwerben können.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger wendet sich in seinen Revisionsausführungen ausschließlich gegen die Auslegung der Bestimmung des § 228 Abs 1 Z 4 ASVG durch das Berufungsgericht. Ein Zwangsarbeiter habe keinen Einfluss auf seine Anmeldung zur Sozialversicherung gehabt. Aus diesem Grunde dürfe es dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen, dass der Dienstgeber, der den Kläger als einziger zur Sozialversicherung angemeldet habe, zufällig der letzte während seiner dreijährigen Zwangsarbeit gewesen sei. Wäre der Kläger zuerst bei diesem Dienstgeber beschäftigt gewesen, hätte er auf Grund der somit nachträglich erworbenen Ersatzzeiten einen Anspruch auf Alterspension erworben. Die Auslegung des § 228 Abs 1 Z 4 ASVG durch das Berufungsgericht sei daher nicht verfassungskonform. Der Kläger verweist in diesem Zusammenhang auf die Bestimmung des § 228 Abs 1 Z 1 ASVG, der Ersatzzeiten dann vorsehe, wenn eine Beitrags- oder Ersatzzeit vorangehe oder nachfolge. Die Regelung des § 228 Abs 1 Z 4 ASVG verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz und den Grundsatz der Erwerbsfreiheit, weil damit eine sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligung einzelner Personen gesetzt werde. Der Kläger regt daher die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens hinsichtlich der Bestimmung des § 228 Abs 1 Z 4 ASVG an. Bei richtiger verfassungskonformer Interpretation und bei Berücksichtigung des Grundsatzes sozialer Rechtsanwendung habe der Kläger Anspruch auf Alterspension.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.

Gemäß § 228 Abs 1 Z 4 ASVG sind vor dem 1. 1. 1956 gelegene Zeiten, während derer der Versicherte infolge einer Freiheitsbeschränkung - soferne es sich nicht um Zeiten einer Freiheitsbeschränkung auf Grund einer Tat handelt, die nach den österreichischen Gesetzen im Zeitpunkt der Begehung strafbar war oder strafbar gewesen wäre, wenn sie im Inland gesetzt worden wäre - an der Verfügung über seine Arbeitskraft gehindert gewesen ist, Ersatzzeiten in dem Zweig der Pensionsversicherung, in dem die letzte vorangegangene Beitrags- oder Ersatzzeit vorliegt. Diese Zeiten gelten jedoch nur dann als Ersatzzeiten, wenn ihnen eine Beitrags- oder Ersatzzeit vorangeht.

Bereits das Berufungsgericht hat darauf hingewiesen, dass Zeiten, in denen jemand im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg zur Zwangsarbeit verpflichtet war, als Ersatzzeiten gelten können (SSV-NF 4/41). Diese Zeiten gelten allerdings nur dann als Ersatzzeiten, wenn ihnen eine Beitrags- oder Ersatzzeit vorangeht. Dies war aber beim Kläger nach zutreffender Rechtsansicht des Berufungsgerichtes nur für den Zeitraum vom 28. 5. bis zum 31. 5. 1945 der Fall, wodurch der Kläger aber keine weiteren Versicherungsmonate erwerben konnte. Zur Frage der Verfassungsgemäßheit der Regelung des § 228 Abs 1 Z 4 ASVG hat der Oberste Gerichtshof bereits in seiner Entscheidung SSV-NF 9/37 Stellung genommen und insbesondere darauf hingewiesen, dass gerade dann, wenn es um die Anrechnung beitragsloser Zeiten als Versicherungszeiten geht, der rechtspolitische Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers nicht zu eng gesehen werden kann. Ziel der Regelung war es offenbar, für Personen, die durch eine Freiheitsbeschränkung aus dem Arbeitsprozess gerissen wurden, durch die Anrechnung der Zeit der Freiheitsbeschränkung als Ersatzzeit Lücken im Versicherungsverlauf zu verhindern. In diesen Fällen ist nämlich nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und unter Anlegung einer Durchschnittsbetrachtung anzunehmen, dass sie im Falle des Unterbleibens der Freiheitsbeschränkung weiter im Erwerbsleben gestanden wären und Versicherungszeiten erworben hätten. Dies kann aber bei Personen, die vor einer Freiheitsbeschränkung nicht berufstätig und pflichtversichert waren, nicht in gleicher Weise unterstellt werden. Es bestehen daher auch sachliche Unterschiede, die eine Differenzierung in den Rechtsfolgen rechtfertigen.

Die Ausführungen in der Revision vermögen demgegenüber keine neuen Argumente gegen die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des § 228 Abs 1 Z 4 ASVG ins Treffen zu führen. Aus dem Hinweis auf die abweichende Regelung des § 228 Abs 1 Z 1 ASVG über die Anrechnung von Kriegsdienstzeiten und diesen gleichgehaltenen Zeiten als Ersatzzeiten ist für den Prozessstandpunkt des Klägers nichts zu gewinnen, weil eine Anrechnung von solchen Zeiten hier nicht in Frage steht und der Gesetzgeber bei den verschiedenen Ersatzzeiten unterschiedliche Voraussetzungen für eine Anrechnung festgelegt hat. Bei der Beurteilung einer Norm unter dem Blickwinkel des Gleichheitssatzes ist von einer Durchschnittsbetrachtung auszugehen; dass sich vereinzelt Härtefälle ergeben können, macht eine Regelung noch nicht verfassungswidrig (VfSlg 8871, 11.193 uva). Eine Verletzung des Grundsatzes der Erwerbsfreiheit ist im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Der Oberste Gerichtshof sieht sich daher auch diesmal nicht veranlasst, beim Verfassungsgerichtshof ein Gesetzesprüfungsverfahren zu beantragen.

Auch aus dem Grundsatz der sozialen Rechtsanwendung oder aus allgemeinen Billigkeitserwägungen lässt sich ein Anspruch des Klägers, der die Voraussetzungen für die von ihm begehrte Leistung nicht erfüllt, nicht ableiten (vgl SSV-NF 6/91).

Die Auffassung der Vorinstanzen, dass der Kläger nach der geltenden Rechtslage die sowohl in Art 48 Abs 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 als auch in Art 17 Abs 2 lit b AbkSozSi - Großbritannien für seinen Leistungsanspruch vorgesehene anspruchsbegründende Versicherungszeit von mindestens einem Jahr nicht erfüllt, wird in der Revision nicht in Zweifel gezogen. Das auf Zuerkennung von Alterspension aus der österreichischen Pensionsversicherung gerichtete Klagebegehren erweist sich somit als nicht berechtigt. Versicherungszeiten von weniger als einem Jahr sind allerdings gemäß Art 48 Abs 2 der zitierten Verordnung sowie Art 17 Abs 2 lit b des Abkommens vom anderen Vertragsstaat bei seiner Leistungsberechnung zu berücksichtigen (vgl Siedl/Spiegel, MGA Zwischenst.SV 31. Lfg EU-I 168 FN 1 und Lfg 28, 7 a 39 FN 7).

Auf Grund dieser Erwägungen musste der Revision ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht dargetan und sind nach der Aktenlage auch nicht ersichtlich.

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