OGH 14Os150/99

OGH14Os150/9930.11.1999

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. November 1999 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Zehetner, Dr. Ratz und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Mezera als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Angelika V***** wegen des Vergehens nach § 27 Abs 1 SMG, AZ 19 U 185/99y des Bezirksgerichtes Klagenfurt, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil vom 20. April 1999 (ON 6) nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Seidl, jedoch in Abwesenheit der Verurteilten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren AZ 19 U 185/99y des Bezirksgerichtes Klagenfurt wurde durch Unterlassung einer an den §§ 35 f SMG orientierten Prüfung das Gesetz verletzt.

Das Urteil vom 20. April 1999 (ON 6) wird aufgehoben und dem Bezirksgericht Klagenfurt aufgetragen, diese Prüfung nachzuholen.

Text

Gründe:

Angelika V***** wurde des Vergehens nach "§ 27 Abs 1 SMG" schuldig erkannt und zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Wochen verurteilt.

Darnach hat sie in Klagenfurt und anderen Orten den bestehenden Vorschriften zuwider mehrmals Cannabisprodukte erworben und besessen, nämlich

1) am 25. Juli 1997 und

2) von September 1998 bis Mitte Jänner 1999.

Nach der im Folgenden wiedergegebenen Ansicht des Generalprokurators steht die Verurteilung der Angelika V***** mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Angelika V***** wurde zunächst von der Bundespolizeidirektion Klagenfurt am 19. August 1997 wegen des Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG zur Anzeige gebracht, weil sie im Verdacht stand, am 25. Juli 1997 in Klagenfurt einige "Züge" von einem "Haschisch-Joint" konsumiert zu haben (AS 21).

Diese Anzeige hat die Staatsanwaltschaft Klagenfurt nach Durchführung der erforderlichen Erhebungen im Sinne der Bestimmungen des § 17 SGG zurückgelegt.

Am 9. März 1999 (richtig: am 26. Jänner 1999) wurde von der Bundespolizeidirektion Klagenfurt neuerlich Anzeige gegen Angelika V***** gemäß § 27 Abs 2 (richtig: Abs 1) SMG erstattet, weil die Genannte im Verdacht stand, im September 1998 in Wien von einer unbekannten Person etwa ein Gramm Cannabisharz erworben und in der Folge davon bis Mitte Jänner 1999 daraus zwei Joints konsumiert zu haben (AS 49). Anlässlich einer Fahrzeugkontrolle am 25. Jänner 1999 wurden bei der Beschuldigten noch 0,5 Gramm Cannabisharz sichergestellt.

Bei den angeführten Quantitäten handelt es sich ganz offensichtlich um geringe Mengen von Suchtgiften im Sinne des § 35 Abs 1 SMG. In einem solchen Fall ist die Anzeige aber durch die Staatsanwaltschaft vorläufig zurückzulegen, wenn auch die übrigen Voraussetzungen und Bedingungen des § 35 SMG erfüllt sind.

Die Staatsanwaltschaft Klagenfurt unterließ es jedoch vorliegendenfalls, die Voraussetzungen dieser Gesetzesstelle auf Grund des nunmehr hervorgekommenen neuen Sachverhaltes zu prüfen und erklärte dem Bezirksgericht Klagenfurt gegenüber vielmehr, das der seinerzeitigen Anzeigenzurücklegung zu Grunde liegende Verfahren gemäß § 38 SMG fortzusetzen (ON 1) und brachte gleichzeitig einen Antrag auf Bestrafung wegen § 27 Abs 1 SMG ein (ON 4).

Im Hinblick darauf, dass die Aktenlage keine der Privilegierung gemäß dem § 35 SMG entgegenstehende Umstände erkennen lässt, wäre das Erstgericht im Hinblick auf den bereits vorliegenden Bestrafungsantrag gemäß § 37 SMG verhalten gewesen, vorerst die Auskünfte bzw Stellungnahmen nach § 35 Abs 3 SMG einzuholen und sodann abschließend zu beurteilen, ob sämtliche Voraussetzungen des bedingten temporären sachlichen Strafausschließungsgrundes nach dem § 35 Abs 1 SMG gegeben sind. Das Bezirksgericht Klagenfurt ist jedoch dieser Verpflichtung nicht nachgekommen und hat ohne weitere Erhebungen in der Hauptverhandlung vom 20. April 1999 einen Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 27 Abs 1 SMG gefällt. Durch diese Vorgangsweise wurde das Gesetz in der Bestimmung des § 37 SMG iVm § 35 SMG verletzt. Es liegt ein Feststellungsmangel im Sinne des § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO vor (vgl hiezu Kodek/Fabrizy, Das neue österreichische Suchtmittelgesetz, Anm 3 zu § 37;

Foregger/Litzka/Matzka, SMG, Anm III zu § 37).

Da die aufgezeigte Gesetzesverletzung der Verurteilten unzweifelhaft zum Nachteil gereicht, ist ein Vorgehen des Obersten Gerichtshofes nach § 292 letzter Satz StPO geboten.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Das Suchtmittelgesetz sieht für strafbare Handlungen iS des § 35 Abs 1 SMG, die während der Probezeit nach vorläufiger Zurücklegung der Anzeige (§§ 35f SMG) oder vorläufiger Einstellung (§ 37 SMG) begangen wurden, keine Sonderregelung vor ("weitere" oder "neue" strafbare Handlung iS des § 38 Abs 1 Z 1 und Abs 2 SMG). Gleichwohl ist zugunsten des solcherart Straffälligen am Zweck dieser Vorschriften orientierte (gesetzesimmanente) Rechtsfortbildung nicht ausgeschlossen.

Der Zweck des Suchtmittelgesetzes würde zwar durch analoge Anwendung der Zurücklegungs- und Einstellungspflicht des § 35 Abs 1 SMG (§ 37 SMG) verfehlt, weil diese nicht an die Befolgung des Gebotes, sich des Erwerbs oder Besitzes (auch) geringer Suchtmittelmengen zum eigenen Gebrauch zu enthalten, gebunden ist und im Ergebnis auf eine Straflosigkeit des Drogenkonsums hinausliefe. Zusammenrechnung der zu verschiedenen Zeiten zum eigenen Gebrauch erworbenen geringen Suchtmittelmengen kommt ja nach ständiger Rechtsprechung nicht in Betracht (EvBl 1999/166).

Aus der Zielsetzung des in den §§ 35 ff SMG zum Ausdruck kommenden Diversionsgedankens ist jedoch abzuleiten, dass in Ausnahmefällen auch in Ansehung während der Probezeit begangener strafbarer Handlungen im Sinne des § 35 Abs 1 SMG vorläufige Zurücklegung der Anzeige oder Verfahrenseinstellung unter den dort erwähnten Voraussetzungen und Bedingungen zulässig ist, wenn bei nicht schwerer Schuld trotz des mit vorläufiger Zurücklegung einer Anzeige (§§ 35 f SMG) oder Verfahrenseinstellung (§ 37 SMG) verbundenen Appells an die Rechtstreue des davon Betroffenen erneute Einstellung nicht weniger als eine Verurteilung geeignet erscheint, diesen von solchen strafbaren Handlungen abzuhalten.

Diese Rechtswirkung der vorläufigen Zurücklegung oder Verfahrenseinstellung auf die Strafbarkeit der "neuen" Tat ist von der Lösung der Schuldfrage in Ansehung der angezeigten (Vor-)Tat unabhängig, stand doch dem Angezeigten bis zur Begehung der "neuen" Tat jederzeit das Recht zu, die Einleitung oder Fortsetzung des (vorläufig) erledigten Strafverfahrens zu erwirken (§ 38 Abs 1 Z 3 SMG).

Fallbezogen folgt daraus:

Für die Zulässigkeit der - vorliegend erfolgten - (Straf-)Urteilsausfertigung in gekürzter Form verlangt § 458 Abs 3 StPO unabdingbar ein umfassendes und durch die übrigen Ergebnisse der Verhandlung unterstütztes Geständnis. Der wegen der neuen Taten ergangene Schuldspruch beruht jedoch ausschließlich auf der Sicherstellung von 0,5 Gramm THC - hältiger Substanz und den Angaben der Beschuldigten, diese ab September 1998 besessen und ein gleiches Quantum seither in Form zweier Joints verraucht zu haben.

Zur vorstehend erwähnten Voraussetzung für ein an den §§ 35 ff orientiertes Vorgehen aber hat V***** nicht Stellung genommen. Der Zeitpunkt der vorläufigen Zurücklegung der Anzeige und die entscheidungswesentliche Frage, über welchen Zeitraum diese die Normtreue der Beschuldigten aufrecht zu erhalten in der Lage war, ist im Verfahren auch sonst nicht releviert worden. Die gesetzlichen Kriterien des § 458 Abs 3 StPO gleichwohl bejahend, ist das Bezirksgericht Klagenfurt rechtsirrig davon ausgegangen, dass neuerliche Verfahrenseinstellung mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung auch unter der aufgezeigten Voraussetzung nicht mehr in Frage kommt.

Im Ergebnis zeigt die Nichtigkeitsbeschwerde daher zutreffend einen Feststellungsmangel (§ 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO) auf, der schon deshalb zur Urteilsaufhebung und Rückverweisung zwingt, weil der Zeitpunkt der Zurücklegung der Anzeige auch im Gerichtstag nicht bekannt wurde.

Aus der Aufhebung des zu den neuen Taten ergangenen Schuldspruches folgt zwingend auch die Aufhebung des Schuldspruches in Ansehung der auf die Tatbegehung vom 25. Juli 1997 bezogenen Anklage (§ 38 Abs 2 SMG).

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