OGH 10ObS175/99d

OGH10ObS175/99d30.11.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter MR Dr. Walter Kraft (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Leopold Smrcka (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Karin B*****, Lehrtherapeutin, *****, vertreten durch Dr. Walter Hasibeder und Dr. Josef Strasser, Rechtsanwälte in Ried im Innkreis, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2. Februar 1999, GZ 12 Rs 300/98v-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht vom 2. November 1998, GZ 18 Cgs 85/98h-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die seit 2. 11. 1997 an der Akademie St. A***** des Krankenhauses der B***** S***** in W***** als Lehrtherapeutin beschäftigte Klägerin erlitt am Samstag, dem 29. 11. 1997 auf der Fahrt von ihrem Wohnort Raab nach Linz einen Verkehrsunfall, bei dem sie schwer verletzt wurde. Sie befand sich auf der Fahrt nach Linz, um dort in der Buchhandlung "Amadeus" das Lehrbuch "Physiologie des Menschen" zu kaufen, das sie für ihre ab Montag, dem 1. 12. 1997 vorgesehen selbständige Unterrichtstätigkeit verwenden wollte und das ihr etwa eine Woche vor dem Unfall von einem Arbeitskollegen empfohlen wurde. Das Buch war aber etwa in der Buchhaltung "Amadeus" in Wels nicht lagernd und wäre zu bestellen gewesen. Sie unterließ eine Bestellung, weil sie wusste, dass ihr Freund am Unfalltag aus beruflichen Gründen mit dem PKW nach Linz fuhr und sie mitfahren konnte, um das Buch in der genannten Linzer Buchhandlung zu kaufen. Die Klägerin hätte das Buch zur Vorbereitung ihres Unterrichtes brauchen können und auch als Unterrichtsmittel eingesetzt, es wäre allerdings nicht schon am ersten Unterrichtstag (1. 12. 1997) erforderlich gewesen.

Die beklagte Partei sprach mit Bescheid vom 17. 6. 1998 aus, dass der Unfall nicht als Arbeitsunfall gemäß § 175 ASVG anerkannt würde und ein Anspruch auf Leistungen gemäß § 173 ASVG nicht bestehe. Die Fahrt nach Linz sei überwiegend aus privaten Gründen erfolgt; außerdem hätte die Klägerin das Fachbuch in der an ihrem Dienstort befindlichen Buchhandlung kaufen können. Mangels örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhangs mit der Beschäftigung liege ein unter Versicherungsschutz stehender Arbeitsunfall daher nicht vor.

Das Erstgericht wies das dagegen erhobene, auf Gewährung einer Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß von mindestens 60 vH gerichtete Klagebegehren ab. Die Klägerin habe das Buch nicht überwiegend zur Förderung betrieblicher, sondern vorwiegend eigenwirtschaftlicher Interessen anschaffen wollen. Es wäre ihr auch ohne weiteres möglich gewesen, das Buch über die Welser Buchhandlung zu bestellen und innerhalb angemessener Frist zu erhalten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Die (erstmalige) Besorgung eines Lehrbuches für die Unterrichtsvorbereitung, also eines Arbeitsmittels ("Arbeitsgerätes" im Sinne des § 175 Abs 2 Z 5 ASVG) sei zwar grundsätzlich in den von der gesetzlichen Unfallversicherung geschützten Lebensbereich der Klägerin einbezogen. Bei Abwägung der privatwirtschaftlichen und der betrieblichen Momente und der Gesamtumstände des Geschehens würden jedoch diejenigen Gesichtspunkte überwiegen, die gegen einen Sachzusammenhang zwischen der Fahrt nach Linz zwecks Besorgung des Lehrbuchs und der Lehrtätigkeit sprechen. Die in der Freizeit vorgenommene Fahrt sei nicht von der Autorität der Repräsentanten des Dienstgebers getragen gewesen; diese hätten die Anschaffung des Buches weder angeordnet noch empfohlen, ihnen sei die zu diesem Zweck unternommene Fahrt auch gar nicht bekannt gewesen. Das Buch sei vielmehr in der Bibliothek der Akademie - wenn auch nicht uneingeschränkt - zur Verfügung gestanden. Es handle sich dabei um einen zwar dienlichen, aber nicht unentbehrlichen Behelf, sodass sich die Klägerin auch nicht gezwungen gesehen haben könnte, das Buch zu besorgen. Der Unfall sei daher nicht der gesetzlichen Unfallversicherung zuzurechnen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache erhobene Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Auf die Erwägungen des Berufungsgerichtes und die diese bekämpfenden Revisionsausführungen braucht nicht näher eingegangen zu werden, weil es sich bei dem Unfall schon aus folgenden Gründen nicht um einen Arbeitsunfall im Sinne des § 175 ASVG handelt.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Klägerin ihre Fahrt nach Linz ausschließlich zum Zweck der Anschaffung des Lehrbuches unternommen hat und selbst wenn man zu ihren Gunsten den Kauf dieses Buches rechtlich der Bestimmung des § 175 Abs 2 Z 5 ASVG unterstellt, wonach Arbeitsunfälle auch Unfälle sind, die sich bei einer mit der Beschäftigung zusammenhängenden Verwahrung, Beförderung, Instandhaltung und Erneuerung des Arbeitsgerätes ereignen, auch wenn dieses vom Versicherten beigestellt wird, ist die Tatsache von Bedeutung, dass sich der Unfall nicht unmittelbar bei der Anschaffung des Buches, also beim Kauf in der Buchhandlung, ereignet hat, sondern auf dem Weg dorthin. Obwohl die genannte Bestimmung - anders als etwa § 175 Abs 2 Z 1, 2, 7, 8, 9 und 10 ASVG - den Weg nicht ausdrücklich erwähnt und auch eine dem § 176 Abs 5 ASVG vergleichbare Bestimmung hier fehlt, ist wohl der Auffassung des Berufungsgerichtes beizutreten, dass auch ein Weg im Zusammenhang mit der Verwahrung, Beförderung, Instandhaltung und Erneuerung des Arbeitsgeräts unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht (so bereits SSV-NF 4/164; ebenso Teschner/Widlar, ASVG 61. ErgLfg 942 Anm 4a zu § 175).

Hat sich nun der Unfall auf einem Weg im Zusammenhang mit einer das Arbeitsgerät betreffenden Tätigkeit ereignet, dann müssen darauf die gesetzlichen Kriterien des Wegunfalls im Sinne des § 175 Abs 2 Z 1 ASVG entsprechend angewendet werden, wie dies § 176 Abs 5 ASVG für die durch § 176 Abs 1 ASVG den Arbeitsunfällen gleichgestellten Unfälle ausdrücklich vorsieht.

Nach § 175 Abs 2 Z 1 erster Halbsatz ASVG sind Arbeitsunfälle auch Unfälle, die sich auf einem mit der Beschäftigung zusammenhängenden Weg zur oder von der Arbeits- oder Ausbildungsstätte ereignen. Grund des Schutzes ist der Umstand, dass es der Versicherte nicht vermeiden kann, sich den Weggefahren auszusetzen, will er seiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Unter Unfallversicherungsschutz steht aber nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nur der kürzeste Weg zwischen Arbeitsstätte und Wohnung. Allein oder überwiegend im privatwirtschaftlichen Interesse gewählte örtliche Abweichungen vom kürzesten Weg (Umwege, Abwege) sind dabei in der Regel, also mangels

besonderer gegenteiliger Umstände, nicht versichert (SSV-NF 3/132 =

SZ 62/170; SSV-NF 4/67; SSV-NF 9/94 = SZ 68/214 uva). Diesem Gedanken

liegen Gesichtspunkte der Gefahrtragung für die örtlich verschobene Risikosphäre insofern zu Grunde, als durch einen Um- oder Abweg im Allgemeinen und durch eine erhebliche Verlängerung der Wegstrecke im Besonderen in den meisten Fällen eine vermeidbare Gefahrenerhöhung eintritt (vgl Tomandl, SV-System 8. ErgLfg 317 mwN).

Daraus folgt aber, dass auch Wege im Zusammenhang mit der Verwahrung, Beförderung, Instandhaltung und Erneuerung des Arbeitsgerätes nur dann geschützt sind, wenn sie streckenmäßig oder zeitlich die kürzeste Verbindung zwischen Wohnort bzw Arbeitsort und jenem Ort darstellen, wo die Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Arbeitsgerät zu verrichten ist. Bezogen auf den hier zu beurteilenden konkreten Fall des Buchkaufes wäre also nur der kürzeste Weg der Klägerin von ihrer Wohnung bzw ihrer Arbeitsstätte zur örtlichen nächstgelegenen oder zeitlich am raschesten erreichbaren Buchhandlung geschützt gewesen, dies immer unter der hier nicht näher geprüften und ausdrücklich offen gelassenen Voraussetzung, dass überhaupt ein Fall des § 175 Abs 2 Z 5 ASVG vorliegt.

Es ist offenkundig (vgl das Telefonbuch Oberösterreich - Gelbe Seiten) und wird auch von der Klägerin selbst zugestanden, dass es im Umkreis ihres Wohnortes (Raab) bzw Arbeitsortes (Wels) eine Mehrzahl von Buchhandlungen gibt, darunter etwa die von ihr selbst kontaktierte Buchhandlung "Amadeus" in Wels, wo sie das Buch, das sie nach der selbst als zutreffend bezeichneten Feststellung der Tatsacheninstanzen nicht etwa sofort und dringend benötigte, schon Tage vor dem Unfall, aber auch danach bestellen hätte können. Der von ihr angegebene Grund, in dieser Buchhandlung sei das gewünschte Buch im Gegensatz zu der gleichnamigen Buchhandlung in Linz nicht lagernd gewesen, rechtfertigt die Fahrt nach Linz nicht, weil bestellte Bücher, die im Inland verfügbar sind, erfahrungsgemäß nach wenigen Tagen am Bestimmungsort einlangen. Selbst bei einer Bestellung erst am 29. 11. 1997 hätte die Klägerin das Buch wenige Tage nach Beginn ihrer Lehrtätigkeit am 1. 12. 1997 in Händen haben können. Der wahre Grund für den Entschluss der Klägerin, das Buch in Linz zu kaufen, war demnach ein eigenwirtschaftlicher: Die Mitfahrgelegenheit im Fahrzeug ihres Freundes.

Aus diesen Erwägungen erweist sich die angefochtene Entscheidung im Ergebnis als zutreffend, sodass der Revision kein Erfolg beschieden sein kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründen für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit liegen nicht vor.

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