OGH 6Ob277/99z

OGH6Ob277/99z25.11.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Christiane M*****, in Obsorge der Mutter, Helene M*****, über den Revisionsrekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Linz gegen den Beschluss des Landesgerichtes Wels als Rekursgericht vom 9. September 1999, GZ 21 R 304/99a-30, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichtes Mondsee vom 26. Juli 1999, GZ 1 P 11/99t-27, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Minderjährigen vom 1. Juli 1999 bis 30. Juni 2002 ein monatlicher Unterhaltsvorschuss von 2.692 S, jedoch höchstens in der Höhe des jeweiligen Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen nach § 293 Abs 1c bb erster Fall, § 108 ASVG gewährt und das Mehrbegehren von monatlich 408 S abgewiesen wird.

Die nach dieser Entscheidung erforderlichen Verfügungen obliegen dem Erstgericht.

Text

Begründung

In einem am 18. 10. 1995 abgeschlossenen Unterhaltsvergleich verpflichtete sich der Vater der Minderjährigen zu einem monatlichen Unterhalt von 3.000 S ab 1. 7. 1995. Er war damals als Angestellter im Betrieb seiner Mutter beschäftigt und hatte ein monatliches Nettoeinkommen von rund 16.300 S ohne Sonderzahlungen.

Der Sachwalter beantragt die Gewährung monatlicher Unterhaltsvorschüsse von 3.000 S nach §§ 3, 4 Z 1 UVG. Die Führung einer Exekution erscheine aussichtslos, weil am 4. 1. 1999 über das Vermögen des Vaters der Konkurs eröffnet worden sei. Der Unterhaltsverpflichtete leiste keine Zahlungen, auch der Masseverwalter reagiere auf Schreiben des Unterhaltssachwalters nicht.

Das Erstgericht bewilligte die begehrten Unterhaltsvorschüsse für die Zeit vom 1. 7. 1999 bis 30. 6. 2002.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung 3 Ob 544/92 die vom Rekursgericht vertretene Auffassung, dass eine (teilweise) Versagung des Unterhaltsvorschusses nach § 7 Abs 2 Z 1 UVG nicht allein wegen der Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Unterhaltsschuldners gerechtfertigt sei, nicht geteilt habe. § 7 Abs 1 Z 1 UVG setze nicht eine bewiesene oder bestätigte materielle Unrichtigkeit der titelmäßigen Unterhaltsansprüche voraus, sondern knüpfe die Rechtsfolge der Versagung an das Bestehen begründeter Bedenken gegen den materiellen Bestand des zu bevorschussenden gesetzlichen Unterhaltsanspruches im titelmäßigen Ausmaß. Bloß objektiv gerechtfertigte Zweifel reichten dafür nicht aus, vielmehr müsse schon eine zur Zeit der Schaffung des Exekutionstitels bestandene oder durch Änderung der Unterhaltsbemessungsgrundlage inzwischen eingetretene Unangemessenheit der titelmäßigen Unterhaltsfestsetzung nach den bei der Entscheidung über den Vorschussantrag zu berücksichtigenden Tatumständen mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein. Die Konkurseröffnung über das Vermögen des Unterhaltspflichtigen allein rechtfertige aber nicht die Annahme, dass der im Exekutionstitel festgesetzte Unterhalt mit hoher Wahrscheinlichkeit der materiellen Rechtslage nicht mehr entspreche. Wenngleich der mit der Konkurseröffnung verbundene Verlust der Verfügungsfähigkeit über ertragabwerfendes Vermögen die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners entscheidend beeinträchtigen könne, müsse dies keineswegs - jedenfalls nicht auf Dauer - so sein. So sei es möglich, dass der Gemeinschuldner auch während des Konkursverfahrens eine unselbständige Beschäftigung aufnehme. Gegen das Bestehen der im Titel festgelegten Unterhaltspflicht bestünden daher keine Bedenken im Sinn des § 7 Abs 1 Z 1 UVG. Der Rechtsmittelwerber mache nicht geltend, dass die Erklärung des Sachwalters betreffend die Aussichtslosigkeit der Exekutionsführung gegen den Unterhaltspflichtigen unrichtig wäre.

Rechtliche Beurteilung

Der auf gänzliche Abweisung des Vorschussgewährungsantrages gerichtete Revisionsrekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Linz ist zulässig und teilweise berechtigt.

Nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG hat das Gericht Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit in Fällen der §§ 3, 4 Z 1 und 4 UVG begründete Bedenken bestehen, dass die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) besteht oder der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend zu hoch festgesetzt ist. Der auf Grund eines Exekutionstitels gewährte Vorschuss soll damit der jeweiligen materiellen gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechen und darf außerdem den in § 6 Abs 1 UVG angeführten Betrag nicht überschreiten (SZ 65/114; ÖA 1999, 48 mwN; Neumayr in Schwimann, ABGB2 § 7 UVG Rz 1).

Zur Auslegung des § 7 Abs 1 Z 1 UVG hat der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen, die gänzliche oder teilweise Versagung der Vorschüsse sei an das Bestehen begründeter Bedenken gegen den aufrechten materiellen Bestand des zu bevorschussenden Unterhaltsanspruches im titelmäßigen Ausmaß geknüpft, wobei objektiv gerechtfertigte Zweifel noch nicht ausreichten, es müsse vielmehr nach der Sachlage bei der Entscheidung über den Vorschussantrag mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (nicht mehr) besteht oder, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend, zu hoch festgesetzt ist (EFSlg 69.447).

Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung 3 Ob 544/92 (EFSlg 69.447) unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien (AB 199 BlgNR 14. GP 6) überzeugend ausgeführt, § 7 Abs 1 UVG solle vor allem einer missbräuchlichen Inanspruchnahme von Unterhaltsvorschüssen vorbeugen und es dem Gericht im Falle einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse ermöglichen, die Vorschüsse in der der gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechenden Höhe zu bemessen. Es komme daher nicht auf die Offensichtlichkeit der Abweichung des Unterhaltstitels von der (geänderten) materiellen Rechtslage an.

Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage, ob die Konkurseröffnung über das Vermögen des Unterhaltspflichtigen begründete Bedenken im Sinne des § 7 Abs 1 Z 1 UVG hervorruft, ist nicht ganz einheitlich. So verlangt die Entscheidung RZ 1991/44 unter Bezug auf die Regierungsvorlage zu § 7 Abs 1 Z 1 UVG eine "offensichtliche" Abweichung des Exekutionstitels von der materiellen Rechtslage und vertritt die Auffassung, die Konkurseröffnung besage nur, dass der Gemeinschuldner zahlungsunfähig sei, das heißt, dass nicht bloß ein vorübergehender, sondern ein dauernder Mangel an Zahlungmitteln bestehe, der den Schuldner hindere, seine fälligen Schulden zu zahlen. Die Konkurseröffnung allein rechtfertige in diesem Sinn nicht die Annahme, dass der im Exekutionstitel davor festgelegte Unterhaltsbetrag nicht der materiellen Rechtslage entspreche, erfahre doch die Unterhaltsbemessungsgrundlage durch eine Konkurseröffnung keine Änderung.

Demgegenüber verweist die Entscheidung 3 Ob 544/92 (EFSlg 69.447) unter ausdrücklicher Ablehnung der Ansicht in RZ 1991/44 auf den aus dem Ausschussbericht ersichtlichen Zweck des § 7 Abs 1 UVG (missbräuchlichen Inanspruchnahmen von Unterhaltsvorschüssen vorzubeugen). Dieser Gesetzeszweck lasse begründete Bedenken für die Abweichung des Titels von der materiellen Rechtslage genügen und fordere nicht eine Offensichtlichkeit der Abweichung des Titels. Begründete Bedenken bestünden aber im Allgemeinen schon mit der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Unterhaltspflichtigen, der für sich und seine Unterhaltsberechtigten nach Konkurseröffnung nur mehr Anspruch auf Überlassung der für eine bescheidene Lebensführung erforderlichen Mittel habe, wobei als Richtlinie für die Unterhaltsbedürfnisse einfacher Lebensführung der Richtsatz für pensionsberechtigte Halbwaisen zur Verfügung stehe. Diese Auffassung, wonach die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unterhaltspflichtigen begründete Bedenken im Sinn des § 7 Abs 1 UVG hervorrufe, wird auch von der Lehre geteilt (Neumayr in Schwimann, ABGB2 § 7 UVG Rz 20).

Der erkennende Senat hat erwogen:

Nach § 5 Abs 1 und 2 KO hat der Gemeinschuldner Anspruch auf Überlassung jener Mittel, die eine bescheidene Lebensführung ermöglichen. Der insolvente Unterhaltsschuldner und seine Unterhaltsberechtigten können daher ihre Bedürfnisse nicht mehr zur Gänze, sondern nur soweit befriedigen, als sie einer bescheidenen Lebensführung entsprechen. Übersteigt daher der (bisherige) Unterhaltstitel die - objektiv gesehen - für eine bescheidene Lebensführung erforderlichen Mittel, liegt es im Allgemeinen nahe und bestehen im Normalfall begründete Bedenken im Sinn des § 7 Abs 1 Z 1 UVG, dass die Unterhaltspflicht nach Konkurseröffnung nicht mehr in voller Höhe des vor der Insolvenz geschaffenen Exekutionstitels besteht. Konnten aber aus dem bisherigen Unterhaltstitel ohnehin nur die Kosten bescheidener Lebensführung gedeckt werden, bestehen aus der Tatsache der Konkurseröffnung allein noch keine begründeten Bedenken gegen den Bestand der titelmäßig festgesetzten Unterhaltspflicht, zumal der Unterhaltspflichtige dem Grundsatz der Anspannung entsprechend für die Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten im zumutbaren Rahmen zu sorgen hat. Zumutbar ist aber jedenfalls jenes Einkommen, das der Unterhaltsverpflichtete vor Konkurseröffnung ins Verdienen brachte.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen (EFSlg 69.447), dass der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Unterhaltsberechtigten es erfordert, an die bescheidene Lebensführung einen objektiven Maßstab anzulegen, nach welchem jedem der von diesen Einschränkungen Betroffenen ein annähernd gleiches bescheidenes Auslangen erhalten bleibt. Als brauchbare Größe für die Ermittlung einfacher Lebensverhältnisse hat der Oberste Gerichtshof schon bisher den Richtsatz für den pensionsberechtigte Halbwaisen als objektiv nachvollziehbares Maß für eine unter dem Durchschnitt liegende und daher als bescheiden anzusehende Lebensführung herangezogen. Der Gesetzgeber hat diese - nach Altersstufen der unterhaltsberechtigten Kinder abgestuften - festen Beträge (die jeweils deutlich unter den für die durchschnittliche Verhältnisse errechneten Regelbedarfsätzen liegen) als ausreichend angesehen, um die notleidend gewordenen Unterhaltsverpflichtung zu ersetzen (AB 199 BlgNR 14. GP 6). Diese Richtsätze können daher - wie der Oberste Gerichtshof dort bereits ausgesprochen hat - als Maßstab für eine unter den Durchschnittswerten des Regelbedarfs liegende bescheidene Lebensführung herangezogen werden.

Im vorliegenden Fall entsprach der Unterhaltsvergleich dem im Zeitpunkt seines Abschlusses errechneten durchschnittlichen Regelbedarf. Der um 400 S niedrigere, hier zugesprochene Richtsatz iS des § 6 Abs 2 UVG berücksichtigt den für die einfache Lebensführung erforderlichen niedrigeren Unterhaltsbedarf.

Der Unterhaltssachwalter hat - vom Revisionsrekurswerber zunächst unbekämpft - auf die Erfolglosigkeit der Exekutionsführung hingewiesen (§ 11 Abs 2 UVG). Dass seine Erklärungen unrichtig gewesen wären, hat der Revisionsrekurswerber erstmals im Revisionsrekurs geltend gemacht. Die Voraussetzungen für die Gewährung eines Unterhaltsvorschusses nach den §§ 3 und 4 Z 1 UVG liegen - allerdings im Umfang einfacher Lebensverhältnisse - somit vor.

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben und der Unterhaltsvorschuss in Höhe des für eine bescheidene Lebensführung erforderlichen Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen bemessen.

Stichworte