OGH 13Os149/99

OGH13Os149/9924.11.1999

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. November 1999 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Dr. Schmucker, Dr. Habl und Dr. Ratz als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Harm als Schriftführer, in der Strafsache gegen Friedrich K***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Schöffengericht vom 27. Mai 1999, GZ 14 Vr 406/98-39, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Wasserbauer, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Mack zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch einen rechtskräftigen Freispruch enthaltenden Urteil wurde Friedrich K***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB idF des StRÄG 1998, BGBl I 1998/153 (A), der teils vollendeten, teils versuchten Unzucht mit Unmündigen nach §§ 207 Abs 1 (aF) und 15 StGB (B) sowie der Vergehen der Blutschande nach § 211 Abs 1 StGB (C) und des teils vollendeten, teils versuchten Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach §§ 212 Abs 1 und 15 StGB (D) schuldig erkannt.

Danach hat er in Stockerau zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten

A) von 1990 bis 1993 mit seiner unmündigen, am 12. April 1983

geborenen (ehelichen Tochter) Susanne K***** in zwei Fällen durch Einführen seines Gliedes in ihre Scheide den Beischlaf unternommen;

B) die damals unmündige Susanne K***** auf andere Weise als durch

Beischlaf zur Unzucht missbraucht bzw zu missbrauchen versucht (B 2), indem er

1) einmal im Jahre 1993 oder 1994 seine Finger in deren Scheide einführte;

2) einmal, etwa 1994 seinen Penis in den After der Susanne K***** einzuführen versuchte, wobei er jedoch Abstand nahm, weil eine dritte Person hinzutrat;

3) einmal im Jahr 1996 einen Vibrator in die Scheide der Susanne K***** einführte;

4) um 1995 wiederholt den Geschlechtsteil und die Brüste der Susanne K***** angriff;

C) mit seiner Tochter Susanne K*****, sohin einer Person die mit ihm

in gerader Linie verwandt ist, durch die zu A) geschilderten Handlungen den Beischlaf vollzogen;

D) durch die zu A) und B) dargestellten Tathandlungen sein

minderjähriges Kind zur Unzucht missbraucht (bzw zu missbrauchen versucht).

Der Angeklagte bekämpft die Schuldsprüche mit einer auf die Z 5, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Unbegründet ist der Beschwerdevorwurf (Z 5) einer Verwertung von Beweismitteln, nämlich im Akt erliegenden Urkunden (wie zB des belastenden Schreibens der Susanne K***** vom 13. März 1998, S 63 ff), auf deren Verlesung in der Hauptverhandlung verzichtet wurde (S 284).

Der Beschwerdeführer übersieht nämlich, dass ein solcher Verlesungsverzicht ungeachtet des Wortlautes des § 258 Abs 1 zweiter Satz StPO grundsätzlich einer Berücksichtigung der betreffenden Aktenstücke im Urteil nicht entgegensteht (EvBl 1995/32; LSK 1997/73; 14 Os 129/98).

Alle zur gerügten Unvollständigkeit der Entscheidungsgründe vorgebrachten Einwände richten sich gegen die Annahme der Verlässlichkeit der Belastungszeugin Susanne K*****, übergehen jedoch die für die Ablehnung der leugnenden Verantwortung des Angeklagten angeführten Erwägungen. Dem Beschwerdevorbringen zuwider hat das Erstgericht den Widerruf der Anschuldigungen durch Susanne K***** keineswegs unerörtert gelassen, sondern diese auf familiäre Umstände zurückgeführt und ihre den Angeklagten eindeutig belastenden Angaben anlässlich der kontradiktorischen Einvernahme mit durchaus mängelfreier Begründung als tragfähige Grundlage des Schuldspruches erachtet (US 8 f). Im Ergebnis richten sich die Ausführungen prozessordnungswidrig gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung.

Die Subsumtionsrüge (Z 10) macht geltend, dass das zu A) angelastete Verhalten dem Verbrechenstatbestand des Beischlafes mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB in der vor Inkrafttreten des StRÄG 1998 (BGBl I 1998/153) geltenden Fassung zu subsumieren gewesen wäre. Dies, weil es bei der im Hinblick auf die Tatbegehung vor der eingetretenen Gesetzesänderung gebotenen Prüfung der Frage, ob das zur Tatzeit oder zur Zeit der Urteilsfällung geltende Recht günstiger ist, auf die Gesamtauswirkungen ankomme, die den Täter nach dem alten und dem neuen Recht treffen (§ 61 StGB), und der (vom Erstgericht angewendete) durch das StRÄG 1998 neu geschaffene Tatbestand des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB pönalisiert - anders als § 206 Abs 1 StGB aF - nicht nur den Beischlaf mit einer unmündigen Person, sondern auch dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen, wie sie dem Angeklagten unter Punkt B)1) bis 3) des Schuldspruches als Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 StGB aF angelastet werden. Die zur Tatzeit geltende Bestimmung des § 206 Abs 1 StGB aF sei demnach - ungeachtet der gleichgebliebenen Strafdrohung - die für den Angeklagten in ihrer Gesamtwirkung günstigere und daher auch zur Subsumtion heranzuziehende Strafnorm.

Hiezu ist zu erwägen:

Bei der nach § 61 iVm § 1 StGB durchzuführenden Prüfung, welches Recht für den Täter günstiger ist, bedeutet "Gesamtauswirkung", dass neben den in beiden Gesetzen angedrohten Strafen alle anderen Unrechtsfolgen, aber auch die maßgeblichen Bestimmungen über den Entfall, die Einschränkung oder die Erweiterung der Strafbarkeit in Fällen wie den vorliegenden zu berücksichtigen sind. Das Ergebnis der Prüfung ist entweder die Feststellung, dass das alte Recht günstiger oder das neue Recht zumindest gleichgünstig für den Täter ist. Demgemäß ist entweder das alte oder das neue Recht anzuwenden. Die Günstigkeitsprüfung ist dabei für jede urteilsgegenständliche Tat, das heißt für jeden zu beurteilenden Sachverhalt ("Faktum") gesondert vorzunehmen (Leukauf/Steininger Komm3 § 61 RN 12, 15; Liebscher in WK § 61 Rz 10, 11; JABl Nr 12/1975), was die Beschwerde übersieht.

Vorliegend zeigt sich, dass die dem Angeklagten zu A) genannten Beischlafshandlungen nicht nur zur Zeit ihrer Begehung nach § 206 Abs 1 StGB aF mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren bedroht waren, sondern auch nach § 206 Abs 1 StGB idF des StRÄG 1998. Letztere Bestimmung ist daher nicht ungünstiger und somit die hier anzuwendende Strafnorm. Dass die neue Bestimmung neben dem Beischlaf nunmehr zusätzlich auch dem Beischlaf gleichzusetzende Handlungen pönalisiert, ist vorliegend ohne Belang, weil § 206 Abs 1 StGB nF durch die Erweiterung der Tatbestände zwar in abstracto, jedoch nicht in concreto die strengere Bestimmung ist.

Soweit die Subsumtionsrüge betreffend die zu B) genannten Taten deren Unterstellung unter § 207 Abs 1 StGB aF verlangt, geht sie ins Leere, weil das Erstgericht ohnehin eine solche vorgenommen hat. Die [zu B)1) bis 3)] beschriebenen Taten wären nach dem StRÄG 1998 dem § 206 Abs 1 zweiter Fall StGB nF zu subsumieren (= als dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen), welche Bestimmung gegenüber § 207 Abs 1 StGB aF die weitaus strengere ist.

Es versagt schließlich auch die gegen den Schuldspruch wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB aF gerichtete Rechtsrüge nach Z 9 lit a, in der der Angeklagte eine Feststellung darüber vermisst, ob er durch die Unzuchtshandlungen sich oder einen Dritten geschlechtlich erregen oder befriedigen wollte. Die Beschwerde verkennt, dass eine derartige Ausprägung des Vorsatzes nur bei dem dritten Deliktsfall der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB aF (= Verleitung des Opfers zu einer unzüchtigen Handlung an sich selbst) erforderlich ist (Leukauf/Steininger StGB3 § 207 RN 12; JBl 1988, 255), der aber dem Angeklagten gar nicht angelastet wird.

Der Nichtigkeitsbeschwerde war sohin der Erfolg zu versagen.

Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten nach § 206 Abs 1 StGB nF unter Bedachtnahme auf § 28 Abs 1 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von eineinhalb Jahren, deren (teil-)bedingte Nachsicht es ausdrücklich ablehnte.

Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte eine zumindest teilweise bedingte Strafnachsicht an, ist damit jedoch nicht im Recht. Wie das Schöffengericht bereits zutreffend ausgeführt hat, bedarf es bei der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten sowie bei der Beharrung in deliktische Angriffe schon aus Gründen der Spezialprävention der Verhängung einer zur Gänze unmittelbar zu vollziehenden Freiheitsstrafe. Dem Berufungsbegehren war sohin nicht näherzutreten.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte