OGH 8ObS276/99t

OGH8ObS276/99t11.11.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Dietmar Strimitzer und Ing. Hugo Jandl als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Eva D*****, Verkaufsassistentin, *****, vertreten durch Dr. Markus Orgler und Dr. Josef Pfurtscheller, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen Tirol, 6010 Innsbruck, Herzog-Friedrich-Straße 3, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17-19, wegen S 202.907,42 (Revisionsinteresse S 86.558,23), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 31. August 1999, GZ 25 Rs 92/99m-17, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 20. Mai 1999, GZ 47 Cgs 229/98z-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefaßt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Berufungsgericht zur neuerlichen Urteilsfällung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin war vom 12. 6. 1995 bis zum 20. 10. 1995 als Außendienstmitarbeiterin bei Erwin V***** beschäftigt. Dieser hatte mit ihr einen Monatsnettolohn von S 10.000,- zuzüglich 20 % Provision vereinbart. Dass mit der Klägerin ein Monatsnettolohn von S 18.336,84 vereinbart worden sei, war nicht feststellbar. Das Dienstverhältnis endete durch vorzeitigen Austritt der Klägerin, der das vereinbarte Entgelt nicht ausgezahlt wurde und die ihre Ansprüche bei ihrem Arbeitgeber mehrmals urgiert hatte.

Mit Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 11. 7. 1996, 49 Se 491/96s, wurde ein Antrag der Klägerin auf Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Erwin V***** mangels des Nachweises verwertbaren Vermögens abgewiesen.

Gestützt auf diesen Beschluss begehrte die Klägerin von der Beklagten Insolvenz-Ausfallgeld, wobei sie ua auf die Dauer ihres Dienstverhältnisses von 12. 6. 1995 bis 20. 10. 1995 verwies und ihre (Netto-)Ansprüche wie folgt aufschlüsselte:

Entgelt Juni 1995 S 13.400,-

Entgelt Juli 1995 S 18.336,84

Entgelt August 1995 S 18.336,84

Entgelt September 1995 S 18.336,84

Entgelt Oktober 1995 S 18.336,84

Entgelt November 1995 S 18.336,84

Entgelt Dezember 1995 S 18.336,84

Sonderzahlung S 11.042,31

Urlaubsentschädigung S 23.080,97

12 % Zinsen aus S 13.400 vom

1. bis 31. 7. 1995 S 134,-

12 % Zinsen aus S 23.400 vom

1. 8. 1995 bis 4. 7. 1996 S 2.675,40

12 % Zinsen aus S 134.000,32 vom

21. 10. 1995 bis 14. 7. 1996 S 11.759,98

4 % Zinsen aus S 157.544,32 vom

15. 7. 1996 bis 15. 1. 1997 S 3.150.88

Prozesskosten 42 Cga 183/95y S 4.340,16

Prozesskosten 42 Cga 229/95p S 14.502,20

Exekutionskosten 22 E 4295/95b S 2.211,68

Exekutionskosten 22 E 828/96h S 5.054,40

Kosten Konkursantrag S 1.534,40

insgesamt S 202.907,42

Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10. 11. 1998 mangels Bestandes eines Arbeitsverhältnisses ab.

Diesen Bescheid bekämpft die Klägerin mit der vorliegenden, auf Zuspruch von S 202.907,42 gerichteten Klage. Die in der Klage enthaltene Aufschlüsselung ihres Begehrens entspricht ihrer Aufstellung im Antrag an die Beklagte.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Sie bestritt den Bestand eines Arbeitsverhältnisses zu Erwin V***** und wendete überdies - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - ein, dass das Begehren der Klägerin hinsichtlich der von ihr geltend gemachten Ansprüche aus dem Titel "Entgelt" für Juni bis Dezember 1995 nicht den in § 6 Abs 2 zweiter Satz IESG normierten Inhaltserfordernissen entspreche. Nach den Behauptungen der Klägerin im gegen Erwin V***** geführten Arbeitsgerichtsprozess handle es sich beim Entgelt für die Zeit ab 21. 10. 1996 offenbar um einen Anspruch aus dem Titel Kündigungsentschädigung. Zum behaupteten vorzeitigen Austritt fehlten nähere überprüfbare Anhaltspunkte.

Dem zuletzt genannten Einwand hielt die Klägerin entgegen, dass nach ihrem Vorbringen kein Zweifel daran bestehe, dass ihr das für die Zeit ab Zugang des Austritts begehrte Entgelt "allenfalls" als Kündigungsentschädigung zustehe. In § 1162b ABGB und § 29 AngG sei von einer Entgeltfortzahlungspflicht die Rede. Auch § 1 Abs 2 Z 1 IESG spreche von Entgeltansprüchen und führe demonstrativ zur Illustration verschiedener Möglichkeiten der Entstehung neben dem laufenden Entgelt aufgrund eines bestehenden Dienstverhältnisses Entgelte aus der Beendigung des Dienstverhältnisses an. Die Verwendung bestimmter Worte sei nicht erforderlich.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von S 116.349,19 statt und wies das Mehrbegehren von S 86.558,23 ab. Es stellte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest und führte überdies im Rahmen seiner Ausführungen zur Beweiswürdigung aus, dass die Klägerin nur einen Abschluss getätigt habe, sodass nur von einem Monatsentgelt von S 13.400,- ausgegangen werden könne.

In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, dass Erwin V***** arbeitsvertragsrechtlicher Arbeitgeber der Klägerin gewesen sei. Es stünden ihr daher die geltend gemachten Entgeltansprüche für Juni bis einschließlich 20. 10. 1995 (allerdings nur in der Höhe von S 13.400,- monatlich), Sonderzahlungen für die Dauer des Dienstverhältnisses, Urlaubsentschädigung für 30 Werktage sowie (allerdings auf der Grundlage reduzierter Zinssätze und geringerer Bemessungsgrundlagen) Zinsen und Kosten zu (siehe dazu die Aufschlüsselung S 16f des Ersturteils). Hinsichtlich des Entgeltes für die Zeit ab 21. 10. 1995 hätte die Klägerin aber in ihrem Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld ihre Ansprüche als Kündigungsentschädigung bezeichnen müssen. Insofern entspreche ihr Begehren daher nicht den Inhaltserfordernissen des § 6 Abs 2 IESG und sei daher abzuweisen.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses nur in seinem die Klage abweisenden Teil angefochtene Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es erachtete erstmals in der Berufung erhobene Ausführungen zu einem Entgeltausfall gemäß § 1155 ABGB als unbeachtlich und billigte sowohl die Feststellungen des Erstgerichtes über das Entgelt der Klägerin, als auch die darauf gestützten Berechnungen. Im übrigen vertrat es die Rechtsauffassung, dass zwischen Entgeltansprüchen des § 1 Abs 2 Z 1 IESG iS von laufendem Entgelt und Schadenersatzansprüchen iS des § 1 Abs 2 Z 2 IESG zu unterscheiden sei. Der Begriff der Entgeltansprüche des § 1 Abs 2 Z 1 IESG sei ident mit jenem des Arbeitsrechtes und umfasse jede Art von Leistungen aus dem aufrechten Arbeitsverhältnis. Davon zu unterscheiden sei die Kündigungsentschädigung als Schadenersatzanspruch im Falle einer ungerechtfertigten Entlassung oder eines gerechtfertigten Austritts bzw. einer zeitwidrigen Kündigung. Dass die Klägerin in ihrem Antrag nicht zwischen laufendem Entgelt und Kündigungsentschädigung unterschieden habe, entspreche daher nicht dem Gebot, die geltend gemachten Ansprüche auch dem Grunde nach entsprechend zu qualifizieren. Im Verfahren hervorgekommene Anhaltspunkte für eine allenfalls unschädliche Falschbezeichnung änderten daran nichts, weil es die Klägerin unterlassen habe, diesem Umstand in Form einer unter Umständen zulässigen Klageänderung Rechnung zu tragen. Zu einer entsprechenden Anleitung sei das Erstgericht im Hinblick auf die ohnedies von der Beklagten erhobenen Einwendungen nicht verpflichtet gewesen. Die Abweisung der für die Zeit ab Austritt geltend gemachten Entgeltansprüche sei daher mangels ordnungsgemäßer Geltendmachung ebenfalls zu bestätigen.

Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil sich das Berufungsgericht an gesicherter höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientiert habe.

Gegen diese Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der gänzlichen Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern.

Die beklagte Partei beantragt, die Revision nicht zuzulassen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Ausführungen des Berufungsgerichtes zum Entgeltbegriff des § 1 Abs 2 Z 1 IESG nicht mit der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes im Einklang stehen; sie ist auch berechtigt.

In seiner Entscheidung DRdA 1997/36 ging der Oberste Gerichtshof

unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung davon aus, dass die

Kündigungsentschädigung nach dem auch für das IESG maßgeblichen

sozialversicherungsrechtlichen Entgeltbegriff ein Entgeltanspruch

sei, der im Sinne des § 1 Abs 2 Z 1 IESG gesichert sei und der

Betragsbeschränkung des § 1 Abs 4 IESG unterliege. Dieser Auffassung

ist der Oberste Gerichtshof auch in den folgenden Entscheidungen ZIK

1998,32 und SSV-NF 12/66 gefolgt. Nach dieser ungeachtet der

gegenteiligen Auffassung Liebegs

(Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz**2, Rz 190ff zu § 1) vom

erkennenden Senat aufrechterhaltenen Rechtsprechung ist aber die

Begründung der Vorinstanzen für die gänzliche Abweisung der für die

Zeit ab Austritt begehrten Ansprüche unzutreffend, zumal die

Qualifizierung der Kündigungsentschädigung als Entgelt iS § 1 Abs 2 Z

1 IESG dem Gesetz entspricht und aus dem Antrag mit hinreichender

Deutlichkeit erkennbar war, dass die ab Austritt geltend gemachten

Ansprüche als Kündigungsentschädigung begehrt werden (Dass die

Beklagte den Antrag der Klägerin auch in diesem Sinn verstanden hat, zeigt ihr Schreiben vom 19. 8. 1997).

Da im übrigen die Berechtigung des Austritts der Klägerin nach dem

wiedergegebenen Sachverhalt nicht zweifelhaft ist, besteht ein

gesicherter und auch hinreichend geltend gemachter Anspruch auf

Kündigungsentschädigung, dessen Bejahung überdies auch Auswirkungen

auf die Höhe der der Klägerin zustehenden Zinsen und Kosten hat.

Die übrigen Ausführungen des Berufungsgerichtes, mit denen es die

Berechnung des für die Ansprüche der Klägerin maßgebenden Einkommens

billigte und die nicht mit der unzureichenden Geltendmachung der

Kündigungsentschädigung begründete Abweisung des Klagebegehrens

bestätigte, werden in der Revision nicht mehr in Frage gestellt und

sind daher vom Obersten Gerichtshof nicht mehr zu überprüfen.

Zur abschließenden Entscheidung über die geltend gemachte

Kündigungsentschädigung und über die Auswirkungen des daraus

resultierenden Zuspruchs auf die der Klägerin zustehenden Zinsen und

Kosten bedarf es eingehender Berechnungen, sodass iS § 510 Abs 1

letzter Satz ZPO das Urteil des Berufungsgerichtes aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung an dieses zurückzuverweisen war.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 77 ASGG iVm § 52 Abs 1 ZPO.

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