OGH 6Ob210/99x

OGH6Ob210/99x11.11.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin I***** S.p.A., ***** vertreten durch Dr. Gunter Griss, Rechtsanwalt in Graz, gegen die Antragsgegner 1. C***** Gesellschaft mbH, ***** und 2. Ludwig W*****, beide vertreten durch Dr. Rainer Kurbos, Rechtsanwalt in Graz, wegen Vorlage von Jahresabschlüssen, über den ordentlichen Revisionsrekurs der Erstantragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 30. Juni 1999, GZ 28 R 51/99x-18, womit der Beschluss des Landesgerichtes Eisenstadt vom 15. Februar 1999, GZ 19 Fr 1917/98h-15, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der Zweitantragsgegner ist der Geschäftsführer der im Firmenbuch des Landesgerichtes Eisenstadt zu FN 109252s eingetragenen Erstantragsgegnerin mit dem Sitz in Jennersdorf. Deren Stammkapital beträgt 500.000 S. Die Antragstellerin ist Minderheitsgesellschafterin mit einer Stammeinlage von 100.000 S, der Zweitantragsgegner ist Mehrheitsgesellschafter mit einer Stammeinlage von 400.000 S. Die Antragstellerin produziert und vertreibt Industrieventilatoren. Die Erstantragsgegnerin vertreibt Industrieventilatoren in Österreich und anderen Ländern.

Die Antragstellerin begehrt von der Erstantragsgegnerin und ihrem Geschäftsführer die Vorlage der Jahresabschlüsse der Jahre 1992 bis 1997 in der sogenannten Langfassung. Der Zweitantragsgegner habe nur Jahresabschlüsse in Kurzfassung übermittelt.

Die Antragsgegner beantragten, dem Antrag nicht stattzugeben. Die Antragstellerin konkurrenziere trotz des in der Satzung vereinbarten Exklusivvertriebsrechtes der Erstantragsgegnerin diese im Kernbereich ihrer Geschäftstätigkeit. Die Antragstellerin könne nur verlangen, dass die Jahresabschlüsse einem zur Verschwiegenheit verpflichteten Sachverständigen übermittelt werden. Es bestehe die Gefahr, dass die Antragstellerin wettbewerbsrelevante Informationen einem Unternehmen weitergebe, das das der Erstantragsgegnerin eingeräumte Exklusivvertriebsrecht verletze. Der Antrag auf Vorlage von Jahresabschlüssen sei rechtsmißbräuchlich gestellt. Überdies seien dem Geschäftsführer der Antragstellerin am 2. 9. 1998 die Kopien der Jahresabschlüsse der Jahre 1992 bis 1996 übergeben worden. Danach sei dem Zweitantragsgegner die Entlastung erteilt worden.

Das Erstgericht verpflichtete die Antragsgegner zur Vorlage der Jahresabschlüsse 1992 bis 1997. Die Antragstellerin habe gemäß § 22 Abs 2 GmbHG das Recht auf Zusendung von Abschriften der Jahresabschlüsse. Für eine Verweigerung fehle jede gesetzliche oder vertragliche Grundlage. Die dem Geschäftsführer der Antragstellerin übermittelten Kopien der Jahresabschlüsse seien nicht vollständig gewesen. Der Anhang habe zur Gänze gefehlt.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Erstantragsgegnerin nicht Folge und änderte auf Rekurs des Zweitantragsgegners die erstinstanzliche Entscheidung dahin ab, dass der gegen ihn gerichtete Antrag abgewiesen wurde.

Zur Vorlagepflicht der Gesellschaft führte das Rekursgericht im Wesentlichen Folgendes aus:

Dass die Jahresabschlüsse 1992 bis 1996 und auch schon derjenige des Jahres 1997 bereits aufgestellt worden seien, sei unstrittig und ergebe sich aus dem Akteninhalt. Die Feststellung, dass dem Geschäftsführer der Antragstellerin nur Kurzfassungen der Jahresabschlüsse übermittelt worden seien, sei unbedenklich. Die Gesellschafterin habe aber Anspruch auf Zusendung der aufgestellten Jahresabschlüsse in ungekürzter Fassung. Gemäß § 22 Abs 2 Satz 1 GmbHG habe ein Gesellschafter den Informationsanspruch, damit er den Jahresabschluss prüfen und danach über die Verteilung des Gewinns beschließen könne. Die Vorschrift sei zwingendes Recht. Dem Informationsanspruch könne nicht entgegengehalten werden, dass der Gesellschafter die Gesellschaft konkurriere. Die Prüfung und Genehmigung des von den Geschäftsführern der Gesellschaft aufgestellten Jahresabschlusses in der Generalversammlung setze die Kenntnis des Gesellschafters voraus. Die Zusendung bezwecke eine Vorbereitung der Generalversammlung. Die oberstgerichtliche Rechtsprechung, nach welcher eine Gesellschaft mbH Informationsansprüchen eines Gesellschafters den Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegensetzen könne, erscheine im Fall des § 22 Abs 2 Satz 1 GmbHG nicht anwendbar. Auf einen Verstoss der Antragstellerin gegen das vereinbarte Exklusivvertriebsrecht der Gesellschaft komme es nicht an. Es liege kein Fall des Informationsanspruchs eines Gesellschafters durch Bucheinsicht vor. Dass der Zweitantragsgegner für den Zeitraum von 1992 bis 1996 bereits entlastet worden sei, hindere nicht den Anspruch auf Übergabe von Kopien der Jahresabschlüsse.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. In AC 2998 sei ausgesprochen worden, dass die Gesellschaft aus wichtigen Gründen die Zusendung einer Bilanzabschrift verweigern könne. Eine neuere oberstgerichtliche Judikatur liege nicht vor.

Mit ihrem ordentlichen Revisionsrekurs beantragt die Erstantragsgegnerin die Abänderung dahin, dass auch der gegen sie gerichtete Antrag auf Vorlage der Jahresabschlüsse für die Jahre 1992 bis 1997 abgewiesen werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Seit der Entscheidung 6 Ob 17/90 = SZ 63/150 ist in der oberstgerichtlichen Rechtsprechung ein allgemeiner Informationsanspruch des Gesellschafters einer Gesellschaft mbH anerkannt, der über den im § 22 GmbHG geregelten Anspruch auf Zusendung eines Jahresabschlusses und auf Bucheinsicht zur Vorbereitung des Gesellschafters auf die Generalversammlung, in der der Jahresabschluss geprüft wird, hinausgeht (SZ 65/11; SZ 70/157; 6 Ob 323/98p ua). Der grundsätzlich unbeschränkte, alle Angelegenheiten der Gesellschaft umfassende, auch außerhalb der Hauptversammlung zustehende Informationsanspruch des Gesellschafters ist Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung der ihm zustehenden Prüfungs- und Leitungsaufgaben und dient der Wahrung der aus der Gesellschafterstellung erfließenden Rechte. Mit dieser Rechtsprechung wird ein Gleichklang mit der deutschen Praxis hergestellt, die allerdings auf eine gesetzliche Regelung zurückgreifen kann (§ 51a dGmbHG). Der vom Obersten Gerichtshof bejahte allgemeine Informationsanspruch ist in der österreichischen Lehre teilweise auf Kritik gestoßen (Koppensteiner, GmbHG2 Rz 36 bis 38 zu § 22; Nowotny in RdW 1997, 54 mwN). Eine nähere Befassung mit dieser Kritik kann hier aus dem Grund unterbleiben, weil es um den Anspruch auf Zusendung von Jahresabschlüssen vergangener Jahre geht, für den eine Grundlage in der Satzung besteht und überdies § 22 GmbHG eine ausreichende gesetzliche Grundlage darstellt. Es ist dem Rekursgericht zuzustimmen, dass hier nicht die Frage nach einer weitergehenden Bucheinsicht zu klären ist.

Auch die deutsche Lehre hat Bedenken gegen einen umfassenden allgemeinen Informationsanspruch des Gesellschafters einer Gesellschaft mbH und erachtet die gesetzliche Regelung als zu weitgehend. § 51a Abs 2 dGmbHG normiert als Verweigerungsgrund gegen das Begehren auf Auskunft und Bucheinsicht nur die Besorgnis, dass der Gesellschafter sie zu gesellschaftsfremden Zwecken verwenden und dadurch der Gesellschaft einen nicht unerheblichen Nachteil zufügen werde. Lehre und Rechtsprechung in Deutschland haben für typische Fallkonstellationen Grundsätze entwickelt, die die Gesellschaft vor unberechtigten Informationsansprüchen schützen sollen. Davon sind hier nur der Grundsatz der Gleichbehandlung, der Verhältnismäßigkeit (dazu Karsten Schmidt in Scholz, GmbHG8 Rz 36 zu § 51a) und der Missbrauchsgedanke (dazu Karsten Schmidt aaO Rz 37) hervorzuheben. Ein Informationsbegehren wird beispielsweise als missbräuchlich erhoben angesehen, wenn damit nur ein unverhältnismäßiger Verwaltungsaufwand provoziert werden soll und Eigeninteressen des Gesellschafters an der begehrten Information nicht erkennbar sind oder relevant zurücktreten. Die Besorgnis der Verwendung der Information zu gesellschaftsfremden Zwecken fällt in Deutschland unter die schon zitierte Norm des § 51a Abs 2 GmbHG. Hauptfall ist die treuwidrige Tätigkeit des Gesellschafters als Konkurrent im Wettbewerb zur Gesellschaft (Koppensteiner in Rowedder, GmbH Rz 18 zu § 51a). In der deutschen Lehre strittig und in der Rechtsprechung noch nicht ausjudiziert ist die Frage, ob für das Verweigerungsrecht der Gesellschaft eine konkrete Gefährdung zu fordern ist oder schon die in der Konkurrenztätigkeit liegende abstrakte Dauergefahr ausreicht (Koppensteiner aaO; Karsten Schmidt aaO Rz 39 zu § 51a). Der erkennende Senat hat in jüngerer Zeit in vergleichbaren Konkurrenzfällen für das Informationsverweigerungsrecht der Gesellschaft konkrete Behauptungen der Gesellschaft sowohl zur Gefährdung als auch zur Wettbewerbsrelevanz der strittigen Geschäftsunterlagen, in die Einsicht genommen werden soll, verlangt (SZ 63/150; SZ 65/11). Das Individualrecht des Gesellschafters auf Auskunft und Bucheinsicht kann nur bei zu erwartendem Rechtsmissbrauch oder einem geschäftsfremden Verwendungszweck versagt werden (SZ 68/185). Das Rekursgericht hat selbst diese von der Gesellschaft zu bescheinigenden Verweigerungsgründe a priori als nicht geeignet erachtet, den Informationsanspruch zu verweigern, weil es um den im § 22 GmbHG geregelten, unbeschränkbaren Gesellschafteranspruch auf Zusendung von Jahresabschlüssen gehe. Diese Ansicht ist in dem Punkt nicht stichhältig, als die Minderheitsgesellschafterin nicht die Einsicht in den aktuellen Jahresabschluss zur Vorbereitung seiner Prüfung in der nächsten Generalversammlung begehrt, sondern die Zusendung von Abschriften der Jahresabschlüsse vergangener Jahre (1992 bis 1997). Ein solcher Anspruch kann nicht unmittelbar auf § 22 GmbHG, sondern nur auf den auch aus dieser Gesetzesstelle abgeleiteten allgemeinen Informationsanspruch des Gesellschafters gestützt werden. Die grundsätzliche Möglichkeit einer Informationsverweigerung durch die Gesellschaft hat der erkennende Senat jedenfalls schon anerkannt, wenn die Erlangung von Geschäftsinformationen angestrebt wird, die für das Konkurrenzunternehmen des Gesellschafters verwendet werden sollen (SZ 70/157). Aus der zitierten Entscheidung geht aber auch hervor, dass der Informationsanspruch des Gesellschafters nur hinsichtlich wettbewerbsrelevanter Unterlagen beschränkt werden kann. Der Verweigerungsgrund liegt in der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen im weiteren Sinn. Selbst wenn das Konkurrenzunternehmen des Gesellschafters als abstrakte Dauergefahr grundsätzlich schon im Sinne einiger deutscher Lehrmeinungen zur Verweigerung der Information ausreichte, kann dies nicht für wettbewerbsneutrale Informationen gelten, die keine Gefährdungslage auslösen können (vgl Karsten Schmidt aaO Rz 39). Die strittigen Jahresabschlüsse der Jahre 1992 bis 1997 sind nicht schon prima facie in dem Sinne wettbewerbsrelevant, dass die antragstellende Gesellschafterin daraus über den Kundenstock der Gesellschaft zum Zwecke der Abwerbung verwertbare Auskünfte erhalten könnte. Nach den Rechnungslegungsvorschriften über den Inhalt des Jahresabschlusses (§ 222 HGB), die Bilanz (§§ 224 ff HGB), die Gewinn- und Verlustrechnung (§ 231 HGB) und den Anhang (§ 236 ff HGB) sowie den Lagebericht (§ 243 HGB) sind die vom Gesetz geforderten Angaben zur Vermittlung eines nachprüfbaren Bildes der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens allgemeiner Natur. Geschäftsgeheimnisse und konkrete einzelne Geschäftsfälle werden grundsätzlich nicht dargestellt, wie sich dies schon aus den seit dem EU-GesRÄG 1996 für die Geschäftsjahre ab 1. 7. 1996 geltenden Offenlegungs- und Veröffentlichungsvorschriften ergibt, die die gesetzlichen Vertreter von Kapitalgesellschaften zur Einreichung des Jahresabschlusses samt Lagebericht beim Firmenbuchgericht sowie zur Veröffentlichung verpflichten. Auch kleine Gesellschaften mbH sind immerhin zur Einreichung der Bilanz und des Anhanges verpflichtet (§§ 277 f HGB). Sind die Jahresabschlüsse (die Bilanzen und der Anhang) aber öffentlich, kann dem Begehren auf Einsicht bzw Zusendung von Kopien nicht mehr der Einwand einer drohenden Geheimnisverletzung entgegengesetzt werden. Dies gilt grundsätzlich auch für die außerhalb des eigentlichen Geltungsbereiches des § 22 GmbHG gestellten Informationsansprüche. Die Gesellschaft hätte darzutun gehabt, dass die begehrten Jahresabschlüsse der Jahre 1992 bis 1997 wettbewerbsrelevante Fakten enthalten, sodass es geboten wäre, einzelne Teile der Jahresabschlüsse vom Informationsanspruch des Gesellschafters auszunehmen. Der Revisionsrekurs ist daher schon aus diesem Grund nicht berechtigt. Nur ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass die Gesellschaft selbst auf dem Standpunkt steht, sie hätte der Antragstellerin ohnehin schon die Jahresabschlüsse vollständig zur Kenntnis gebracht. Bei Richtigkeit eines solchen Sachverhalts wäre ihr Einwand einer drohenden Geheimnisverletzung zur Abwehr einer Schädigung der Gesellschaft unschlüssig (vgl dazu 6 Ob 323/98p). Die begehrte neuerliche Information durch Zusendung der Jahresabschlüsse könnte dann nur (allenfalls) wegen des unzumutbaren Verwaltungsaufwands schikanös (rechtsmissbräuchlich) sein. Darauf beruft sich die Gesellschaft aber nicht.

Da die Erstantragsgegnerin aus den dargelegten Gründen im Ergebnis zutreffend zur Herausgabe der Jahresabschlüsse an die antragstellende Gesellschafterin verpflichtet wurde, ist die weiters relevierte Frage über eine mögliche Surrogaterfüllung durch Übergabe der Jahresabschlüsse an einen zur beruflichen Verschwiegenheit verpflichteten Sachverständigen nicht mehr entscheidungswesentlich. Der Informationsanspruch der Gesellschafterin ist auch nicht etwa deshalb verwirkt, weil die Vorlage bereits Jahre zurückliegender Jahresabschlüsse begehrt wird, in der Zwischenzeit aber von der Antragstellerin die Jahresabschlüsse genehmigt und der Geschäftsführer entlastet wurde (vgl dazu Karsten Schmidt aaO 37). Diesen im Verfahren erster Instanz erhobenen Einwand verfolgt die rekurrierende Gesellschaft im Revisionsrekursverfahren zu Recht nicht mehr.

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