OGH 10ObS243/99d

OGH10ObS243/99d9.11.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Fellinger sowie die fachkundigen Laienrichter DI Walter Holzer und MR Mag. Gerhard Puschner (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. Emmerich A*****, Pensionist, *****, vertreten durch Dr. Gerald Weidacher, Rechtsanwalt in Gleisdorf, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-85, vertreten durch Dr. Paul Bachmann, Dr. Eva-Maria Bachmann und Dr. Christian Bachmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen Alterspension (Feststellung des Ruhens und Aufrechnung), infolge Revision und Rekurses der klagenden Partei gegen das Teilurteil und den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Juni 1999, GZ 8 Rs 30/99i-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 10. Dezember 1998, GZ 31 Cgs 98/98p-5, zum Teil bestätigt, abgeändert und aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

 

Spruch:

Der Revision und dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Die Kosten seiner Revision hat der Kläger selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Berufungsgericht hat die allein noch strittige Rechtsfrage, ob das Recht des Versicherungsträgers, auf die von ihm zu erbringenden Geldleistungen von ihm gewährte Vorschüsse aufzurechnen (§ 71 Abs 1 Z 3 GSVG), - in analoger Anwendung der Bestimmungen der §§ 71 Abs 1 Z 2 und 76 Abs 2 lit b GSVG - binnen drei Jahren nach dem Zeitpunkt, in dem dem Versicherungsträger bekannt geworden ist, dass die Leistung zu Unrecht erbracht worden ist, verjährt, zutreffend verneint, sodass gemäß § 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO auf diese Ausführungen verwiesen werden kann.

Rechtliche Beurteilung

Den Ausführungen des Klägers in seinem Rechtsmittel ist noch folgendes entgegenzuhalten:

Nach den gemäß § 194 GSVG auch für das Verfahren in Leistungssachen vor dem hier beklagten Versicherungsträger geltenden §§ 367 Abs 1 und 368 Abs 1 ASVG war über den Antrag des Klägers vom 8. 6. 1993 auf Zuerkennung der Alterspension binnen sechs Monaten ein Bescheid zu erlassen. Kann der Versicherungsträger dies innerhalb dieser Frist nicht, weil der Sachverhalt noch nicht genügend geklärt ist, so hat er, wenn seine Leistungspflicht dem Grunde nach feststeht, die Leistung nach § 368 Abs 2 Satz 1 ASVG zu bevorschussen. Von dieser Möglichkeit hat die beklagte Partei Gebrauch gemacht und dem Antragsteller mit Mitteilungen vom 18. 1. 1994 und 30. 5. 1994 ab 1. 7. 1993 monatliche Vorschüsse auf die beantragte Alterspension gewährt. Dabei hat sie darauf hingewiesen, dass diese (Vorschuss-)Leistung jederzeit widerrufen werden könne und verrechenbar sei.

Strittig ist nunmehr, ob die beklagte Partei nach § 71 GSVG zur Aufrechnung dieser Vorschusszahlungen berechtigt ist. § 71 Abs 1 GSVG lautet auszugsweise wie folgt:

Der Versicherungsträger darf auf die von ihm zu erbringenden Geldleistungen aufrechnen:

1.) vom Anspruchsberechtigten dem Versicherungsträger geschuldete fällige Beiträge, soweit das Recht auf Einforderung nicht verjährt ist;

2.) von Versicherungsträgern zu Unrecht erbrachte, vom Anspruchsberechtigten rückzuerstattende Leistungen, soweit das Recht auf Rückforderung nicht verjährt ist;

3.) von Versicherungsträgern gewährte Vorschüsse (§ 368 Abs 2 des ASVG);

......

Nach § 71 Abs 2 GSVG ist die Aufrechnung gemäß Abs 1 Z 1, 2 und 4 in der Pensionsversicherung nur bis zur Hälfte der zu erbringenden Geldleistung zulässig.

Während somit eine Aufrechnung nach § 71 Abs 1 Z 2 GSVG das Vorliegen eines Rückforderungstatbestandes nach § 76 Abs 1 GSVG voraussetzt, ergibt sich die Aufrechenbarkeit von gewährten Vorschüssen unmittelbar aus der zitierten gesetzlichen Bestimmung des § 71 Abs 1 Z 3 GSVG. Dieses Recht des Versicherungsträgers, auf die von ihm zu erbringenden Geldleistungen von ihm gewährte Vorschüsse aufzurechnen, ohne dass es eines Rückforderungstatbestandes etwa nach § 76 Abs 1 GSVG bedarf, entspricht dem Wesen eines Vorschusses als einer Leistung, von der mangels genügender Klärung des Sachverhaltes von Anfang an unklar und unbestimmt ist, ob sie in dieser Höhe tatsächlich und endgültig gebührt (vgl dazu jüngst 10 ObS 69/99s und 10 ObS 68/99v mwN). Auch dem Kläger musste aufgrund der eindeutigen Formulierung in den ihm zugegangenen Mitteilungen der beklagten Partei über die Vorschussgewährung klar sein, dass die Vorschüsse tatsächlich nur vorbehaltlich der Ergebnisse des noch nicht abgeschlossenen Erhebungsverfahrens geleistet wurden.

Während somit die Möglichkeit einer Aufrechnung von gewährten Vorschüsse im Sinne des § 71 Abs 1 Z 3 GSVG an das Vorliegen weiterer Voraussetzungen nicht geknüpft ist, erfordert eine Aufrechnung nach § 71 Abs 1 Z 2 GSVG das Vorliegen eines Rückforderungstatbestandes nach § 76 Abs 1 GSVG und es darf das Recht auf Rückforderung nicht verjährt sein (§ 76 Abs 2 GSVG). Eine Aufrechnung nach § 71 Abs 1 Z 2 GSVG ist in der Pensionsversicherung überdies nur bis zur Hälfte der zu erbringenden Geldleistung zulässig (§ 71 Abs 2 GSVG). Aus dieser Unterschiedlichkeit in der gesetzlichen Regelung hat bereits das Oberlandesgericht Wien als damals zweite und letzte Instanz in Leistungsstreitsachen abgeleitet, dass die § 71 Abs 1 Z 3 GSVG vergleichbare Bestimmung des § 103 Abs 1 Z 3 ASVG eine Sondernorm darstellt, die den besonderen Umständen einer Vorschussgewährung Rechnung trage. Dies ergibt sich schon aus der Differenzierung in Abs 2 des § 71 GSVG in Bezug auf die Ziffern 1, 2 und 3 des Absatzes 1. Die Differenzierung zwischen Vorschussleistungen und im Sinn des § 76 Abs 1 GSVG zu Unrecht erbrachten Geldleistungen ist aber auch sachlich gerechtfertigt. Der Gewährung von Vorschussleistungen im Sinn des § 368 Abs 2 ASVG liegt im allgemeinen kein Bescheid zugrunde und es besteht daher insoweit auch kein durchsetzbarer Rechtsanspruch des Versicherten. Der Leistungsempfänger muss aus der Vorschussgewährung erkennen, dass ihm diese Leistung (je nach dem Ergebnis des Erhebungsverfahrens) möglicherweise nicht gebühren wird. Dies entspricht wertungsmäßig der auch im Arbeitsrecht vertretenen Auffassung, wonach bei Beträgen, die einem Arbeitnehmer unter dem Titel Vorschuss zugeflossen sind, die allfällige Rückzahlung nicht unter Berufung auf einen gutgläubigen Verbrauch verweigert werden kann. In diesem Fall darf auch der Arbeitnehmer, solange er den Vorschuss nicht wirklich ins Verdienen gebracht hat, nicht darauf vertrauen, dass ihm der betreffende Betrag endgültig in voller Höhe zusteht. Entsprechend stellt sich auch die Situation eines Versicherten im Sozialrecht dar, der eine jederzeit widerrufbare und verrechenbare Vorschussleistung erhalten hat (vgl auch 10 ObS 68/99v).

Demgegenüber liegt den im Sinn des § 76 Abs 1 GSVG zu Unrecht erbrachten Geldleistungen in der Regel ein bescheidmäßig zuerkannter Anspruch zugrunde und es soll daher für den Versicherungsträger eine Rückforderung bzw Aufrechnung dieser Leistung nur bei Vorliegen der in § 76 Abs 1 GSVG näher umschriebenen Voraussetzungen möglich sein. Darüber hinaus verjährt nach § 76 Abs 2 lit b GSVG das Recht auf Rückforderung binnen drei Jahren nach dem Zeitpunkt, in dem dem Versicherungsträger bekannt geworden ist, dass die Leistung zu Unrecht erbracht worden ist.

Während nun der Gesetzgeber in § 71 Abs 1 Z 1 und 2 GSVG eine Aufrechnung für den Fall, dass das Recht auf Einforderung bzw das Recht auf Rückforderung verjährt ist, ausdrücklich ausgeschlossen hat, hat er eine solche Beschränkung der Aufrechnungsmöglichkeit hinsichtlich der gemäß § 368 Abs 2 ASVG gewährten Vorschusszahlungen (Z 3) nicht vorgesehen. Dazu hat bereits das Oberlandesgericht Wien als damals letzte Instanz in Leistungsstreitsachen in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass bei einer Aufrechnung nach § 71 Abs 1 Z 3 GSVG eine Verjährung nicht stattfinden könne, bei der Verrechnung von Vorschüssen daher nicht zu prüfen sei, ob schon früher eine Verrechnung hätte stattfinden können und Beträge infolge Verjährung nicht mehr aufgerechnet werden dürfen (SSV 20/23; SVSlg 26.653; 25.390; vgl auch MGA, GSVG 51. Erg.-Lfg Anm 8 zu § 71; Binder in der Entscheidungsbesprechung ZAS 1984/17, 113 ff [115]). Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Jede andere Auslegung würde dem Wortlaut des § 71 GSVG nicht entsprechen und die oben dargelegten Unterschiede in der Aufrechnung von Vorschüssen und von zu Unrecht erbrachten Geldleistungen nicht berücksichtigen. Der vom Kläger geäusserten Befürchtung, dass als Folge dieser Rechtsansicht jeder Bezieher einer Vorschussleistung auch nach 15 oder 20 Jahren mit einer Aufrechnung eines seinerzeit gewährten Vorschusses auf eine laufende Geldleistung des Sozialversicherungsträgers rechnen müsse, ist entgegenzuhalten, dass eine Vorschussgewährung grundsätzlich im Interesse des Anspruchwerbers erfolgt und die Sozialversicherungsträger in ihrer gesamten Gebarung an die Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit gebunden sind (vgl Korinek in Tomandl, SV-System 7. Erg-Lfg 526), sodass sie auch aus diesem Grunde um eine möglichst rasche Hereinbringung zu Unrecht oder überhöht ausbezahlter Vorschussleistungen bemüht sein werden.

Den Ausführungen des Klägers in seinem Rechtsmittel kommt daher keine Berechtigung zu. Der Kläger hat zwar in seiner Anfechtungserklärung das Teilurteil des Berufungsgerichtes auch insoweit angefochten, als nicht festgestellt wurde, dass seine Pension während der Strafhaft (11. 11. 1994 bis 18. 1. 1995) nicht ruhe. Die Revision des Klägers enthält zur Frage des Ruhens der Pensionsleistung während der Strafhaft gemäß § 58 GSVG jedoch keine Ausführungen, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG; Billigkeitsgründe für einen Kostenzuspruch trotz Unterliegens im Revisionsverfahren wurden nicht bescheinigt und sind auch nicht der Aktenlage zu entnehmen.

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