OGH 1Ob216/99t

OGH1Ob216/99t22.10.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach dem am ***** verstorbenen Roland B*****, vertreten durch Dr. Wilhelm Frysak, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Stadt Wien (Magistratsabteilung 52), vertreten durch Dr. Hanno Preissecker, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 495.326,40 sA, infolge Revision der beklagten Partei (Revisionsstreitwert S 295.326,40) gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 11. Mai 1999, GZ 40 R 126/99x-55, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Donaustadt vom 25. Jänner 1999, GZ 7 C 348/96z-51, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die im Zuspruch von S 130.000,-- samt 4 % Zinsen seit 11. 3. 1996 und der Abweisung des Mehrbegehrens von S 70.000,-- samt 4 % Zinsen aus S 15.000,-- seit 20. 4. 1995 und aus S 55.000,-- seit 29. 7. 1998 als nicht in Beschwerde gezogen unberührt bleiben, werden im übrigen Umfang aufgehoben; die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Roland B***** (in der Folge der Einfachheit halber Kläger genannt) war Mieter in einem von der beklagten Partei verwalteten und in deren Eigentum stehenden Wohnhaus. Er stürzte beim Verlassen dieses Hauses am 7. 1. 1993 und zog sich einen Bruch des rechten Oberschenkels zu. Mit rechtskräftigem Zwischenurteil vom 7. 1. 1997 wurde der Klagsanspruch als dem Grunde nach zu Recht bestehend festgestellt. Strittig ist demnach nur mehr die Höhe der von der beklagten Partei zu erbringenden Ersatzleistung.

Die klagende Partei begehrte letztlich von der beklagten Partei Schadenersatz von S 495.326,40, und zwar S 200.000,-- an Schmerzengeld und S 295.326,40 an Verdienstentgang. Der Kläger habe sich vom 7. 1. bis 18. 7. 1993 im Krankenstand befunden und sei aufgrund seiner unfallskausalen Beeinträchtigungen zum 8. 5. 1993 von seinem Arbeitgeber gekündigt worden. Trotz intensiver Bemühungen habe er aufgrund der durch den Unfall herbeigeführten körperlichen Behinderung und einer damit verbundenen Minderung seiner Erwerbsfähigkeit um 70 % sowie aufgrund seines fortgeschrittenen Alters keinen Arbeitsplatz mehr finden können.

Die beklagte Partei wendete ein, der Kläger sei zumindest seit Juni 1993 wieder arbeitsfähig gewesen. Er habe eine bloß 20 %ige Minderung der Erwerbsfähigkeit erlitten und hätte seine Arbeit so wie bisher ausführen können.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der klagenden Partei S 495.326,40 sA zu bezahlen. Aufgrund des Unfalls sei beim Kläger eine 20 %ige Minderung der Erwerbsfähigkeit eingetreten. Bis zum 18. 7. 1993 habe er sich im Krankenstand befunden. Zum 8. 5. 1993 sei er, der zuvor als Kraftfahrer (zur Brotausfuhr) beschäftigt gewesen sei, von seinem Arbeitgeber wegen des langdauernden Krankenstands gekündigt worden. Der Arbeitgeber habe sich aufgrund der unfallbedingten Abwesenheit des Klägers gezwungen gesehen, diesen zu kündigen und eine Ersatzarbeitskraft einzustellen. Ohne die unfallsbedingte Beeinträchtigung wäre der Kläger weiterbeschäftigt worden. Bis zu seinem Ausscheiden am 8. 5. 1993 habe er einen durchschnittlichen monatlichen Nettolohn von S 14.127 bezogen. Vom 19. 7. 1993 bis 17. 4. 1994 habe er Arbeitslosenunterstützung bezogen, vom 18. 4. 1994 bis zu seinem Ableben Notstandshilfe. Der Kläger habe sich intensiv um einen neuen Arbeitsplatz bemüht, es sei ihm aber aufgrund seines Alters und seiner durch den Unfall verminderten Erwerbsfähigkeit nicht mehr gelungen, eine seiner früheren Beschäftigung gleichwertige Tätigkeit zu finden.

In rechtlicher Hinsicht führte das Gericht erster Instanz aus, die beklagte Partei habe der klagenden Partei den dem Kläger entgangenen Verdienst und ein angemessenes Schmerzengeld zu bezahlen. Bei der Berechnung des Verdienstentgangs seien die Arbeitslosengeldbezüge als mindernd zu berücksichtigen, der Bezug von Notstandshilfe mindere den Verdienstentgangsanspruch allerdings nicht. Insgesamt sei dem Kläger demnach ein Verdienst von S 797.004,20 entgangen. An Schmerzengeld sei ein Betrag von S 130.000 angemessen. Da diese Beträge im Klagebegehren (insgesamt) Deckung fänden, sei diesem zur Gänze stattzugeben.

Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung des Erstgerichts insoweit ab, als es der klagenden Partei lediglich S 425.326,40 sA zusprach, das Mehrbegehren von S 70.000 sA hingegen abwies. Es sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Die klagende Partei habe aus dem Titel des Schmerzengeldes S 200.000 begehrt, aus dem des Verdienstentgangs S 295.326,40. Durch den Zuspruch von S 365.326,40 an Verdienstentgang habe das Gericht erster Instanz gegen § 405 ZPO verstoßen. Da das Erstgericht an Schmerzengeld nur S 130.000 zuerkannt habe, sei das Mehrbegehren aus diesem Titel (S 70.000) abzuweisen. Es ergebe sich aus den Feststellungen des Erstgerichts und der Urkunde Beilage E unzweifelhaft, daß der Kläger aufgrund seines unfallbedingten, lang andauernden Krankenstands gekündigt worden sei, ohne unfallbedingte Abwesenheit dagegen weiterbeschäftigt worden wäre. Da es ihm trotz seiner Bemühungen nicht gelungen sei, wieder in der Arbeitswelt Fuß zu fassen, stehe ihm der Ersatz des Verdienstausfalls zu. Als Verdienst sei auch eine allenfalls vom Kläger bezogene Aufwandsentschädigung anzusehen. Die klagende Partei habe bei Geltendmachung des Verdienstentgangs die vom Kläger bezogene Notstandshilfe in Abzug gebracht, obwohl die einem Geschädigten gewährte Notstandshilfe dessen Anspruch auf Ersatz des Verdienstentgangs nicht mindere; letzteres könne aufgrund des eindeutigen Begehrens der klagenden Partei aber nicht Berücksichtigung finden.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei, die den Zuspruch von Schmerzengeld unbekämpft läßt, ist zulässig und berechtigt.

Die beklagte Partei meint, die Vorinstanzen hätten nicht geprüft, inwieweit die nicht unfallbedingte Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit des Klägers (nach dem Behindertenpaß 70 % Minderung der Erwerbsfähigkeit, nach dem Sachverständigengutachten lediglich 20 %) dessen Erwerbstätigkeit unmöglich gemacht hätte. Diese Rüge ist nicht berechtigt:

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wurde der Verletzte wegen seiner unfallbedingten Abwesenheit gekündigt, wäre hingegen ohne die unfallbedingte Beeinträchtigung jedenfalls weiterbeschäftigt worden. Aufgrund seines Alters und der durch den Unfall verminderten Erwerbsfähigkeit sei es ihm nicht mehr gelungen, in der Arbeitswelt Fuß zu fassen (S 5 f des Ersturteils, S 7 des Berufungsurteils). Dabei bezogen sich die Vorinstanzen ohnehin auf die durch den Unfall entstandene und vom Sachverständigen so festgestellte 20 %ige Minderung der Erwerbsfähigkeit (siehe S 6 des Ersturteils). Die von der Revisionswerberin vermißte Prüfung ist demnach erfolgt und wurden dementsprechend Tatsachenfeststellungen getroffen, deren Überprüfung dem Obersten Gerichtshof entzogen ist.

Zu Recht bemängelt die beklagte Partei allerdings, daß das Gericht zweiter Instanz eine (allenfalls dem Kläger bezahlte) Aufwandsentschädigung zur Gänze als "Verdienst" bewertet hat (siehe S 8 des Berufungsurteils). Aufwandsentschädigungen sind nach ständiger Rechtsprechung nur mit dem über dem Aufwand gelegenen Betrag als zu ersetzender "echter" Verdienst zu berücksichtigen (vgl ecolex 1994, 172; Reischauer in Rummel ABGB2 Rz 24 zu § 1325). Nun hat die beklagte Partei in der Verhandlungstagsatzung vom 2. 12. 1998 ausdrücklich eingewendet, in dem aus Beilage J - auf die sich die Vorinstanzen stützten - ersichtlichen Nettolohn seien auch Aufwandsentschädigungen enthalten (S 3 des genannten Protokolls). Der Beweis über die Höhe des Verdienstentgangs und damit den zuletzt bezogenen Nettolohn obliegt zweifelsohne der klagenden Partei, die einen Verdienstentgang in bestimmter Höhe behauptet. Ist aus rechtlichen Erwägungen eine Aufwandsentschädigung nur mit dem über dem Aufwand gelegenen Betrag als Verdienstentgang ersatzfähig, so muß der den Verdienstentgang Behauptende bei entsprechendem Einwand des Prozeßgegners auch nachweisen, daß entweder überhaupt keine Aufwandsentschädigung in dem von ihm behaupteten Nettolohn enthalten sei oder eben nur ein Betrag, der über dem tatsächlichen Aufwand liege. Zumal die Lohnbestätigung Beilage J keinerlei Aufschlüsselung der Bezugsbestandteile enthält, ist die klagende Partei der ihr obliegenden Beweispflicht (noch) nicht nachgekommen, es haben aber auch die Vorinstanzen die soeben wiedergegebenen rechtlichen Überlegungen zur Einbeziehung einer Aufwandsentschädigung in den Verdienst nicht angestellt. Somit wird das Verfahren vom Gericht erster Instanz (nur) insoweit zu ergänzen sein, als die Frage zu klären ist, ob und mit welchem Betrag eine allenfalls im behaupteten Nettolohn enthaltene Aufwandsentschädigung als Verdienstentgang ersetzt werden kann.

Der Vollständigkeit halber wird ausgeführt, daß sich - wie schon das Berufungsgericht darlegte - die klagende Partei die Notstandshilfe entgegen ständiger Rechtsprechung (2 Ob 45/92; ZVR 1985/10; ZVR 1982/29) als "Vorteil" bei der Berechnung des Verdienstentgangs anrechnete (siehe S 9 des Berufungsurteils), weshalb ihr aus diesem Titel kein höherer Verdienstentgang zuerkannt werden kann.

Um die Frage zu klären, ob bzw in welcher Höhe eine Aufwandsentschädigung als Verdienstentgang zuzusprechen ist, sind die Urteile der Vorinstanzen im Umfang der Anfechtung in Stattgebung der Revision aufzuheben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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