OGH 2Ob203/98m

OGH2Ob203/98m21.10.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Claudia L*****, vertreten durch Dr. Josef Lechner und Dr. Ewald Wirleitner, Rechtsanwälte in Steyr, wider die beklagten Parteien 1.) Rudolf H*****, 2.) W***** GmbH, ***** und 3.) ***** Versicherungs-AG, ***** alle vertreten durch Dr. Alfred Windhager und Mag. Norbert Lotz, Rechtsanwälte in Linz, wegen S 288.363,-- sA, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 21. April 1998, GZ 4 R 55/98f-47, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 22. Jänner 1998, GZ 2 Cg 130/95f-42, teilweise abgeändert und teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes wird aufgehoben und diesem eine neuerliche Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Am 14. 12. 1988 ereignete sich ein Verkehrsunfall, bei dem die Klägerin schwer verletzt wurde. Das Verschulden des Erstbeklagten sowie die grundsätzliche Haftung der zweitbeklagten Partei und der drittbeklagten Partei für die streitgegenständlichen Schadenersatzansprüche sind unstrittig.

Die Klägerin begehrt von den beklagten Parteien Zahlung von S 288.363,-- sA an Verdienstentgang, den sie vom 13. 10. 1993 bis 26. 6. 1995 zufolge unfallbedingter Kündigung durch ihren früheren Dienstgeber erlitten habe.

Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und wendeten unter anderem - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - ein, die Klägerin habe seit ihrer Kündigung Sozialleistungen wie Arbeitslosenunterstützung und Bezüge vom Arbeitsamt Steyr erhalten, die sie sich auf einen allfälligen Schadenersatzanspruch anrechnen lassen müsse. Außerdem habe sie gegen die Schadensminderungspflicht verstoßen, weil sie nicht rechtzeitig einen Antrag auf Umschulung gestellt und die Umschulung nicht ernsthaft betrieben habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit einem Teilbetrag von S 122.553,-- sA statt und wies ein Mehrbegehren von S 165.810,-- sA ab.

Es traf folgende wesentliche Feststellungen:

Die Klägerin kann auf Grund ihrer unfallsbedingten Verletzungen ihre vor dem Unfall ausgeübte Tätigkeit als Ampulliererin nicht mehr ausüben. Sie wurde deshalb am 12. 10. 1993 gekündigt und war seit 18. 10. 1993 beim Arbeitsamt als arbeitssuchend gemeldet. Eine Beschäftigung konnte ihr nicht zugewiesen werden. Eine Verkaufstätigkeit ist der Klägerin wegen der Verletzungsfolgen nicht mehr möglich. Für Bürotätigkeiten, welche die Klägerin durchführen könnte, werden nur gelernte Bürokaufleute verwendet. Dazu wäre eine Umschulung der Klägerin zur Bürokraft erforderlich. Die Klägerin hat am 17. 2. 1994 einen Antrag auf Umschulung bzw Berufsfindung gestellt, die Berufsfindung begann im Juli 1994, wurde aber von der Klägerin deshalb nicht abgeschlossen, weil sie einige Tage bei dieser Umschulung bzw Berufsfindung gefehlt hat und die Fehlzeit nicht nachgeholt wurde. Außerdem hat sie die Tests, die Voraussetzung für die Berufsfindung sind, nicht abgeschlossen. Aus dem Grund unterblieb auch die weitere zweijährige Berufsausbildung. In der Folge bezog sie wieder Notstandshilfe bzw Sondernotstandshilfe.

Die Klägerin hätte in der Zeit vom 13. 10. 1993 bis 27. 6. 1997 (Beginn der Mutterschutzfrist zufolge einer weiteren Schwangerschaft) bei ihrem früheren Dienstgeber S 288.363,-- verdient. Sie bezog in dieser Zeit Notstandshilfe, Sondernotstandshilfe und Beihilfen nach dem Arbeitsmarktservicegesetz, aber keine Arbeitslosenunterstützung.

Rechtlich erörterte das Erstgericht, dass der Klägerin für die Zeit vom 13. 10. 1993 bis 10. 7. 1994 ein Nettoverdienstausfall von S 122.553,-- zu ersetzen sei. Ab 11. 7. 1994 habe sie gegenüber den beklagten Parteien keinen Anspruch auf Zahlung eines Verdienstentganges mehr, weil sie die Berufsfindung am 10. 7. 1993 abgebrochen und damit gegen ihre Pflicht zur Schadensminderung verstoßen habe.

Das Berufungsgericht gab der gegen die Abweisung des Klagebegehrens im Umfang von S 165.810,-- sA gerichteten Berufung der Klägerin zur Gänze Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Es erörterte rechtlich, ohne die Beweisrüge der Klägerin zu behandeln, dass sie bis 26. 6. 1995 keinen anrechenbaren Verdienst erzielt hätte und zwar selbst unter der Voraussetzung, alles ihr im Rahmen ihrer Schadensminderungspflicht Zumutbare getan zu haben. Die Klägerin habe nach ihrer Kündigung zum 12. 10. 1993 zunächst versuchen dürfen, eine ihr mögliche Beschäftigung zu finden. Da sie seit dem 18. 10. 1993 als arbeitssuchend gemeldet gewesen sei, habe sie dazu einen tauglichen Versuch unternommen. Es könne ihr nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie erst vier Monate nach Verlust ihrer Beschäftigung einen Antrag auf Teilnahme an einer Berufsfindung und Umschulung gestellt habe. Es sei ihr auch nicht vorwerfbar, dass ihr der Beginn der Berufsfindung erst mit Juli 1994 ermöglicht worden sei. Berücksichtige man, dass die Berufsfindung 8 Wochen und eine Umschulung 18 Monate gedauert hätten und erst nach einiger Arbeitssuche Aussicht auf einen geeigneten Arbeitsplatz bestanden habe, ergebe sich, dass die Klägerin bis Juni 1995 keinesfalls ein Erwerbseinkommen erzielen hätte können. Die Notstandshilfe mindere nach herrschender Rechtsprechung den direkten Verdienstentgangsanspruch des Geschädigten nicht. Dies gelte auch auf die Sondernotstandshilfe. Fraglich sei, ob Beihilfebezüge nach dem Arbeitsmarktservicegesetz den Verdienstentgangsanspruch der Geschädigten minderten. Da Zuwendungen nach §§ 19, 20 AMFG nicht Gegenstand der Vorteilsausgleichung seien und Beihilfen nach § 34 Abs 2 AMSG besonders dem Zweck, die Überwindung von kostenbedingten Hindernissen der Arbeitsaufnahme, eine berufliche Aus- oder Weiterbildung oder die Vorbereitung auf eine Arbeitsaufnahme, die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt und die Aufrechterhaltung einer Beschäftigung zu fördern, dienten und auf solche Beihilfen kein Rechtsanspruch bestehe, sei der Zweck der Beihilfen somit nicht darauf gerichtet, dem Geschädigten einen Verdienstausfall zu ersetzen oder zu mildern und dadurch den Schädiger zu entlasten. Daraus folge im Ergebnis, dass sich der Schaden der Klägerin durch Entgang ihres Verdienstes von ihrer ursprünglichen Dienstgeberin im strittigen Zeitraum nicht vergrößert habe, auch wenn man annehme, dass sie das erforderliche zumutbare Verhalten ab 10. 7. 1994 (Abbruch der Berufsfindung) unterlassen habe.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Anrechenbarkeit von Beihilfen nach Maßgabe der Bestimmungen der §§ 34 ff AMSG auf den Verdienstentgang eines Geschädigten fehle.

Die beklagten Parteien verweisen in ihrer Revision darauf, dass es die Klägerin unterlassen habe, Arbeitslosengeld zu beantragen bzw den Antrag beim Bundessozialamt zu stellen, in den Kreis der durch das Bundesbehindertengesetz geschützten Personen aufgenommen zu werden. Darüber hinaus habe die Klägerin ihre Umschulung am 10. 7. 1994 grundlos aufgegeben und gegen die Schadensminderungspflicht verstoßen.

Rechtliche Beurteilung

Den Ausführungen kommt teilweise Berechtigung zu.

Soweit in der Revision allerdings darauf verwiesen wird, dass die Klägerin es unterlassen habe, einen Antrag auf Arbeitslosengeldbezug zu stellen, ist darauf zu erwidern, dass dieses Vorbringen erstmals in der Revision erstattet wurde und daher als Neuerung unbeachtlich ist. Im übrigen ist auf die Feststellung zu verweisen, dass die Klägerin tatsächlich kein Arbeitslosengeld bezog. Als Neuerung ist ebenfalls die Behauptung anzusehen, die Beklagte habe es unterlassen, einen Antrag an das Bundessozialamt zu stellen.

Die Revision ist allerdings insofern im Recht, als die Gründe, warum die bereits begonnene Umschulung bzw Berufsfindung ab 10. 7. 1994 aufgegeben wurde, nicht ausreichend festgestellt wurden. Das Erstgericht war offensichtlich der Ansicht, dass diese "Berufsfindung" aus in der Person der Klägerin liegenden und daher von ihr zu vertretenden Gründen abgebrochen wurde.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist zwischen dem Fall der verbliebenen teilweisen Erwerbsfähigkeit und dem der Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit im früheren Ausmaß zu unterscheiden. Im - hier vorliegenden - ersteren Fall müsste, um eine Verletzung der Schadensminderungspflicht annehmen zu können, der Schädiger den Nachweis erbringen, dass der Geschädigte eine ihm nachgewiesene konkrete Erwerbsmöglichkeit oder eine zu einer solchen voraussichtlich führenden Umschulung ohne zureichende Gründe ausgeschlagen habe (ZVR 1993/63; RIS-Justiz RS0022883). Zutreffend haben die Vorinstanzen darauf verwiesen, dass die Klägerin ab 18. 10. 1993 als arbeitssuchend gemeldet war, dass sie im Februar 1994 einen Antrag auf Umschulung gestellt hat und im Juli 1994 eine solche auch begonnen hat. In diesem Zeitraum ist sie daher ihrer Pflicht, den Schaden zu mindern, nachgekommen. Ungeklärt blieb aber, aus welchen Gründen die zur Umschulung führende Berufsfindung abgebrochen wurde. Sollte wie vom Erstgericht angenommen und von den Revisionswerbern behauptet eine derartige Umschulung grundlos abgebrochen worden sein, müsste ab diesem Zeitpunkt ein Verstoß gegen die sie treffende Schadensminderungspflicht angenommen werden. Ein solcher Verstoß liegt nämlich auch dann vor, wenn eine bereits begonnene Umschulung nicht zielstrebig betrieben wird. Es kommt daher nicht nur darauf an, dass zur Vermeidung eines Verstoßes gegen die Schadensminderungspflicht mit einer Umschulung begonnen wurde - wie es das Berufungsgericht offensichtlich annimmt -, sondern es muss diese Umschulung auch nach Beginn fortgesetzt werden. Ein grundloser Abbruch einer bereits begonnenen Umschulung ist als Ausschlagung einer angebotenen Umschulung anzusehen.

Leistungen aus der Notstandshilfe ebenso wie aus der Sondernotstandshilfe sind auf den vom Schädiger zu ersetzenden Verdienstentgang nicht anzurechnen (zuletzt 2 Ob 140/92; RIS-Justiz RS0031478; Reischauer in Rummel2 § 1312 Rz 13 Harrer in Schwimann Anh nach § 1323 f Rz 15).

Zu den Leistungen nach dem Arbeitsmarktförderungsgesetz (AMFG) wurde ebenfalls ausgesprochen, dass solche Zuwendungen nicht im Wege der Vorteilsausgleichung anzurechnen sind (ZVR 1985/100). Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, dienen die Beihilfen nach § 34 Abs 2 AMSG dem Zweck

1.) der Überwindung von kostenbedingten Hindernissen der Arbeitsaufnahme,

2.) einer beruflichen Aus- oder Weiterbildung oder die Vorbereitung auf eine Arbeitsaufnahme,

3.) die (Wieder-)Eingliederung in den Arbeitsmarkt und

4.) die Aufrechterhaltung einer Beschäftigung zu fördern. Auf solche Beihilfen besteht kein Rechtsanspruch (§ 34 Abs 3 AMSG). Der Zweck der Beihilfen ist nicht darauf gerichtet, dem Geschädigten einen Verdienstausfall zu ersetzen oder zu mildern und dadurch zu entlasten, sondern der Zweck der Zuwendung ist vielmehr arbeitsmarktpolitischer und volkswirtschaftlicher Natur. Solche Beihilfen sind daher auf den erlittenen Verdienstentgang nicht anzurechnen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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