OGH 10ObS207/99k

OGH10ObS207/99k5.10.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Eva Pernt (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Christa Marischka (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ing. Helmut P*****, Angestellter, ***** vertreten durch Dr. Alfons Klaunzer und Dr. Josef Klaunzer, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter- Straße 65, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9. Juni 1999, GZ 23 Rs 37/99h-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 8. März 1999, GZ 46 Cgs 186/98-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 19. 9. 1937 geborene Kläger bezieht von der Beklagten seit dem 3. 10. 1994 für die Folgen einer Berufskrankheit eine Versehrtenrente im Ausmaß von 20 vH der Vollrente als Dauerrente. Am 18. 6. 1996 erlitt er bei einem von der beklagten Partei als solchen anerkannten Arbeitsunfall einen subcutanen Abriß der Strecksehne am rechten Mittelfingerendgelenk. Die Gewährung einer Versehrtenrente für die Folgen dieses Arbeitsunfalls hat die beklagte Partei jedoch mit Bescheid vom 29. 9. 1998 abgelehnt. Nach der Begründung dieses Bescheides bestehe Anspruch auf Versehrtenrente, wenn die Erwerbsfähigkeit durch die Folgen eines neuerlichen Arbeitsunfalls über drei Monate nach Eintritt des Versicherungsfalls hinaus und nach Wegfall des Krankengeldes um mindestens 10 vH vermindert sei. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in diesem Ausmaß liege nicht vor.

Im vorliegenden über fristgerechte Klage eingeleiteten Rechtsstreit begehrt der Kläger, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihm für die Folgen seines Arbeitsunfalles vom 18. 6. 1996 ab dem gesetzlichen Zeitpunkt eine Versehrtenrente in möglicher Höhe im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren und für die Folgen dieses Arbeitsunfalles sowie die Folgen seiner Berufskrankheit ab dem gesetzlichen Zeitpunkt eine Gesamtdauerrente in möglicher Höhe im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, die Folgen des Arbeitsunfalles würden das rentenbegründende Mindestausmaß einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 vH nicht erreichen, sodaß auch die in § 210 ASVG für die Bildung einer Gesamtrente geforderten Voraussetzungen nicht vorlägen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen: Nach dem Arbeitsunfall vom 18. 6. 1996, durch den eine Arbeitsunfähigkeit nicht eintrat, war der Kläger in ambulanter ärztlicher Behandlung; für die Dauer von sechs Wochen mußte er eine Fingerschiene tragen. Einer weiteren ärztlichen Behandlung der Verletzungsfolgen hat sich der Kläger nicht unterzogen. Nach dem Arbeitsunfall bestand bei ihm für die Dauer von zwei Monaten eine auf den allgemeinen Arbeitsmarkt bezogene Minderung seiner Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von 20 vH; seither besteht daraus keine Minderung der Erwerbsfähigkeit mehr.

Diesen Sachverhalt beurteilte das Erstgericht rechtlich dahin, daß das Rentenbegehren unbegründet sei, weil weder die in § 203 Abs 1 ASVG geforderte Voraussetzung einer mehr als drei Monate dauernden Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliege noch das im § 210 ASVG festgesetzte Mindestausmaß einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 vH erreicht werde.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Der Arbeitsunfall des Klägers habe vorerst, aber nur für die Dauer von zwei Monaten zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit geführt, doch bestehe seither als Folge dieses Arbeitsunfalles überhaupt keine Minderung der Erwerbsfähigkeit, sodaß die Voraussetzung für die Zuerkennung einer Dauerrente nicht erfüllt sei. Auch für die nur zwei Monate währende Dauer der durch den Arbeitsunfall bewirkten MdE habe der Kläger keinen Anspruch auf eine Versehrtenrente, weil der geforderte zeitliche Schwellenwert von drei Monaten nicht erreicht werde.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Er beantragt die Abänderung im Sinne einer Stattgebung seines Klagebegehrens und stellt hilfsweise einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Nach § 203 Abs 1 ASVG hat ein Versicherter Anspruch auf eine Versehrtenrente, wenn seine Erwerbsfähigkeit durch die Folgen eines Arbeitsunfalls oder eine Berufskrankheit über drei Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalls hinaus um mindestens 20 vH vermindert ist. Bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse, die für die Feststellung einer Rente maßgebend waren, ist die Rente nach § 183 Abs 1 ASVG neu festzustellen, wobei als wesentlich eine Änderung der Verhältnisse nur gilt wenn durch sie die Minderung der Erwerbsfähigkeit durch mehr als drei Monate um mindestens 10 vH geändert wird, durch die Änderung ein Rentenanspruch entsteht oder wegfällt oder die Schwerversehrtheit entsteht oder wegfällt. Wird ein Versehrter neuerlich durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit geschädigt und beträgt die durch diese neuerliche Schädigung allein verursachte MdE mindestens 10 vH, so ist die Entschädigung aus diesen mehreren Versicherungsfällen gemäß § 210 Abs 1 ASVG nach Maßgabe der Bestimmungen der Absätze 2 bis 4 dieser Gesetzesstelle festzustellen, sofern die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit 20 vH erreicht. Solange eine Gesamtrente nach § 210 Abs 2 nicht festgestellt ist, gebührt dem Versehrten unter den Voraussetzungen des Abs 1 eine Rente entsprechend dem Grad der durch die neuerliche Schädigung allein verursachten Minderung der Erwerbsfähigkeit (§ 210 Abs 4 ASVG).

Der Kläger leitet aus den dargestellten gesetzlichen Bestimmungen ab, § 203 ASVG betreffe den Anspruch auf Versehrtenrente bei einem isolierten Versicherungsfall, während § 210 ASVG für eine Entschädigung im Zusammenhang mit einem weiteren Versicherungsfall geringere Anforderungen stelle, weil die neuerliche Schädigung für sich allein nur zu einer MdE von 10 vH führen müsse und das Erfordernis einer Dauer der MdE von über drei Monaten entfalle, mit anderen Worten § 210 ASVG verlange für den weiteren Versicherungsfall keine Mindestdauer der MdE. Der Arbeitsunfall vom 18. 6. 1996 habe "für sich selbst" zu einer 10 vH übersteigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit, nämlich einer solchen von 20 vH geführt. Da der Kläger aber bereits eine Dauerrente von 20 vH infolge einer ebensolchen MdE aus einem älteren Versicherungsfall beziehe, erfülle der Kläger sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen des § 210 ASVG. Ihm stehe daher für die Dauer der MdE aus dem Versicherungsfall des Arbeitsunfalls vom 18. 6. 1996 eine Versehrtenrente zu.

Diesen Argumenten ist nicht zu folgen.

Wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, ist grundsätzliche Voraussetzung für den Anspruch auf Versehrtenrente, daß die Erwerbsfähigkeit über drei Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalles hinaus vermindert ist. Offenkundiger Zweck der im § 203 Abs 1 ASVG, aber auch im § 183 Abs 1 ASVG genannten Mindestdauer der MdE ist, wie der Oberste Gerichtshof bereits dargelegt hat (SSV-NF 5/107), ein verfahrensökonomischer: Eine nur kurzfristig eintretende Minderung der Erwerbsfähigkeit soll einerseits keinen Rentenausspruch auslösen, eine nur kurzfristig eintretende Änderung der Verhältnisse, die für die Feststellung der Rente maßgebend waren, soll nicht zu einer Neufeststellung der Rente führen müssen. Der Gesetzgeber hat in Ausübung seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraums keineswegs unangemessen einen Zeitraum von drei Monaten festgesetzt, der sowohl für die Zuerkennung der Rente als auch die Berücksichtigung wesentlicher Änderungen maßgeblich sein soll. Gerade im Hinblick auf die zu beobachtende lange Dauer des Verfahrens betreffend die Feststellung der MdE oder ihrer Änderungen hat der Gesetzgeber zur Eindämmung nur geringfügige Fälle betreffender Verfahren die genannte Frist festgelegt. Daraus folgt, daß nicht jede vorübergehende Änderung der Verhältnisse zu einer Neufeststellung der Rente führt, sondern daß die Rente erst dann neu festzusetzen ist, wenn die Änderung der Verhältnisse mehr als drei Monate lang anhält (der in der Entscheidung SSV-NF 11/75 dargestellte Ausnahmefall liegt hier nicht vor).

Der oben zitierten Bestimmung des § 210 Abs 4 ASVG liegt ein dem § 209 Abs 1 ASVG (betreffend die vorläufige Versehrtenrente) vergleichbarer Zweck zugrunde: Der Zeitraum von zwei Jahren, während dessen eine vorläufige Rente gewährt werden kann bzw die Rente aufgrund des neuerlichen Unfalles gesondert zu gewähren ist, dient dazu, die Konsolidierung der Unfallsfolgen abzuwarten. Die Entscheidung über die endgültige Rentenleistung soll erst erfolgen, wenn die Folgen des Unfalls in ihren dauernden Auswirkungen endgültig abschätzbar sind. Dann soll die Dauerrente bzw die Gesamtrente festgesetzt werden (SSV-NF 7/117 zum vergleichbaren § 108 Abs 1 B-KUVG). Für diese Entscheidung hat der Gesetzgeber in beiden Fällen eine Frist von zwei Jahren gesetzt. Daher besteht kein Zweifel daran, daß es sich bei der Gesamtrente immer um eine Dauerrente handeln muß und daß auch die Gesamtrentenbildung nicht erst nach Ablauf von zwei Jahren, sondern bereits dann vorzunehmen ist, wenn die Entwicklung der Folgen der Arbeitsunfälle (Berufskrankheiten) absehbar ist, also eine gewisse Konsolidierung der Unfallsfolgen eingetreten ist (SSV-NF 8/125).

Aus diesen Erwägungen kommt im Fall des Klägers die Bildung einer Gesamtrente für die Folgen der Berufskrankheit und des Arbeitsunfalles schon deshalb nicht in Betracht, weil der Arbeitsunfall für sich alleine - von zwei Monaten abgesehen - überhaupt keine Minderung der Erwerbsfähigkeit nach sich gezogen hat. Voraussetzung für den Zuspruch einer Gesamtrente nach § 210 Abs 1 ASVG wäre aber, daß die durch den Arbeitsunfall allein verursachte MdE auf Dauer wenigstens 10 vH betragen würde. Es wäre völlig uneinsichtig, dem Kläger, der wegen einer Berufskrankheit eine Versehrtenrente von 20 vH bezieht, wegen eines dazugekommenen Arbeitsunfalls eine höhere Rente zuzusprechen, obwohl dieser Arbeitsunfall keinerlei MdE hervorgerufen hat. In Frage käme daher nur der Zuspruch einer Versehrtenrente nach dem Grade der durch den Arbeitsunfall allein verursachten MdE; diese Rente in Höhe von 20 vH könnte allerdings nur für die Dauer von zwei Monaten zuerkannt werden und würde damit den dargestellten Grundsätzen einer dreimonatigen Mindestberentung (§ 203 Abs 1 iVm § 183 Abs 1 ASVG) widersprechen. Daß im § 210 Abs 4 ASVG eine Mindestdauer der MdE nicht genannt ist, muß dabei unerheblich bleiben, weil diese Bestimmung nicht isoliert, sondern im systematischen Zusammenhang mit den anderen, die Versehrtenrente und Gesamtrente behandelnden Bestimmungen zu sehen ist.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b. Gründe für einen Kostenzuspruch an den unterlegenen Kläger nach Billigkeit sind nicht ersichtlich.

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