OGH 9ObA164/99d

OGH9ObA164/99d29.9.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Hübner und Dr. Alvarado-Dupuy als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Matthäus B*****, Verkaufsleiter, *****, vertreten durch Dr. Peter Cardona, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei V***** Versicherungs AG, *****, vertreten durch Dr. Gottfried Zandl, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 137,192,22 brutto abzüglich S 60.000,-- netto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. April 1999, GZ 15 Ra 36/99b-24, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 21. Dezember 1998, GZ 42 Cga 268/97-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger war bei der Beklagten vom 1. 9. 1996 bis 22. 9. 1997 als Verkaufsleiter für das Gebiet Salzburg-Nord beschäftigt. Er bezog während dieses Dienstverhältnisses einen monatliches Fixum von S 20.000,-- brutto, weiters erhielt er eine monatliche Anteilsprovision von S 8.670,-- brutto und eine Funktionszulage (12 x jährlich) von S 8.000,-- brutto. Zusätzlich stand dem Kläger ein Dienstfahrzeug zur Verfügung; der monatliche Sachbezugswert betrug S 3.882,-- brutto. Der Kläger hatte im Mai 1997 bereits das Urlaubsgeld (Sonderzahlung) für das gesamte Jahr 1997 erhalten. Bezogen auf die tatsächliche Dauer des Dienstverhältnisses ergibt sich daraus ein Überhang von S 5.445,--. Er hatte im September 1998 weiters Anspruch auf Diäten in Höhe von S 1.680,-- brutto und S 400,-- brutto. Im Urlaubsjahr 1. 9. 1996 bis 31. 8. 1997 verbrauchte der Kläger 25 Werktage an Urlaub; aus dem Zeitraum ab 1. 9. 1997 wurden keine Urlaubstage verbraucht. Überdies hatte er von der Beklagten einen noch offenen Gehaltsvorschuss in Höhe von S 60.000,-- netto erhalten.

Als der Kläger am 22. 9. 1997 gegen 9.00 Uhr nach einigen Tagen Urlaub wieder in seinem Büro erschien, fand er dort seinen unmittelbar vorgesetzten Landesdirektor aus Salzburg sowie den Personalchef der Beklagten, welcher aus Wien angereist war, vor. Dieser Gesprächstermin war mit dem Kläger nicht abgesprochen worden und kam daher für ihn überraschend. Bei einem Anruf im Büro, welchen der Kläger noch vor seinem Eintreffen getätigt hatte, war ihm lediglich von einer Mitarbeiterin mitgeteilt worden, dass er gekündigt werde. Bereits vor Antritt des Urlaubs hatte der Kläger eine Auseinandersetzung mit dem Landesdirektor gehabt, in der es darum gegangen war, dass der Landesdirektor mit der Leistung des Klägers unzufrieden war und dessen Führungstätigkeit bemängelte. Ausserdem bestanden Aufassungsunterschiede betreffen die Auswahl von Professionisten für die Ausstattung eines in Aussicht genommenen neuen Büros. Absicht der unangemeldet eingetroffenen Vorgesetzten war es, eine Beendigung des Dienstverhältnisses des Klägers herbeizuführen, wobei ein Vorschlag war, entweder eine einvernehmliche Lösung zum 30. 9. 1997 und ab 1. 10. 1997 eine selbständige Tätigkeit des Klägers für die Beklagte in Tirol oder aber eine endgültige Trennung herbeizuführen. Zirka eine Stunde lang wurden ohne Ergebnis Varianten besprochen. Um zirka 10.00 Uhr bat der Kläger um die Unterbrechung des Gespräches, weil er mit dem Generaldirektor der beklagten Partei persönlich sprechen wollte. Dies wurde dem Kläger auch eingeräumt; das Gespräch sollte um 10.30 fortgesetzt werden.

Sowohl der Personalchef als auch der Landesdirektor verließen daraufhin das Büro und suchten ein Cafe auf. Als sie um 10.30 Uhr in das Büro zurückkehrten, war der Kläger nicht anwesend. Die Mitarbeiter im Büro konnten keine Auskunft über den Verbleib des Klägers geben. Der Kläger war auch am Mobiltelefon nicht erreichbar; er hatte sich überdies auch beim Generaldirektor nicht gemeldet. Der Kläger war nämlich nach der Unterbrechung des Gespräches um 10.00 Uhr zunächst zur Arbeiterkammer nach Braunau gefahren, mußte dort etwas warten und besprach sich dann mit einer Mitarbeiterin der Arbeiterkammer. Er teilte mit, dass man ihn vor die Alternative gestellt habe, entweder das Dienstverhältnis einvernehmlich aufzulösen oder aber eine Dienstgeberkündigung zu gewärtigen. Die Mitarbeiterin der Arbeiterkammer riet dem Kläger von der Variante einer einvernehmlichen Auflösung ab. Im Anschluss daran fuhr der Kläger zu einem Kunden, wobei dieser Termin schon ca. 2 Wochen vorher vereinbart worden war; dieses Gespräch dauerte bis ca. 12.00 Uhr. Dann fuhr der Kläger nach Hause, holte seinen Dienstvertrag und versuchte, beim Bezirksgericht Braunau eine Rechtsauskunft einzuholen, was ihm aber nicht gelang. Sodann versuchte er dasselbe beim Landesgericht Salzburg. Im Anschluss daran bat er zwei Mitarbeiterinnen, die zuvor im Büro anwesend gewesen waren, zu ihm ins Cafe zu kommen und ihn dort zu treffen, weil er hören wollte, was seine Vorgesetzten in seiner Abwesenheit besprochen hätten. Währenddessen hatten der Personalchef und der Landesdirektor zunächst im Büro gewartet. Der Landesdirektor fuhr sodann zum Wohnhaus des Klägers, wo er diesen nicht antraf. Der Personalchef wartete weiter und versuchte, den Kläger am Mobiltelefon zu erreichen, was nicht gelang. Nach einer Rücksprache mit der Zentrale der Beklagten in Wien beschlossen der Personalchef und der Landesdirektor, den Kläger zu entlassen. Während der Personalchef zurück nach Wien fuhr, blieb der Landesdirektor im Büro zurück, wo er die Schlösser tauschte, um dem Kläger den weiteren Zugang zu den Büroräumlichkeiten zu verwehren. Als der Kläger gegen 15.00 Uhr gemeinsam mit zwei Mitarbeiterinnen zurückkehrte, sprach der Landesdirektor ihm gegenüber die Entlassung aus. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Kläger bei der Vergabe von Autobahnvignetten und Gutscheinen für Kraftfahrzeugüberprüfungen, welche von der Beklagten als Zugaben an bestimmte Kunden gewährt wurden, ein Fehlverhalten gesetzt hätte. Weiters konnte nicht festgestellt werden, dass sich der Kläger bei einer Prämienberechnung geirrt hätte.

Der Kläger begehrt den Zuspruch von S 137.192,22 brutto abzüglich S 60.000,-- netto. Seine Entlassung sei zu Unrecht erfolgt. Seine Ansprüche gliederte er auf wie folgt: Aliquote Weihnachstremuneration vom 1. 1. bis 22. 9. 1997 abzüglich eines Überhangs an Urlaubsgeld S 9.110,-- brutto, Diäten S 1.860,-- und S 400,-- brutto, Kündigungsentschädigung vom 23. 9. bis 15. 11. 1997 (S 40.552,-- x 1,5) S 60.828,-- brutto, anteilige Sonderzahlung aus der Kündigungsentschädigung S 5.917,81 brutto sowie Urlaubsentschädigung für 35 Werktage S 59.076,41 brutto.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger sei zu Recht entlassen worden, weil er durch sein unberechtigtes Fernbleiben gegen § 27 Z 4 AngG verstoßen habe. Der Kläger habe aber auch noch andere Entlassungsgründe gesetzt, nämlich für Kunden bestimmte Autobahnvignetten nicht an diese ausgefolgt, zu Unrecht Gutscheine für Kraftfahrzeugüberprüfungen ausgegeben und zum Nachteil von Kunden Prämien falsch berechnet. Überdies habe die beklagte Partei eine Urlaubsabfindung in Höhe von S 10.770,-- an den Kläger überwiesen und eine Sonderzahlung in Höhe von S 14.555,-- zur Auszahlung gebracht.

Dem hält der Kläger entgegen, dass diese Beträge nicht überwiesen oder bar bezahlt, sondern lediglich aufrechnungsweise entgegenhalten worden seien.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es wertete das Verhalten des Klägers als Verstoß gegen § 27 Z 4 4. (gemeint: 2.) Tatbestand AngG. Wenngleich sich der Kläger in einer gewissen Drucksituation befunden habe, hätte er dieser leicht ausweichen können, indem er einer einvernehmlichen Lösung des Dienstverhältnisses nicht zugestimmt hätte. Er hätte auch darauf hinweisen können, dass er vor einer Entscheidung rechtskundigen Rat einholen wolle, was er jedoch unterlassen habe. Die Besprechung auf Führungsebene in Anwesenheit des Personalchefs hätte dem Kläger wichtig genug erscheinen müssen, dafür einen, wenn auch vereinbarten, Kundentermin entfallen zu lassen. Die nachrichtenlose Abwesenheit des Klägers stelle eine Provokation des Dienstgebers dar, welche dieser mit Entlassung habe beantworten dürfen. Dem Kläger stünden zwar Weihnachtsremuneration in Höhe von S 9.110,-- brutto, Diäten von S 1.860,-- und S 400,-- brutto, Urlaubsentschädigung für fünf unverbrauchte Werktage aus dem vergangenen Urlaubsjahr in Höhe von S 8.439,49 brutto sowie Urlaubsabfindung für die Zeit vom 1. 9. bis 22. 9. 1997 in Höhe von S 3.055,60 brutto zu, doch sei von dem Gesamtbetrag in Höhe von S 22.865,09 brutto der übersteigende Gehaltsvorschuss von S 60.000,-- netto in Abzug zu bringen, sodass dem Kläger kein Zahlungsanspruch verbleibe.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes. Es vertrat die Ansicht, dass das Verhalten des Klägers eine beharrliche Dienstverweigerung im Sinne des § 27 Z 4 AngG darstellte. Wenngleich die beharrliche Verweigerung im Normalfall ein Zuwiderhandeln nach vorangegangener Ermahnung voraussetze, könne von einer solchen Ermahnung dann abgesehen werden, wenn bereits ein einmaliger Verstoß so schwerwiegend und krass sei, dass der Dienstnehmer auch ohne Ermahnung diesen Unwillenscharakter erkennen könne. Der Verstoß des Klägers sei von einer solchen Schwere. Darüberhinaus erfülle das Verhalten des Klägers aber auch den Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit nach § 27 Z 1 AngG, sodass die Entlassung des Klägers berechtigt sei.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass der Klage vollinhaltlich stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Umfang des Aufhebungsantrages berechtigt.

Unter "beharrlich" im Sinne des § 27 Z 4 2. Tatbestand AngG ist die Nachhaltigkeit, Unnachgiebigkeit oder Hartnäckigkeit des in der Dienstverweigerung zum Ausdruck gelangenden, auf die Verweigerung der Dienste bzw der Befolgung der Anordnung gerichteten Willens zu verstehen. Daher muß sich die Weigerung entweder wiederholt ereignet haben oder von derart schwerwiegender Art sein, dass auf die Nachhaltigkeit der Willenshaltung des Angestellten mit Grund geschlossen werden kann (RIS-Justiz RS0029746, insbesondere Arb 9493 uva). Um eine Ermahnung entbehrlich zu machen, muß die Weigerung derart eindeutig und endgültig sein, dass angesichts eines derartigen, offensichtlich unverrückbaren Willensentschlusses des Angestellten eine Ermahnung als bloße Formalität sinnlos erscheine müsste (Kuderna Entlassungsrecht2, 116 mwN).

Bei objektiver Betrachtung kann dem Verhalten des Klägers eine derartige Nachhaltigkeit der Willenshandlung nicht beigemessen werden, was auch für den Personalchef sowie den unmittelbaren Vorgesetzten des Klägers unschwer erkennbar war. Nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Vorinstanzen kam die Androhung einer Kündigung durch den unangemeldet angereisten Personalchef bzw den Landesdirektor für den Kläger überraschend. Verständlich ist daher auch, dass sich der rechtsunkundige Kläger in einer auch den anderen Personen erkennbaren Drucksituation befand, wenn er - ohne genaue Kenntnis möglicher Folgen - die Entscheidung treffen sollte, ob er einer vor dem gesetzlichen Kündigungstermin liegenden einvernehmlichen Lösung zustimmen sollte. Aus dieser Situation heraus ist weiters verständlich, dass der Kläger Rechtsberatung, sei es durch die Arbeiterkammer oder das Gericht, in Anspruch nehmen wollte. Nach der Judikatur können sogar Widersetzlichkeiten gegen den Arbeitgeber entschuldbar sein, wenn sich der Arbeitnehmer wegen des drohenden Verlustes seines Arbeitsplatzes in einem begreiflichen Erregungszustand dazu hinreißen lässt (14 Ob 144/86). Diese Erwägungen sind auch auf den vorliegenden Fall anwendbar. Wenngleich es als grob ungehörig beurteilt werden muss, dass der Kläger, anstelle die Besprechung mit seinen Vorgesetzten zu einem festgesetzten Termin fortzusetzen und ohne diesen Personen eine Verständigung zukommen zu lassen, die für ihn unangenehme Besprechung einfach platzen ließ, ist dieses Verhalten in der konkreten Situation noch entschuldbar und kommt ihm daher nur das Gewicht einer Ordnungswidrigkeit zu.

Nun kann zwar der Kläger diesen Entschuldigungsgrund nicht auch dafür in Anspruch nehmen, dass er während des ihm bekannten Wartevorgangs seiner Vorgesetzten auch noch einen Kunden der beklagten Partei aufsuchte, doch darf nicht übersehen werden, dass auch darin eine Dienstleistung für die Beklagte gelegen war. Es ist den Vorinstanzen wohl dahin beizupflichten, dass - ex post betrachtet - der Kläger vernünftigerweise den Entschluss hätte fassen müssen, den Kundentermin fallenzulassen und zur Besprechung mit seinen Vorgesetzten zurückzukehren, doch liegt auch darin noch keine nachhaltige Bekundung einer Dienstverweigerung. Insgesamt war daher das Verhalten des Klägers objektiv nicht geeignet, dem Dienstgeber die Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses bis zum nächstmöglichen Kündigungstermin (15. 11. 1997) unzumutbar erscheinen zu lassen.

Daraus folgt, dass der Kläger Anspruch auf Urlaubsentschädigung auch für die Zeit nach dem 1. 9. 1997 (Beginn des neuen Urlaubsjahres) sowie auf Kündigungsentschädigung erheben kann. Da die Vorinstanzen - ausgehend von der Rechtsauffassung, dass die Entlassung berechtigt gewesen sei und demzufolge die Ansprüche des Klägers mit dem Gehaltsvorschuss in Höhe von S 60.000,-- netto jedenfalls gedeckt seien - nicht festgestellt haben, ob, wie von der beklagten Partei eingewendet, sowohl eine Urlaubsabfindung als auch offene Sonderzahlungen zumindest teilweise bezahlt worden sind, fehlt es noch an entscheidungswesentlichen Feststellungen, welche nur nach ergänzender Verhandlung getroffen werden können.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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