OGH 14Os109/99

OGH14Os109/9928.9.1999

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. September 1999 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Holzweber, Dr. Ratz und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Mittermayr als Schriftführer, in der Strafsache gegen Johann E***** wegen des Verbrechens des sexuellen Mißbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 27. Mai 1999, GZ 35 Vr 3.120/98-36, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Seidl, und des Verteidigers Dr. Kramer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Johann E***** wurde des Verbrechens des sexuellen Mißbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB schuldig erkannt, wonach er am 29. und 30. August 1998 in Innsbruck in zwei getrennten Vorfällen an der am 1. Juli 1989 geborenen, sohin unmündigen Sara B***** durch Abgreifen ihres Geschlechtsteils und ihrer Brust geschlechtliche Handlungen vorgenommen hat.

Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a, 9 lit a und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt.

Rechtliche Beurteilung

Mit der Verfahrensrüge (Z 4) wendet sich der Beschwerdeführer zunächst gegen die Abweisung der in der Hauptverhandlung vom 27. Mai 1999 gestellten Beweisanträge auf Einvernahme der Zeugin Insp. Anita R***** zum Beweis der Glaubwürdigkeit (gemeint der Unglaubwürdigkeit) der Aussage der Zeugin Sara B*****, Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zur Glaubwürdigkeit des Angeklagten und ergänzende Einholung eines Sachverständigengutachtens durch einen Kinderpsychiater, allenfalls Psychologen über die Aussagetüchtigkeit und -fähigkeit sowie die Glaubwürdigkeit der Zeugin Sara B***** (S 167 f).

Darüber hinaus habe das Erstgericht den am 22. April 1999 gestellten (im Hinblick auf die Fortsetzung der Hauptverhandlung innerhalb der Zweimonatsfrist des § 276a StPO weiterhin rechtswirksamen) Antrag auf "Inaugenscheinnahme und Prüfung" der Reithose des Mädchens zum Beweis für die "technische" Unmöglichkeit auf Grund der Beschaffenheit dieses Kleidungsstücks, das vorgeworfene Verhalten zu setzen (S 134), im Ergebnis nur zum Teil Folge gegeben.

Sämtliche Einwände versagen.

Bei Prüfung der Berechtigung einer Verfahrensrüge ist stets von der Lage im Zeitpunkt der Stellung des Antrages und den dabei vorgebrachten Gründen auszugehen. Erst im Rechtsmittelverfahren vorgebrachte Gründe tatsächlicher Art können daher keine Berücksichtigung finden (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 4 E 41). Aus diesem Grund ist auf erst in der Beschwerde zur Stützung von Beweisanträgen vorgebrachte Argumente nicht einzugehen.

Zutreffend hat das Erstgericht darauf hingewiesen, daß die Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Zeugenaussage ausschließlich dem erkennenden Gericht obliegt und daher nicht einer Zeugin (hier der Kriminalbeamtin, die das Opfer am 27. September 1998 vernommen hat) überlassen werden kann. Die persönliche Meinung eines Zeugen über die Glaubwürdigkeit eines anderen ist weder für das Gericht maßgebend, noch kann sie überhaupt Gegenstand einer Zeugenaussage sein (Mayerhofer aaO § 150 E 6b bis 8).

Auch die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Angeklagten obliegt ausschließlich dem erkennenden Schöffengericht und kann nicht Thema eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens sein.

Der Antrag auf ergänzende Einholung eines Sachverständigengutachtens durch einen Kinderpsychiater (allenfalls Psychologen) zur Aussagetüchtigkeit und -fähigkeit der Zeugin Sara B***** läuft auf die Beiziehung eines zweiten Sachverständigen hinaus und müßte demzufolge dartun, weshalb das bisher eingeholte Gutachten der Kinderpsychologin Dr. Heide K***** (ON 19, S 167) Mängel (§ 125 f StPO) aufweist oder eine Schwierigkeit der Beobachtung oder Begutachtung (§ 118 Abs 2 StPO) vorliegt. Die bloße Behauptung, die bisherigen Ausführungen der Sachverständigen seien widersprüchlich, ohne dies näher bzw nachvollziehbar zu begründen, reicht hiezu jedoch nicht hin; ebensowenig der Hinweis darauf, daß die Sachverständige die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugin - mit Recht - dem Gericht überließ (S 133, 167). Erachtet das Gericht den vernommenen Sachverständigen für befähigt, ein einwandfreies Gutachten über den Fall abzugeben und ergeben sich (wie hier gegen die Attestierung der Aussagefähigkeit und -tüchtigkeit) keine Bedenken der in den §§ 125 f StPO angeführten Art, so liegt in der Abweisung des Antrags auf Beiziehung eines zweiten Sachverständigen ein Akt der Beweiswürdigung, der im Nichtigkeitsverfahren nicht anfechtbar ist (Mayerhofer aaO § 281 Z 4 E 133).

Soweit der Beschwerdeführer in seinem Rechtsmittel selbst einräumt, daß das mit seinem Beweisantrag vom 22. April 1999 angestrebte Ergebnis durch bloße Besichtigung der Reithose der Sara B***** (S 161 Mitte) ohne Überprüfung der durch die Sitzposition des Mädchens bedingten Beengung nicht erzielt werden könne, übersieht er, daß eine entsprechende Ergänzung der Beweisaufnahme von ihm nie beantragt wurde, sodaß es schon an der formellen Voraussetzung zur Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes der Z 4 mangelt. Eine solche Ergänzung war zudem im Hinblick auf die Befundung der Sachverständigen (S 161) nicht indiziert.

Schließlich zielt das diesbezügliche Beschwerdevorbringen ausschließlich auf den Nachweis ab, daß es dem Angeklagten nicht möglich gewesen sei, anläßlich des ersten Vorfalles am 29. August 1998 sein in sitzender Position befindliches Opfer am Gesäß zu streicheln. Da dem Angeklagten eine derartige Vorgangsweise aber ohnehin nicht angelastet wurde, wäre ein hierauf bezüglicher Beweisantrag schon mangels Relevanz abzuweisen gewesen.

Nach Inhalt und Zielrichtung der Mängelrüge (Z 5) unternimmt der Beschwerdeführer bloß den im Nichtigkeitsverfahren unzulässigen Versuch, nach Art einer Schuldberufung die vom Erstgericht in freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) auf der Basis der Gesamtheit der wesentlichen Verfahrensergebnisse sowie unter Verwertung des persönlichen Eindrucks gewonnene aktengetreue, denkmöglich und lebensnah begründete Überzeugung (US 4 bis 10) einerseits von der Schuld des Angeklagten, anderseits von der Glaubwürdigkeit der Zeugin Sara B***** in Zweifel zu setzen. Daß aus den Verfahrensergebnissen grundsätzlich auch andere, für den Angeklagten günstigere Schlußfolgerungen möglich gewesen wären, macht den bekämpften Schuldspruch nicht nichtig; dafür wäre ein Widerspruch mit Denkgesetzen oder der allgemeinen Lebenserfahrung erforderlich, wovon hier jedoch keine Rede sein kann.

Mit der gerügten, vom Erstgericht unglücklich gewählten Formulierung der Urteilsbegründung, dem Angeklagten sei der Beweis nicht gelungen, daß er zur Tatzeit nicht allein mit Sara B***** war, wollte das Erstgericht ersichtlich - wie sich aus dem Kontext ergibt - nur zum Ausdruck bringen, daß die Aussage der Zeugin Sabrina P*****, die seiner Entlastung dienen sollte, den erstgerichtlichen Feststellungen zum Tathergang nicht entgegensteht (siehe US 4, 5).

Auch die behauptete Undeutlichkeit liegt nicht vor. Das Erstgericht hat zweifelsfrei festgestellt (US 4), welche Tathandlungen dem Angeklagten angelastet werden. Mit der Formulierung, er habe das Mädchen "im Schambereich" gekniffen, wird klar zum Ausdruck gebracht, daß zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörige Körperpartien des Opfers, zu denen auch die Schamhaare zählen (Mayerhofer/Rieder StGB4 § 207 E 7a), von den Tathandlungen des Angeklagten betroffen waren.

Die Konstatierungen zu deren Intensität konnte das Erstgericht mängelfrei auf die Aussage der Zeugin Sara B***** stützen, wonach der Angeklagte bei beiden Vorfällen an ihrem Busen herumdrückte, sodaß es ihr wehtat (S 18 und 39) und anläßlich des zweiten Vorfalles ihren Schamhaarbereich betastete und quetschte bzw ihr die Scheide zusammendrückte (S 18 und 41).

Schließlich konnte das Erstgericht die subjektive Tatseite mängelfrei aus den festgestellten Tathandlungen des Angeklagten, die eine ungewollte Begehung geradezu ausschließen, und seiner eigenen Verantwortung ableiten, wonach er das Alter des Tatopfers auf acht bis neun Jahre schätzte (S 130).

Nach Prüfung des Beschwerdevorbringens anhand der Akten ergeben sich auch keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen (Z 5a).

Die in der Rechtsrüge (Z 9 lit a) vertretene Auffassung, daß es sich bei dem vom Erstgericht festgestellten Tatverhalten (noch) um keinen sexuellen Mißbrauch im Sinne des § 207 Abs 1 StGB gehandelt habe, bzw es bloß beim Versuch geblieben sei (Z 10), erweist sich als verfehlt:

Unter geschlechtlicher Handlung (dieser Begriff entspricht der früheren "Unzucht"; S 23 der Regierungsvorlage zum Strafrechtsänderungsgesetz 1998, BGBl Nr 153/1998) ist eine Handlung sexueller Art und Tendenz von bestimmter sozialstörender Erheblichkeit zu verstehen. Vollendeter sexueller Mißbrauch in diesem Sinn kann bei nicht bloß flüchtiger, auch äußerlich auf das Geschlechtliche bezogener Berührung von zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörenden Körperpartien vorliegen. In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wurde daher deshalb schon bisher Deliktsverwirklichung nach § 207 Abs 1 StGB bei - wenngleich über den Kleidern stattgefundener - Betastung auch erst ansatzweise entwickelter Brüste unmündiger Mädchen bejaht. Ob die Brustgegend eines unmündigen Mädchens bereits zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehört, deren Berührung auch nach außen hin sexuell sinnbezogen erscheinen kann, hängt nicht generell und ausschließlich davon ab, ob die physische Entwicklung eines Mädchens gerade in dieser Körperregion so weit fortgeschritten ist, daß seine Brüste als Sekundärmerkmale weiblichen Körpers bereits (deutlich) ausgeprägt sind. Vielmehr kommt es für die Bejahung sexuellen Mißbrauches eines

Den eben dargelegten Kriterien zum Mißbrauchsbegriff des § 207 StGB entspricht aber das hier festgestellte grobe Betasten der Brust, welches das neunjährige Tatopfer als sexuell sinnbezogen wahrgenommen hat (US 8). Daß das Betasten bzw Quetschen der Schamgegend, also jedenfalls einer zur unmittelbaren Geschlechtssphäre des Opfers gehörigen Körperpartie ein tatbestandsmäßiges Verhalten im Sinne des § 207 Abs 1 StGB darstellt, bedarf keiner näheren Erörterung.

Wenn der Angeklagte schließlich einen Feststellungsmangel zum Vorliegen der subjektiven Tatseite behauptet, übergeht er die dahingehenden ausdrücklichen Urteilskonstatierungen (US 8).

Der zum Teil unbegründeten, zum Teil nicht gesetzmäßig ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerde war sohin ein Erfolg zu versagen.

Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten nach § 207 Abs 1 StGB eine unter Bestimmung dreijähriger Probezeit bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten. Dabei wertete es die Wiederholung der Tat als erschwerend, als mildernd hingegen die "Unbescholtenheit".

Während die Staatsanwaltschaft in ihrer Berufung eine Erhöhung der verhängten Freiheitsstrafe unter Ausschaltung der gänzlichen und Anwendung teilweise bedingter Strafnachsicht nach § 43a Abs 3 StGB, in eventu § 43a Abs 2 StGB anstrebt, begehrt der Angeklagte eine Herabsetzung der Sanktion und deren Umwandlung in eine unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachzusehende Geldstrafe.

Das Schöffengericht hat die Strafzumessungsgründe richtig und vollständig angeführt und auch zutreffend bewertet, weshalb sich der Oberste Gerichtshof zu einer Änderung der Sanktion nicht bestimmt gefunden hat.

Die Wiederholung der unmittelbaren Übergriffe auf verschiedene Körperregionen eines erst neunjährigen Mädchens verwehrt auch angesichts künftigen Gelegenheitsverhältnisses als Pferdepfleger eine Milderung der Sanktion, während der bisher ordentliche Lebenswandel des im fortgeschrittenen Lebensalter stehenden Angeklagten eine Verschärfung nicht erfordert.

Der Ausspruch über die Kostenersatzpflicht ist in § 390a StPO begründet.

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