OGH 15Os99/99

OGH15Os99/9923.9.1999

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. September 1999 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Horvath als Schriftführer, in der Strafsache gegen Mario Mü***** und einen anderen Angeklagten wegen des Vergehens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Harald M***** gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht in Jugendstrafsachen vom 29. April 1999, GZ 23 Vr 3250/98-68, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Erster Generalanwalt Dr. Jerabek, des Angeklagten M*****, seiner gesetzlichen Vertreterin Brigitte M***** und des Verteidigers Mag. Huber zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten M***** auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen (auch einen in Rechtskraft erwachsenen Schuld- und Teilfreispruch des Mitangeklagten Mario Mü***** enthaltenden) Urteil wurde ua Harald M***** - teilweise abweichend von der gegen ihn erhobenen Anklage der Staatsanwaltschaft (ON 52) nur - der Vergehen der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB (I.1.), der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (III.B.) und der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (IV.1. und 2.) schuldig erkannt.

Danach hat er in Uderns (Zillertal)

(zu I.1.) am 3. November 1998 im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit dem (rechtskräftig verurteilten) Mario Mü***** der Elisabeth Ma***** auf andere Weise als durch widerrechtliches Gefangenhalten die persönliche Freiheit entzogen, indem sie das Mädchen mit zwei Gürteln an den Händen fesselten;

(zu III.B.) am 5. November 1998 Elisabeth Ma***** durch Zufügen von Schnitt- und Schürfwunden am rechten Oberarm ("Satansstern") am Körper (vorsätzlich) verletzt;

(zu IV.) im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit Mario Mü***** Elisabeth Ma***** durch Gewalt (richtig:) und durch gefährliche Drohung zur Duldung und Unterlassung genötigt, und zwar

1. am 3. November 1998 durch Gewalt, nämlich durch abwechselndes Draufsetzen (auf deren Körper), zur Unterlassung des Aufstehens und des Weggehens,

2. am 6. November 1998 mit den Worten, es werde etwas passieren, wenn sie Harald M***** nicht gewähren lasse, somit durch Drohung mit einer Körperverletzung zur Duldung des Einritzens eines "Satanssterns" am rechten Arm durch Harald M*****.

Dagegen erhob der Angeklagte M***** (zu den einzelnen Schuldspruchsfakten getrennt) Nichtigkeitsbeschwerde aus Z 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO, der keine Berechtigung zukommt.

Rechtliche Beurteilung

Die angemeldete Berufung (ON 69) zog der Verteidiger in einem am 12. Juli 1999 beim Obersten Gerichtshof eingelangten Schriftsatz zurück (ON 3 des Os-Aktes).

Der Beschwerdeerledigung ist voranzustellen:

Die im Schuldspruch I.1. und IV.1. beschriebenen Tathandlungen ("Fesseln der Hände" und "abwechselndes Draufsetzen") sollten gemäß dem auf das Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB lautenden Anklage- vorwurf I. der ON 52 im Zusammenwirken mit weiteren Gewaltakten und der Drohung mit dem Umbringen die Duldung des Geschlechtsverkehrs durch Elisabeth Ma***** erzwingen. Die Tatrichter erachteten jedoch diese deliktsspezifische Zielsetzung "im Zweifel als nicht feststellbar" (US 17 f). Sie beurteilten daher die Fesselung der Hände des Opfers als Vergehen der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB (I.1.) und das abwechselnde "Draufsetzen" auf das am Bett liegende Mädchen gesondert als Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (IV.1.). Dabei nahm das Erstgericht nach den Urteilsfeststellungen - ungeachtet einer bei isolierter Betrachtung auch eine andere Deutung zulassenden Formulierung des Urteilsspruchs (US 3 und 5) - ein einheitliches Tatgeschehen an, dem zufolge die Angeklagten Elisabeth Ma***** einerseits durch Fesselung, andererseits durch abwechselndes "Draufsetzen" am Aufstehen und Weggehen hinderten (US 12 und 17). Eine Verdrängung der Freiheitsentziehung als typische Begleittat der Nötigung verneinte es fallbezogen und nahm folgerichtig - in Übereinstimmung mit gesicherter Rechtsprechung (vgl Leukauf/Steininger Komm3 § 99 RN 26 f und § 105 RN 41) - eine jeweils eigenständige Tatbestandsverwirklichung an.

Zum Schuldspruch wegen § 99 Abs 1 StGB (I.1.):

Entgegen der - bloß unzulässig die schöffengerichtliche Beweiswürdigung kritisierenden - Mängelrüge (Z 5) hat das Erstgericht unter zureichender Berücksichtigung der Verantwortungen der beiden Angeklagten und der Aussage des Opfers begründet, daß Elisabeth Ma***** (ua) das Fesseln der Hände am 3. November 1998 keineswegs als "Spaß" aufgefaßt hat (US 17, 18 und 19). Gemäß § 270 Abs 2 Z 5 StPO war es daher nicht gehalten, diese Beweisergebnisse noch ausführlicher zu erörtern und einen (für den aktuellen Schuldvorwurf unerheblichen) Vorfall von Ende Oktober 1998 in seine Erwägungen miteinzubeziehen.

Erklärtes Ziel der nur "hilfsweise" erhobenen Tatsachenrüge (Z 5a) ist, die Beweiswürdigung der Tatrichter anzufechten. Damit verkennt sie die Eigenständigkeit und das Wesen dieses unter die formellen Nichtigkeitsgründe eingereihten und daher in seiner prozessualen Reichweite keineswegs einer Schuldberufung gleichenden Anfechtungstatbestandes. Mit isoliert aus dem Gesamtzusammenhang gelösten, nach Auffassung der Beschwerde deren Standpunkt stützenden Teilen aus den Einlassungen der Angeklagten und der Aussage der Zeugin Elisabeth Ma***** sowie mit der Wiederholung einzelner Argumente der Mängelrüge werden weder schwerwiegende, unter Außerachtlassung der Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung zustande gekommene Mängel in der Sachverhaltsermittlung aufgezeigt, noch wird auf aktenkundige Beweisergebnisse hingewiesen, die nach den Denkgesetzen oder nach der allgemeinen menschlichen Erfahrung erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der vom Schöffengericht nach den Grundsätzen des § 258 Abs 2 StPO vorgenommenen Beweiswürdigung in der entscheidungswesentlichen Tatsache aufkommen lassen, daß sich Elisabeth Ma***** (auch) gegen die Fesselung ernsthaft gewehrt und diesen Freiheitsentzug keinesfalls als "Spaß" aufgefaßt hat (vgl Mayerhofer StPO4 § 281 Z 5a E 1 ff).

Weitgehend nicht prozeßordnungsgemäß releviert der Nichtigkeitswerber in der Rechtsrüge (Z 9 lit a) sowie in einem Teil der Mängelrüge (Z 5) fehlende Feststellungen zur subjektiven Tatseite bezüglich der "erforderlichen Mindest- dauer" der Fesselung, des "ernstlichen und gewichtigen Hindernisses" und der "fehlenden Einwilligung" des Fesselungsopfers.

Dieses Vorbringen übergeht zum einen die entscheidende Tatsache, daß die Erkenntnisrichter - wie dargelegt - nicht nur die (vom Beschwerdeführer verfahrenswidrig für sich allein betrachtete) Fesselung der Hände, sondern auch das unmittelbar darauffolgende "abwechselnde Draufsetzen" als Nötigungsmittel festgestellt haben (US 12, 17). Zum anderen setzt es sich rundweg über die unmißverständliche Urteilskonstatierung der vorsätzlichen Überwindung des von Elisabeth Ma***** geleisteten Widerstandes hinweg (US 12, 17, 18 und 19). Darin geht das Urteil aber weder von einem "bedingten" Vorsatz noch von einem "zaghaften" oder von "wenig Widerstand" aus.

Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung des Urteilssachverhalts (Fesselung der Hände und abwechselndes "Draufsetzen") liegen auch hinreichende - von der Beschwerde indes zu Unrecht vermißte - Feststellungen bezüglich einer der Freiheitsentziehung innewohnenden, nicht nach Anzahl der Minuten zu messenden "gewissen Dauer" ebenso vor wie zur Tatsache, daß Elisabeth Ma***** an ihrer Bewegungsfreiheit im Raum und an einer willkürlichen Ortsveränderung gehindert war, wobei es für die Tatbestandsverwirklichung unerheblich ist, ob sie tatsächlich um Hilfe gerufen hat (vgl dazu Leukauf/Steininger aaO Nr 99 RN 1 ff).

Zum Schuldspruch wegen § 105 Abs 1 StGB (IV.1. und 2.):

Der Mängel- (Z 5) und Tatsachenrüge (Z 5a) zuwider hat das Erstgericht den Urteilsvorwurf wegen des Vergehens der Nötigung (IV.1.) zureichend (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) und denkmöglich, demnach formell mängelfrei mit der entscheidungswesentlichen Aussage der Zeugin Elisabeth Ma***** in Verbindung mit den weitgehend übereinstimmenden Verantwortungen der beiden Angeklagten begründet (US 17 ff). Die Rechtsfrage, ob dem "Draufsetzen" des Harald M***** allein die Eignung einer Gewaltanwendung im Sinne des § 105 Abs 1 StGB zukam, hatten die Tatrichter auf Basis der gesamten Beweisergebnisse unter Mitberücksichtigung der Fesselung der Hände eigenständig zu klären, ohne daß es einer Erörterung der insoweit unmaßgeblichen Einschätzung des genötigten Mädchens (S 205/II: "Das Draufsetzen war keine Gewalt") bedurfte. Somit haftet dem bekämpften Schuldspruch kein formeller Begründungsmangel an. Der Beschwerdeführer weckt auch auf Aktengrundlage keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen.

Den gegen das Vergehen der Nötigung am 5. November 1998 (IV.2.) gerichteten, nominell auf Z 5 und 5a, der Sache nach auf Z 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Rügen kommt nur insoweit Berechtigung zu, als sie die erstgerichtlichen Urteilsannahmen betreffend die "Mittäterschaft" des Angeklagten M***** (US 13 iVm 18 und 19) als nicht tragfähig kritisieren. In der Tat reicht die zentrale Feststellung, M***** habe bei der Drohung bewußt und gewollt mit Mario Mü***** zusammengewirkt, er hätte "nötigenfalls auf seiten des unmittelbar drohenden Mario Mü***** eingegriffen" (abermals US 13), für seine Verurteilung als Mittäter nicht aus, weil er selbst keine dem Tatbild entsprechende Ausführungshandlung gesetzt hat. Den tatrichterlichen Feststellungen zufolge wäre er daher wegen der geleisteten psychischen Unterstützung gesetzeskonform als Beitragstäter nach § 12 dritter Fall StGB schuldig zu sprechen gewesen. Angesichts der rechtlichen Gleichwertigkeit der einzelnen Täterschaftsformen des § 12 StGB wird durch die irrige Annahme der Mittäterschaft anstatt Beitragstäterschaft weder ein entscheidender (also entweder für den Schuldspruch oder für den anzuwendenden Strafsatz maßgebender) Umstand berührt, noch ist die Beschwerde mit diesem Einwand zum Vorteil des Angeklagten ausgeführt, zumal der Tatbeitrag des Beschwerdeführers in sachverhaltsmäßiger Hinsicht deutlich festgestellt ist (vgl hiezu Leukauf/Steininger aaO § 12 RN 4, 14 f, 22, 45 mwN; Mayerhofer aaO § 281 Z 5 E 18 d; § 281 Z 10 E 53 ff).

Im Hinblick auf die der inkriminierten Nötigung unmittelbar vorangegangenen mehrfachen Attacken des Mario Mü***** mit einem Messer und einem brennenden Spraystrahl, die zu Verletzungen an Rücken und Oberschenkeln der Elisabeth M***** führten (US 13), bestehen bei Anlegung eines objektiv-individuellen Maßstabes keine Zweifel an der objektiven Eignung der anschließend geäußerten ernstgemeinten Drohung, es werde "etwas" passieren, dem gepeinigten Mädchen begründete Besorgnis vor einer neuerlichen Körperverletzung für den Fall seiner Weigerung einzuflößen.

Schließlich hat das Schöffengericht auch den für die Beitragstäterschaft des Nichtigkeitswerbers notwendigen Vorsatz aus dem Gesamtverhalten und aus den relevanten Beweistatsachen formell fehlerfrei konstatiert, indem es bei der gegebenen Sachlage zutreffend von der "Tathandlung selbst", die das Einritzen des "Satanssterns" zum Ziel hatte, auf den Nötigungsvorsatz geschlossen hat (US 19).

Das im sachlichen Kern einer Mängel- und Tatsachenrüge bloß nach Art einer unzulässigen Schuldberufung auf die Bekämpfung der tatrichterlichen Lösung der Schuldfrage abzielende Vorbringen vermag daher keine formalen Begründungs- und/oder Beweiswürdigungsfehler aufzuzeigen.

Zum Vergehen nach § 83 Abs 1 StGB (III.B.):

Soweit der Nichtigkeitswerber hiezu erneut die bereits zum Schuldspruch IV.2. erhobenen (vermeintlichen) Begründungs- und Feststellungsmängel zur "Mittäterschaft", zum Vorsatz des Angeklagten M***** und zur mangelnden Tatbestandsmäßigkeit der Nötigung ins Treffen führt, genügt der Hinweis auf diesen Teil der Beschwerdeerledigung.

Keiner Erörterung bedurfte die Verantwortung des Beschwerdeführers, wonach er dem Mädchen lediglich "einen kleinen Ritzer bzw Strich" zugefügt und sofort aufgehört habe, als Elisabeth Ma***** gesagt habe, "es tue ihr weh". Schon diese vom Rechtsmittelwerber eingestandene Tätlichkeit, die nach der Aussage des Tatopfers zu einer Blutung und Krustenbildung des geronnenen Blutes geführt hat (S 131, 243/I), entspricht dem Erfordernis der nicht gänzlich unerheblichen Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit im Sinne des § 83 Abs 1 StGB.

Der Beschwerde zuwider lassen die Urteilsfeststellungen keinen Zweifel daran offen, daß auch der Angeklagte M***** die Drohung des Mario Mü*****, es werde etwas passieren, wenn sich Elisabeth Ma***** nicht einen Satansstern einritzen lasse, als ernstgemeint aufgefaßt hat und das Mädchen nur unter dem Eindruck dieser Drohung sagte: "Ja aber leicht" (S 243/I). Wenn der Rechtsmittelwerber nun aus dieser, nur zufolge einer weiteren angedrohten Körperverletzung zustande gekommenenen Äußerung mit den Nichtigkeitsgründen des § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO eine taugliche Einwilligung des Opfers gemäß § 90 Abs 1 StGB abzuleiten trachtet und in der Rechtsrüge (Z 9 lit a) zum urteilskonträren Schluß gelangt, "es müßte zumindest im Zweifel ein Freispruch ergehen, da nicht mit der für einen Schuldspruch erforderlichen Sicherheit feststeht, ob überhaupt eine Körperverletzung im Sinne des § 83 StGB vorliegt oder aus Sicht des Harald M***** eine rechtswirksame Einwilligung anzunehmen war", führt er keinen der geltend gemachten Anfechtungspunkte prozeßordnungsgemäß aus. In Wahrheit argumentiert er an den unmißverständlichen, anderlautenden Urteilsannahmen vorbei und bekämpft abermals bloß unzulässig die zu seinem Nachteil ausgefallene, formal fehlerfreie Beweiswürdigung der Tatrichter.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher insgesamt zu verwerfen.

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