OGH 2Ob225/99y

OGH2Ob225/99y23.9.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Gerstenecker und Dr. Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *****krankenkasse, ***** vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Amhof & Dr. Damian Partnerschaft in Wien, wider die beklagten Parteien 1. A***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, *****und 2. Guido H*****, beide vertreten durch Dr. Gottfried Zandl und Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 292.736,62 sA, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 29. April 1999, GZ 12 R 47/99s-30, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 29. Dezember 1998, GZ 22 Cg 149/97m-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Klagebegehren, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 292.736,62 samt 4 % Zinsen seit 14. März 1997 zu bezahlen, abgewiesen wird.

Die klagende Partei ist schuldig an Kosten des Verfahrens erster Instanz beiden beklagten Parteien den Betrag von S 20.204,72 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 3.354,12 und Barauslagen von S 80), sowie der erstbeklagten Partei zusätzlich den Betrag von S 42.764,80 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 7.120,80 und S 40 Barauslagen) und dem Zweitbeklagten zusätzlich den Betrag von S 14.241,60 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 2.373,60, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die klagende Partei ist weiters schuldig, den beklagten Parteien die mit S 61.237,40 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 6.010,40 und Barauslagen von S 25.175) bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagten Parteien haben für jene Schäden zu haften, die Andreas N***** infolge eines vom Zweitbeklagten verschuldeten Verkehrsunfalles entstanden sind. N***** wurde nach dem Unfall ins H*****-Krankenhaus eingeliefert, wo er sich im Jahre 1995 62 Tage und im Jahre 1996 35 Tage in stationärer Behandlung befand. Eigentümerin und Erhalterin dieses Krankenhauses ist die Klägerin, die zugleich auch als Sozialversicherungsträger für die Kosten der Heilbehandlung des Verletzten aufzukommen hatte. Da zwischen Krankenanstalten und Sozialversicherungsträgern die amtlichen Pflegegebührensätze der Krankenhäuser nicht zur Gänze verrechnet werden, blieb ein Teil der auf der Basis der amtlichen Pflegegebührensätze berechneten Krankenbehandlungskosten unbeglichen; der vom Sozialversicherungsträger zu tragende Anteil wurde von der erstbeklagten Partei ersetzt.

Die klagende Partei begehrt nun als Rechtsträger des Krankenhauses von den beklagten Parteien unter Hinweis auf § 48 KAG den verbliebenen Differenzbetrag zwischen den amtlichen Pflegegebühren und den vom zuständigen Sozialversicherungsträger geleisteten Pflegegebührenersatz.

Die Beklagten wendeten ein, es stehe einem sozialversicherten Erkrankten kostenlose stationäre Anstaltspflege in der allgemeinen Gebührenklasse zu; alle Leistungen der Krankenanstalten seien vom Sozialversicherungsträger abzugelten. Dem Versicherten entstehe in Ansehung der Krankenbehandlungskosten kein Schadenersatzanspruch der auf den Träger des Krankenhauses übergehen könne. Vielmehr gehe sein Schadenersatzanspruch gemäß § 332 ASVG auf den Sozialversicherungsträger insoweit über, als dieser Leistungen zu erbringen habe. Bei Verletzung einer sozialversicherten Person könne daher die Ersatzpflicht des Schädigers über den vom Sozialversicherer zu leistenden Beitrag zu den Krankenbehandlungskosten nicht hinausgehen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und führte in rechtlicher Hinsicht aus, § 332 ASVG regle den Übergang von Schadenersatzansprüchen auf die Versicherungsträger, § 48 KAG hingegen auf die Rechtsträger der Krankenanstalten. Die gesetzlichen Anspruchsbeschränkungen des Krankenanstaltsträgers gegenüber dem Versicherungsträger bzw der Anspruchsausschluß gegenüber dem Versicherten ließen anderweitige Ansprüche der Krankenanstalt gegenüber einem allfälligen Schädiger unberührt. Gemäß § 48 KAG könne der Rechtsträger der Krankenanstalt vom Schädiger in jedem Falle die noch unbeglichenen Pflegegebühren verlangen. Diese Bestimmung solle der Krankenanstalt die Möglichkeit geben, bei Verschulden eines Dritten ihre Defizite abzudecken. Der Anspruch des Pfleglings gegenüber dem Schädiger umfasse die gesamten Heilbehandlungskosten, also die "Pflegegebühren".

Das dagegen von den beklagten Parteien angerufene Berufungsgericht bestätigte die angefochtene Entscheidung und sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig.

Es führte in rechtlicher Hinsicht aus, sowohl die grammatikalische als auch die historische Auslegung des § 48 KAG brächten keine brauchbaren Aufschlüsse für die Lösung der hier zu beurteilenden Frage des Anspruchsüberganges bei sozialversicherten Patienten, weshalb zu fragen sei, welche Zwecke vernünftigerweise mit der auszulegenden Bestimmung verfolgt werden könnten. Da § 48 KAG den Übergang des Schadenersatzanspruches anordne, der aus dem Grund des Heilungskostenersatzes entstanden sei, sei von § 1325 ABGB auszugehen, wonach derjenige, der einen anderen an seinem Körper verletze, die Heilungskosten des Verletzten zu bestreiten habe. Bereits mit der Verletzung entstünden dem Verletzten Ansprüche auf Ersatz der notwendigen Heilbehandlungskosten. Daß diese ganz oder zum Teil von einem Dritten zu tragen seien, könne den Schädiger nicht entlasten, wenn sich nicht aus dem Zweck der einschlägigen Vorschriften eindeutig ergebe, daß die Leistung des Dritten auch dem Schädiger zum Vorteil gereichen solle, was hier aber nicht der Fall sei.

Daß es sich bei den "amtlichen Pflegegeldsätzen" um angemessene Heilbehandlungskosten handle, sei nicht zweifelhaft. Ohne Bestehen einer Sozialversicherung müßte der Verletzte diese dem Träger des Krankenhauses bezahlen. Nach § 48 KAG gehe der Schadenersatzanspruch des Verletzten insoweit auf den Krankenhausträger über, womit der Schädiger Ersatz in Höhe der vollen Pflegegebührensätze zu leisten habe. Weshalb es gerechtfertigt sein solle, den Schädiger im Fall eines sozialversicherten Patienten zu entlasten, sei nicht ersichtlich. Das bloße Formalargument der beklagten Parteien, dem sozialversicherten Verletzten entstehe im Hinblick auf die Legalzessionsnorm des § 332 ASVG gar kein Anspruch auf Ersatz von Heilbehandlungskosten, der auf den Krankenanstaltenträger übergehen könne, habe in den Hintergrund zu treten. Es entspreche Lehre und Rechtsprechung, daß auch die Kosten einer privaten Krankenbehandlung vom Schädiger in vollem Umfang zu ersetzen sei, wenn diese der sonstigen Lebenshaltung des Verletzten entspreche. Müsse also der Schädiger auch in anderen Fällen höhere Beträge ersetzen, als sie den Leistungen der Sozialversicherungsträger entsprächen, so wäre es nicht zu begründen, warum er in Fällen wie dem vorliegenden zu Lasten des Krankenhausträgers vom Ersatz angemessener Heilungskosten teilweise befreit sein sollte. Auch hier könne davon ausgegangen werden, daß dem Verletzten mit der Verletzung der Anspruch auf Ersatz angemessener Heilungskosten entstanden sei, der nur insoweit gemäß § 332 ASVG auf den Sozialversicherungsträger übergehe, als dieser Leistungen zu erbringen habe. Soweit die Geldleistungen des Sozialversicherungsträgers hinter den angemessenen Heilungskosten zurückblieben, verbleibe ein Differenzanspruch beim Verletzten, der mit der stationären Aufnahme in ein Krankenhaus auf dessen Rechtsträger übergehen könne. Durch diese Auslegung werde das sachlich nicht begründbare Ergebnis vermieden, daß ein Schädiger auch bei völlig gleichartiger Krankenhausbehandlung des Verletzten je nach dem ob der Verletzte sozialversichert sei oder nicht einen höheren oder einen niedrigeren Ersatzbetrag zu leisten habe. Daß es erheblich näher liege, den Schädiger heranzuziehen und nicht die Allgemeinheit mit den auf der Differenz zwischen den (kostendeckenden) amtlichen Pflegegebührensätzen und den (erheblich niedrigeren) Beiträgen der Sozialversicherungsträger (Pflegegebührenersätze) resultierenden Verlusten zu belasten, liege auf der Hand.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur entscheidenden Auslegungsfrage fehle.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Parteien mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel der beklagten Parteien keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

Die beklagten Parteien machen in ihrem Rechtsmittel geltend, gemäß § 332 ASVG gingen sämtliche Ansprüche aus der Leistungsart Krankenbehandlung auf den Sozialversicherer über, weshalb kein Differenzanspruch beim Geschädigten verbleibe, der nach § 48 KAG übergehen könne. Weiters trete der Pflegegebührenersatz an die Stelle der amtlich festgelegten Pflegegebühren mit derselben Wirkung, weshalb mit Bezahlung des Pflegegebührenersatzes alle Forderungen des Krankenhausträgers aus der Behandlung des Sozialversicherungsträgers abgegolten seien und daher keine unbeglichenen Pflegegebühren im Sinne des § 48 KAG mehr bestünden. Sowohl terminologische als auch systematische Überlegungen führten dazu, § 48 KAG nur auf Pflegegebühren, nicht aber auf Pflegegebührenersätze anzuwenden; jede andere Sichtweite würde die gesetzlich gewollten Privilegien der §§ 332 Abs 5 und 333 Abs 4 ASVG aushöhlen.

Hiezu wurde erwogen:

Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß für die Beurteilung des gegenständlichen Rechtsstreites die Rechtslage vor Inkrafttreten der Neuordnung der Krankenanstaltenfinanzierung durch die Vereinbarung über die Reform des Gesundheitswesens und der Krankenanstaltenfinanzierung für die Jahre 1997 bis 2000, BGBl 1997 I/111, maßgeblich ist.

Nach dieser Rechtslage erfolgt die Abgeltung für die Unterbringung sozialversicherter Patienten auf der Grundlage privatrechtlicher Verträge, die die Träger der Krankenversicherung mit den Trägern der Krankenanstalten geschlossen haben (§ 148 Z 7 ASVG alt bzw § 148 Z 10 ASVG neu). In diesen Verträgen waren bis zum 31. 12. 1996 auch die zur Abgeltung der Behandlungskosten von den Sozialversicherungsträgern zu zahlenden "Pflegegebührenersätze" (§ 148 Z 7 ASVG alt) geregelt; diese wichen in der Regel erheblich von den amtlich festgesetzen Pflegegebühren ab. Die Finanzierung des Anstaltsaufenthaltes erfolgte vor dem 1. 1. 1997 bei sozialversicherten Patienten sohin durch die von den Krankenversicherungsträgern zu zahlenden Pflegegebührenersätze, bei nicht sozialversicherten Patienten durch die Bezahlung der Pflegegebühren (§ 27 Abs 1 KAG). Gemäß § 48 KAG (aF) geht der Schadenersatzanspruch, der aus dem Grunde des Heilungskostenersatzes entstanden ist, bis zur Höhe der unbeglichenen Pflegegebühren auf den Rechtsträger der Krankenanstalt über, wenn die Erkrankung, die zur Anstaltsbehandlung des Pfleglings geführt hat, auf ein Verschulden zurückzuführen ist, für das zufolge gesetzlicher Vorschriften ein Dritter haftet. Gemäß § 332 ASVG findet eine Legalzession auf den Versicherungsträger insoweit statt, als dieser Leistungen zu erbringen hat, wenn eine sozialversicherte Person geschädigt wird. In § 48 KAG ist eine Beschränkung der Legalzession nach Maßgabe der Kongruenz von Ersatzanspruch und Regreßanspruch normiert, es gehen also im Wege der Legalzession nur solche Ersatzansprüche auf den Träger der Krankenanstalt über, die auf Leistungen gerichtet sind, die mit der Anstaltsunterbringung funktionsgleich sind. Voraussetzung für eine Legalzession nach § 48 KAG ist aber jedenfalls, daß ein Anspruch auf Pflegegebühren überhaupt besteht bzw bestanden hat. Dies ist aber bei einem sozialversicherten Geschädigten nicht der Fall. Der Träger der Krankenanstalt hat nämlich bei einem solchen Patienten keinen Anspruch auf "Pflegegebühren", sondern auf "Pflegegebührenersätze". Schon allein die Wortinterpretation des § 48 KAG führt dazu, eine Legalzession bei sozialversicherten Patienten abzulehnen. Die Bestimmung des § 48 KAG befindet sich auch im Hauptstück B unter der Rubrik "Besondere Vorschriften für Pflegegebührenforderungen".

Schließlich darf nicht übersehen werden, daß die Träger der Krankenanstalten bei Behandlung sozialversicherter Patienten eben nur Anspruch auf die Bezahlung des Pflegegebührenersatzes haben. Wollte man im Regreßweg den Trägern der Krankenanstalten einen weiteren Anspruch einräumen, dann würden die Krankenanstalten alleine aus dem Umstand, daß der Anstaltsaufenthalt eines sozialversicherten Patienten auf einer schuldhaften Schädigung beruht, einen Vorteil lukrieren. Der Sozialversicherungsträger könnte allerdings gemäß § 332 ASVG nur Regreß im Ausmaß der von ihm selbst erbrachten Leistungen erheben. Es ist nun nicht einzusehen, weshalb bei einer Differenz zwischen der Pflegegebühr und dem Pflegegebührenersätzen der Träger der Krankenanstalt auf ein mehr Regreß nehmen könnte, als die Versicherungsgemeinschaft. Nach Ansicht des erkennenden Senates bezieht sich daher die Legalzession gemäß § 48 KAG nur auf Patienten, für deren Anstaltsunterbringung Pflegegebühren anfallen, was bei sozialversicherten Patienten nicht der Fall ist.

Zu diesem Auslegungsergebnis kommt man auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß aufgrund der Legalzession des § 332 ASVG beim Verletzten kein Anspruch verbleibt, der auf den Träger der Krankenanstalt übergehen könnte. Bei Leistungen des Sozialversicherungsträgers im Rahmen einer von ihm zu gewährenden Heilbehandlung geht der kongruente Schadenersatzanspruch des Geschädigten gegen den Schädiger sogleich mit dem Eintritt des schädigenden Ereignisses auf den Sozialversicherungsträger über. Der Aufwand des Sozialversicherungsträgers ist in aller Regel niedriger, als der Aufwand, den der Versicherte hätte, wollte er sich die gleiche Leistung privat verschaffen. Das hypothetische Geschädigteninteresse übersteigt daher in der Regel jene Kosten, die der Versicherungsträger selbst für die dem Versicherten erbrachten Leistungen hatte. Die Konsequenz einer am hypothetischen Geschädigteninteresse orientierten Berechnung des kongruenten Heilungskostenersatzes wäre ein den Aufwand des Sozialversicherungsträgers übersteigender, somit nicht im Wege der Legalzession übergehender Restanspruch des Geschädigten. Diese Konsequenz wird aber dadurch vermieden, daß der kongruente Heilungskostenersatzanspruch des Geschädigten mit den dem Sozialversicherungsträger auflaufenden Selbstkosten gleichgesetzt wird. Das bedeutet, daß dann, wenn der Sozialversicherungsträger die Heilungskosten des Verletzten zu tragen hat, der kongruente Schadenersatzanspruch des Verletzten gegen den Schädiger unabhängig davon auf den Sozialversicherungsträger übergeht, ob dieser für seine Sachleistungen allenfalls weniger aufwenden mußte, als der Geschädigte ohne Sozialversicherung aufwenden hätte müssen, ohne daß in derartigen Fällen ein Teil des kongruenten Ersatzanspruches beim Verletzten verbliebe (SZ 62/87 mwN). Daraus folgt, daß auch aus diesem Grunde bei sozialversicherten Patienten eine Legalzession nach § 48 KAG nicht erfolgen kann, weshalb der Revision der beklagten Parteien stattzugeben und das Klagebegehren abzuweisen war.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Stichworte