OGH 9ObA113/99d

OGH9ObA113/99d15.9.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Heinz Paul und Dr. Jörg Wirrer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Edwin F*****, Kraftfahrer, *****, vertreten durch Dr. Markus Orgler und Dr. Josef Pfurtscheller, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei Walter R*****, Mineralölhandel, *****, vertreten durch Univ. Doz. Dr. Bernd A. Oberhofer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 82.566,55 brutto sA (Revisionsinteresse S 81.426,83 brutto sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Februar 1999, GZ 15 Ra 7/99p-51, womit infolge Berufungen beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 6. November 1998, GZ 43 Cga 285/96g-42, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei, die mit S 6.086,40 (darin S 1.014,40 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht bejahte mit zutreffender Begründung den Abfertigungsanspruch des Klägers nach vorzeitigem Austritt, weshalb es ausreicht, hierauf zu verweisen (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Den Revisionsausführungen ist ergänzend entgegenzuhalten:

Gemäß § 82a lit a GewO 1859 darf ein Arbeitnehmer die Arbeit vor Ablauf der vertragsmäßigen Zeit und ohne Kündigung verlassen, wenn er die Arbeit ohne erweislichen Schaden für seine Gesundheit nicht fortsetzen kann. Hiebei genügt es, daß durch die Fortsetzung der Arbeit ein gesundheitlicher Schaden befürchtet werden muß (Wachter in DRdA 1984, 250 [251 f]; Arb 9.376; Arb 10.144; SZ 60/134; 8 ObA 278/98k ua). Davon ist beim Kläger, der beim Beklagten als Kraftfahrer beschäftigt war, nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanzen auszugehen. Der Kläger hat damit den ihn treffenden Beweis, daß er seine bisherige Tätigkeit nicht ohne Schaden für seine Gesundheit fortsetzen konnte, erbracht (Wachter aaO 255; RdW 1997, 297).

Liegt eine Arbeitsunfähigkeit oder Gesundheitsgefährdung des Arbeitnehmers vor, ist ein Austrittsgrund im Sinne des § 82a lit a GewO 1859 gegeben. Der Arbeitnehmer kann sich dann jederzeit - also auch wenn er sich im Krankenstand befindet (ZAS 1994, 133 [Gillinger] = Arb 11.095) - zur Rechtfertigung der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses darauf berufen (Wachter aaO 252; Mosler in DRdA 1985, 215 [220]; derselbe in DRdA 1990, 195 [197]; Arb 9.376; ARD 4.065/10/89; infas 1990, A 10 ua).

Die von der Rechtsprechung (ZAS 1994, 133 mwN) und der Lehre (vgl etwa Schauer in ZAS 1988, 159 [160]; Wachter in DRdA 1989, 179 [183] mwN) bejahte, aus der Interessenwahrungspflicht des Arbeitnehmers abgeleitete Aufklärungspflicht über seine Gesundheitsbeeinträchtigung erfordert lediglich, daß er auf eine Gesundheitsbeeinträchtigung von solcher Intensität hinweist, die ihn zur Erfüllung der vertraglich geschuldeten Leistung unfähig macht; eine Verpflichtung, die Gesundheitsbeeinträchtigung zu diesem Zeitpunkt auch schon nachzuweisen, besteht nicht (Wachter in DRdA 1984, 250 [255]). Dem Arbeitgeber muß zumindest bekannt gegeben werden, daß die vereinbarten Dienste aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr erbracht werden können. Er kann sich dann nicht mehr auf einen überraschenden Austritt des Arbeitnehmers berufen.

Im vorliegenden Fall hat der Kläger dem Beklagten mitgeteilt, daß er wegen seiner Wirbelsäulenbeschwerden nicht mehr als Berufskraftfahrer arbeiten könne und ihm sein Arzt zu einem Arbeitsplatzwechsel geraten habe. Dies bescheinigte er durch ein ärztliches Attest. Ab dieser Verständigung mußte der Beklagte damit rechnen, daß der Kläger sein Arbeitsverhältnis vorzeitig beenden könne. Es lag nun ausschließlich an ihm, diese Konsequenz durch Zuweisen oder Anbieten einer anderen Beschäftigung zu vermeiden; einer weiteren Initiative oder Aufforderung des Arbeitnehmers bedurfte es dazu nicht (Andexlinger in RdW 1987, 417; Mosler in DRdA 1990, 195 [199]; Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht7 665 f; infas 1988, A9). So wie es im Risikobereich des Arbeitnehmers liegt, den wichtigen Grund (nämlich die dauernde Gesundheitsbeeinträchtigung) beweisen zu können, liegt es im Risikobereich des Arbeitgebers, wenn er dem Arbeitnehmer keine Ersatzbeschäftigung anbietet oder zuweist. Der Arbeitgeber ist aufgrund seiner Interessenwahrungspflicht verbunden, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, daß das Leben und die Gesundheit des Arbeitnehmers möglichst geschützt sind. Nach Kenntnis des Gesundheitszustandes des Klägers hatte der Beklagte zwar nicht unverzüglich - weil der Kläger im Krankenstand und damit nicht unmittelbar gefährdet war - wohl aber innerhalb angemessener Frist, eine Ersatzbeschäftigung anzubieten, damit sich der Kläger darauf hätte einstellen können (ZAS 1994, 133).

Inwieweit der Arbeitgeber auch einem Arbeitnehmer, der bei Bekanntgabe seiner dauernden Arbeitsunfähigkeit noch auf nicht absehbare Zeit im Krankenstand ist, über die ernstliche Zusage der Weiterbeschäftigung auf einem zumutbaren Arbeitsplatz hinaus auch eine konkrete Ersatzbeschäftigung zuweisen muß, kann hier auf sich beruhen. Der Beklagte hat nämlich dem Kläger auch drei Wochen nach der Bekanntgabe nicht einmal eine allgemein verbindliche Zusage gemacht, sondern sich auch noch in der Revision darauf zurückgezogen, daß über die Weiterbeschäftigung erst nach dem Krankenstand entschieden werden sollte. Damit hat er aber dem Umstand, daß er ab der Verständigung damit rechnen mußte, daß der Kläger sein Arbeitsverhältnis vorzeitig beenden könne, durch das rechtzeitige Anbot einer in Frage kommenden Ersatzbeschäftigung nicht Rechnung getragen (ZAS 1994, 133). Dies wird vom Revisionswerber verkannt, soweit er meint, die Beurteilung des Berufungsgerichtes laufe darauf hinaus, daß der Arbeitgeber eine "Alibihandlung" zu setzen habe.

Nach den Feststellungen war der Kläger während des Krankenstandes schriftlich erreichbar. Die Unmöglichkeit, den Kläger während dieser Zeit auch telefonisch zu erreichen, stand der Abgabe einer verbindlichen Zusage des Arbeitgebers über eine Ersatzarbeit nicht entgegen. Bei dieser Sachlage kann die Frage, ob die vom Beklagten in erster Instanz geltend gemachten Ersatztätigkeiten eines Lagerarbeiters oder einer Bürokraft überhaupt innerhalb des vom Kläger arbeitsvertraglich geschuldeten Rahmens gelegen wären - wie erwähnt ist unstrittig, daß der Kläger beim Beklagten als Kraftfahrer beschäftigt war - dahingestellt bleiben (Arb 10.144; infas 1988, A 9; RdW 1997, 297; 8 ObA 278/98k ua). Schauer geht im Fall eines LKW-Fahrers, der seine Tätigkeit wegen eines Bandscheibenleidens nicht mehr ausüben könne, etwa sogar davon aus, daß es nicht einmal der warnenden Aufklärung des Arbeitnehmers vor dem Austritt bedürfe, weil der Arbeitnehmer andere Arbeiten außerhalb des Vertrages ohnehin nicht übernehmen müsse, sohin der Arbeitgeber ohnehin keine Möglichkeit zur Aufrechterhaltung des Vertrages habe (ZAS 1988, 159 [161]).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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