OGH 14Os87/99

OGH14Os87/9914.9.1999

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. September 1999 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Holzweber, Dr. Ratz und Dr. Philipp als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Lokay als Schriftführer in der Strafsache gegen Harald F***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Gemeingefährdung nach § 177 Abs 1 StGB, AZ 15 U 135/98b des Bezirksgerichtes Feldkirch, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgericht vom 22. September 1998, AZ Bl 154/98 (= ON 12), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Staatsanwältin Mag. Schnell, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten und dessen Verteidigers zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgericht vom 22. September 1998, AZ Bl 154/98, verletzt, insofern es dem im Urteil des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 30. Juni 1998, GZ 15 U 135/98b-9, festge- stellten Verhalten des Angeklagten die Eignung zur Herbeiführung einer konkreten Gemeingefahr abspricht, das Gesetz in der Bestimmung des § 177 Abs 1 StGB.

Text

Gründe:

Mit genanntem Urteil des Bezirksgerichtes Feldkirch wurde Harald F***** des Vergehens der fahrlässigen Gemeingefährdung nach § 177 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er "am 11. März 1998 gegen 18 Uhr auf der Rheintalautobahn fahrlässig eine Gefahr für Leib oder Leben einer größeren Anzahl von Verkehrsteilnehmern herbeigeführt hat, indem er als "Geisterfahrer" entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung von Höhe Schlins in Richtung Nenzing fuhr und anschließend auf der Autobahn wendete, nachdem er sich vor der Tat wenn auch nur fahrlässig durch den Genuß von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand versetzt hatte, obwohl für ihn die Lenkung eines Kraftfahrzeuges noch vorhersehbar war". Dem Urteilssachverhalt zufolge fuhr der Angeklagte ca 3 km bei starkem Verkehrsaufkommen in falscher Richtung, bevor er auf der Autobahn ein Wendemanöver durchführte, wobei mindestens zwanzig entgegenkommende Verkehrsteilnehmer in ihrer körperlichen Sicherheit konkret gefährdet waren (S 61).

Dieser Schuldspruch wurde vom Landesgericht Feldkirch aus Anlaß der nur wegen Strafe ausgeführten Berufung des Angeklagten in amtswegiger Wahrnehmung des Nichtigkeitsgrundes nach § 468 Abs 1 Z 4 (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a) StPO am 22. September 1998 aufgehoben (AZ Bl 154/98 = ON

12) und die Strafsache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Das Berufungsgericht vertrat in rechtlicher Hinsicht den Standpunkt, daß die vom Erstgericht dem Schuldspruch zugrunde gelegte "generelle Gefährdung" entgegenkommender Ver- kehrsteilnehmer nur dem - zur Tatbestandsverwirklichung nach § 177 Abs 1 StGB jedoch nicht ausreichenden - Begriff der "abstrakten Gefährdung" gleichzusetzen wäre; Feststellungen, ob - zumindest ein (§ 89 StGB) oder eine größere Zahl (§ 177 Abs 1 StGB) ordnungsgemäßer - Benützer der Autobahn zwecks Unfallvermeidung "zu irgend einer fahrtechnischen Reaktion veranlaßt", daher einer konkreten Gefahr ausgesetzt waren, habe das Erstgericht jedoch verabsäumt (S 75 f). Unter Beachtung dieser (gemäß §§ 293 Abs 2, 447 StPO verbindlichen) Rechtsauffassung wurde Harald F***** in der Folge mit Urteil des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 22. März 1999 (ON 21) des Vergehens der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 StGB schuldig erkannt, weil er durch das in Rede stehende Fahrverhalten einen namentlich nicht bekannten entgegenkommenden PKW-Lenker zu starkem Bremsen und Wechseln der Fahrspur veranlaßt hat.

Der vom Landesgericht Feldkirch in der Berufungsentscheidung vertretene Standpunkt steht - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Rechtliche Beurteilung

§ 177 Abs 1 StGB stellt die fahrlässige Herbeiführung einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben einer größeren Zahl von Menschen unter Strafsanktion. Konkret ist die Gefahr dann, wenn diese nicht bloß allgemein, sondern auch und gerade im besonderen Fall die Möglichkeit des schädlichen Erfolgs besorgen läßt (SSt 59/27). Die vom Täter geschaffene Gefahrensituation muß demzufolge typischerweise, das heißt nahezu zwangsläufig zu einer Beeinträchtigung der körperlichen Integrität führen; mit anderen Worten: das Unterbleiben des tatsächlichen Eintritts (zumindest) einer leichten Körperverletzung muß von unberechenbaren und unvorhersehbaren Umständen, sohin vom Zufall abhängen (Leukauf/Steininger Komm3 § 89 RN 7). Bloß potentiell ist die Gefahr hingegen dann, wenn die Möglichkeit der Rechtsgutbeeinträchtigung angesichts der regelmäßigen Gefährlichkeit der vom Täter herbeigeführten Situation grundsätzlich gegeben ist, ohne daß im Einzelfall geprüft werden muß, ob die akute Möglichkeit einer Verletzung bestand (Leukauf/Steininger aaO § 17 RN 11).

Das Befahren der falschen Richtungsfahrbahn einer Autobahn schafft unzweifelhaft eine Leib oder Leben einer größeren Zahl von Verkehrsteilnehmern gefährdende Verkehrslage, muß doch die Möglichkeit der Kollision oder des Abkommens von der Fahrbahn zufolge einer unsachgemäßen, reflexartigen Reaktion der von diesem unvorhersehbaren Ereignis überraschten, die Autobahn ordnungsgemäß benützenden Fahrzeuglenker insbesondere im Hinblick auf die auf Autobahnen notorisch eingehaltene hohe Fahrgeschwindigkeit als naheliegende Konsequenz befürchtet werden. Bei - wie das Bezirksgericht Feldkirch festgestellt hat - hohem Verkehrsaufkommen (mindestens zwanzig konkret gefährdete Verkehrsteilnehmer auf einer Strecke von bloß 3 km und besonders gefahrenträchtigem Wendemanöver) besteht sogar die von den betroffenen Verkehrsteilnehmern nicht kontrollierbare Gefahr einer Massenkarambolage (vgl abermals SSt 59/27; 11 Os 96/97). Daß dieser die körperliche Integrität der Betroffenen beeinträchtigende Erfolg vorliegend nicht eingetreten ist, ist bei der gegebenen Fallgestaltung allein dem Zufall zuzuschreiben und ändert nichts an der konkret wirksam gewordenen Gefährdung einer größeren Zahl von Menschen. Die vom Landesgericht Feldkirch in der Berufungsentscheidung angesprochene bloß potentielle Gefährdung hätte hingegen vorausgesetzt, daß die vom Geisterfahrer nach allgemeinem Erfahrungswert geschaffene (theoretische) Gefahrenlage konkret nicht zum Tragen gekommen ist, weil etwa die Autobahn im fraglichen Zeitraum entgegen dem sonst üblichen Verkehrsaufkommen tatsächlich nur in einer - hier nicht aktuellen - atypisch geringen, das relevante Ausmaß von ca zehn Personen nicht erreichenden Anzahl von ingerierten Verkehrsteilnehmern frequentiert wurde (so etwa 8 Bs 480/93 des OLG Innsbruck; Bertel-Schwaighofer, BT II3 RN 2 zu §§ 176, 177).

Da sich die Nichtannahme des "Musterbeispiels für die Anwendung des § 177 StGB" (Mayerhofer in WK1 § 177 Rz 2) zum Vorteil des Angeklagten ausgewirkt hat, muß es mit der Feststellung der Gesetzesverletzung sein Bewenden haben.

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