OGH 4Ob187/99z

OGH4Ob187/99z13.9.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hofrat Dr. Benno S*****, vertreten durch Dr. Johannes Hintermayr und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Johann "Chrysostomus" F*****, vertreten durch Dr. Christoph Straberger, Rechtsanwalt in Wels, wegen Unterlassung (Streitwert im Provisorialverfahren 480.000 S), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 9. Juni 1999, GZ 1 R 112/99t-28, womit der Beschluß des Landesgerichtes Wels vom 14. April 1999, GZ 28 Cg 48/97w-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung - unter Einschluß des nicht angefochtenen Teils - wie folgt zu lauten hat:

"Einstweilige Verfügung

Dem Beklagten wird ab sofort für die Dauer dieses Rechtsstreits verboten, bei Eingaben und Briefen an Behörden Bildnisse des Klägers mit herabsetzenden Begleittexten, wie insbesondere "Judenfluchtrumpf" und "Welser Judenfluchtlager", zu verbreiten.

Das Mehrbegehren, dieses Unterlassungsgebot auch im Zusammenhang mit Eingaben und Briefen an Privatpersonen zu erlassen, wird abgewiesen."

Die klagende Partei hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens vorläufig, die beklagte Partei hat die Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der Kläger ist Organwalter der Bezirkshauptmannschaft W*****. In Briefen und Eingaben, die auch Fotokopien von Bildnissen des Klägers enthalten, hat ihn der Beklagte herabgesetzt und beleidigt; solche Schreiben richtete der Beklagte an den Kläger, mehrere Privatpersonen, darunter den Klagevertreter, sowie an das Amt der Oberösterreichischen Landesregierung.

Gestützt auf § 78 UrhG begehrt der Kläger die Verpflichtung des Beklagten zur Unterlassung, Bildnisse des Klägers bei Eingaben an Behörden sowie auf Plakatwänden oder in allgemein zugänglichen Plätzen, wie Wartehäusern, insbesondere mit Begleittexten wie "Judenfluchtrumpf" und "Welser Judenfluchtlager", öffentlich zu verbreiten. Zur Sicherung dieses Begehrens beantragt er die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, wonach dem Beklagten ab sofort verboten werde, bei Eingaben und Briefen an Behörden und/oder Privatpersonen Bildnisse des Klägers, insbesondere mit herabsetzenden Begleittexten wie "Judenfluchtrumpf" und "Welser Judenfluchtlager" zu verbreiten. Der Beklagte belästige und verunglimpfe ihn unter anderem dadurch, daß er Bilder des Klägers öffentlich in Eingaben bzw Briefen an die Dienststelle des Klägers, den Kläger, Frau Margit B*****, das Amt der Oberösterreichischen Landesregierung, den Landeshauptmann von Oberösterreich und den Klagevertreter sowie in einer Anzeige an das Bezirksgericht W***** verbreite; einige Eingaben seien an die Staatsanwaltschaft W***** weitergeleitet worden. Da die Briefe und Eingaben nicht dem privaten Bereich zuzuordnen seien, liege in ihnen eine öffentliche Bildnisverbreitung.

Der Beklagte beantragt die Zurückweisung des Sicherungsantrags. Eine Absicherung des Bildnisschutzes sei nicht Gegenstand des Hauptverfahrens; es liege keine öffentliche Verbreitung des Bildnisses des Klägers vor.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Das durch § 78 UrhG geschützte Recht auf das eigene Bild werde erst dann verletzt, wenn die Abbildung einer Person an die Öffentlichkeit gelange. Dieser Tatbestand sei bei Versenden eines Bildnisses an Privatpersonen oder an Behörden, die zur Geheimhaltung verpflichtet seien, nicht erfüllt.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 260.000 S übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil es sich auf eine gesicherte Rechtsprechung stützen könne. Das Sicherungsbegehren sei grundsätzlich nur insoweit zu prüfen, als es vom Urteilsbegehren gedeckt sei; keine Berücksichtigung im Provisorialverfahren fände daher eine Bildnisverbreitung in Eingaben und Briefen an Privatpersonen und auf Plakatwänden oder allgemein zugänglichen Plätzen. Alle mit Aufgaben der Bundes-, Landes- und Gemeindeverwaltung betrauten Organe sowie die Organe anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts unterlägen nach Art 20 Abs 3 B-VG der Amtsverschwiegenheit; daraus folge, daß Eingaben an solche Behörden der Öffentlichkeit nicht zugänglich seien und damit den Tatbestand nach § 78 UrhG nicht erfüllten.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Klägers ist zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob Eingaben an Behörden, die Bildnisse von Personen enthalten, gegen § 78 UrhG verstoßen können, nicht vorliegt; das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

Der Kläger vertritt die Ansicht, bei Auslegung des Begriffs der öffentlichen Verbreitung eines Bildnisses iSd § 78 UrhG (der extensiv zu interpretieren sei) dürfe nicht auf Formalumstände, wie eine praktisch nicht mehr bestehende Amtsverschwiegenheit, abgestellt werden; ausschlaggebend sei allein, ob eine Verbreitung des Bildnisses tatsächlich erfolgt sei, was schon angesichts der Organisationsstruktur einer Behörde mit Einlaufbeamten, Zustellern, Sekretären, Sachbearbeitern, Pressesprechern und Abteilungsleitern evident sei. In Anlehnung an die Definition eines "größeren Personenkreises" im StGB sei auf die Wahrnehmbarkeit ab etwa zehn Personen abzustellen. Das Unterlassungsbegehren sei, soweit es Eingaben und Briefe an Behörden betreffe, berechtigt. Dazu ist zu erwägen:

§ 78 Abs 1 UrhG verbietet die öffentliche Ausstellung sowie die Verbreitung von Personenbildnissen auf andere Art, wodurch sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, unter anderem dann, wenn dadurch berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt würden.

Der Gesetzgeber führt in den EB zum UrhG 1936 (abgedruckt bei Dillenz, Materialien zum österreichischen Urheberrecht, 160f) dazu aus, daß sich der Bildnisschutz nur arbiträr gestalten lasse: "Die Vielgestaltigkeit der Verhältnisse schließt eine erschöpfende Aufzählung der Fälle aus, in denen Bildnisse verbreitet werden dürfen. (...) Nun hat aber niemand - wie Kohler (Kunstwerkrecht, Seite 159) treffend bemerkt - das Recht zu sagen, 'er wandle mit der Wolkenhülle der Pallas Athene in der Welt herum, und es sei verboten, den gespenstigen Schein zu zerstören, der sich um ihn hülle. Der Mensch lebt nicht in einer Verdeckung und Vermummung; er lebt als Naturwesen offen und ehrlich in der Welt; mithin wird der, den man auf solche Weise wiedergibt, nicht etwa unbefugt in eine neue Welt hineingeschoben, sondern man hält nur das Bild fest, mit welchem er leibhaftig der Öffentlichkeit gegenübertritt'. Wohl aber muß jedermann gegen Mißbräuche seiner Abbildung in der Öffentlichkeit geschützt werden, also namentlich dagegen, daß er durch eine öffentliche Ausstellung oder andere Verbreitung seines Bildnisses bloßgestellt, daß dadurch sein Privatleben der Öffentlichkeit preisgegeben oder daß sein Bildnis öffentlich auf eine Art benutzt wird, die zu Mißdeutungen Anlaß geben kann oder entwürdigend oder herabsetzend wirkt (...)" (zum letzten Satz vgl auch EvBl 1995/159 = MR 1995, 145 - Wunderarzt uva).

Das Recht am eigenen Bild ist Ausfluß des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Abgebildeten (Buchner, Das Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten, FS 50 Jahre Urheberrechtsgesetz, 21 mwN). Die Schutzvorschrift des § 78 UrhG bezweckt, jedermann im Rahmen einer Interessenabwägung die Entscheidung darüber zu bewahren, wem gegenüber er aus seiner Anonymität heraustritt und auf diese Weise Dritten ermöglicht, einen Zusammenhang zwischen dem Namen seiner Person und seinem Bild herzustellen.

Um dem Wesen dieser Schutzbestimmung zu entsprechen, ist der darin enthaltene Begriff der Öffentlichkeit weit auszulegen: Jede Verbreitungshandlung erfüllt - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen - den Tatbestand des § 78 UrhG, bei der damit zu rechnen ist, daß das Bildnis dadurch einer Mehrzahl von Personen sichtbar gemacht wird. Gleichzeitigkeit der Wahrnehmung ist dabei nicht erforderlich. Auch kann es keinen Unterschied machen, ob die Personen das Bildnis im Rahmen einer Tätigkeit, die der Amtsverschwiegenheit unterliegt, oder ohne Bezug auf eine solche Tätigkeit zu Gesicht bekommen, wird doch auch im ersteren Fall unberechtigt in die Interessenssphäre des Abgebildeten eingegriffen und damit jener schädliche Erfolg erreicht, den die verletzte Norm gerade verhindern will.

Diese Auslegung des § 78 Abs 1 UrhG steht auch nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung, wonach eine nicht öffentlich vorgebrachte Mitteilung iSd § 1330 Abs 2 dritter Satz ABGB ua dann vorliegt, wenn der Empfänger der Mitteilung eine zur Verschwiegenheit verpflichtete (Standes-)Behörde ist (AnwZ 1934, 72; SZ 23/4; SZ 27/298 = JBl 1955, 247; SZ 60/138; SZ 61/205): Nur solche vertraulichen Mitteilungen fallen nämlich unter diesen privilegierenden Ausnahmetatbestand, deren Unwahrheit der Mitteilende nicht kennt und an denen der Mitteilende oder der Empfänger ein berechtigtes Interesse hatte; fehlt hingegen die Unkenntnis von der Unwahrheit der Mitteilung oder das berechtigte Interesse, kann sich der Verletzer auch nicht auf die Amtsverschwiegenheit des Mitteilungsempfängers berufen. Gleiches gilt im Bereich des Bildnisschutzes des § 78 UrhG, bei dem die Absicht im Vordergrund steht, jede öffentliche Bildnisverbreitung unter Verletzung berechtigter Interessen des Abgebildeten zu verhindern:

Liegt eine beachtenswerte Interessenverletzung vor, dann ist auch die Sichtbarmachung eines Personenbildnisses gegenüber einer Mehrzahl von der Amtsverschwiegenheit unterliegenden Personen verboten.

Daß die mit einem Bildnis des Klägers versehenen Behördeneingaben des Beklagten durch ihre herabsetzenden Begleittexte berechtigte Interessen des Klägers verletzen, bedarf keiner weiteren Begründung; dies wird vom Beklagten in dritter Instanz auch nicht bestritten. Ebensowenig kann zweifelhaft sein, daß eine an das Amt der Oberösterreichischen Landesregierung gerichtete Eingabe dort im Zuge ihrer Bearbeitung und des Aktenlaufs regelmäßig einer Personenmehrheit zur Kenntnis gelangt. Damit liegen sämtliche Voraussetzungen für einen Unterlassungsanspruch des Klägers nach §§ 78 Abs 1, 81 Abs 1 UrhG vor, der mittels einstweiliger Verfügung auch ohne die Voraussetzungen des § 381 EO gesichert werden kann (§ 81 Abs 2 UrhG). Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher im aufgezeigten Umfang abzuändern, wobei dem Unterlassungsgebot eine deutlichere Fassung zu geben war.

Die Entscheidung über die Kosten des Klägers beruht auf § 393 Abs 1 EO, jene über die Kosten des Beklagten auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 40, 50 Abs 1 ZPO. Der Kläger ist nur mit einem geringfügigen Teil seines Begehrens unterlegen, der kostenmäßig nicht ins Gewicht fällt.

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