OGH 9ObA197/99g

OGH9ObA197/99g1.9.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz und Franz Höllebrand als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Herbert S*****, Angestellter, *****, vertreten durch Dr. Maximilian Ganzert ua, Rechtsanwälte in Wels, gegen die beklagte Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Thomas Watzenböck und Dr. Christa Watzenböck, Rechtsanwälte in Kremsmünster, wegen S 19.412,75 brutto sA und Feststellung (Revisionsinteresse S 19.412,75 brutto sA), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6. April 1999, GZ 12 Ra 43/99a-16, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 17. Dezember 1998, GZ 16 Cga 122/98m-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 3.655,68 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 609,28 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr das Begehren des Klägers auf Zahlung von S 19.412,75. Der Kläger beruft sich dazu auf einen am 28. 1. 1998 erfolgten Betriebsübergang und begehrt unter Hinweis auf § 3 Abs 1 AVRAG die Differenz zwischen dem von ihm zuletzt beim bisherigen Arbeitgeber bezogenen zum nunmehr vom Erwerber gezahlten Entgelt.

Die Beklagte beantragte das Klagebegehren abzuweisen. Sie bestritt das Vorliegen eines Betriebsüberganges iS § 3 AVRAG und machte überdies geltend, daß der bisherige Arbeitgeber des Klägers dessen Lohn erst kurz vor der Übergabe und offensichtlich zu ihrem Nachteil erhöht habe. An diese Erhöhung sei sie keinesfalls gebunden.

Das Erstgericht wies das Leistungsbegehren ab. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Der Kläger war seit 1993 als Tankwart bei der K*****gesmbH beschäftigt, die bis 28. 1. 1998 von der A***** GesmbH die Autobahntankstelle A***** gepachtet hatte. Nachdem im September 1997 Gespräche über eine Verlängerung des Pachtvertrags gescheitert waren, verpachtete die A*****GesmbH die Tankstelle mit Vertrag vom 22. 12. 1997 per 28. 1. 1998 an die Beklagte. Die Vorpächterin erhöhte daraufhin mit Wirkung ab Dezember 1997 die Löhne aller im Betrieb Beschäftigten um ca 20-25 %. Der Stundenlohn des Klägers wurde dadurch von S 67 brutto auf S 81,50 brutto angehoben. Außerdem erhielt der Kläger eine Zulage von monatlich S 652, wobei nicht feststellbar ist, wofür. Die Lohnerhöhungen erfolgten lediglich deshalb, um dem neuen Pächter die Übernahme zu erschweren oder gar unmöglich zu machen. Zum Zeitpunkt der Gewährung dieser Erhöhung wußte auch der Kläger bereits, daß der Pachtvertrag seines bisherigen Dienstgebers Ende Jänner 1998 auslaufen werde. Nach der Übernahme des Betriebs durch die Beklagte zahlte diese dem Kläger einen Stundenlohn von S 72,50 brutto; die Zulage von S 652,- monatlich wurde nicht mehr gewährt.

In seiner rechtlichen Beurteilung ging das Erstgericht von einem Betriebsübergang iS des § 3 Abs 1 AVRAG aus, verneinte aber eine Haftung der Beklagten für die aus den unmittelbar vor dem Betriebsübergang erfolgten Lohnerhöhungen resultierenden Ansprüche des Klägers, weil diese Erhöhungen nur gewährt worden seien, um die Beklagte zu schädigen bzw. ihr die Betriebsübernahme zu erschweren.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Entscheidung und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei.

Auch im Falle eines iS § 3 Abs 1 AVRAG an den Tatbestand des Betriebsüberganges geknüpften Arbeitgeberwechsels seien Vereinbarungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Betriebsübergang stehen, auf einen allfälligen Rechtsmißbrauch zu überprüfen. An Ansprüche, die dem Arbeitnehmer im Hinblick auf den Betriebsübergang vom Veräußerer zu Lasten des Erwerbers rechtsmißbräuchlich (sittenwidrig) eingeräumt worden seien, sei der Erwerber nicht gebunden. Hier habe für die Lohnerhöhung keine sachliche Grundlage bestanden; nach der eigenen Einschätzung des Vorpächters wäre damit eine Weiterführung des Betriebes wirtschaftlich unvertretbar und verlustbringend gewesen. Die Schädigungsabsicht des Vorpächters sei damit klar erkennbar. Damit müsse das auf eine sittenwidrige Lohnvereinbarung gestützte Leistungsbegehren des Klägers erfolglos bleiben.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu rechtsmißbräuchlichen Lohnvereinbarungen im Zusammenhang mit der Eintrittsautomatik des § 3 AVRAG fehle.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne der Stattgebung des Zahlungsbegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Daß im hier zu beurteilenden Fall ein Betriebsübergang iS § 3 AVRAG stattgefunden hat, ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig (vgl dazu die Entscheidung DRdA 1999, 269, wonach bei einer Neuverpachtung eines Betriebes - wenn ein die wirtschaftliche Einheit des Betriebes wahrender Übergang vom Alt- auf den Neupächter stattgefunden hat - auch dann ein Betriebsübergang iS § 3 Abs 1 AVRAG anzunehmen ist, wenn zwischen Alt- und Neupächter keine vertraglichen Beziehungen bestehen).

Zur Rechtslage vor dem Inkrafttreten des AVRAG vertrat Krejci unter Hinweis auf zweitinstanzliche Rechtsprechung und Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes zur Übernahme der USIA-Betriebe durch die Republik Österreich die Auffassung, daß die Änderung von Arbeitsverträgen, die der Veräußerer eines Betriebes im Wissen vom bevorstehenden Betriebsübergang in der Absicht vorgenommen habe, den Übernehmer zu schädigen, für letzteren nicht bindend seien. Dies sei mit der Sittenwidrigkeit der in Schädigungsabsicht vorgenommenen Änderung, aber auch damit zu begründen, daß eine nur mehr den Betriebsnachfolger, aber nicht mehr den bisherigen Arbeitgeber belastende und gerade dieses Ziel verfolgende Umgestaltung betrieblicher Arbeitsverträge wie ein Vertrag zu Lasten Dritter die Privatautonomie des Betriebsnachfolgers verletze (Krejci, Betriebsübergang und Arbeitsvertrag S 160 ff).

Im Gegensatz zur Meinung des Revisionswerbers ist diese Rechtsauffassung durch den Beitritt Österreichs zur EU bzw. durch das Inkrafttreten des AVRAG keineswegs überholt. Im Gegenteil: Gerade dadurch, daß nunmehr § 3 Abs 1 AVRAG an den Betriebsübergang den unabhängig vom Willen des Arbeitgebers eintretenden Übergang der Arbeitsverhältnisse knüpft, wird die Richtigkeit der Meinung Krejcis noch unterstrichen.

Zweck des Art 3 Abs 1 der Richtlinie 77/187 EWG , der durch § 3 AVRAG rezipiert wurde, ist es, die Aufrechterhaltung der Rechte der Arbeitnehmer bei einem Wechsel des Unternehmensinhabers soweit wie möglich zu gewährleisten; dem Arbeitnehmer wird die Möglichkeit eingeräumt, das Beschäftigungsverhältnis mit dem neuen Inhaber zu denselben Bedingungen fortzusetzen, die mit dem Veräußerer vereinbart waren (SZ 70/219; SZ 70/171 ua). Dieser Zweck verlangt und rechtfertigt es aber nicht, den Erwerber an Zusagen zu binden, die der Veräußerer in rechtsmißbräuchlicher Weise dem Arbeitnehmer nur im Wissen und im Hinblick auf den Betriebsübergang gemacht hat und die im wesentlichen nur mehr den Veräußerer belasten sollen. Aus Art 3 der Betriebsübergangsrichtlinie bzw. aus § 3 Abs 1 AVRAG kann daher eine solche Bindung, die ein Freibrief zur rechtsmißbräuchlichen Gewährung von Vorteilen zu Lasten des Erwerbers wäre, nicht abgeleitet werden.

Dabei ist nicht entscheidend, ob auch der Arbeitnehmer selbst - was wohl regelmäßig nicht der Fall sein wird - in ausschließlicher oder überwiegender Schädigungsabsicht gehandelt hat. Entscheidend ist nur, ob der bisherige Arbeitgeber rechtsmißbräuchlich im Hinblick auf den bevorstehenden Betriebsübergang im wesentlichen nur den Erwerber belastende Zusagen macht. Solche Zusagen - bzw. die darin liegenden Änderungen des Arbeitsvertrages - sind zwar im Verhältnis zwischen dem früheren Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer wirksam; eine Bindung des Übernehmers ist aber aus den schon dargelegten Gründen abzulehnen.

Entgegen der Meinung des Revisionswerbers bedeutet dies keine "nach Gutdünken des Erwerbers" erfolgende Vorverlegung des Zeitpunktes, der für die Beurteilung der Rechte und Pflichten aus dem übergehenden Arbeitsvertrag maßgebend ist. Vielmehr werden von den übergehenden Rechten des Arbeitnehmers nur solche ausgenommen, die ihm vom bisherigen Arbeitgeber auf die dargestellte Weise rechtsmißbräuchlich zu Lasten des Erwerbers eingeräumt wurden.

Die Vorinstanzen haben auch richtig erkannt, daß die nach Bekanntwerden der Neuverpachtung rückwirkend ab Dezember 1997 gewährte Lohnerhöhung eine im aufgezeigten Sinn rechtsmißbräuchliche Zusage des Vorpächters zu Lasten des Übernehmers ist.

Rechtsmißbrauch (Schikane) liegt nach nunmehr herrschender Rechtsprechung nicht nur dann vor, wenn der Handelnde von seinem Recht ausschließlich in der Absicht Gebrauch macht, einen anderen zu schädigen, sondern schon dann, wenn das unlautere Motiv der Rechtsausübung so augenscheinlich im Vordergrund steht, daß andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten (Reischauer in Rummel, ABGB**2 Rz 59 zu § 1295 mit ausführlicher Darstellung der Rechtsprechung). Da nach dem festgestellten Sachverhalt die Lohnerhöhung nur erfolgte, um dem neuen Pächter die Übernahme zu erschweren oder gar unmöglich zu machen, ist das darin gelegene Verhalten des Vorpächters als rechtsmißbräuchlich bzw. schikanös zu qualifizieren. Der nunmehr dagegen erhobene Einwand, es habe sich um einen - durchaus üblichen - Versuch gehandelt, um den Preis von kurzfristigen (?) Verlusten die Betriebsübernahme zu verhindern und sich selbst den Betrieb zu erhalten, ist durch den festgestellten Sachverhalt nicht gedeckt. Im Gegenteil: Aus den Feststellungen ist ersichtlich, daß die Lohnerhöhung zu einem Zeitpunkt rückwirkend gewährt wurde, als der Vertrag mit dem Neupächter bereits abgeschlossen war. Zu Recht haben die Vorinstanzen überdies auf die Aussage des Vorpächters verwiesen, wonach er bei Weiterführung des Betriebes mit den nunmehr gewährten Lohnerhöhungen innerhalb kürzester Zeit in die roten Zahlen gekommen wäre. Damit kann aber überhaupt nicht zweifelhaft sein, daß der Vorpächter zu Lasten des bereits feststehenden Übernehmers handelte und nie beabsichtigte, die Lohnerhöhung selbst zu tragen.

Die Lohnerhöhung war daher eine rechtsmißbräuchliche Zusage des Vorpächters, die im Wissen und im Hinblick auf den Betriebsübergang zu Lasten des Übernehmers abgegeben wurde. Im Sinne der dargestellten Rechtslage ist daher der Übernehmer an diese Lohnerhöhung nicht gebunden.

Daß die Beklagte diesen Umstand auch schlüssig geltend gemacht hat, kann angesichts ihres Vorbringens, sie sei nicht verpflichtet, Verpflichtungen zu übernehmen, die erst kurzfristig vor Übergabe offensichtlich zum Nachteil des Übernehmers abgeschlossen wurden, überhaupt nicht zweifelhaft sein.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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