OGH 8ObS250/98t

OGH8ObS250/98t24.6.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Rohrer und die fachkundigen Laienrichter Mag. Michael Zawodsky und Dr. Wolfgang Adametz als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Manuela B*****, vertreten durch Dr. Helmut Grubmüller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Bundessozialamt W*****, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen S 11.122,74 netto Insolvenz-Ausfallgeld, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Juni 1998, GZ 10 Rs 168/98v-11, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 12. März 1998, GZ 14 Cgs 1/98h-6, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.248,64 (darin S 541,44 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war seit 2. 9. 1991 bei der späteren Ausgleichsschuldnerin, einer HandelsgesmbH, über die am 10. 5. 1996 das Ausgleichsverfahrens eröffnet wurde, beschäftigt. Die Ausgleichsschuldnerin kündigte das Dienstverhältnis am 5. 6. 1996 gemäß § 20c Abs 3 AO mit der zweimonatigen Frist gemäß § 20 Abs 2 AngG zum 7. 8. 1996 auf.

Mit der Behauptung, innerhalb der fiktiven Dauer des Arbeitsverhältnisses bei einer ordnungsgemäßen Kündigung zum 30. 9. 1996 wäre am 2. 9. 1996 gemäß § 23 Abs 1 AngG ein weiterer Anspruch auf Abfertigung in Höhe des für den letzten Monat des Dienstverhältnisses gebührenden Entgeltes entstanden, begehrt die Klägerin Insolvenz-Ausfallgeld für eine weitere Abfertigung in Höhe von S 11.122,74.

Das beklagte Bundessozialamt beantragt die Abweisung des Klagebegehrens mit der Begründung, der Klägerin sei zwar grundsätzlich ein Anspruch auf Schadenersatz gemäß § 20d AO für die Zeit vom 8. 8. bis zum 30. 9. 1996 erwachsen; sie müsse sich aber das im relevanten Zeitraum anderweitig erzielte, den Schadenersatz übersteigende Einkommen anrechnen lassen. Der Entgeltanspruch gegenüber der Ausgleichsschuldnerin habe daher letztlich am 7. 8. 1996 geendet und es liege danach auch kein fiktives Arbeitsverhältnis mehr vor, an das eine höhere Abfertigung anknüpfen könne.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil sich aus dem festgestellten Sachverhalt nach dem 7. 8. 1996 kein fiktives Arbeitsverhältnis ableiten lasse, sodaß die begehrte Abfertigungszahlung nicht zustehe.

Das Berufungsgericht änderte über Berufung der Klägerin das erstinstanzliche Urteil im Sinn der Klagsstattgebung ab; lediglich ein Zinsenmehrbegehren wies es unbekämpft ab. Die privilegierte Kündigung nach § 20c AO beruhe weder auf einem rechtswidrigem noch auf einem schuldhaften Verhalten des Ausgleichsschuldners, sodaß sie nicht einer Kündigungsentschädigung wegen grundloser Entlassung oder berechtigten vorzeitigen Austritts gleichgesetzt werden könne, nach der sich der Arbeitnehmer nicht wie nach § 29 AngG während der ersten drei Monate nicht das anrechnen lassen müsse, was er anderweitig verdient habe. Ihm stehe nach § 20d AO nur der Ersatz des durch die begünstigte Kündigung verursachten Schaden zu; er könne daher nur den tatsächlich erlittenen Schaden, also den durch die vorzeitige Kündigung verursachten Entgang an Verdienst abzüglich des während des fraglichen Zeitraums durch anderweitige Verwendung der Arbeitskraft erzielten Einkommens begehren. Auf den Schadenersatzanspruch nach § 20c AO sei daher im Unterschied zur Kündigungsentschädigung das Verdiente oder Ersparte von Anfang an voll anzurechnen.

Bei einem Abfertigungsanspruch handle es sich aber nicht um einen Schadenersatzanspruch. Für den verwandten Fall einer Kündigungsentschädigung nach einer ungerechtfertigten Entlassung oder einem berechtigten Austritt habe der Oberste Gerichtshof in Arb

10.407 klargestellt, daß der Rechtsgrund des Anspruchs auf Abfertigung auch dann die §§ 23 und 23a AngG seien, wenn der Abfertigungsanspruch erst durch Einbeziehung des Zeitraums zwischen dem tatsächlichen oder rechtlichen Ende des Dienstverhältnisses und dem (unter Zugrundelegung einer ordentlichen Kündigung sich ergebenden) fiktiven Endzeitpunkt zustehe. Mit dieser Entscheidung habe der Oberste Gerichtshof die Aufspaltung des Gesamtanspruches in einen Abfertigungsanspruch nach § 23 AngG und in einem "weitergehenden" Schadenersatzanspruch nach § 29 AngG, wie er von der älteren Rechtsprechung vertreten wurde (Arb 9.938), aufgegeben. Diese Auffassung bringe insofern Vorteile für den Arbeitnehmer, als sowohl die Fallfrist des § 34 AngG als auch die Anrechnungsregel des § 29 AngG auf Abfertigungsansprüche nicht anzuwenden seien. Wende man die in Arb 10.407 für den Fall einer Kündigungsentschädigung herausgearbeiteten Grundsätze über die Behandlung der Abfertigungsansprüche auf die Schadenersatzansprüche gemäß § 20d AO an, so zeige sich, daß der Grund für die höhere Abfertigung nicht in der speziellen Schadenersatzbestimmung des § 20d AO, sondern der entsprechend zu interpretierenden Regel des § 23 Abs 1 AngG selbst liege. § 20d AO sei nur insofern bedeutsam, als sich aus diesem eine über den 7. 8. 1996 hinausgehende fiktive Dauer des Arbeitsverhältnisses bis zum 30. 9. 1996 ableiten lasse, die sohin der Berechnung der Abfertigung gemäß § 23 AngG zugrundezulegen sei.

Die Revision an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht zu, weil zur Frage, auf welchem Rechtsgrund eine durch Anrechnung eines Zeitraumes gemäß § 20d AO erhöhte Abfertigung beruhe, keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn der Wiederherstellung des Ersturteils, also im Sinn der gänzlichen Klagsabweisung abzuändern.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zwar mangels oberstgerichtlicher Rechtsprechung zur streiterheblichen Frage zulässig, aber im Ergebnis nicht gerechtfertigt.

Auf den zugrundeliegenden Rechtsstreit sind die insolvenzrechtlichen und - soweit hier erheblich - die insolvenzentgeltsichernden Bestimmungen des IESG idF IRÄG 1994 anzuwenden.

Das beklagte Bundessozialamt gesteht zu, daß die Klägerin grundsätzlich einen erhöhten Abfertigungsanspruch hätte, weil die Zeit, die zwischen dem tatsächlichen Ende des Arbeitsverhältnisses aufgrund der privilegierten Kündigung durch den Ausgleichsschuldner (bzw dem Masseverwalter) und dem Zeitpunkt, der bis zur ordentlichen Kündigung hätte verstreichen müssen, in die Zeit, die der Berechnung der Abfertigung zugrundezulegen ist, einzurechnen ist, und daß in concreto bei fünfjähriger Beschäftigung am 2. 9. 1996 ein erhöhter Abfertigungsanspruch entstanden wäre. Sie meint aber, daß solche weitergehenden Ansprüche, nämlich solche, die im Zeitraum vom Ende der gesetzlichen, kollektivvertraglichen oder zulässigerweise vereinbarten kürzeren Kündigungsfrist bis zum fiktiven Kündigungstermin entstanden seien, vom Arbeitnehmer nicht aus dem Titel der Kündigungsentschädigung (§ 29 Abs 1 AngG), sondern nur aus dem Titel des Schadenersatzes nach § 20d AO (bzw § 25 Abs 2 KO) geltend gemacht werden könnten, bei dem - im Gegensatz zur Kündigungsentschädigung - aber von Anfang an die Anrechnungsverpflichtung Platz greife. Da die Klägerin im konkreten Fall im Zeitraum 8. 8. 1996 bis 30. 9. 1996 Beträge ins Verdienen gebracht habe, die die "fiktiven Entgeltansprüche einschließlich eines fiktiven Abfertigungsanspruches" überstiegen, sei kein Schaden entstanden, weshalb die geltend gemachten Ansprüche nicht zu Recht bestünden.

Der erkennende Senat teilt die Ansicht der Revisionswerberin, daß die Klägerin ihren erhöhten Abfertigungsanspruch nicht auf § 29 AngG stützen kann, weil das privilegierte Lösungsrecht rechtmäßig ausgeübt worden ist. Dies tut aber auch das Berufungsgericht nicht, sondern meint zutreffend, daß in einem solchen Fall der privilegierten Kündigung nur ein auf § 20d AO (bzw § 25 Abs 2 KO) gestützter Schadenersatzanspruch in Betracht komme, bei dem im Gegensatz zur Kündigungsentschädigung das Verdiente oder Ersparte von Anfang an voll anzurechnen ist.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die in einem Kündigungsentschädigungsfall in der Entscheidung 4 Ob 13-18/85 = Arb 10.407, geäußerte Ansicht eines einheitlichen, in den §§ 23, 23a AngG seine Rechtsgrundlage findenden Abfertigungsanspruchs aufrechterhalten und mit dem Berufungsgericht auf die Behandlung der Abfertigungsansprüche in Fällen des § 20d AO (bzw § 25 Abs 2 KO) übertragen werden kann, oder ob eine andere Begründung des erhöhten Abfertigungsanspruchs der Klägerin nicht naheliegender ist, nämlich daß der Klägerin einerseits ein auf § 23 AngG gestützter Abfertigungsanspruch zusteht (der ihr auch ausbezahlt wurde), und ihr überdies ein zusätzlicher, in § 20d AO iVm § 23 AngG seine Rechtsgrundlage findender weitergehender Ersatzanspruch auf eine erhöhte Abfertigung gebührt, bei dem es grundsätzlich zur Einrechnung des Verdienten oder Ersparten käme, wenn es etwas zum Anrechnen gäbe.

Anders als bei einem anderweitig erzielten Erwerbseinkommen, welches sich die Klägerin gemäß § 20d AO (bzw § 25 Abs 2 KO) anrechnen lassen muß, und beim Naturalurlaubsanspruch, den sich die Klägerin auch anrechnen lassen muß (9 ObS 3/91 = WBl 1991, 297 = DRdA 1991, 394), und auch unbekämpft anrechnen ließ (siehe den ursprünglichen Antrag an das Bundessozialamt, in der auch diesbezügliche Ansprüche geltend gemacht wurden), ist der Klägerin hinsichtlich der Abfertigung ein Schaden entstanden, der nicht durch die Tätigkeit bei einem neuen Dienstgeber und die dort erzielten Ansprüche ausgeglichen wurde.

Es müssen nämlich die Ersatzansprüche den gleichartigen anrechenbaren Vorteilen (Ersparnis, Verdienst) immer retrospektiv für die jeweils deckungsgleichen Zeiträume gegenübergestellt werden (in diesem Sinn bereits 9 ObS 3/91 = WBl 1991, 297 = DRdA 1991, 394). Wäre die Klägerin ordnungsgemäß gekündigt worden, hätte sie einen weiteren Abfertigungsanspruch in Höhe eines Monatsgehaltes erworben, der ihr jedenfalls ungekürzt gebührt, weil ihm auch bei Behandlung als Ersatzanspruch nach § 20d AO (bzw § 25 Abs 2 KO) im deckungsgleichen Zeitraum kein gleichartiger (sachlich kongruenter) Vorteil gegenübersteht, und es daher nichts zum Anrechnen gibt. Ihn mit anderweitigem laufenden Erwerbseinkommen aufzurechnen, wie die beklagte Partei wünscht, ist verfehlt, weil der Anrechnung nur gleichartige Vorteile unterliegen, der Abfertigungsanspruch aber nicht den Charakter eines laufenden Entgelts besitzt, das für einen bestimmten, der vorzeitigen Vertragsauflösung nachfolgenden und bis zum fiktiven Endzeitpunkt eines ordnungsgemäß aufgelösten Arbeitsverhältnisses dauernden Zeitraum gebührt (so schon 4 Ob 13-18/85 = Arb 10.407).

Folgte man der Rechtsansicht der Revisionswerberin müßte sich konsequenter Weise auch ohne Insolvenz jeder länger dienende Arbeitnehmer mit einem entsprechend hohen Abfertigungsanspruch auf alle Abfertigungsbeträge, die den dreifachen Monatsgehalt übersteigen, ein anderweitig erzieltes Erwerbseinkommen (oder ein solches, daß er absichtlich zu erwerben versäumt hat) einrechnen lassen; solches ist aber nicht vorgesehen.

Im Ergebnis ist daher die Ansicht des Berufungsgerichtes jedenfalls zutreffend, daß die Abfertigung der Klägerin unter Zugrundelegung dieses längeren Zeitraumes zu bemessen ist und ihr daher ein weiterer Abfertigungsbetrag in Höhe eines Monatsgehalts zusteht.

Da sich aus dem IESG keine hier greifende Beschränkung (vgl § 1 Abs 4a und § 3 Abs 3 IESG) ergibt, ist das beklagte Sozialamt verpflichtet, der Klägerin auch den noch offenen Klagsbetrag zu ersetzen.

Der Klägerin wurde daher der erhöhte Abfertigungsbetrag zu Recht zugesprochen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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