OGH 15Os69/99 (15Os70/99)

OGH15Os69/99 (15Os70/99)10.6.1999

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Juni 1999 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder und Dr. Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Aichinger als Schriftführer, in der beim Landesgericht Innsbruck zum AZ 13 Vr 2496/97 anhängigen Strafsache gegen Robert F***** und Gerhard S***** wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2, Abs 3 erster Fall, Abs 4 Z 3 und Abs 5 SMG und anderer strafbarer Handlungen über die Grundrechtsbeschwerde der Beschuldigten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 30. März 1999, AZ 7 Bs 166/99, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Robert F***** und Gerhard S***** wurden im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerden werden abgewiesen.

Text

Gründe:

Beim Landesgericht Innsbruck ist zum Aktenzeichen 13 Vr 2496/97 gegen mehrere Beschuldigte ein Strafverfahren anhängig, und zwar ua gegen Robert F***** wegen der Verbrechen nach § 28 Abs 2, Abs 3 erster Fall, Abs 4 Z 3 und (allenfalls) Abs 5 SMG, der Beteiligung an einer kriminellen Organisation (ausgerichtet auf den Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen und den unerlaubten Verkehr mit Suchtmitteln) nach § 278a Abs 1 Z 1, 2 und 3 StGB, der teils vollendeten, teils versuchten schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 3 StGB, des gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB, weiters wegen der Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB, des Glücksspiels nach § 168 Abs 1 und Abs 2 StGB, nach § 50 Abs 1 Z 1 WaffG, § 27 Abs 1 SMG und anderer strafbarer Handlungen sowie gegen Gerhard S***** wegen der Verbrechen der Beteiligung an einer kriminellen Organisation (ausgerichtet auf den Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen und den unerlaubten Verkehr mit Suchtmitteln) nach § 278a Abs 1 Z 1, 2 und 3 StGB, des gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB sowie wegen der Vergehen des Glücksspiels nach § 168 Abs 1 und Abs 2 StGB und nach § 27 Abs 1 SMG.

Über Robert F***** wurde am 26. September 1997 zunächst aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr, später auch wegen Fluchtgefahr (§ 180 Abs 2 Z 1 und 3 lit a StPO) die Untersuchungshaft verhängt (ON 21/I), während Gerhard S***** seit 18. Juli 1998 (nur mehr) wegen Tatbegehungsgefahr gemäß § 180 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO in Untersuchungshaft angehalten wird (ON 450/XVI). Nach Durchführung mehrerer Haftverhandlungen wurde die Untersuchungshaft jeweils verlängert. Wiederholte Beschwerden dagegen blieben ohne Erfolg.

Nachdem der Untersuchungsrichter am 16. Dezember 1998 die Voruntersuchung gemäß § 112 StPO geschlossen und die Akten (umgehend) der Staatsanwaltschaft übermittelt hatte (S 3/13 xs/I), brachte diese am 2. April 1999 beim Erstgericht eine umfangreiche Anklageschrift auch gegen die beiden Beschwerdeführer ein, in der die wesentlichen Verfahrensergebnisse der Voruntersuchung ausführlich dargelegt und verwertet wurden (ON 675/LVIII). Über die dagegen erhobenen zehn Einsprüche hat der Gerichtshof zweiter Instanz - nach der vorliegenden Aktenlage - noch nicht entschieden (ON 710/LVIII).

Mit Beschluß vom 30. März 1999 gab das Oberlandesgericht Beschwerden der Beschuldigten F***** (ON 651/LVI) und S***** (ON 652/LVI) gegen den - nach durchgeführter Haftverhandlung - am 9. März 1999 gefaßten Verlängerungsbeschluß des Untersuchungsrichters (ON 650/LVI) nicht Folge und ordnete die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den erwähnten Haftgründen (mit Wirksamkeit bis längstens 31. Mai 1999) an (ON 671/LVI).

Die dagegen erhobenen Grundrechtsbeschwerden der Beschuldigten F***** und S***** (ON 703 und 704/LVIII) sind unbegründet.

Zur Beschwerde des Robert F*****:

Rechtliche Beurteilung

Die Beschwerde bezieht zu dem vom Gerichtshof zweiter Instanz bejahten dringenden Tatverdacht nicht Stellung und läßt damit diese Untersuchungshaftsprämisse unbekämpft.

Allein mit dem allgemeinen Hinweis, "es sind nunmehr bereits mehr als eineinhalb Jahre vergangen, weshalb fraglich ist, ob nach einem derartigen Zeitraum tatsächlich der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr gegeben ist", erhebt der Beschuldigte auch gegen die Annahme des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr keinen weiteren, einer sachlichen Erwiderung zugänglichen Einwand, weil Zeitablauf allein diesen nicht entfallen läßt.

Was gegen den seit 22. Dezember 1997 (wegen eines unternommen Fluchtversuchs anläßlich einer Vorführung zum Untersuchungsrichter) zusätzlich herangezogenen Haftgrund der Fluchtgefahr, über den der Gerichtshof II. Instanz (amtswegig) ebenso abgesprochen hat, ins Treffen geführt wird, ist zum einen durch die Aktenlage nicht gedeckt; zum anderen erübrigt es sich, im Grundrechtsbeschwerdeverfahren darauf einzugehen, weil bereits die Tatbegehungsgefahr die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rechtfertigt (vgl Hager-Holzweber GRBG § 2 E 24 f mwN).

Die (erkennbar) zentralen Vorwürfe (der unsystematischen) Beschwerdeausführungen richten sich gegen die - nach Meinung des Beschuldigten F***** - durch "die von der Behörde gezielt hinausgezögerte Angelegenheit" bewirkte unverhältnismäßige lange Dauer der Untersuchungshaft und gegen die (im angefochtenen Beschluß unerwähnt gebliebene) Nichtanwendung gelinderer Mittel.

Das Oberlandesgericht ist zwar auf die Frage der Substituierung der Untersuchungshaft durch Anwendung von in § 180 Abs 5 StPO aufgezählten Maßnahmen nicht ausdrücklich eingegangen. In seiner Gesamtheit betrachtet läßt jedoch der auf bisher zahlreich ergangene Haftentscheidungen erster und zweiter Instanz ( z. B. ON 61 = 65/I, 101/II, 354/XIV, 439/XVI, 534, 580/LIII, 650, 628/LVI) Bezug nehmende bekämpfte Beschluß keinen Zweifel daran offen, daß beim Beschuldigten F***** wegen des konkreten die Haftgründe bildenden Sachverhaltes Haftverschonung ausgeschlossen ist. Im übrigen wurde dazu weder in der Haftbeschwerde noch in der Grundrechtsbeschwerde Konkretes vorgebracht.

Zur behaupteten Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaftdauer gibt die Beschwerde zwar die hiefür maßgebenden Tatsachen der bekämpften Entscheidung wieder, geht dann aber darauf nicht ein, sondern kritisiert lediglich die vom Beschwerdegericht bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigte, nach Lage des Falles zweifelhaft scheinende Prognose einer Verurteilung des Beschuldigten zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe. Darin kommt - dem Rechtsbehelf zuwider - keineswegs die Ansicht des Oberlandesgerichtes zum Ausdruck, die Untersuchungshaft sei eine "vorweggenommene Strafhaft". Angesichts der Strafdrohung von einem bis zu 15 Jahren bei verdachtskonformer Verurteilung (§ 28 Abs 2, 3, 4 Z 3 und - möglicherweise - Abs 5 SMG) des in mehrfacher Richtung einschlägig vorbestraften Beschuldigten F***** (vgl Strafregisterauskunft S 15 des ON 482/XVI) kann von einer Unverhältnismäßigkeit der bis zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung rund 18 Monate dauernden Untersuchungshaft keine Rede sein.

Gegen den nicht konkretisierten Vorwurf, der Beschwerdeführer habe den Eindruck, daß verschiedene Aktenteile absichtlich bzw gezielt zurückgehalten würden, für ihn nicht einsehbar seien, und er mit der Tatsache, daß "die Behörde weiterhin Erhebungen durchführt", nicht einverstanden sei, könnte nur mit einer Beschwerde gemäß § 113 StPO Abhilfe geschaffen werden (wie dies teilweise bereits geschehen ist, ON 49/I und ON 84/II). Im Grundrechtsbeschwerdeverfahren kann darauf mangels Grundrechtsrelevanz nicht eingegangen werden (vgl Hager-Holzweber aaO § 1 E 3 f). Unverständlich ist auch der weitere Einwand, die Untersuchungshaft werde dadurch "offensichtlich gezielt hinausgezögert"; dient doch die Durchführung weiterer Erhebungen nach Anklageerhebung erkennbar der Verfahrensbeschleunigung und somit auch der Verkürzung der Untersuchungshaft.

Die verhältnismäßig ausführliche Vernehmung durch den Untersuchungsrichter (ON 18/I) widerlegt die Behauptung, der Beschuldigte sei vor Erhebung der Anklageschrift mit (von ihm nicht näher bezeichneten) Aussagen nicht konfrontiert worden. Die als "absolut unrichtig" bezeichnete Tatsache wiederum, daß der Untersuchungsrichter die Voruntersuchung Mitte Dezember 1998 gemäß § 112 geschlossen habe, ist - wie eingangs erwähnt - aktenmäßig gedeckt (vgl abermals S 3/13 xs/I).

Zur Beschwerde des Gerhard S*****:

Soweit auch dieser Beschuldigte (beinahe wortgleich) die Bezugnahme des Gerichtshofs zweiter Instanz bei seiner Verhältnismäßigkeitsprüfung der Haftdauer auf die geringe Chance einer Verurteilung zu einer bedingten Freiheitsstrafe kritisiert, die (seiner Meinung nach) absichtliche Zurück- und Vorenthaltung von Aktenteilen ins Treffen führt, die Durchführung weiterer Erhebungen, damit eine (vermeintlich) gezielt bewirkte Hinauszögerung des Verfahrens bemängelt und den Zeitpunkt der Schließung der Voruntersuchung (gleichfalls) als absolut unrichtig bezeichnet, genügt der Hinweis auf die Ausführungen zur Beschwerde des Beschuldigten F*****. Im übrigen wurde auch Gerhard S***** - entgegen seiner Behauptung - sowohl von den Sicherheitsbehörden (vgl zB S 91 bis 117/XVI) als auch vom Untersuchungsrichter (S 119 bis 123 q/XVI) zu den ihn betreffenden Tatvorwürfen eingehend befragt. Ferner teilt er selbst die Meinung, es bedürfe noch weiterer Erhebungen.

Die Beschwerdeausführungen zum dringenden Tatverdacht argumentieren ausschließlich auf Grundlage der Anklagefakten, die lediglich pauschal "selbstverständlich bestritten werden". Dabei kann sich der Beschwerdeführer "nicht des Eindrucks erwehren", daß das Oberlandesgericht offensichtlich sämtliche Beschuldigte "über einen Kamm schert", ohne auf seine Rolle gesondert einzugehen und die Voraussetzungen für die Untersuchungshaft in jedem einzelnen Fall genau zu überprüfen.

Indes verweist der Gerichtshof zweiter Instanz hiezu nicht nur auf die zahlreichen bisherigen Beschlüsse des Landes- und Oberlandesgerichtes Innsbruck (vgl hiezu etwa ON 450, 471, 491/XVI und ON 593/LV), auf die wiederholten, die Beschuldigten belastenden Vernehmungen in Band XVII und auf die umfangreichen (mehrere Bände umfassenden) Telefonüberwachungsprotokolle, aus denen die aktive Beteiligung auch des Beschwerdeführers an der kriminellen Organisation um die Person des Maximilian P***** mängelfrei begründet wurde (§ 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO), welche auf den Gebieten des Suchtgifthandels, der Prostitution, wie des Glücks- und Falschspiels tätig war. Daran ändert nichts, daß ihm die Anklageschrift - im Gegensatz zu anderen Beschuldigten - keine "führende" Rolle in der Organisation zuweist und - worauf die Beschwerde besonders hinweist - ihm letztlich das Inverkehrssetzen von großen bzw übergroßen Kokainmengen nicht (mehr) angelastet wird (vgl S 179/LVIII).

Den bestehenden dringenden Tatverdacht bezüglich des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betruges im Zusammenhang mit dem verbotenen Glücksspiel zum Nachteil des Franz Pr***** und zahlreicher anderer, namentlich nicht bekannter Personen mit einem 500.000 S übersteigenden Schaden läßt die Beschwerde überhaupt unerwähnt.

Zu den in der angefochtenen Entscheidung angeführten, den Haftgrund der Tatbegehungsgefahr gemäß § 180 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO tragenden bestimmten Tatsachen nimmt die Beschwerde ebenfalls nicht Stellung, sodaß eine sachbezogene Auseinandersetzung damit nicht möglich ist. Sie beschränkt sich vielmehr auf die in diesem fortgeschrittenen Verfahrensstadium nicht mehr zu prüfende Frage, warum unter den damals herrschenden Umständen erst im Jahre 1998 gegen den Beschuldigten Haftbefehl erlassen und er überhaupt in Untersuchungshaft genommen wurde. Daran knüpft er die (in der Aktenlage nicht begründete) Schlußfolgerung: "Wenn zum damaligen Zeitpunkt - wie es scheint - keine Tatbegehungsgefahr angenommen wurde, so ist es nicht ganz erklärlich, warum diese nunmehr gegeben sein soll".

Bei Beurteilung des ermittelten Sachverhaltes und der Persönlichkeit des insgesamt 13mal wegen verschiedener Vermögens- und Körperverletzungsdelikte, wegen Zuhälterei und wiederholten Verstoßes gegen das Waffengesetz abgeurteilten Beschwerdeführers (vgl S 17 f der ON 482/XVI) erweist sich auch bei ihm die vom Oberlandesgericht - implizit - abgelehnte Substituierung der Haft als rechtskonform.

Schließlich ist dem Beschwerdegericht unter Berücksichtigung der Strafdrohungen des § 148 zweiter Strafsatz StGB von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe und des § 278a Abs 1 StGB (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren) auch bei Prüfung der Verhältnismäßigkeit der bis zur Beschwerdeentscheidung rund 8 1/2 Monate dauernden Untersuchungshaft kein grundrechtsverletzender Fehler unterlaufen.

Da Robert F***** und Gerhard S***** in ihrem Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt worden sind, waren ihre Beschwerden ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

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