Spruch:
Es verletzen das Gesetz in der Bestimmung des § 88 Abs 1 StGB
1) das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 2. Oktober 1997, GZ 18 E Vr 1631/96-28, in seinem Schuldspruch zu Pkt II/1 und
2) das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 7. Oktober 1998, AZ 9 Bs 342/98 (= ON 43), soweit es der Berufung des Angeklagten Manfred S***** wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe nicht Folge gibt.
Das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz samt Beschwerdeentscheidung und jenes des Landesgerichtes Klagenfurt, welches im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch des Manfred S***** wegen des "Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1, Abs 3 und Abs 4 (zweiter Deliktsfall) StGB" sowie im Strafausspruch, einschließlich der Widerrufsentscheidung (§ 494a StPO), werden aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Klagenfurt zurückverwiesen.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 2. Oktober 1997, GZ 18 E Vr 1631/96-28, wurde Manfred S***** unter anderem des "Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1, Abs 3 und Abs 4 (zweiter Deliktsfall) StGB" schuldig erkannt, weil er im Rausch (§ 81 Z 2 StGB) als Lenker eines PKWs dadurch, daß er nicht am rechten Fahrbahnrand fuhr und deshalb mit dem entgegenkommenden PKW des (gleichfalls verurteilten) Andreas B***** zusammenstieß, fahrlässig zwei Personen schwer und eine weitere Person leicht am Körper verletzte.
Das Erstgericht ging von folgendem Sachverhalt aus:
Am 9. Juni 1996 gegen 3.00 Uhr fuhr Andreas B***** mit seinem PKW der Marke Renault 4 (Fahrzeugbreite 1.509 mm) auf der Katschberg-Bundesstraße B 99 von Radenthein Richtung Süden nach Spittal an der Drau, wobei er das Abblendlicht eingeschaltet hatte und eine Fahrgeschwindigkeit von 67 km/h einhielt.
Zur gleichen Zeit näherte sich aus südlicher Richtung mit einer Fahrgeschwindigkeit von 55 km/h und gleichermaßen abgeblendeten Scheinwerfern Manfred S***** mit dem nicht zum Verkehr zugelassenen PKW der Marke MGA (Fahrzeugbreite 1.450 mm) der späteren Unfallstelle.
Beide Fahrzeuglenker waren alkoholisiert.
Bei Straßenkilometer 89,45 im Gemeindegebiet von Seeboden kam es zwischen den beiden Fahrzeugen mit unvermindeter Geschwindigkeit auf dem Fahrstreifen S***** und einer Überdeckung von 60 cm zur Kollision.
Die B 99 verläuft in Richtung Norden vorerst in einer langgezogenen Rechtskurve, welches in ein geradliniges Straßenstück übergeht, an welche sich eine Linkskurve anschließt. Die asphaltierte Fahrbahn ist innerhalb der Begrenzungslinien 6,5 m breit, wobei die rechte Fahrbahnhälfte eine Breite von 3,2 m, die linke eine solche von 3,3 m aufweist. Die beiden Fahrbahnstreifen sind durch eine Leitlinie getrennt.
S***** fuhr 40 cm von der Leitlinie entfernt, zur Gänze auf seiner Fahrbahnhälfte und änderte diese Fahrlinie auch nicht, als für ihn aus einer Entfernung von 40 m vor der späteren Kollisionsstelle der PKW des B***** erkennbar war. Aus einer Entfernung von 20,6 m vor der späteren Kollisionsstelle "wäre für ihn auch erstmals das Überfahren der Leitlinie durch den entgegenkommenden PKW erkennbar gewesen". Unter Beibehaltung des Abstandes zur Leitlinie von 40 cm fuhr er reaktionslos auf das zum Teil bereits auf seiner Fahrspur entgegenkokmmende Fahrzeug zu (US 9).
B***** befand sich 50 m vor der Kollisionsstelle noch zur Gänze auf seiner Fahrbahnhälfte. Ab diesem Zeitpunkt näherte er sich konstant der Leitlinie, welche er ca 25 m vor dem Kollisionspunkt zu überfahren begann. In weiterer Folge fuhr er reaktionslos auf das entgegenkommende Fahrzeug S***** zu, wobei er im Kollisionszeitpunkt die Leitlinie um einen Meter überfahren hatte (US 9).
Vom Erstgericht wurde das Verhalten S***** als Verstoß gegen § 7 Abs 2 StVO beurteilt. Der Berufung des Angeklagten wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe und des Ausspruches über die Schuld gab das Oberlandesgericht Graz mit Urteil vom 7. Oktober 1998, AZ 9 Bs 342/98 (= ON 43), nicht Folge, bezeichnete die diesem zur Last liegende (teils schwere) Verletzung dreier Personen in den Entscheidungsgründen aber als "das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 zweiter Fall StGB".
Ausgehend von den als unbedenklich erachteten Feststellungen des Erstgerichtes bestätigte das Berufungsgericht einen Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot des § 7 Abs 2 StVO. Weil S***** es unterlassen habe, nach Wahrnehmbarkeit des (zu ergänzen: bevorstehenden) Überschreitens der Fahrbahnmitte durch das entgegenkommende Fahrzueg so weit nach rechts zu lenken, daß der Abstand zum rechten Fahrbahnrand 75 cm oder weniger betragen hätte, falle ihm unfallkausale Fahrlässigkeit zur Last.
Nach Ansicht der Generalprokuratur steht der Schuldspruch mit dem Gesetz nicht im Einklang; dies mit folgender Begründung:
Die Begegnung von Fahrzeugen, hier zweier PKWs, ist nicht im § 7 Abs 2 StVO, sondern im § 10 Abs 1 StVO geregelt. Demnach hat der Lenker eines Fahrzeugs einem entgegenkommenden Fahrzeug rechtzeitig und ausreichend nach rechts auszuweichen (erster Satz leg cit). Ausweichen bedeutet die Freigabe eines Teils der Fahrbahn durch einen Verkehrsteilnehmer zugunsten eines auf gleicher Fahrbahn entgegenkommenden Verkehrsteilnehmers (Dittrich-Veit-Schuchlenz StVO Anm 2 zu § 10). Jeder Verkehrsteilnehmer darf aber unter normalen Verhältnissen darauf vertrauen, daß entgegenkommende Fahrzeuglenker desgleichen die für die Benützung der Straße maßgeblichen Rechtsvorschriften befolgen (§ 3 StVO) und ihrerseits vorschriftsmäßig ausweichen (Dittrich-Veit-Schuchlenz aaO, Anm 6, 7 zu § 10).
Wendet man diese Grundsätze auf den gegenständlichen Unfall an, dann ergibt sich, daß der Angeklagte S***** erst ab dem Zeitpunkt der Wahrnehmbarkeit des Überschreitens der Fahrbahnmitte durch das entgegenkommende Fahrzeug (= als sich dieses 25 m vor der späteren Kollisionsstelle befand und er selbst nur noch 20,6 m von der Unfallstelle entfernt war) zum Ausweichen verpflichtet war. Daß zu diesem Zeitpunkt (= 1,34 Sekunden vor dem Zusammenstoß; SV-Gutachten AS 99) ein unfallverhütendes Auslenken nicht mehr möglich war, ist notorisch (vgl auch das Gutachen des Sachverständigen ON 3).
In Ansehung der Bestimmung des § 7 Abs 2 StVO verkennen die Untergerichte, daß das Gebot, bei Gegenverkehr am rechten Fahrbahnrand zu fahren, an das weitere Kriterium gebunden ist, daß die Verkehrssicherheit ein solches Verhalten erfordert (ZVR 1977/250).
Da der Angeklagte S***** bei einer durch eine Leitlinie geteilten Straße von 6,5 m Breite damit rechnen durfte (§ 3 StVO), daß auch der entgegenkommende PKW-Lenker vorschriftsmäßig seine Fahrbahnhälfte benutzen werde, war trotz Dunkelheit und eingeschaltetem Abblendlicht angesichts der von S***** eingehaltenen Fahrgeschwindigkeit von 55 km/h ein Seitenabstand von 40 cm zur Leitlinie ausreichend, um ein gefahrloses Passieren der beiden je etwa 1,5 m breiten Fahrzeuge zu gewährleisten, zumal von einer "kurvenreichen Strecke", die allenfalls die Sicht wesentlich beeinträchtigt hätte (Ersturteil US 15), keine Rede sein kann. Für ihn bestand daher bei Erkennen des Gegenverkehrs (aus einer Entfernung von 40 m vor der Kollisionsstelle) weder Anlaß noch Verpflichtung, seine Fahrlinie weiter nach rechts zu verlegen.
Der Generalprokurator beantragt, Manfred S***** sofort vom Anklagevorwurf des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1, Abs 3 und Abs 4 zweiter Fall StGB freizusprechen.
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
Rechtliche Beurteilung
Den angefochtenen Urteilen ist keine - das Vertrauen nach § 3 StVO ausschließende - Feststellung zu entnehmen, für S***** sei augenfällig erkennbar gewesen, daß der Lenker des entgegenkommenden PKWs nicht gewillt oder in der Lage sein würde, die Verkehrsvorschriften einzuhalten.
Vom Lenker eines entgegenkommenden Fahrzeuges darf in einem solchen Fall, selbst wenn dieses aus irgendeinem Grund nicht auf der ihm zukommenden Fahrbahnhälfte spurt, die Rückkehr dorthin erwartet werden (Messiner StVO10 § 3 E 64, § 10 E 11; ZVR 1989/65); umso mehr, wenn sich das Fahrzeug ohnehin auf der richtigen Fahrbahnhälfte - und sei es auch nicht genau dem Straßenverlauf folgend - bewegt.
Ein Verstoß gegen § 10 Abs 1 erster Satz StVO kann daher dem Angeklagten nicht angelastet werden.
Das Ausmaß des rechtsseitigen Sicherheitsabstandes aber richtet sich, wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, nach den Umständen des Einzelfalles, somit insbesondere nach Fahrbahnbreite, Geschwindigkeit sowie den gegebenen Verkehrsverhältnissen. Die Verpflichtung, am rechten Fahrbahnrand zu fahren (§ 7 Abs 2 StVO), tritt ein, wenn - im großen Durchschnitt gesehen - eine gefährliche Situation der vom Gesetz beispielsweise aufgezählten Art vorliegt. Andererseits soll die Bestimmung des § 7 StVO die Flüssigkeit des Verkehrs nur so weit beschränken, als es im Interesse der Sicherheit erforderlich ist. Hievon ausgehend hat der Oberste Gerichtshof auch größere Abstände zum rechten Fahrbahnrand toleriert, wenn sich daraus ein ausreichender Abstand von der Fahrbahnmitte ergab, um den Gegenverkehr ohne Gefährdung der Verkehrssicherheit zu ermöglichen (Messiner StVO10 §7 E 93).
Von diesen Überlegungen ausgehend hat der Angeklagte, was die Untergerichte zutreffend erkannt haben, bei einem Abstand von ca 1,35 m vom rechten Fahrbahnrand dem Rechtsfahrgebot des § 7 Abs 2 StVO vorliegend nicht entsprochen; daß dieser Gesetzesverstoß angesichts des überwiegenden Verschuldens (vgl S 17 des Ersturteils) des rechtskräftig (mit)verurteilten B***** (zivilrechtlich) vernachlässigbar sein könnte (vgl ZVR 1978/255), ändert nichts an allfälliger strafrechtlicher Verantwortlichkeit (vgl Burgstaller in WK1 § 80 Rz 32).
Wäre S***** jedoch in der Mitte seiner Fahrbahnhälfte (mit einem seitlichen Abstand von 0,875 m vom rechten Fahrbahnrand) gefahren, so könnte dies nach den vorstehend dargelegten Gesichtspunkten nicht mehr als objektiv sorgfaltswidrig angesehen werden. Infolge unproblematischer Bejahung von Kausal-, Adäquanz- und Risikozusammenhang stellt sich damit für die Frage, ob dessen Verhalten in gleichartiger Idealkonkurrenz dem Vergehen nach § 88 Abs 1 und Abs 3 und überdies (zweifach) jenem nach § 88 Abs 1 und Abs 4 zweiter Fall StGB subsumierbar ist (Burgstaller in WK1 § 88 Rz 90 f, zuletzt Ratz in WK2 Vorbem zu §§ 28-31 Rz 11, 16 f; s auch Mayerhofer StPO4 § 293 E 24), das Problem der sog Risikoerhöhung gegenüber diesem rechtmäßigen Alternativverhalten (vgl Burgstaller in WK1 § 6 Rz 74 f und § 80 Rz 73 ff, ders, AnwBl 1980, 99, Leukauf/Steininger Komm3 § 80 Rz 27 ff, Kienapfel AT7 Z 27 Rz 16 f, Fuchs AT I3 105 ff). Deren Verneinung würde die normative Erfolgszurechnung beseitigen und auch dann zum Freispruch des Angeklagten von der zu Pkt II/1 des Ersturteiles genannten Tat führen, wenn das tatsächliche Verhalten des Angeklagten als (nicht allzu gravierender) Verstoß gegen § 7 Abs 2 StVO und demnach objektiv sorgfaltswidrig einzustufen wäre.
Hätte der Angeklagte einen - rechtlich nicht zu beanstandenden - Abstand von 0,875 m zum rechten Fahrbahnrand eingehalten, so wäre es nach den Annahmen der Untergerichte zwar gleichermaßen zu einer frontalen Kollision der beiden Fahrzeuge, jedoch nur mit einer Überdeckung von 12,5 cm, gekommen.
Für die rechtliche Bewertung, ob das Risiko schwerer (§ 84 Abs 1 StGB) Verletzung zweier Personen und (nicht qualifizierter) Verletzung einer weiteren bei einem tatsächlichen Abstand von 1,35 m vom rechten Fahrbahnrand und einer daraus resultierenden Überdeckung der Fahrzeuge von 60 cm - ex post betrachtet - wesentlich (vgl Kienapfel AT Z 27 Rz 17) höher war als bei einem (fallbezogen) zu fordernden Seitenabstand von 0,875 m (und einer daraus folgenden Überdeckung von bloß 12,5 cm), rechtmäßiges Verhalten des Angeklagten also eine "reale Chance" eröffnet hätte, die tatbestandsmäßigen Erfolge (vgl Burgstaller in WK1 § 80 Rz 75 aE, Fuchs aaO, 109) zu verhindern, wurden jedoch keine Feststellungen getroffen, weshalb Urteilsaufhebung im bezeichneten Umfang und Rückverweisung zu neuer Verhandlung und Entscheidung nicht zu vermeiden ist (§ 292 letzter Satz StPO).
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