OGH 12Os62/99

OGH12Os62/999.6.1999

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Juni 1999 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler, Dr. E. Adamovic, Dr. Holzweber und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Vielhaber als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Yüksel M***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des versuchten schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 Satz 1 zweiter Fall (Satz 3 zweiter Fall) StGB über die gemeinsam ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen der Angeklagten Yüksel M***** und Ilhan M***** sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Jugendgerichtshof Wien vom 10. Dezember 1998, GZ 10 Vr 767/97-185, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Gemäß § 390a StPO fallen den Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Yüksel M*****, alias Yüksel D*****, wurde des Verbrechens des versuchten schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 Satz 1 zweiter Fall StGB und Ilhan M*****, alias Alpaslan D*****, des Verbrechens des versuchten schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 Satz 1 zweiter Fall, Satz 3 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

Demnach haben sie am 12. Oktober 1996 in Wien "im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit den abgesondert verfolgten Jugendlichen Levent Ko*****, Sevket Kö***** und Bünyamin S***** unter Verwendung einer Waffe, nämlich eines Messers, mit Gewalt und durch gefährliche Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben gegen Ahmet C*****, diesem fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeld und Suchtgift mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern, indem Ilhan M***** dem Genannten einen Kopfstoß, Yüksel M***** ihm einen Fußkick sowie einen Faustschlag in die Bauchgegend und Ilhan M***** alleine, das heißt nicht im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit Yüksel M***** und den abgesondert verfolgten Jugendlichen Levent Ko*****, Sevket Kö***** und Bünyamin S*****, dem Ahmet C***** einen Stich mit dem Messer in dessen Bauchgegend versetzte, wodurch der Tod des Ahmet C***** eintrat".

Rechtliche Beurteilung

Den dagegen von beiden Angeklagten aus § 345 Abs 1 Z 1, 5 und 10a StPO erhobenen, gemeinsam ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden kommt keine Berechtigung zu.

Zunächst wird zwar zutreffend gerügt (Z 1), daß sich an der Verhandlung eine Richterin beteiligte, die als Untersuchungsrichterin die Komplizen der Angeklagten Levent Ko***** und Sevket Kö***** vernommen hat (ON 3, 5/I der ON 29) und demzufolge von der Mitwirkung und Entscheidung als beisitzende Richterin in der Hauptverhandlung ausgeschlossen war (§ 68 Abs 2 StPO). Dabei wird allerdings übersehen, daß prozessuale Voraussetzung für die Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes ist, daß der Beschwerdeführer den hier herangezogenen, Nichtigkeit begründenden Umstand gleich bei Beginn der Verhandlung oder, wenn er ihm erst später bekannt geworden ist, sogleich, nachdem er ihm zur Kenntnis gekommen war, geltend gemacht hat (§ 345 Abs 2 StPO). Diese Voraussetzung liegt fallbezogen nicht vor, weil dem (gemeinsamen) Verteidiger in der gemäß § 276a StPO neu durchgeführten Hauptverhandlung am 29. September 1998 - wie sich aus seinen mehrfachen Vorhalten aus ON 29 (483 ff, 541/II) ergibt - jedenfalls auch eine Kopie der in Rede stehenden Beschuldigtenvernehmungen zur Verfügung stand. Daß den Angeklagten bzw ihrem Verteidiger die ihnen (auch hinsichtlich ihrer Begleitumstände) zugekommenen Angaben der Mittäter Ko***** und Kö***** vor der Untersuchungsrichterin "nicht relevant erschienen", ist unbeachtlich, weil im gegebenen Konnex auf die Zugänglichkeit des relevanten Tatsachensubstrates, nicht aber auf das darauf basierende, individuell unterschiedliche, letztlich unüberprüfbare Erfassen der sich daraus ergebenden Konsequenzen abzustellen ist (SSt 48/74, EvBl 1991/146, 11 Os 151/96).

Der Beschwerdeargumentation (Z 5) zuwider wurden ferner durch die Abweisung des in der Hauptverhandlung am 10. Dezember 1998 nach Vorlage einer Kopie des Protokolls über die Hauptverhandlung im Strafverfahren 20 p Vr 4537/97 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien am 3. September 1997 gestellten Antrags auf "ergänzende Einvernahme der Zeugen Gürkhan Ö*****, Bezirksinspektor G***** und Bezirksinspektor D***** zum Beweis dafür, daß der Zeuge Ö***** in der Niederschrift vom 3. April 1997 den Angeklagten Ilhan M***** fälschlich belastet hat, an dem Raubüberfall teilgenommen zu haben, weil sich aus der ergänzenden Einvernahme ergeben wird, daß es wiederholt im Zuge der Einvernahme zu diesen Raubüberfällen und dem hg. Verfahren zu falschen Belastungen gekommen ist und dadurch auch die Glaubwürdigkeit des Zeugen S***** erschüttert wird", wesentliche Verteidigungsrechte nicht beeinträchtigt:

Aus den (allein) vorgelegten Seiten 32 und 33 des Protokolles über die Hauptverhandlung am 3. September 1997 im Verfahren AZ 20 p Vr 4537/97 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien gegen Ilhan M***** und Gürkhan Ö***** ergibt sich, daß der (dort) Angeklagte Ö***** angab, Ilhan M***** tatsachenwidrig der Verübung eines nicht näher konkretisierten Raubüberfalls "im April", also weder der hier aktuellen - so der Beschwerdestandpunkt - noch einer im bezeichneten Verfahren des Landesgerichtes für Strafsachen Wien anklagegegenständlichen Straftat bezichtigt zu haben (Beilage zu ON 184). Im Hinblick auf diese Verantwortung des Gürkhan Ö*****, die somit - den Beschwerden zuwider - einen Konnex zum gegenständlichen Verfahren nicht erkennen läßt, und den Umstand, daß Ö***** auch nach dem 3. September 1997 seine den Angeklagten Ilhan M***** im Zusammenhang mit dem hier aktuellen Tatvorwurf belastenden Angaben vom 3. April 1997 (77 f iVm 431 f/I ON 29) konstant aufrecht hielt (257 ff, 519 ff/II), läßt der Beweisantrag die gebotene Konkretisierung der antragsspezifischen, hier nicht von selbst einsichtigen Eignung der Beweisquellen für den angestrebten (allein relevanten) Negativbeweis der mangelnden Verläßlichkeit der Angaben des Zeugen S***** und damit jenes Mindestmaß an sachbezogener Schlüssigkeit vermissen, von der die Antragstauglichkeit unabdingbar abhing (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 4 E 19 c ff).

Auch die Tatsachenrügen (Z 10a) gehen fehl.

Soweit dazu von einer Urteilsannahme des Geburtsdatums des Ilhan M***** mit 1. September 1975 ausgegangen wird, erweist sich dies als aktenwidrig, mit der Behauptung hingegen, daß sein Geburtstag bei (urteilskonformer) Annahme, wonach er am Tag der Tat (12. Oktober 1996) das 19., nicht aber das 20. Lebensjahr vollendet hatte, "demnach zwischen dem 13. 10. 1997 und dem 12. 10. 1997 liegen müßte", als unverständlich.

Der Umstand, daß der Zeuge S*****, seine ursprünglichen, die Angeklagten massiv belastenden Angaben in der Hauptverhandlung mit der Behauptung, er sei von der Polizei mißhandelt und "unter Druck gesetzt" worden, widerrief (487 ff/II), vermag im Hinblick darauf, daß die später widerrufenen Angaben jeweils im lückenlosen Beisein von Sozialarbeiterinnen als Vertrauenspersonen deponiert wurden (115 ff/I ON 29) und Zeugen sowie Mitbeschuldigte während des gesamten Verfahrens massiv eingeschüchtert wurden (495, 507, 521, 525/II; 71, 99 f, 119, 217/III iVm 235 ff/I ON 29), keine erheblichen Bedenken in der Bedeutung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes zu erwecken. Dies gilt ferner für das darüber hinausgehende Vorbringen, das sich durch Interpretation von Beweisergebnissen, insbesondere Problematisierung der Angaben des Zeugen S***** (nominell Z 5), zugunsten der Angeklagten, im Versuch einer hier unzulässigen Kritik an der tatrichterlichen Lösung der Beweisfrage nach Art einer Schuldberufung erschöpft.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher schon in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285a, 285d, 344 StPO).

Daraus folgt die Kompetenz des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Entscheidung über die gemeinsam ausgeführten Berufungen der Angeklagten (§§ 285i, 344 StPO) wie auch über jene der Staatsanwaltschaft.

Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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