Spruch:
Der Revision der zweit‑ und drittbeklagten Partei wird teilweise Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, daß die Entscheidung einschließlich des in Rechtskraft erwachsenen Teiles insgesamt zu lauten hat:
"1.) Die zweit‑ und drittbeklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen den Betrag von S 75.000,‑- samt 4 % Zinsen seit 7. 9. 1996 zu bezahlen.
2.) Die zweit‑ und drittbeklagten Parteien haften zur ungeteilten Hand der klagenden Partei gegenüber zu einem Viertel für sämtliche Folgen und wirtschaftlichen Nachteile aus dem Unfall vom 15. 5. 1996, die drittbeklagte Partei beschränkt mit der für den Autobus mit dem Kennzeichen K 2756 am 15. 5. 1996 bestandenen Haftpflichtversicherungssumme.
3.) das Klagebegehren
a) die erstbeklagte Partei sei schuldig, zur ungeteilten Hand mit den zweit‑ und drittbeklagten Parteien der klagenden Partei den Betrag von S 300.000,‑- sA zu bezahlen sowie die erstbeklagte Partei hafte zur ungeteilten Hand mit den zweit‑ und drittbeklagten Parteien der klagenden Partei gegenüber zur Gänze für sämtliche Folgen und wirtschaftlichen Nachteile aus dem Unfall vom 15. 5. 1996 und
b) die zweit‑ und drittbeklagten Parteien seien weiters schuldig, der klagenden Partei einen weiteren Betrag von S 225.000,‑- samt 4 % aus S 125.000,‑ ‑ vom 7. 9. 1996 bis 25. 11. 1997 und aus S 225.000,‑- vom 26. 11. 1997 zu bezahlen sowie es werde festgestellt, daß die zweit‑ und drittbeklagten Parteien zu weiteren drei Viertel für sämtliche Folgen und wirtschaftlichen Nachteile aus dem Unfall vom 15. 5. 1996 haften, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit S 21.335,30 (darin enthalten S 3.111,44 USt und S 2.666,67 Barauslagen) und den zweit‑ und drittbeklagten Parteien die mit S 22.668,62 (darin enthalten S 3.111,44 USt und S 4.000,‑- Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die zweit‑ und drittbeklagten Parteien haften zur ungeteilten Hand für ein Viertel der im § 64 Abs 1 Z 1 ZPO genannten Beträge, von deren Entrichtung die klagende Partei einstweilen befreit ist."
Die klagende Partei ist weiter schuldig, der erstbeklagten Partei die mit S 9.668,21 (darin enthalten S 934,15 USt und S 4.063,33 Barauslagen) und den zweit‑ und drittbeklagten Parteien die mit S 11.699,88 (darin enthalten S 934,15 USt und S 6.095,‑- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit S 20.583,75 (darin enthalten S 1.608,75 USt und S 10.931,25 Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 15. 5. 1996 beabsichtigte die Klägerin, als Fahrgast in einen vom Erstbeklagten gelenkten, von der zweitbeklagten Partei gehaltenen und bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten Linienbus an Haltestelle Nr 8 in der Ursulinengasse in K***** in Richtung V***** nach dessen Abfertigung einzusteigen. Nachdem sie vergeblich an die geschlossene Einstiegstüre des bereits anfahrenden Busses geklopft hatte, verminderte der Buslenker nach kurzer Fahrtstrecke die Fahrgeschwindigkeit verkehrsbedingt. Die Klägerin ging neben dem in Fahrt befindlichen Bus her, klopfte an die rechte Seitenwand und kam dabei aus Unachtsamkeit zu Sturz. Sie geriet mit dem linken Fuß unter das rechte Hinterrad des Busses und wurde schwer verletzt.
Die Klägerin begehrt die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für künftige Unfallsfolgen und ihre Verpflichtung zur Zahlung von S 300.000,‑- an Schmerzengeld. Der Erstbeklagte habe die Einstiegstüre unmittelbar vor ihr geschlossen und sei trotz ihres heftigen Klopfens losgefahren. Er habe den Bus nach kurzer Fahrtstrecke angehalten und sei neuerlich losgefahren, obwohl sie heftig gegen die rechte Flanke des Busses und die Einstiegstüre geklopft habe. Durch dieses neuerliche überraschende Losfahren sei sie ins Taumeln gekommen und gestürzt. Hätte der Erstbeklagte die Einstiegstüre und die rechte Fahrzeugflanke ordnungsgemäß beobachtet, hätte er bei sorgfältigem Verhalten nichts unternommen, was sie hätte gefährden können. Es treffe ihn daher ein Verschulden. Ein schuldhaftes Verhalten aller beklagten Parteien sei auch darin zu erblicken, daß sie gegen die auf dem abzuschließenden Beförderungsvertrag beruhende Verpflichtung der unversehrten Beförderung verstoßen hätte. Sie hafteten auch nach den Bestimmungen des EKHG.
Die beklagten Parteien wendeten im wesentlichen ein, daß den Erstbeklagten kein Verschulden treffe. Er habe die Klägerin erstmals nach dem Unfall, als er den Bus wegen eines "Geräusches" wieder angehalten gehabt habe, am Gehsteig liegend bemerkt. Sie sei zu Sturz gekommen, weil sie mit Pantoffeln dem fahrenden Bus nachgelaufen und über die Gehsteigkante gestolpert sei. Da er jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet habe und der Unfall ausschließlich auf das Verhalten der Klägerin zurückzuführen sei, komme auch eine Haftung nach den Bestimmungen des EKHG nicht in Betracht.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Es traf neben dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt noch nachstehende Feststellungen:
Die Klägerin mußte auf der Fahrt von K***** nach V***** in K***** in den Autobus der Linie 80 umsteigen. Sie trug an ihren Füßen Pantoffel, die nur den Vorderfuß, nicht auch die Ferse bedeckten. Sie sah den Bus, den sie zu benützen beabsichtigte, mit geöffneten Türen stehen. Der Fahrer war nicht im Autobus. Die Klägerin erledigte noch ein Telefonat. Mittlerweile stieg der Erstbeklagte in den Autobus ein und setzte sich auf den Lenkersitz. Nach Erreichen der fahrplanmäßigen Abfahrtszeit schaute er vor dem Verschließen der Türen in den rechten Außenspiegel und nach rechts zur vorderen Einstiegstüre; da er niemand bemerkte, der einsteigen wollte, verschloß er die Türen und blickte in den linken Außenspiegel, um sich in den Fließverkehr einzuordnen. Die Klägerin bemerkte nach dem Verlassen der Telefonzelle, daß der Erstbeklagte bereits eingestiegen und die vordere Einstiegstüre bereits verschlossen war. Sie klopfte mit der rechten Hand gegen diese Türe, der Erstbeklagte schaute jedoch nicht zur Klägerin, sondern fuhr langsam an. Da der Autobus wegen eines vor ihm befindlichen Autobusses zunächst nur sehr langsam fuhr, dachte die Klägerin, der Erstbeklagte habe sie bemerkt. Sie ging neben dem langsam weiterfahrenden Bus her und klopfte gegen dessen rechte Karosserieseite im Bereich hinter der Vordertür. Nach einigen Metern verlor sie das Gleichgewicht, entweder weil sie beim Klopfen ihr Gewicht zu sehr gegen den Bus verlagert hatte oder weil sie auf die Gehsteigkante nicht achtete und stürzte nach vorne. Dabei geriet sie mit dem linken Fuß unter den fahrenden Bus, der mit dem rechten Hinterrad den Fuß überrollte. Der Erstbeklagte hörte erst während der Fahrt ein Geräusch, das er nicht beschreiben konnte. Er blickte zunächst in den Innenrückspiegel und dann in den Außenrückspiegel, sah, daß die Klägerin auf dem Gehsteig lag, und hielt den Bus an. Klopfzeichen gegen die vordere Türe dieses Autobusses sind für einen Menschen mit gesundem Gehör im Inneren des Busses bei laufendem Motor, sowohl im Standgas als auch bei erhöhter Motordrehzahl, unüberhörbar. Das Hörvermögen des Erstbeklagten ist nicht eingeschränkt. Die Klägerin muß bis zur Endlage 9,5 m zurückgelegt haben. Die Klägerin erlitt bei dem Unfall schwere Verletzungen.
Rechtlich erörterte das Erstgericht, daß dem Erstbeklagten und der zweitbeklagten Partei ein schuldhafter Verstoß gegen die Verpflichtungen aus dem mit der Klägerin geschlossenen Beförderungsvertrag anzulasten sei, weil der Erstbeklagte die rechte Flanke des Autobusses vor dem Anfahren nicht beobachtet und auf das Klopfen der Klägerin erst nach einer Fahrstrecke von 12 m reagiert habe. Er wäre verpflichtet gewesen, fahrgastfreundlich zu handeln und der Klägerin das Zusteigen zu ermöglichen. Die beklagten Parteien hafteten auch nach den Bestimmungen des EKHG.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Erstbeklagten statt, wies das gegen ihn gerichtete Klagebegehren ab, bestätigte jedoch das stattgebende Urteil gegen die zweit‑ und drittbeklagte Partei und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und verneinte sowohl eine vertragliche als auch eine deliktische Haftung des Erstbeklagten. Selbst wenn er das Klopfen der Klägerin hätte hören können und die rechte Flanke des Autobusses beobachtet hätte, hätte er die Lage nicht als für die Klägerin bedrohlich einschätzen müssen, weil sich ein maßgerechter Durchschnittsmensch nicht durch gefährliche Annäherung an den fahrenden Autobus gefährdet hätte. Eine vertragliche Haftung der zweitbeklagten Partei scheide aus, weil eine Verletzung vorvertraglicher Schutzpflichten gegenüber der Klägerin durch den Erstbeklagten als Erfüllungsgehilfe der zweitbeklagten Partei nicht zu erkennen sei. Daß der Erstbeklagte auf das Klopfen der Klägerin an die bereits geschlossene Einstiegstüre nicht reagiert habe, stelle keine unfallsursächliche Vertragsverletzung dar. Die zweit‑ und damit auch die drittbeklagte Partei hafteten jedoch nach den Bestimmungen des EKHG, weil ihnen der Entlastungsbeweis im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG nicht gelungen sei. Vom Erstbeklagten wäre bei Anwendung äußerster Sorgfalt zu erwarten gewesen, daß er das wahrnehmbar gewesene Klopfen der Klägerin gehört, durch einen Blick in den rechten Außenspiegel die Situation eingeschätzt und die Fahrt erst nach ihrer unzweifelhaften Bereinigung fortgesetzt hätte. Da der Erstbeklagte die Fahrt ohne Rücksicht auf die bei gehöriger Aufmerksamkeit feststellbar gewesene Unklarheitensituation fortgesetzt habe, habe er die nach den Umständen des Falles gebotene äußerste Sorgfalt vernachlässigt. Dem Verfahren erster Instanz sei zwar zu entnehmen, daß die beklagten Parteien auch ein Mitverschulden der Klägerin eingewendet hätten, doch hätten sie sich in der Berufung nicht gegen die Verneinung eines Mitverschuldens durch das Erstgericht gewendet. Auf den nur in erster Instanz geltend gemachten Mitverschuldenseinwand sei daher nicht einzugehen.
Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Parteien, wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen.
Die Klägerin beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen hat, im Berufungsverfahren sei der von den beklagten Parteien erhobene Mitverschuldenseinwand nicht mehr aufrecht erhalten worden. Sie ist auch im Sinne einer teilweisen Abweisung des Klagebegehrens berechtigt.
Zutreffend hat zunächst das Berufungsgericht darauf verwiesen, daß den Erstbeklagten am Zustandekommen des Unfalles kein Verschulden trifft. Er hat nach Überprüfung, ob noch ein Fahrgast einsteigen wollte, die Einstiegstüren geschlossen und begonnen, sich in den Fließverkehr einzureihen. Ab diesem Zeitpunkt mußte er sich zwangsläufig auf dieses Manöver konzentrieren. Es kann ihm daher nicht vorgeworfen werden, daß er auf das Klopfen eines Fahrgastes an die bereits geschlossene vordere Einstiegstüre nicht reagierte. Der Oberste Gerichtshof teilt aber die Meinung des Berufungsgerichtes, daß ein besonders sorgfältiger und umsichtiger Autobuslenker das wahrnehmbare Klopfen der Klägerin an die rechte vordere Einstiegstüre gehört und sich durch einen Blick in den rechten Außenspiegel bzw durch die rechte vordere Einstiegstüre über die Situation informiert und die Fahrt erst nach unzweifelhafter Bereinigung der Situation fortgesetzt hätte. Zur Haftungsbefreiung nach § 9 EKHG müßte nämlich über die gewöhnliche Verkehrssorgfalt hinaus die äußerste nach den Umständen des Falles mögliche und zumutbare Sorgfalt eingehalten worden sein. Als Maßstab wird die Sorgfalt eines besonders sorgfältigen Kraftfahrers herangezogen, der sich durch besonders überlegene Aufmerksamkeit, Geistesgegenwart und Umsicht auszeichnet und vermeidet, in eine Situation zu kommen, aus der eine Gefahr entstehen kann (vgl Apathy, EKHG § 9 Rz 16 mwN; Danzl, EKGH6, 195; ZVR 1995, 125 uva). Diesem Sorgfaltsmaßstab hat der Erstbeklagte ungeachtet des fehlenden Verschuldens nicht entsprochen.
Die Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes, die beklagten Parteien hätten in ihrer Berufung den Mitverschuldenseinwand nicht mehr aufrechterhalten, trifft allerdings nicht zu. Ausdrücklich wurde nämlich ausgeführt, daß den Lenker kein Verschulden treffe und auch der Entlastungsbeweis nach § 9 Abs 2 EKHG erbracht worden sei. Diese Behauptungen umfassen aber denklogisch den Einwand, daß der Unfall auf das Alleinverschulden bzw auf die Unachtsamkeit der Klägerin zurückzuführen ist. Dieser Einwand schließt aber auch den Mitverschuldenseinwand ein.
Das Verhalten der Klägerin, die neben dem bereits langsam anfahrenden Autobus einherging und abermals gegen die rechte Karosserieseite des Busses klopfte, war entsprechend zu gewichten. Sie geriet nämlich aus Unachtsamkeit zu Sturz, entweder, weil sie ihr Gewicht beim Klopfen zu sehr gegen den Bus verlagert hatte oder weil sie nicht auf die Gehsteigkante achtete. Diese eigene Sorglosigkeit rechtfertigt ein Mitverschulden der Klägerin von drei Viertel. In teilweiser Stattgebung der außerordentlichen Revision war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 43, 50 ZPO. Dem obsiegenden Erstbeklagten gebührt ein Drittel der Prozeßkosten erster und zweiter Instanz aller von der Klägerin solidarisch in Anspruch genommenen von ein und demselben Rechtsanwalt vertretenen Beklagten. Den zweit‑ und drittbeklagten Parteien waren die Hälfte der verbleibenden Prozeßkosten erster und zweiter Instanz sowie drei Viertel der Barauslagen zuzusprechen (§ 43 Abs 1 letzter Satz ZPO). Im Revisionsverfahren haben die zweit‑ und drittbeklagten Parteien Anspruch auf Ersatz der halben Prozeßkosten sowie von drei Vierteln ihrer Barauslagen.
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