OGH 2Ob155/99d

OGH2Ob155/99d27.5.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Robert F*****, vertreten durch Dr. Remigius Etti, Rechtsanwalt in Brunn am Gebirge, wider die beklagten Parteien 1. Gabriele G*****, und 2. G***** Versicherungs-AG, ***** beide vertreten durch Dr. Eva Krassnigg, Rechtsanwältin in Wien, wegen S 58.331 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 12. Jänner 1999, GZ 37 R 1038/98s-34, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Liesing vom 21. September 1998, GZ 3 C 57/98a-30, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 5.358,14 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 893,02, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 16. 3. 1995 ereignete sich in Wien an der Kreuzung Putzendoplergasse - Gerögasse ein Verkehrsunfall, an dem der am 4. 8. 1982 geborene Kläger als Lenker eines Fahrrades und die Erstbeklagte als Lenkerin und Halterin eines bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW beteiligt waren.

Der Kläger begehrt von den Beklagten aus dem Titel des Schadenersatzes die Zahlung von S 58.331 mit der Begründung, er sei als Rechtskommender der Erstbeklagten gegenüber bevorrangt gewesen; diese habe überdies eine relativ überhöhte Geschwindigkeit eingehalten.

Die beklagten Parteien wendeten ein, die Erstbeklagte sei sehr langsam gefahren, als der Kläger völlig überraschend und ohne auf den Querverkehr zu achten, in die Kreuzung eingefahren sei. Die Putzendoplergasse, aus welcher der Kläger gekommen sei, sei eine benachrangte Verkehrsfläche im Sinne des § 19 Abs 6 StVO. Die Erstbeklagte habe jede erdenkliche Sorgfalt eingehalten, sie habe aber trotz sofortiger Reaktion den Unfall nicht vermeiden können.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen wurden:

Die im Ortsgebiet liegende Gerögasse ist an der Unfallstelle ca 7,8 m breit und in beiden Fahrtrichtungen befahrbar. Die Putzendoplergasse mündet in einem Winkel von ca 120 Grad in die Gerögasse ein. Sie ist etwa 6,2 m breit. Das Fahrbahnniveau der Putzendoplergasse liegt 10 bis 20 cm höher als jenes der Gerögasse, wobei die Erhöhung der Putzendoplergasse in Verlängerung der Randsteinkante des die Gerögasse entlangführenden Gehsteigs verläuft. Am Beginn der Putzendoplergasse steht rechts das Verkehrszeichen "Allgemeines Fahrverbot" mit der Zusatztafel "Zufahrt für Straßendienst- und Müllsammelfahrzeuge gestattet". Dieses Verkehrszeichen ist von der Gerögasse aus bei Annäherung an die Kreuzung zu erkennen.

Die Fahrbahnen beider Gassen sind mit Bitumen-Mischgut befestigt, zum Unfallszeitpunkt waren sie trocken, es herrschte Tageslicht und normale Sicht. Die Parkplätze in der Gerögasse vor der Einmündung der Putzendoplergasse waren verparkt. Die Erstbeklagte näherte sich der Kreuzung mit einer Geschwindigkeit von 20 bis 25 km/h. Als sie in der Putzendoplergasse rechts von ihrer Fahrtrichtung eine Gruppe von Kindern bemerkte, leitete sie eine relativ starke Betriebsbremsung ein.

Der Kläger näherte sich der Kreuzung aus der Putzendoplergasse, um die Gerögasse in einem dem sich annähernden Fahrzeug der Erstbeklagten zugeneigten Winkel in Richtung der Fortsetzung der Putzendoplergasse zu überqueren. Als er über die Randsteinkante in die Kreuzung einfuhr, bewegte er sich mit einer Geschwindigkeit von 6 bis 10 km/h. Die Erstbeklagte nahm den Kläger erstmalig wahr, als er gerade die Randsteinkante überfuhr. Zu diesem Zeitpunkt war sie von ihrer späteren Endposition nur mehr 8 m entfernt, die Entfernung zur späteren Kollisionsposition war geringer. Der seitliche Abstand zur Randsteinkante betrug (bezogen auf die Sitzposition der Erstbeklagten im Fahrzeug) ca 4 m. Da sich die Erstbeklagte bereits in einer starken Bremsung befand, verstärkte sie diese nicht mehr. In diesem Zeitpunkt hätte sie auch durch eine Vollbremsung die Kollision nicht mehr vermeiden können. Das Fahrrad des Klägers wurde von der Front des Fahrzeuges der Erstbeklagten erfaßt, die Kollisionsgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeuges betrug ca 15 km/h. Der Kläger erlitt durch den Unfall eine Prellung des linken Unterschenkels mit oberflächlichen Abschürfungen und eine Rißquetschwunde im Bereich der Achillessehne links.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, bei der Putzendoplergasse handle es sich um eine untergeordnete Verkehrsfläche im Sinne des § 19 Abs 6 StVO, weil ihr Fahrbahnniveau auf der Höhe des der Gerögasse entlangführenden Gehsteiges liege und weil in dieser Gasse ein allgemeines Fahrverbot mit Ausnahme lediglich für Fahrzeuge des Straßendienstes und der Müllabfuhr gelte. Damit sei der Kläger gemäß § 19 Abs 6 StVO gegenüber der Erstbeklagten benachrangt gewesen. Die Erstbeklagte sei mit einer weit niedrigeren als der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gefahren, es sei ihr auch keine Reaktionsverspätung anzulasten, sie hätte den Unfall auch durch eine Vollbremsung nicht verhindern können.

Im Umfang der Abweisung des Begehrens auf Zahlung von S 5.040 sA erwuchs das Ersturteil in Rechtskraft. Das im übrigen von der klagenden Partei angerufene Berufungsgericht bestätigte die angefochtene Entscheidung und sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig.

Das Berufungsgericht schloß sich der Rechtsansicht des Erstgerichtes, es handle sich bei der Putzendoplergasse um eine benachrangte Verkehrsfläche im Sinne des § 19 Abs 6 StVO, an. Dies ergebe sich vor allem aus der Anrampung des Fahrbahnniveaus auf Höhe des Gehsteiges der Gerögasse und dem Fahrverbot mit einer sehr geringfügigen Einschränkung.

Den Beklagten sei auch der Entlastungsbeweis nach § 9 Abs 2 EKHG gelungen. Der Erstbeklagten sei weder eine überhöhte Fahrgeschwindigkeit noch eine verspätete Reaktion anzulasten; daß sie nicht mit einer Vollbremsung reagiert habe, sei ohne Bedeutung, weil nach den Feststellungen auch durch eine solche, der Unfall nicht hätte vermieden werden können.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil die Frage, ob bei einer Konstellation ähnlich der gegenständlichen eine untergeordnete Verkehrsfläche vorliege, unter Berücksichtigung der Entscheidungen ZVR 1990/145, 1982/86 und 1977/284 eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung habe.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegegeben werde.

Die beklagten Parteien haben Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel des Klägers zurückzuweisen, in eventu, ihm nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger vertritt in seinem Rechtsmittel die Ansicht, bei der Putzendoplergasse handle es sich um keine benachrangte Verkehrsfläche im Sinne des § 19 Abs 6 StVO. Auch Straßen, für die ein eingeschränktes Fahrverbot gelte, seien nur dann als benachrangte Verkehrsflächen anzusehen, wenn sie sich in ihrer gesamten Anlage deutlich von öffentlichen Straßen unterschieden. Dabei sei das gesamte Erscheinungsbild der Anlage und deren Unterscheidung von sonstigen öffentlichen Straßen zu überprüfen. Daß die Erhöhung des Fahrbahnniveaus der Putzendoplergasse während der Fahrt für die Erstbeklagte zu erkennen gewesen wäre, sei aber weder behauptet noch festgestellt worden. Das eingeschränkte Fahrverbot impliziere aber nicht das Vorliegen einer untergeordneten Verkehrsfläche. Die Putzendoplerstraße unterscheide sich auch sonst nicht von sonstigen Straßen mit öffentlichem Verkehr, insbesondere weise sie die gleiche Straßenbefestigung wie andere Straßen auf und habe eine Breite von 6,2 m. Sie unterscheide sich sohin während der Fahrt nach objektiven Kriterien in ihrer gesamten Anlage nicht eindeutig von sonstigen öffentlichen Straßen, weshalb der Rechtsvorrang des Klägers anzunehmen sei.

Hiezu wurde erwogen:

Nach ständiger Rechtsprechung muß die Frage, ob eine nach § 19 Abs 6 StVO benachrangte Verkehrsfläche vorliegt, nach objektiven Kriterien beurteilt werden; dabei kommt es immer auf die konkreten Umstände des Falles an. Maßgebend ist, ob sich die in Betracht kommende Verkehrsfläche für die Benützer der beiden Straßen während der Fahrt nach objektiven Kriterien in ihrer gesamten Anlage deutlich von sonstigen öffentlichen Straßen unterscheidet. Die Verkehrsbedeutung und -frequenz ist dabei nicht entscheidend (ZVR 1997/113; SZ 69/15 uva). Demzufolge wurden auch Sackgassen, die sich in ihrer Anlage von anderen öffentlichen Straßen nicht deutlich unterscheiden, nicht als im Sinne des § 19 Abs 6 StVO nachrangige Verkehrsflächen behandelt (ZVR 1970/66; ZVR 1975/154). Was für Sackgassen gilt, gilt aber grundsätzlich auch für Straßen, für die ein eingeschränktes Fahrverbot gilt (ZVR 1977/284; ZVR 1982/86; ZVR 1990/145). Es kann sich daher kein Verkehrsteilnehmer darauf verlassen, daß auf solchen Verkehrsflächen innerhalb der durch die Einschränkung des Fahrverbotes gezogenen Grenzen kein Fahrzeugverkehr stattfindet (ZVR 1990/145; ZVR 1977/284). Selbst wenn man daher im Sinne der Ansicht der klagenden Partei davon ausgeht, daß es sich bei der Putzendoplergasse um keine benachrangte Verkehrsfläche im Sinne des § 19 Abs 6 StVO handelt, hätte der Kläger den Vorrang des § 19 Abs 1 StVO nicht in Anspruch nehmen dürfen, weil er sich nicht innerhalb der durch die Einschränkung des Fahrverbotes gezogenen Grenzen befunden hat. Gemäß § 52 lit a Z 1 StVO hätte der Kläger die Putzendoplergasse mit seinem Rad nicht befahren dürfen, es wäre ihm lediglich das Schieben seines Fahrrades gestattet gewesen.

Daraus folgt, daß der Kläger ungeachtet der Vorschrift des § 19 Abs 1 StVO haltepflichtig war, weshalb seiner Revision nicht Folge zu geben war.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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