OGH 3Ob3/98g

OGH3Ob3/98g26.5.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Angst als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadt Wien, 1010 Wien, Rathaus, vertreten durch Dr. Peter Rudeck, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Karl V*, vertreten durch Dr. Benedikt Wallner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 4. September 1997, GZ 40 R 441/97t‑25, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Favoriten vom 7. April 1997, GZ 5 C 1320/96d‑20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1999:E54182

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 2.436,48 (darin enthalten S 406,08 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die klagende Partei kündigte dem Beklagten den Mietvertrag über die von ihm gemietete Wohnung aus dem Grund des § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG auf; der Beklagte und die von ihm in die gemieteten Räume aufgenommenen Personen verleideten durch ihr rücksichtsloses, anstößiges und auch sonst grob ungehöriges Verhalten den Mitbewohnern das Zusammenleben. So tyrannisiere, bedrohe und beschimpfe der Beklagte laufend die übrigen Bewohner des Hauses sowohl unmittelbar als auch telefonisch. Aufgrund von ungerechtfertigten Interventionen des Beklagten komme es zu nicht notwendigen Polizeieinsätzen; dadurch würden die übrigen Mitbewohner belästigt. Das unleidliche Verhalten des Beklagten verhindere ein gedeihliches Zusammenleben der Mitbewohner.

Der Beklagte erhob gegen die Aufkündigung vom 30. 7. 1996 Einwendungen; er lebe mit seiner Gattin und zwei Kleinkindern in der Wohnung. Die beiden Kleinkinder, von denen eines behindert sei, könnten kaum ein derartiges Verhalten an den Tag legen. Seine Gattin sei der deutschen Sprache nicht mächtig, sie sei eine zarte schüchterne Frau, die keinesfalls ein anstößiges Verhalten an den Tag lege. Vielmehr sei sie als Ausländerin den Hausbewohnern offenbar ein Dorn im Auge. Auch er lege kein rücksichtsloses oder anstößiges bzw grob ungehöriges Verhalten an den Tag. Er habe sich nur darüber beschwert, daß drei Mieter ihrer Bastelleidenschaft derart nachgehen, daß sie derartige Arbeiten stundenlang unter lautem Lärm und sogar am Gang des Hauses durchführten, wodurch er massiv belästigt worden sei.

Weiters habe es die klagende Partei verabsäumt, vor der Kündigung den Mieterbeirat zu verständigen und habe daher gegen § 18 ihres Mietermitbestimmungsstatuts verstoßen.

Die klagende Partei bestritt, daß die Verständigung des Mieterbeirates erforderlich sei.

Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung vom 30. 7. 1996 für rechtswirksam und verpflichtete den Beklagten, der klagenden Partei die Wohnung geräumt von eigenen Fahrnissen binnen 14 Tagen zu übergeben; es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Der Beklagte ist seit 1993 Mieter einer Wohnung in einer Wohnhausanlage der klagenden Partei. Er ist mit einer Philippinin verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von ein und vier Jahren. Seine Gattin ist sehr hilfsbereit; ausgenommen er selbst ist die Familie sehr ruhig und gefällig. Zwischen seiner Gattin und den Wohnungsnachbarn K* besteht das beste nachbarschaftliche Verhältnis. Seine Gattin grüßt die anderen Hausparteien, die auch zurückgrüßen; seine Gattin wird von den anderen Parteien im Haus nicht als Ausländerin abgelehnt; sie wohnt gerne in der aufgekündigten Wohnung, kann nur ganz wenig deutsch, spricht mit ihrem Gatten englisch und hat mit den anderen Parteien des Hauses praktisch keinen Kontakt. Sie ist nicht berufstätig. Da die Wohnhausanlage etwa 1970 errichtet wurde, lassen sich Renovierungsarbeiten nicht vermeiden. Solche Arbeiten werden nicht nur von den Mietern selbst, sondern auch von Handwerkern durchgeführt.

Der Beklagte verfaßte mehrere Schreiben, die er insbesondere an die Hausparteien verteilte, so einen Mieterprotest vom 29. 7. 1993 über eine Großbaustelle hinter der Wohnhausanlage. Am 3. 8. 1993 sendete er ein Schreiben an die Magistratsabteilung 52, in dem er sich als "Unabhängige Mietervertretung für die Stiegen 135 bis 150" bezeichnete. Mit gleichem Datum veröffentlichte er eine derartige Information, die er im Hause austeilte. Die Mieter fühlen sich dadurch gestört und belästigt, daß der Beklagte im Namen aller Mieter auftritt; er hat jedoch mit ihnen keinen Kontakt aufgenommen und sie nicht gefragt, ob seine Vorwürfe auch für sie zutreffen.

Bei einer Mieterversammlung im August 1993 wurde der Beklagte nicht als Mietervertreter gewählt. Der Beklagte benimmt sich den anderen Parteien gegenüber wie ein Oberaufseher, ohne dessen Wissen, Wollen und Zustimmung nichts gemacht werden darf. Fügen sich die anderen Hausparteien den Wünschen des Beklagten nicht, beschimpft er sie zwar nicht direkt, schreit aber am Gang unflätigst zB: "Welches Arschloch war das schon wieder", "Arschloch, melde dich" und ähnliches.

Der Beklagte geht zum Ärgernis anderer Hausparteien im Sommer in der Unterhose am Balkon spazieren.

Der Sohn des Mieters Alfred K* muß berufsbedingt zeitig in der Früh wegfahren. Der Beklagte drohte ihm, wenn er noch einmal um 4 Uhr oder 4.15 Uhr vor seinem Fenster das Auto starte, dann lasse er ihm die Luft aus.

Der Beklagte stellte Anfang November 1996 Gustav R* beim Lift zur Rede, stellte seinen Fuß zwischen die Lifttür und fragte, warum er unterschrieben habe. Erst nach einer kleineren Diskussion und nach wiederholter Aufforderung, er solle den Fuß herausnehmen, ließ er Gustav R* mit dem Aufzug weiterfahren.

Am 13. 3. 1995 wurden Arbeiten für einen Fernsehkabelanschluß durchgeführt. Der Beklagte forderte einen am Verteilerkasten im 4. Stock und auch in den unteren Stockwerken arbeitenden und bohrenden Arbeiter auf, er solle die Arbeitsstelle verlassen. Er zog diesen Arbeiter von der Leiter. Die Verstärkung der Leitungen ist seither nicht fertiggestellt worden.

In einem Wasserschacht vor der Stiege 138 ist ein Druckerhöher eingebaut. Dort nahm ein Arbeiter anläßlich einer Nachschau eine Reparatur im Schacht vor. Der Beklagte zog den Arbeiter aus dem Schacht heraus; anläßlich dieses Vorfalls kam es zu einem Polizeieinsatz.

Bei Asphaltierungsarbeiten am Gehsteig behinderte der Beklagte die Arbeiter, verhandelte mit ihnen und stieß sie weg. Der Beklagte schrie, es werde ohne Kenntnis der Hausverwaltung ausphaltiert. Auch anläßlich dieser Behinderungen kam es zu einem Polizeieinsatz.

Einmal stellte der Beklagte ein Einkaufswagerl im Halbstock ab. Auf einen dort hingegebenen Zettel, auf dem er ersucht wurde, das Einkaufswagerl wieder zurückzubringen, schrieb der Beklagte eine Beschimpfung. Das Einkaufswagerl stand etwa 14 Tagen im Haus.

Wenn jemand am Sonntag Schnitzel klopft, dann beschwert sich der Beklagte und holt auch die Polizei. Er ging einmal zu einer Wohnung, ohne daß dort tatsächlich Schnitzel geklopft worden wären.

Der Beklagte riß dauernd Zettel von der für Informationen vorgesehenen schwarzen Tafel.

Der Beklagte wird insbesondere dann unberechenbar, wenn im Haus Bohrarbeiten durchgeführt werden. Solche Arbeiten hört man auch dann, wenn sie auf der Nachbarstiege vorgenommen werden. Der Beklagte horcht dann im ganzen Haus herum, ruft die Leute an und fordert sie auf, mit dem Bohren Ruhe zu geben. Dann schreit er wieder im Haus und gebraucht Schimpfwörter. Er beschuldigte auch zu wiederholten Malen Hausparteien zu Unrecht, daß sie gebohrt hätten. Solche Arbeiten finden nur tagsüber, meistens zwischen 11.00 Uhr und 15.00 Uhr, nie jedoch an einem Sonntag und nur in Ausnahmefällen an einem Feiertag, statt. Der Beklagte terrorisiert durch stundenlange telefonische Anrufe Parteien im Haus, die bohren oder von denen er annimmt, daß sie bohren. Er trommelt dann mit beiden Fäusten gegen die Wohnungstür der betreffenden Parteien, tritt mit den Füßen gegen die Türe, beschwert sich bei der Verwaltung und ruft ungerechtfertigterweise die Polizei. Die Folge des völlig unberechenbaren Verhaltens des Beklagten ist, daß zahlreiche Mieter vor dem Beklagten Angst haben und durch das Verhalten des Beklagten in ihrer Wohnqualität zutiefst beeinträchtigt sind.

So forderte der Beklagte im Mai 1996 Karl B* auf, er solle zu bohren aufhören. Aus Wut trat er auf eine Dämmplatte, die Karl B* am Gang stehen hatte, sodaß diese Dämmplatte zerbrach. Wenn im Haus gebohrt wurde, bezichtigte der Beklagte diesbezüglich auch Karl B* und rief dann ständig an; dies dauerte den ganzen Tag an. Das Ehepaar B* konnte wegen dieser laufenden Anrufe des Beklagten nicht mehr in der Wohnung bleiben. Sie erhielten im Sommer 1996 eine Geheimnummer, weil sie den Terror nicht mehr aushielten. Seitdem erhielten sie keine Anrufe vom Beklagten.

Der Beklagte zeigte Karl B* beim Hausinspektor an, daß er erwerbsmäßig im Haus bohre und fräse, obwohl Karl B* gar nichts gemacht hatte. Am 8. 4. 1996 trat er so gegen die Tür des Karl B*, daß dieser fürchtete, er werde die Tür eintreten.

Bereits im Jahr 1994 hatte der Beklagte Lucia S* gegenüber haltlose Anschuldigungen erhoben, aus ihrer Wohnung gebe es ungebührlichen Lärm, es werde gebohrt. Am 8. 4. 1996 kam es bei Lucia S* zu einem Polizeieinsatz wegen einer Anzeige, in ihrer Wohnung finde ein Raufhandel statt. Tatsächlich war sie allein zu Hause, machte ihre Hausarbeiten und bügelte. Nachdem sich die Polizisten entfernt hatten, klopfte der Beklagte vehement an der Wohnungstür. Lucia S* traute sich nicht die Wohnung aufzumachen; der Beklagte schrie dann, sie solle sich nicht vor der Polizei verstecken. Einige Zeit später rief er an, sie solle sich ja nicht getrauen zu bohren oder zu klopfen, sonst könne sie etwas erleben. Dies schrie er auch danach, nachdem er gegen die Tür geklopft hatte. Bereits vor diesem Vorfall drosch er derart gegen die Wohnungstür des Erwin R*, daß dieser glaubte, er komme jetzt herein. Der Beklagte führte auch Beschwerde, als in der Wohnung S* Bohrarbeiten von Handwerkern durchgeführt wurden. Er verständigte die Hausverwaltung, die Polizei und rief deshalb auch oftmals an. Er stand dann bei der Hauseingangstür, sodaß Herta S* Angst hatte, allein ins Haus zu gehen.

Waltraud Z* hat vehemente Angst vor dem Beklagten, sie kaufte sich deshalb ein Alarmgerät, ohne das sie ihre Wohnung nicht mehr verläßt, und ließ sich auch eine Sicherheitstür machen. Der Beklagte trommelte bei der Tür wie ein Wahnsinniger, weshalb sie Angst hatte, er werde die Tür einschlagen.

Der Beklagte übte gegen die Familie Z* zweimal Telefonterror aus, einmal als Norbert Z* tatsächlich bohrte, einmal als er Waltraud Z* vorwarf, sie wisse, wer im Haus bohre.

Karl P* führte an einem Montag im Sommer 1996 zwischen 8.00 und 16.00 oder 17.00 Uhr diverse Arbeiten durch, darunter auch zur Erneuerung des Fußbodens Bohrarbeiten. Der Beklagte erhob deshalb zu Unrecht gegenüber anderen Mietern Vorwürfe, daß gebohrt werde. Seitdem traut sich Karl P* in der Wohnung nicht mehr zu arbeiten, weil er Angst hat, daß dann die anderen Personen Beschwerden erhalten.

Im Sommer des Jahres 1996 kam es zu einem umfangreichen Polizeieinsatz, weil der Beklagte erklärte, er schmeiße die Kinder aus den Fenstern; es kamen die Polizei mit mehreren Einsatzfahrzeugen, die Feuerwehr und die Rettung. Grund dieses Einsatzes war auch, daß der Beklagte eine Sozialarbeiterin nicht in die Wohnung ließ. Der Beklagte öffnete der Polizei die Wohnungstür nicht, weshalb sie gewaltsam geöffnet werden mußte.

Die Summe des Verhaltens des Beklagten führte dazu, daß zahlreiche Mieter teils aus Solidarität mit den anderen Hausbewohnern, teils weil sie vor dem Beklagten Angst haben, teils weil sie in Zukunft ähnliche Konfrontationen mit dem Beklagten befürchten müssen, eine Liste gegen den Beklagten unterschrieben. Dies hatte wiederum zur Folge, daß der Beklagte mit mehreren Parteien des Hauses Auseinandersetzungen, sei es auch geringeren Ausmaßes, hatte.

Diesen Sachverhalt beurteilte das Erstgericht rechtlich dahin, daß der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG vorliege, weil der Beklagte durch rücksichtsloses, anstößiges und grob ungehöriges Verhalten den Mitbewohnern das friedliche Zusammenleben dadurch verleide, daß er sie in Angst versetze sowie telefonisch und die Grenze des Erträglichen überschreitend so belästige, daß das Verhalten als Telefonterror empfunden werde; das Gesamtverhalten des Beklagten überschreite das Maß des Zumutbaren und sei objektiv geeignet, den Mietern das Zusammenleben zu verleiden. Der Beklagte habe kurz nach dem Einzug und seitdem immer wieder nicht nur mehrere Mieter in Angst versetzt, sondern auch zahlreichen weiteren Mitbewohnern das friedliche Zusammenleben im Haus verleidet. Er habe in zahlreichen Fällen den Mitbewohnern gegenüber das Maß des Zumutbaren überschritten. Das Mietermitbestimmungsstatut sei rechtlich ohne jegliche Bedeutung.

Das Berufungsgericht bestätigte infolge Berufung des Beklagten dieses Urteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil für die Entscheidung lediglich Umstände des Einzelfalles maßgebend gewesen seien; es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und führte in rechtlicher Hinsicht aus, das Mietermitbestimmungsstatut regle das Verhältnis der Gemeinde Wien zur Mietermitbestimmung und ihren Organen. Rechte eines Mieters, insbesondere im Kündigungsverfahren, sollten nicht erweitert werden. Die in § 18 des Statutes verankerte Verständigungspflicht gegenüber dem Mieterbeirat sei für die Wirksamkeit einer Aufkündigung gegenüber dem Mieter ohne Bedeutung; sie könnte auch dazu dienen, gemeinsam unleidliches Verhalten des Mieters aufzuzeigen. Eine Abmahnung sei nicht erforderlich, weil der Kündigungsgrund schon dann hergestellt sei, wenn dem Mieter die Unleidlichkeit und Unverhältnismäßigkeit seines Verhaltens ohne weiteres erkennbar sein mußte.

Das vom Erstgericht festgestellte Verhalten des Beklagten, bestehend in völlig überzogenen Reaktionen auf tatsächlichen oder vermeintlichen Bau- oder Bohrlärm, und die damit verbundenen ständigen Belästigungen der Mitbewohner seien als so gravierend zu werten, daß bereits darin ein unleidliches Verhalten des Beklagten erblickt werden könne. Daran vermöge auch nichts zu ändern, daß diese oft handgreiflich werdenden Vorfälle nicht in der Nachtzeit gesetzt wurden. Der Beklagte könne sich auch nicht darauf berufen, daß die Betroffenen bereits vor Einbringung der Kündigung ihre Telefonnummern auf Geheimnummern geändert haben, um ein allfälliges Verhalten des Beklagten abzustellen. Gerade die Umstellung auf Geheimnummern zeige, daß das Ausmaß der Belästigungen durch den Beklagten das erträgliche Maß jedenfalls überschritten habe. Die Belästigungen durch den Beklagten seien in anderer Form und selbst noch nach Zustellung der Aufkündigung weitergegangen. Das Verhalten vor der Kündigung sei als Gesamtverhalten für die Beurteilung heranzuziehen. Das danach fortgesetzte Verhalten diene zur Illustration des sich über Interessen von Mitbewohnern hinwegsetzenden Verhaltens.

Die Berufung des Beklagten auf den Schutz des Schlafes des Kleinkindes könne nicht als Rechtfertigung herangezogen werden, weil die Störung gerade durch das Verhalten des Beklagten noch vermehrt werde.

Auch bei der gewaltsamen Verhinderung von Kabelanschlußarbeiten und der Asphaltierung eines Gehsteiges seien zwar die Mitbewohner nicht direkt einem unleidigen Verhalten ausgesetzt gewesen; die Auswirkungen dieses unleidigen Verhaltens fielen aber auf die Mitbewohner zurück, weil diese durch die Verhinderung der Arbeiten einerseits beeinträchtigt und andererseits durch derartige Auftritte weiteren Exzessen in der Wohnhausanlage ausgesetzt seien.

 

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Beklagten ist zulässig, weil zur Frage, ob der Mieter gegen die gerichtliche Aufkündigung des Mietvertrages mit Erfolg einwenden kann, daß der Mieterbeirat nicht vor der Kündigung gemäß § 18 des Statutes für die Mietermitbestimmung in Wohnhausanlagen der Stadt Wien verständigt wurde, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehlt; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Die geltend gemachte Aktenwidrigkeit und die geltend gemachte Mangelhaftigkeit liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Das Statut für die Mietermitbestimmung in Wohnhausanlagen der Stadt Wien, auf dessen § 18 sich der Beklagte stützt, wird im jeweiligen Haus dann wirksam, wenn ein Mieterbeirat gewählt wurde. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen für die Geltung im vorliegenden Fall wurde von der klagenden Partei nicht bestritten.

Mit diesem Statut garantiert die Gemeinde Wien ihren Mietern die Möglichkeit der Mitbestimmung, von der Gebrauch gemacht werden kann oder nicht (Barta/Tschütscher, Der Mieterbeauftragte, WBl 1989, 105 [105 f]). Die Präambel dieses Statutes (§ 1 Einleitung) führt aus:

"(1) Wohnen ist ein Grundrecht des Menschen. Kaum andere Maßnahmen greifen so unmittelbar in das Leben des Einzelnen ein, wie solche im Wohnbereich.

(2) Niemand kann die Interessen der Mieter besser kennen und besser vertreten als die Mieter selbst. Mitbestimmung und Mitverantwortung bedeutet Demokratie im Wohnbereich.

(3) Das Mitbestimmungsstatut für die Mieter der Wohnhausanlagen der Stadt Wien schafft unbeschadet der geltenden Bundes- und Landesgesetze Informations‑, Kontroll- und Mitspracherechte der Mieter. Diese Rechte der Mietergemeinschaft finden ihre Grenze dort, wo sie die Rechte des Einzelnen einschränken.

(4) Die durch Gesetze und Verträge garantierten Rechte der einzelnen Mieter und Dritter bleiben voll gewährleistet. Keine Bestimmung dieses Statuts ist so zu verstehen, daß dadurch ein dem einzelnen Mieter zustehendes Recht geschmälert wird.

........."

§ 2 lautet:

"Recht der Mieter

(1) Die in diesem Statut geregelten Rechte stehen dem Mieter (Hauptmieter) der Wohnung vom Tag des Abschlusses des Mietvertrages bis zur rechtskräftigen Auflösung des Vertrages zu.

(2) Über die in den allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen enthaltenen Rechte hinaus sind die Mieter berechtigt, an allen Veranstaltungen der Mietergemeinschaft teilzunehmen und hiefür bestimmte Einrichtungen der Hausgemeinschaft zu benützen. Ihnen steht das Stimmrecht sowie das aktive und passive Wahlrecht in der Mieterversammlung zu."

§ 9 lautet:

"Aufgabenkreis des Mieterbeirates

(1) Zum Wirkungsbereich des Mieterbeirates/Mietervertreters gehören alle Aufgaben, die nicht ausdrücklich einem anderen Organ zugewiesen sind.

(2) Dem Mieterbeirat/Mietervertreter obliegt es, die Anliegen der Mieter gegenüber der Verwaltung geltend zu machen.

............"

§ 18 lautet:

"Kündigung von Mietern

Macht der Mieter vom Mietgegenstand einen erheblich nachteiligen Gebrauch, vernachlässigt er den Mietgegenstand in arger Weise oder verleidet er durch sein rücksichtsloses anstößiges oder sonst ungehöriges Verhalten den Mitbewohnern das Zusammenleben, so hat die Wohnhausverwaltung vor der Kündigung den Mieterbeirat/Mietervertreter zu verständigen."

Aus folgenden Gründen führt die Unterlassung dieser Verständigung weder zur Nichtigkeit des Verfahrens wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges noch zu einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung:

Das Mietermitbestimmungstatut für die Mieter der Wohnhausanlagen der Stadt Wien legt im einleitenden § 1 ausdrücklich fest, daß es "Informations‑, Kontroll- und Mitspracherechte der Mieter " schafft (Abs 3 Satz 1). Diese Rechte werden in Satz 2 ausdrücklich als solche "der Mietergemeinschaft" bezeichnet, die ihre Grenze dort finden, wo sie die Rechte des Einzelnen einschränken. Eine Einräumung weiterer Rechte an den einzelnen Mieter ist nicht vorgesehen. Die Rechte des einzelnen Mieters werden nur insofern erwähnt, als sie nicht durch die Rechte der Mietergemeinschaft eingeschränkt (§ 1 Abs 3 Satz 2) bzw durch eine Bestimmung des Statutes geschmälert werden (§ 1 Abs 4 Satz 2).

Dem einzelnen Mieter werden nur insofern Rechte eingeräumt, als es dessen Mitwirkung an der Mitbestimmung (Informations‑, Kontroll- und Mitspracherechte der Mieter) betrifft. Der Inhalt dieser Rechte ist in § 2 Abs 2 des Statutes näher bestimmt. Hieraus ist ein Recht des betroffenen Mieters, daß vor seiner Kündigung der Mieterbeirat verständigt werden muß, nicht abzuleiten.

Die vorherige Verständigung des Mieterbeirats vor der Kündigung von Mietern ist nicht bei allen Kündigungsgründen vorgesehen, sondern nur bei erheblich nachteiligem Gebrauch bzw Vernachlässigung des Mietgegenstandes in arger Weise oder bei rücksichtslosem, anstößigem oder sonst ungehörigem Verhalten des Mieters, wodurch er den Mitbewohnern das Zusammenleben verleidet. Auch hier fehlt jeglicher Anhaltspunkt und es ist auch kein Grund dafür erkennbar, daß gerade in einem solchen Fall ein Recht des betreffenden Mieters normiert worden wäre, vor seiner Kündigung den Mieterbeirat zu verständigen, obwohl dies für andere Kündigungsgründe auf keinen Fall vorgesehen ist.

Das Statut enthält keine Bestimmung, welche Folgen das Unterbleiben der in § 18 des Statutes vorgesehenen Verständigung des Mieterbeirates vor der Kündigung von Mietern in den dort bestimmten Kündigungsgründen nach sich zieht. Über eine bloße Verständigungspflicht hinaus sieht das Statut auch kein weiteres Verfahren vor; dem Mieterbeirat steht auch nicht das Recht zu, gegen eine beabsichtigte Aufkündigung eines Mieters Einspruch zu erheben. Die Rechte des Mieterbeirates sind hier im Rahmen seines in § 9 Abs 2 normierten allgemeinen Aufgabenkreises beschränkt, wonach es ihm obliegt, die Anliegen der Mieter gegenüber der Verwaltung geltend zu machen.

Dem Mieter einer Wohnhausanlage der Gemeinde Wien steht somit kein Recht zu, auf einer Verständigung gemäß § 18 des Mietermitbestimmungsstatuts zu bestehen; das Unterbleiben dieser Verständigung bewirkt nicht die Unzulässigkeit des Rechtsweges; sie bildet auch keinen Grund für Einwendungen gegen die Kündigung.

In der Sache selbst, was das Vorliegen des geltend gemachten Kündigungsgrundes des § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG betrifft, ist die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes, welches das Vorliegen dieses Kündigungsgrundes auf Grundlage der Tatsachenfeststellungen bejaht hat, zutreffend (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Da schon das Verhalten des Beklagten den Mitbewohnern in der Wohnhausanlage gegenüber als unleidlich im Sinn des geltend gemachten Kündigungsgrundes zu beurteilen ist, kann dahingestellt bleiben, inwieweit die Verhinderung von Arbeiten ebenfalls einen Kündigungsgrund darstellt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

 

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