OGH 11Os30/99

OGH11Os30/9918.5.1999

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Mai 1999 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Vielhaber als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Herbert L***** wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 Abs 2, 86 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Schöffengericht vom 17. Dezember 1998, GZ 15 Vr 800/98-56, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Weiß, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. DDr. Hopmeier zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und die Freiheitsstrafe auf drei Jahre erhöht.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Herbert L***** des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 Abs 2, 86 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 23. April 1998 in Villach Josef W***** durch Versetzen eines Schlages mit der flachen Hand in das Gesicht, wodurch dieser rücklings zu Boden stürzte und mit dem Kopf auf dem Asphalt aufschlug, vorsätzlich am Körper mißhandelt, wobei die Tat den am 26. Juni 1998 eingetretenen Tod des Geschädigten zur Folge hatte.

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 4, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde; sie ist nicht im Recht.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurde der Angeklagte durch die Abweisung (S 17/II) seines Antrages (S 473/I und S 17/II je in Verbindung mit ON 47) auf Durchführung eines Ortsaugenscheines (samt Tatrekonstruktion unter Ladung sämtlicher Tatzeugen) und durch das Unterbleiben der Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet der Unfallchirurgie nicht in seinen Verteidigungsrechten verletzt.

Der erstgenannte Beweisantrag sollte dem Nachweis dienen, daß Josef W***** auf Grund der örtlichen Gegebenheiten (Gehsteigkanten und unebener Boden) unter Berücksichtigung seiner Alkoholisierung und seines Drogenrausches aus eigenem gestürzt sei (S 427/I). Der (insbesondere durch die vorgefundenen, vom schwerverletzten Josef W***** stammenden Blutspuren bezeichnete) Tatort ist durch die in der Nachtragsanzeige ON 31 enthaltene (durch Verlesung in das Beweisverfahren eingeführte - vgl S 17/II) polizeiliche Tatortlichtbildmappe (S 287-299/I) ausreichend dokumentiert (vgl US 15). Die Tatzeugen wurden in der Hauptverhandlung ohnehin vernommen (ON 48 und 55). Auf Grund der Ergebnisse dieses Beweisverfahrens hätte es eines entsprechenden zusätzlichen Vorbringens des Antragstellers bedurft, inwieweit der begehrte Augenschein neben den bereits vorliegenden Erkenntnisquellen geeignet gewesen wäre, nicht allein die ohnehin unbestrittene abstrakte Möglichkeit eines Sturzes ohne Fremdverschulden, sondern einen tatsächlichen Vorgang dieser Art am Tatort zu erweisen. Mangels einer solchen Untermauerung des Begehrens durfte das Schöffengericht von einem zur Erweiterung der Entscheidungsgrundlagen untauglichen Verlangen ausgehen (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 4 E 19).

Die erst in der Beschwerde hiezu aufgestellte Behauptung, bei Aufnahme dieses Beweises wäre der Nachweis gelungen, daß die Zeugen S*****, P*****, Sch*****, Schw***** und Po***** den Vorwurf konkret gar nicht wahrnehmen konnten, ist verspätet und daher unbeachtlich. Bei der Prüfung der Berechtigung eines Antrages ist nämlich stets von der Verfahrenslage im Zeitpunkt der Stellung des Antrages und den dabei angegebenen Gründen auszugehen. Erst im Rechtsmittelverfahren vorgebrachte Argumente tatsächlicher Art können keine Berücksichtigung finden (Mayerhofer aaO E 41).

Entgegen der weiteren Verfahrensrüge hat der Angeklagte in der Hauptverhandlung einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens "aus dem Fachgebiet der Unfallchirurgie" gar nicht gestellt. Vielmehr hat er zusätzlich zu der "ergänzenden Befragung der gerichtsmedizinischen Sachverständigen Dr. Regina G*****" bloß noch (zu mehreren Beweisthemen) die Einholung eines (nicht näher spezifizierten) medizinischen Sachverständigengutachtens beantragt (siehe erneut den in der Hauptverhandlung bloß wiederholten schriftlichen Beweisantrag ON 47). Diesen Anträgen hat das Erstgericht durch Ladung der gerichtsmedizinischen Sachverständigen Dr. G***** zur Hauptverhandlung vom 23. November 1998, in der sie ihr schriftliches Gutachten ON 40 näher erläuterte (S 463 ff/I), ohnehin entsprochen. Daß der Angeklagte die ihm eröffnete Möglichkeit, die Sachverständige in der Hauptverhandlung zu den von ihm genannten weiteren Beweisthemen zu befragen, ungenützt ließ, stellt keinen dem Erstgericht unterlaufenen Verfahrensmangel dar.

Dem Schöffengericht ist auch bei der rechtlichen Beurteilung des Tatgeschehens - der Rechtsrüge (Z 9 lit a) zuwider - kein Irrtum unterlaufen.

Nach (der auf Bertel/Schwaighofer BT I5 § 83 StGB Rz 5 und 6 gestützten) Ansicht des Beschwerdeführers stelle das Versetzen einer "leichten" Ohrfeige (in US 6 jedoch: "einer keinesfalls sehr starken Ohrfeige") schon objektiv keine Mißhandlung im Sinne des § 83 Abs 2 StGB dar, weil eine derartige Tätlichkeit in der Regel nicht mit erheblichen körperlichen Schmerzen verbunden sei.

Bei dieser Argumentation übersieht der Angeklagte aber, daß unter einer Mißhandlung im Sinne der zitierten Gesetzesstelle ganz allgemein "jede üble, unangemessene Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden eines anderen nicht unerheblich beeinträchtigt" verstanden wird (Kienapfel BT I4 Rz 65; Leukauf/Steininger Komm3 RN 14; Burgstaller in WK Rz 23 je zu § 83 StGB). Der Hauptfall einer Mißhandlung ist (unbestritten) die vorsätzliche Zufügung weder ganz rasch vorübergehender noch völlig unerheblicher Schmerzen; Voraussetzung für die rechtliche Beurteilung einer vorsätzlichen Tätlichkeit als Mißhandlung sind derartige erhebliche Schmerzen aber nicht (Kienapfel aaO). Vielmehr reicht hiefür das Hervorrufen von bloßem Unbehagen aus. In diesem Sinn hat die Rechtsprechung schon wiederholt vorsätzliche Angriffe, die nicht unmittelbar mit erheblichen Schmerzen verbunden waren, als Mißhandlung gewertet, wie ein mehrmaliges Schlagen mit einem Polster gegen den Kopf (SSt 53/35) und das Drücken einer anderen Person gegen eine Mauer (EvBl 1983/60) oder unter Wasser (SSt 57/13). Eine Ohrfeige, die nach der Annahme des Erstgerichtes "sich keinesfalls als freundschaftliches Abtätscheln oder ähnlicher Körperkontakt ohne Mißhandlungsvorsatz darstellt" (US 15), vielmehr doch so heftig war, daß sie zum Sturz des (alkoholisierten) Opfer führte, stellt in diesem Sinn sehr wohl eine Mißhandlung dar.

Gleichfalls nicht im Recht ist der Angeklagte mit seinem weiteren (nominell verfehlt auch unter der Z 10 des § 281 Abs 1 StPO aufgestellten) Einwand, wonach jedenfalls die objektive Sorgfaltswidrigkeit der Mißhandlung (leichte Ohrfeige) in bezug auf die dadurch bewirkte Todesfolge zu verneinen sei.

Wohl ist der Grundsatz, daß eine vorsätzliche Mißhandlung in der Regel auch schon einen objektiven Sorgfaltsverstoß des Täters zu einer daraus entstehenden Verletzung des Opfers indiziert (vgl SSt 47/1 ua), beim Eintritt schwerer oder gar tödlicher Verletzungsfolgen nicht zwingend. Denn diesfalls erstreckt sich das Erfordernis einer - für die Zurechnung der Verletzungs- oder Todesfolge als fahrlässig herbeigeführt (§ 7 Abs 2 StGB) voraussetzenden - objektiven Sorgfaltswidrigkeit des Täters speziell auch auf den schweren oder tödlichen Grad der Verletzung: Bei einer in Ansehung der qualifizierten Tatfolge atypischen Ungefährlichkeit der Begehungsweise liegt diese Prämisse - wie vom Angeklagten grundsätzlich richtig erkannt wird - nicht vor (vgl 15 Os 148/87; JBl 1989,395 mwN).

Ein qualifizierender Taterfolg ist nämlich dem Täter grundsätzlich nur dann als fahrlässig herbeigeführt zuzurechnen, wenn er für ihn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens voraussehbar, also der Tathandlung adäquat war und dementsprechend im Rahmen des von ihm eingegangenen Gefahrenrisikos lag.

Nach den Urteilsannahmen war dem Angeklagten die starke Alkoholisierung des auf asphaltiertem Boden stehenden Josef W***** bekannt, als er ihm mit Mißhandlungsvorsatz die Ohrfeige versetzte, durch welche dieser das Gleichgewicht verlor, rücklings zu Boden stürzte, mit dem Kopf auf dem Asphalt aufschlug und anschließend regungslos liegen blieb (US 5, 6, 18 und 19). Unter diesen Umständen war vorhersehbar, daß schon ein leichter Schlag mit der flachen Hand in das Gesicht einer auf schwankenden Beinen stehenden, stark alkoholisierten Person ausreichen kann, um einen unkontrollierten Sturz des Angegriffenen nach hinten mit einem damit verbundenen harten Aufschlag seines Kopfes auf dem Asphaltboden auszulösen, was zu schweren Kopfverletzungen und dadurch letztlich auch zum Tod des Opfers führen kann. Bei der gegebenen Fallkonstellation war die (dem nicht auf fester Unterlage sitzenden oder liegenden) Josef W***** verabreichte Ohrfeige für den später eingetretenen Tod somit auch keineswegs (atypisch) ungefährlich.

Weiters liegt nicht nur der Äquivalenz-, sondern auch der vom Angeklagten bestrittene Adäquanzzusammenhang zwischen der Mißhandlung und dem eingetretenen Tod Josef W*****s vor. Am Adäquanzzusammenhang fehlt es dann, wenn der Erfolgseintritt völlig außerhalb des Rahmens der gewöhnlichen Erfahrung liegt, so etwa, wenn das Opfer lediglich zufolge einer für den Täter nicht erkennbaren persönlichen Beschaffenheit ("Papierschädel", Bluter) stirbt (vgl Leukauf/Steininger Komm3 Vorbem. § 1 RN 33 und 34). Ein derartiger gänzlich atypischer Kausalverlauf ist bei dem hier zu beurteilenden Tatgeschehen nicht gegeben. Es entspricht nämlich durchaus der gewöhnlichen Erfahrung, daß eine durch eine Ohrfeige mißhandelte, stark alkoholisierte Person nach hinten zu Boden stürzen und sich bei dem dadurch bedingten Aufprall des Kopfes auf asphaltiertem Untergrund (wie hier) auch mehrfache Schädelbrüche und Gehirnblutungen zuziehen kann. Es ist auch durchaus nicht außergewöhnlich, daß derartige schwere Schädel- und Gehirnverletzungen trotz rechtzeitiger und fachgerechter ärztlicher Betreuung - auch ohne Vorhandensein in der persönlichen Beschaffenheit des Opfers liegender ganz ungewöhnlicher Risikofaktoren - zu verletzungsbedingten weiteren Komplikationen (hier: Lungenentzündung) führen können, die letztlich für den Tod des Verletzten ursächlich sind.

Soweit der Angeklagte darüber hinaus auch die subjektive Sorgfaltswidrigkeit seines Verhaltens mit dem Hinweis darauf bestreitet, daß er vor der Tat über 2,5 Liter Bier und einen halben Liter Wein getrunken habe und deshalb nach seinen damaligen geistigen und körperlichen Verhältnissen zur Beachtung der objektiven Sorgfaltspflicht nicht befähigt gewesen sei, bringt er die Rechtsrüge nicht zur prozeßordnungsgemäßen Darstellung. Bei Ausführung eines materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes muß nämlich unter Heranziehung der tatsächlich getroffenen Urteilsfeststellungen ein Vergleich mit dem darauf angewendeten Gesetz vorgenommen und auf dieser Grundlage der Einwand entwickelt werden, daß dem Erstgericht bei Beurteilung dieses Urteilssachverhaltes ein Rechtsirrtum unterlaufen ist. Bei seinem Vorbringen übergeht der Angeklagte aber die Feststellung, daß er alkoholtolerant ist und die angeführten alkoholischen Getränke am Tattag seit 10 Uhr konsumiert hatte, sodaß er zur Tatzeit (etwa 19,45 Uhr nur leicht alkoholisiert und keineswegs volltrunken war (US 5, 9, 14).

Die teils unbegründete, teils nicht dem Gesetze gemäß ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verhängte über Herbert L***** nach § 86 StGB eine Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren. Als erschwerend wertete es die zahllosen und über die Rückfallsvoraussetzungen hinausgehenden einschlägigen Vorverurteilungen und den Umstand, daß der Angeklagte die Tat in alkoholisiertem Zustand begangen hat, obwohl er auf Grund seiner Vorverurteilungen annehmen mußte, daß er in diesem Zustand zu Gewalttätigkeiten neigt; als mildernd keinen Umstand.

Gegen diesen Strafausspruch richten sich die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft, wobei ersterer eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe beantragt, die Anklagebehörde hingegen deren Erhöhung.

Entgegen der ständigen Judikatur ist das Erstgericht von einem infolge Vorliegens der Rückfallsvoraussetzungen geänderten Strafrahmen von einem bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe ausgegangen (US 19). § 39 StGB stellt jedoch nur eine fakultativ anzuwendende Strafbemessungsvorschrift dar, welche keine Änderung des Strafsatzes bewirkt (Leukauf/Steininger Komm3 § 39 E 18 f). Da die Tatrichter den gesetzlichen Strafrahmen aber nicht überschritten haben, bewirkt diese Gesetzesverletzung keine Nichtigkeit. Bei Behandlung der Berufung ist jedenfalls vom gesetzlichen Strafrahmen des § 86 StGB (Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren) auszugehen.

Die Strafzumessungsgründe bedürfen insofern einer Korrektur, als - im Sinne der Berufung des Angeklagten - ein Beitrag zur Wahrheitsfindung als mildernd zu werten ist. Demgegenüber sind im Hinblick auf die obigen Ausführungen zu § 39 StGB alle auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Vorstrafen als erschwerend zu berücksichtigen.

Aus diesen Vorverurteilungen ergibt sich bereits ein beträchtlicher Hang des Angeklagten zu Gewalttätigkeiten. Alle bisher gesetzten Maßnahmen von Strafgerichten blieben erfolglos. Das Vorleben indiziert somit bereits eine erhebliche Gefährlichkeit, welcher nur durch Verhängung einer massiven Freiheitsstrafe begegnet werden kann.

Es war daher in Stattgebung der Berufung der Staatsanwaltschaft die Freiheitsstrafe auf das angeführte Ausmaß zu erhöhen und der Angeklagte mit seiner Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a StPO.

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