Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der beklagten Partei wird ergänzend aufgetragen, der klagenden Partei ab 22. 6. 1993 bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung von S 1.000 monatlich zu erbringen, und zwar die schon fälligen vorläufigen Zahlungen binnen 14 Tagen, die weiteren an jedem Monatsersten im vorhinein.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 22. 4. 1993 führte der damals 52jährige Kläger am Hof eines Nachbarn mit einem Dampfstrahler Reinigungsarbeiten an seinem Traktor durch. Nach Beendigung dieser Arbeiten bedankte sich der Kläger bei seinem Nachbarn für die Überlassung des Dampfstrahlers, saß mit diesem noch in dessen Haus zusammen und konsumierte Bier und Wein. Aufgrund der konsumierten Alkoholmenge lag beim Kläger keine starke, aber eine mittelgradige, zwischen 0,8 und 1,20/00 liegende Alkoholisierung vor. Der Kläger benahm sich nicht unvernünftig.
Nach dem Verlassen des Hauses stürzte der Kläger auf einer vor dem Haus gelegenen Terrasse, durchbrach ein dort nur provisorisch angebrachtes Behelfsgeländer und kam auf dem ca 2,5 m unter der Terrasse befindlichen Fliesenboden zu liegen. Daß die mittelgradige Alkoholisierung, die zu einem torkelnden Gang führen kann, die allein wesentliche Ursache für das Stolpern und den darauffolgenden Sturz des Klägers war, konnte nicht festgestellt werden.
Der Kläger erlitt beim Sturz einen Unterschenkelbruch und mußte nach einer Operation mehrere Monate lang einen Stützapparat tragen. Aus diesem Unfall folgte eine beträchtliche, sich bei Belastung verstärkende Instabilität der Fraktur im körperfernen Drittel des linken Unterschenkels, die zur vermehrten valgischen Einstellungen und zu einer beträchtlichen Reduzierung der Geh- und Stehleistung bei Gangunsicherheit und belastungsabhängigen Beschwerden führt. Hieraus resultiert eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 vH.
Mit Bescheid vom 22. 9. 1994 lehnte die Beklagte das Vorliegen eines Arbeitsunfalles ab. Das Ereignis vom 22. 4. 1993 sei nicht im Zusammenhang mit einer die Versicherung begründenden Beschäftigung eingetreten, weshalb dem Kläger keine Leistung gebühre.
Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte im zweiten Rechtsgang - soweit für das Revisionsverfahren relevant - zur Zahlung einer Versehrtenrente von 40 vH der Vollrente ab 22. 6. 1993. Ausgehend von den eingangs wiedergegebenen Feststellungen vertrat es die Rechtsansicht, daß es sich bei der Reinigung des Traktors gemäß § 175 Abs 2 Z 5 ASVG um eine Tätigkeit gehandelt habe, die im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung gestanden sei. Da dem Kläger das Reinigungsgerät von seinem Nachbarn zur Verfügung gestellt worden sei, sei es verständlich, daß er sich hiefür nach Beendigung der Arbeiten bedankt habe. Auch das kurze Zusammensitzen und gemeinsame Konsumieren von Getränken entspreche den Gepflogenheiten. Der zeitliche Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Tätigkeit sei dadurch nicht aufgehoben worden. Der Beweis, daß die Alkoholisierung des Klägers die wesentliche Ursache des Unfalles gewesen sei, sei der Beklagten nicht gelungen. Es handle sich daher um einen Arbeitsunfall. Aufgrund der festgestellten Minderung der Erwerbsfähigkeit gebühre dem Kläger eine Versehrtenrente im Ausmaß von 40 vH der Vollrente.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten - mit Ausnahme der Abweisung eines im Revisionsverfahren nicht mehr relevanten Begehrens auf Ersatz von Behandlungskosten von S 2.688 - nicht Folge. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und folgerte, daß der Beklagten nicht der Beweis gelungen sei, der Kläger wäre durch den Alkoholgenuß gehuntüchtig oder jedenfalls so alkoholisiert gewesen, daß er deshalb zu Sturz gekommen sei. Die Alkoholisierung des Klägers könne nicht als allein wesentliche Ursache des Unfalles angesehen werden. Durch den maximal eine Stunde dauernden Aufenthalt des Klägers im Haus seines Nachbarn im Anschluß an eine in der Landwirtschaft übliche nachbarschaftliche Überlassung eines Reinigungsgerätes sei der Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung nicht aufgehoben worden.
Gegen den stattgebenden Teil dieser Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten aus den Gründen der unrichtigen Tatsachenfeststellungen aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der vollständigen Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Die Revision ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Vorweg ist die Revisionswerberin darauf hinzuweisen, daß die Feststellung oder Nichtfeststellung bestimmter Tatsachen aus der freien Beweiswürdigung der Vorinstanzen resultiert, die vom Obersten Gerichtshof nicht überprüft werden kann (Kodek in Rechberger, ZPO Rz 1 zu § 503). Auf die Ausführungen der Revisionswerberin zum Rechtsmittelgrund der unrichtigen Tatsachenfeststellungen aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung ist daher nicht weiter einzugehen.
In rechtlicher Hinsicht argumentiert die Revisionswerberin primär dahin, daß durch die Alkoholisierung des Klägers der Kausalzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall "unterbrochen" worden sei. Die Alkoholisierung sei die allein wesentliche Ursache für das Stolpern und den Sturz des Klägers gewesen.
Dem kann nach den Verfahrensergebnissen nicht beigetreten werden.
Alkoholgenuß außerhalb des Straßenverkehrs löst den inneren Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit nur dann, wenn der Versicherte derart betrunken ist, daß er zu keiner Arbeit mehr fähig ist (Brackmann/Krasney, Handbuch der Sozialversicherung, SGB VII, § 8 RdNr 338; BSGE 48, 224). Hat der Alkoholgenuß dagegen nur zu einem Leistungsabfall geführt und ist der Versicherte noch fähig, bei den ihm obliegenden Verpflichtungen eine ernstliche, dem Unternehmen zu dienen bestimmte Arbeit zu verrichten, steht er grundsätzlich noch unter Versicherungsschutz. Ein Unfall ist aber dann kein Arbeitsunfall, wenn es an dem ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis fehlt, was dann zutrifft, wenn der Alkoholeinfluß allein die wesentliche Bedingung und damit rechtlich allein die Unfallsursache ist (Brackmann/Krasney aaO § 8 RdNr 339; SSV-NF 3/65).
Nicht jede durch Alkohol herbeigeführte Minderung der Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit und jedes damit verbundene Absinken der Leistungsfähigkeit und Arbeitsqualität ist als ein wesentlich allein alkoholbedingter Leistungsabfall zu werten. Bei Würdigung aller Umstände dürfen nur solche Verhaltensweisen als Anzeichen eines alkoholbedingten Leistungsabfalls gewertet werden, die typisch für die unter Alkoholeinfluß stehende Person sind (Brackmann/Krasney aaO § 8 RdNr 340).
Das (deutsche) Bundessozialgericht schließt einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall nicht schon aus, wenn der Alkoholgenuß eine von mehreren wesentlichen Unfallsursachen gebildet hat, sondern nur, wenn er nach den gesamten Umständen des Einzelfalles als die rechtlich allein wesentliche Ursache anzusehen ist (Brackmann/Krasney aaO § 8 RdNr 345). Dem schloß sich auch der Senat an (SSV-NF 4/49).
Auch in Sozialrechtssachen gelten - abgesehen von den in § 87 Abs 4 ASGG besonders geregelten Fällen - die allgemeinen Grundsätze über die Verteilung der Beweislast. Jeder, der ein Recht für sich in Anspruch nimmt, muß daher die rechtsbegründenden Tatsachen beweisen (SSV-NF 1/48 ua). Die Beklagte trägt daher die objektive Beweislast für das Vorliegen anspruchsvernichtender Tatsachen, wozu auch die Lösung des betrieblichen Zusammenhanges durch eine allein wesentliche Alkoholisierung gehört (SSV-NF 5/10). Diesen Beweis sahen die Vorinstanzen als nicht erbracht an. An die Beweiswürdigung ist der Oberste Gerichtshof - wie schon oben ausgeführt - gebunden. Die Nichterweislichkeit einer anspruchsvernichtenden Tatsache geht zu Lasten der Beklagten (SSV-NF 5/10 mwN).
Eine davon abweichende Beurteilung des Falles ergibt sich auch nicht aus dem zu 10 ObS 133/98a (= ARD 4.957/15/98) zu beurteilenden Sachverhalt eines durch Alkoholgenuß verkehrsuntüchtigen Autolenkers, der in einer Kurve von der Fahrbahn abkam. Dort wurde das Vorliegen eines Tatbestandes mit typisch formelhaftem Geschehensablauf angenommen und deshalb die Zulässigkeit des Anscheinsbeweises bejaht (Fasching, Lehrbuch2 Rz 894, 897; RZ 1990/57 ua). Der Beweis des ersten Anscheins beruht darauf, daß bestimmte Geschehensabläufe typisch sind und es daher wahrscheinlich ist, daß auch im konkreten Fall ein derartiger gewöhnlicher Ablauf und nicht ein atypischer gegeben ist. Stellt es einen typischen Geschehensablauf dar, daß ein Unfall die Folge der allein wesentlichen Alkoholisierung des Versicherten war, ist sohin der Beweis des ersten Anscheins gegeben, dann kommt es zu einer Verschiebung der Beweislast, sodaß in einem derartigen Fall den Versicherten die objektive Beweislast dafür, daß nicht die Alkoholisierung, sondern andere Ursachen den Unfall auslösten, trifft (10 ObS 133/98a).
Ein Anscheinsbeweis ist hier jedoch nicht zulässig, weil kein Tatbestand mit typischem formelhaften Geschehensablauf angenommen werden kann. Anders als bei Autofahrern bei Fußgängern kein Grenzwert für absolute Verkehrsuntauglichkeit festgelegt werden (Brackmann/Krasney aaO RdNr 357). Umso weniger ist dies für einen Fußgänger möglich, der sich nicht auf einer öffentlichen Verkehrsfläche, sondern auf privatem Grund bewegt. Im vorliegenden Fall steht gerade nicht fest, daß der Kläger im Unfallszeitpunkt alkoholbedingt gehuntüchtig war (vgl Keller, Bedeutung und Anwendungsbereich des Beweises des ersten Anscheins in der gesetzlichen Unfallversicherung, SGb 3/99, 120 [121]).
Hat sich ein Unfall außerhalb des Straßenverkehrs ereignet, kann ein alkoholbedingter Leistungsabfall als die allein wesentliche Bedingung des Unfalls nicht ausschließlich aus der Blutalkoholkonzentration abgeleitet werden. Ein etwaiges Fehlverhalten ist grundsätzlich nur dann als beweiskräftig für einen alkoholbedingten Leistungsabfall als die allein wesentliche Bedingung des Unfalls zu erachten, wenn es typisch für einen unter Alkoholeinfluß stehenden Versicherten ist und nicht ebensogut andere Ursachen haben kann, wie etwa Unaufmerksamkeit, Leichtsinn, Übermüdung, körperliche Verfassung und ähnliches, die ihren Grund nicht in einem vorausgegangenen Alkoholgenuß haben können. In diesem Sinn erkannte das Bundessozialgericht den Sturz eines alkoholisierten Versicherten auf einer Treppe als Arbeitsunfall, weil das Ausgleiten keinesfalls so typisch ist, daß es allein dem Alkoholgenuß angelastet werden kann (BSGE 45, 176; Dusak in ZAS 1990, 45 [50]). Diese Gedanken können auch auf den vorliegenden Fall übertragen werden, in dem der Kläger auf einer nur behelfsmäßig gesicherten Terrasse zu Sturz kam und - wie auf den im Strafakt gegen den Nachbarn beiliegenden Lichtbildern zu ersehen ist - ein wenig stabiles Geländer durchbrach.
Das Berufungsgericht ging von einem maximal eine Stunde dauernden Aufenthalt des Klägers im Haus seines Nachbarn im Anschluß an die Reinigung des Traktors aus. Dieser zeitlichen Eingrenzung hat die Revisionswerberin nicht widersprochen. Ihrer Rechtsansicht, daß damit der betriebliche Zusammenhang gelöst worden sei, kann nicht beigetreten werden. Daß die Reinigung des Traktors als solche unter Unfallversicherungsschutz stand, wird von der Beklagten nicht bestritten. Unter Unfallversicherungsschutz stehen aber auch Wege, die mit der Instandhaltung der Arbeitsgeräte zusammenhängen (Teschner/Widlar, ASVG 942; Brackmann/Krasney aaO § 8 RdNr 295; Tomandl, SV-System 285). Ein Einwand, daß sich der Kläger auf einem nicht geschützten Abweg oder Umweg befunden hätte, wurde von der Beklagten nicht erhoben. Die Annahme, daß sich der Kläger, dem vom Nachbarn auf dessen Hof ein Gerät zur Reinigung seines Traktors zur Verfügung gestellt worden war, im Anschluß an die Reinigungsarbeiten entfernt, ohne sich zu verabschieden und zu bedanken, wäre - wie schon die Vorinstanzen zutreffend ausführten - lebensfremd. Damit ist auch für den Weg des Klägers in die Wohnung des Nachbarn der notwendige Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit hergestellt. Wenn auch der gemeinsame Alkoholkonsum des Klägers mit dem Nachbarn eigenwirtschaftlichen Interessen diente, kann aus der Dauer und der Art der damit verbundenen Unterbrechung nicht auf eine endgültige Lösung des Zusammenhanges zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Weg von dem Ort der Tätigkeit geschlossen werden (SSV-NF 4/20, 5/139 ua).
Soweit die Revisionswerberin beanstandet, daß die Vorinstanzen gleich eine Versehrtenrente zugesprochen haben, ohne vorher darüber abzusprechen, ob es sich beim Ereignis vom 22. 4. 1993 überhaupt um einen Arbeitsunfall gehandelt habe, ist ihr zu erwidern, daß ein Feststellungsbegehren durch die Möglichkeit eines Leistungsbegehrens ausgeschlossen wird, sofern durch den Leistungsanspruch auch der Feststellungsanspruch erschöpft wird. Ist der gesamte Leistungsanspruch aus einem strittigen Rechtsverhältnis fällig, so ist das Feststellungsbegehren unzulässig, weil mit dem Leistungsbegehren das strittige Rechtsverhältnis endgültig bereinigt wird (SZ 58/175 mwN; SSV-NF 4/131, 8/81 ua). Der Kläger erhob daher zu Recht ein Leistungsbegehren und kein Feststellungsbegehren (ON 24, AS 134). Mit dem Zuspruch einer Versehrtenrente an den Kläger wurde von den Vorinstanzen auch das Vorliegen eines Arbeitsunfalles bejaht. Die Revisionswerberin mißversteht offenbar § 82 Abs 5 ASGG, der die von ihr vermißte Feststellung, daß die geltend gemachte Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalles ist, nur in eventu für den Fall gebietet, daß das Begehren auf Gewährung einer Versehrtenrente abgewiesen wird (SSV-NF 5/37, 5/93, 7/111, 8/81 ua). Dieser Eventualfall ist jedoch nicht eingetreten (Fasching aaO Rz 759).
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Versehrtenrente an den Kläger sind daher gegeben. Gegen die Annahme der Vorinstanzen, daß der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit 40 vH beträgt, wird von der Revision nichts vorgebracht. Der Revision war daher nicht Folge zu geben.
Da jedoch die Vorinstanzen § 89 Abs 2 ASGG unbeachtet ließen, war gemäß § 90 Z 3 ASGG von Amts wegen ein Auftrag an die Beklagte zur Erbringung einer unter sinngemäßer Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO festgelegten vorläufigen Zahlung an den Kläger nachzutragen (RIS-Justiz RS0085734).
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