OGH 1Ob23/99k

OGH1Ob23/99k23.2.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Christa S*****, vertreten durch Dr. Herbert Grass, Rechtsanwalt in Deutschlandsberg, wider die beklagte Partei Birgit B*****, vertreten durch Dr. Paul Friedl, Rechtsanwalt in Eibiswald, wegen Erbringung einer unvertretbaren Handlung (Streitwert S 30.000,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 23. Oktober 1998, GZ 2 R 429/98t-28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Stainz vom 24. Juni 1998, GZ 1 C 510/97d-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit S 4.058,88 (darin S 676,48 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu bezahlen.

Text

Begründung

Die Streitteile sind Nachbarn. Sie wohnen in einem typisch ländlichen dörflichen Gebiet in lockerer Streusiedlung. Das Anwesen der Klägerin ist nur teilweise, jenes der Beklagten dagegen zur Gänze eingezäunt. Die Klägerin hält einen Mischlingshund, den sie nie anleint. Die Beklagte besitzt zwei Hunde, einen Collie und einen Schnauzer, die sie bis zu einem Vorfall am 20. 5. 1997 nicht an der Leine führte. Am 4. 2. 1997 unterzeichnete die Beklagte eine vom Anwalt der Klägerin vorgefertigte Erklärung, sie werde es in Hinkunft unterlassen, die ordentliche Verwahrung ihrer Tiere zu vernachlässigen; sie erklärte sich bereit, in Hinkunft dafür Sorge zu tragen, daß die körperliche Sicherheit der Klägerin durch die in ihrem Besitz befindlichen Hunde nicht gefährdet werde.

Die Klägerin begehrte, die Beklagte schuldig zu erkennen, dafür Sorge zu tragen, daß ihre Hunde nicht auf die Liegenschaft der Klägerin gelangen können. Die Beklagte habe die Verwahrung ihrer Hunde gröblich vernachlässigt. Sowohl die Klägerin wie auch ihr Hund seien mehrfach innerhalb und auch außerhalb des Anwesens der Klägerin von den Hunden der Beklagten attackiert und verletzt worden. Am 20. 5. 1997, also nachdem die Beklagte die Erklärung vom 4. 2. 1997 unterfertigt habe, sei abermals ein Hund der Beklagten (der Collie) auf die Liegenschaft der Klägerin gelaufen und habe dort deren Hund attackiert. Dadurch sei die Klägerin in ihrem ruhigen Besitz gestört sowie deren körperliche Sicherheit und Eigentum gefährdet worden und bestehe "erhebliche" Wiederholungsgefahr.

Die Beklagte wendete ein, keiner ihrer Hunde habe den Hund der Klägerin oder gar eine Person attackiert oder verletzt. Die Verpflichtungserklärung vom 4. 2. 1997 habe lediglich deklarativen Charakter, weil sie nur die sich ohnehin aus dem Gesetz ergebenden Tierhalterpflichten festhalte. Am 20. 5. 1997 sei die Beklagte mit ihrem Hund am Anwesen der Klägerin vorbeigegangen; der Hund der Beklagten habe die Liegenschaft der Klägerin aber nicht betreten, zumal das Grundstück eingezäunt sei. Der Umstand, daß ein Hund auf den uneingezäunten Teil des Grundstücks der Klägerin gelangen könne, stelle keine Beeinträchtigung dar, die das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Ausmaß überschreite; die ortsübliche Nutzung des Grundstücks der Klägerin werde hiedurch nicht beeinträchtigt. Dies ergebe sich schon daraus, daß die Klägerin selbst ihren Hund niemals anleine.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es stellte fest, in dem von den Streitteilen bewohnten Gebiet sei es üblich, die Hunde nicht an der Leine zu führen. Es könne nicht festgestellt werden, ob die Hunde der Streitteile beim Zusammentreffen auf der Liegenschaft der Klägerin miteinander gerauft oder gespielt hätten. Der Zwischenfall vom 20. 5. 1997 habe auf dem nicht eingezäunten Teil der Liegenschaft der Klägerin stattgefunden. Der Hund der Klägerin sei durch das geöffnete Tor vom eingezäunten Teil der Liegenschaft auf den uneingezäunten gelaufen und dort auf den Hund der Beklagten getroffen. Der Hund der Klägerin sei hiebei nicht verletzt worden, die Klägerin habe sich in ihrer körperlichen Sicherheit nicht gefährdet gefühlt. Durch die Hunde der Beklagten auf der Liegenschaft der Klägerin verursachte Schäden seien nicht feststellbar. Seit dem 20. 5. 1997 sei es zu keinem weiteren Vorfall mehr gekommen.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, der von der Beklagten unterfertigten Unterlassungserklärung komme lediglich deklarative Bedeutung zu, weil sie keine von den gesetzlichen Rechten und Pflichten eines Hundehalters abweichenden oder darüber hinausgehenden Regelungen vorsehe. Eine über gesetzliche Bestimmungen hinausgehende vertragliche Regelung zwischen den Streitteilen sei somit nicht getroffen worden. Ein Eingriff in das Eigentumsrecht der Klägerin am eingezäunten Teil der Liegenschaft durch die Hunde der Beklagten sei nicht erfolgt. Insoweit sei ein Unterlassungsanspruch daher von vornherein zu verneinen. Die bis zum 20. 5. 1997 auf den nicht eingezäunten Teil der Liegenschaft erfolgten Einwirkungen durch die Hunde der Beklagten hätten das ortsübliche Ausmaß nicht überschritten und deren ortsübliche Benutzung nicht wesentlich beeinträchtigt. Es sei nämlich in dem von den Streitteilen bewohnten typisch ländlichen Gebiet, das in lockerer Streusiedlung angelegt sei, durchaus üblich, die Hunde frei laufen zu lassen. Dabei sei es schwer zu vermeiden, daß ein Hund fallweise auf eine nicht eingezäunte fremde Liegenschaft gelange. Es sei durch die Hunde der Beklagten weder ein Schaden verursacht, noch sei die körperliche Sicherheit einer Person gefährdet worden. Auch aggressives Verhalten der Tiere habe nicht festgestellt werden können. Darüber hinaus bestehe keine Wiederholungsgefahr, weil die Beklagte seit dem Vorfall vom 20. 5. 1997 ihre Hunde außerhalb ihrer Liegenschaft stets angeleint habe.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstands S 52.000, nicht aber S 260.000 übersteige; die ordentliche Revision sei zulässig. Die von der Beklagten unterfertigte Erklärung vom 4. 2. 1997 sei nach deren Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung auszulegen. Unter "ordentlicher Verwahrung" könne nur verstanden werden, daß die Beklagte ihre Tiere in einer dem Gesetz entsprechenden Art und Weise verwahren werde. Aus der Erklärung sei keine Verpflichtung der Beklagten zu erschließen, zu verhindern, daß ihre Hunde überhaupt nicht mehr auf die Liegenschaft der Klägerin gelangen könnten; dies sei nicht ausdrücklich vereinbart worden. Nach den Feststellungen liege keine das ortsübliche Ausmaß überschreitende und die ortsübliche Benutzung des Grundstücks der Klägerin wesentliche Beeinträchtigung durch das Verhalten der Hunde der Beklagten vor. Im Hinblick auf die Geringfügigkeit der Beeinträchtigung sei das Unterlassungsbegehren nicht berechtigt. Die Ordnungsvorschrift des § 6a des Steiermärkischen Tierschutz- und Tierhaltegesetzes, LGBl 1984/74 idF LGBl 1993/45, betreffe das Führen von Hunden an öffentlichen Orten und sei auf nachbarrechtliche Rechtsverhältnisse nicht anzuwenden.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist unzulässig.

Mängel des Berufungsverfahrens liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Es ist aktenwidrig, daß sich die Beklagte dazu verpflichtet habe, dafür Sorge zu tragen, daß ihre Hunde nicht auf die Liegenschaft der Klägerin gelangen könnten. Eine über die gesetzliche Verwahrerpflicht hinausgehende Verpflichtung hat die Beklagte mit der von ihr unterfertigten Erklärung vom 4. 2. 1997 nicht übernommen, wie sich eindeutig aus dem vom Gericht zweiter Instanz zitierten Wortlaut dieser Erklärung ergibt. Aus dieser Vereinbarung ergibt sich demnach keine "Sonderrechtsbeziehung" zwischen den beiden Nachbarn (vgl 5 Ob 180/98a; SZ 56/94). Wie ein Tier zu verwahren oder zu beaufsichtigen ist, kann immer nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden. Haftungsfragen wegen Verletzung der Verwahrungs- bzw Beaufsichtigungspflicht des Tierhalters können daher nur dann an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden, wenn der Entscheidung des Berufungsgerichts eine grobe Fehlbeurteilung anhaftet, die es im Interesse der Rechtssicherheit zu korrigieren gilt (5 Ob 207/98x; SZ 70/113; ZVR 1994/52 uva). Eine derartige Fehlbeurteilung ist dem Gericht zweiter Instanz nicht zu unterstellen. Wenngleich ein Hund auch in ländlicher Umgebung nicht stets frei herumlaufen darf, so hängen doch die Art und der Grad der nötigen Verwahrung von vielerlei Umständen ab. Maßgeblich sind vor allem die Eigenschaften des Tieres. Bedeutsam ist, welche Verwahrungsmaßnahmen noch zumutbar sind, weil ein Tier bei übertriebenen Sorgfaltsanforderungen unter Umständen nicht entsprechend verwendet werden kann. Das Maß der erforderlichen Aufsicht und Verwahrung ist in elastischer und den Umständen des Einzelfalls Rechnung tragender Weise zu bestimmen. Dabei spielen die Gefährlichkeit des Tieres, die Möglichkeit der Schädigung durch das spezifische Tierverhalten und gegebenenfalls auch eine Abwägung der Interessen eine Rolle. Die Anforderungen an die Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht des Tierhalters dürfen nicht überspannt werden (SZ 69/264; 8 Ob 564/87). Gewiß darf ein Hund selbst in ländlicher Umgebung dann, wenn verschiedene Gefahren heraufbeschworen werden können, nicht einfach frei und unbeaufsichtigt herumlaufen (SZ 69/264; ZVR 1994/52; JBl 1985, 679). Ist es aber - wie hier - üblich und nach den Feststellungen auch mit keinerlei Gefahr verbunden, wenn einem Hund das freie Herumlaufen ermöglicht wird, dann kann in der von der Beklagten vorgenommenen Art der Verwahrung und Beaufsichtigung des Tiers kein Fehlverhalten erblickt werden. § 6a des Steiermärkischen Tierschutz- und Tierhaltegesetzes regelt das Führen von Hunden an öffentlichen Plätzen und öffentlichen Parkanlagen, in deren Bereich gewährleistet sein soll, daß der Hund jederzeit - sei es mittels Maulkorbs oder Leinenführung - beherrscht wird. Dieser Schutzgedanke kann nicht auf den nachbarrechtlichen Schutz nach § 364 Abs 2 ABGB übertragen werden. Nachbarrechtliche Ansprüche sind nicht vom Schutzzweck der genannten Norm des Steiermärkischen Tierschutz- und Tierhaltegesetzes umfaßt (vgl SZ 70/113). Der Halter eines Hundes haftet - wenn Leinenzwang besteht - nämlich auch nur für den mit der Übertretung des Leinenzwangs im Rechtswidrigkeitszusammenhang stehenden Schaden (ZVR 1980/18).

Einem Grundeigentümer wird ein Unterlassungsanspruch dann gewährt, wenn die Beinträchtigung durch ein Tier das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreitet und die ortsübliche Benützung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigt wird. Die Grenze zulässiger Einwirkung ist durch die Ortsüblichkeit der Störung und die ortsübliche Benützung des Grundstücks gegeben, die durch den Eingriff nicht wesentlich beeinträchtigt werden darf. Es darf sich niemand über das aufhalten, was dem allgemeinen Ortsgebrauch entspricht (Klang II2 170 ff; vgl SZ 22/197). Voraussetzung eines jeden auf § 364 Abs 2 ABGB gestützten Unterlassungsanspruchs ist die Wesentlichkeit der Beeinträchtigung. Bei der Beurteilung der Wesentlichkeit einer Nutzungsbeeinträchtigung sind im besonderen Maß die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Der Maßstab der Wesentlichkeit ist in erster Linie objektiver und auf die Benützung der Nachbargrundstücke abzustellen (EvBl 1983/98).

Soweit die Vorinstanzen - ausgehend von den von ihnen getroffenen Feststellungen - die Ansicht vertraten, die Nutzung der Liegenschaft der Klägerin sei durch das fallweise Eindringen der Hunde (eines Hundes) in den nicht eingezäunten Teil der Liegenschaft der Klägerin nur unwesentlich beeinträchtigt, ist darin bei Bedachtnahme auf die oben wiedergegebenen, von der Rechtsprechung entwickelten und von der Lehre gebilligten Kriterien keine Fehlbeurteilung zu erkennen. Daher besteht der Unterlassungsanspruch der Klägerin nicht zu Recht.

Soweit die Klägerin meint, beim Vorfall vom 20. 5. 1997 sei ihre körperliche Sicherheit gefährdet gewesen, entfernt sie sich von den Feststellungen der Vorinstanzen.

Die Revision ist demnach zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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