OGH 10ObS373/98w

OGH10ObS373/98w12.1.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Krüger und Dr. Manfred Dafert (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josef H*****, vertreten durch Dr. Gerhard Rößler, Rechtsanwalt in Zwettl, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, 1031 Wien, Ghegastraße 1, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Feststellung einer Gesundheitsstörung als Arbeitsunfall und Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. August 1998, GZ 10 Rs 185/98v-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Krems an der Donau als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 11. März 1998, GZ 7 Cgs 316/97x-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 1. 7. 1941 geborene Kläger ist Vollerwerbslandwirt. Zu seinem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb gehört ua die Parzelle 1115/1 KG K*****. Über deren Grenzverlauf mit der Nachbarparzelle 1115/2 KG K***** bestanden bis zu einem vor dem Bezirksgericht Waidhofen am 17. 5. 1995 abgeschlossenen gerichtlichen Vergleich jahrelange Grenz- und Eigentumsstreitigkeiten zwischen dem Kläger und seiner Nachbarfamilie H*****.

Am 14. 12. 1994 - also noch vor diesem vorher erwähnten Vergleich - stellte der Kläger fest, daß in diesem strittigen Grenzbereich der beiden genannten Parzellen Bäume gefällt worden waren. Er suchte daraufhin am 16. 12. 1994 einen Rechtsanwalt auf, der ihm den Rat gab, Anzeige zu erstatten. Des weiteren riet ihm dieser Anwalt, zu versuchen, Beweise zu sichern, etwa in der Form, daß er auf Traktorspuren oder ähnliches achten und diese (wenn möglich) fotografieren sollte. Noch am gleichen Tag erstattete der Kläger Anzeige bei der Gendarmerie und wurde um 14.00 Uhr desselben Tages von dieser angerufen, daß im strittigen Waldgebiet wiederum Bäume gefällt würden. Daraufhin fuhr der Kläger gemeinsam mit seiner Frau und seinem Sohn zu den Waldgrundstücken, um das geschilderte Geschehen zu überprüfen, festzuhalten und zu fotografieren. Auf dem Grundstück des Nachbarn (wobei für den Kläger damals unklar war, ob auf der tatsächlich in seinem Eigentum stehenden Parzelle 1115/1 oder der im Eigentum des Ing. H***** stehenden Nachbarparzelle 1115/2) traf der Kläger Viktor M***** sen. und dessen Sohn an, die gerade dabei waren, Holz mit einem Traktor abzutransportieren. Als der Sohn des Klägers begann, Fotos hievon zu machen, kam es zu einer (nur wörtlichen) Auseinandersetzung zwischen M***** und dem Kläger; M***** bedrohte den Sohn des Klägers, worauf sich der Kläger zwischen beide stellte. Hiebei kam es zu keiner Verletzung des Klägers. In weiterer Folge stellte sich der Kläger allerdings zwischen den Traktor M***** und einen Baum, um zu verhindern, daß M***** mit dem Traktor zu diesem Baum gelangt. Dabei eskalierte die Auseinandersetzung. M***** ergriff die rechte Hand des Klägers und bewegte dessen rechten Arm ruckartig in seine Richtung, um den Kläger gewaltsam von seinem Standplatz zu entfernen; dabei verspürte der Kläger heftige Schmerzen im Bereich der rechten Schulter.

Der Kläger hatte die strittige Waldparzelle nicht aufgesucht, um dort betrieblich tätig zu werden. Das Aufsuchen des Waldgrundstückes zusammen mit seinen Familienangehörigen diente bloß der Beweissicherung für eine allenfalls zu erstattende Anzeige bzw zu erhebende (Besitzstörungs-)Klage.

Mit Bescheid vom 14. 11. 1997 sprach die beklagte Partei aus, daß das Ereignis vom 16. 12. 1994 gemäß §§ 175 ff ASVG nicht als Arbeitsunfall anerkannt werde.

Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage stellte der Kläger das Begehren, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, das genannte Ereignis als Arbeitsunfall anzuerkennen und eine Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß zu leisten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es beurteilte den eingangs zusammengefaßt wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahin, daß sich der Unfall nicht auf dem Grundstück des Klägers, sondern der Waldparzelle seines Nachbarn ereignet habe, sodaß die vom Kläger unternommenen Handlungen weder im Zusammenhang mit dem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb des Klägers erfolgten, noch den Zwecken des eigenen Betriebes dienten und somit auch nicht im Interesse des Betriebes lagen. Da der in § 175 Abs 1 ASVG geforderte Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung fehle, sei das Ereignis vom 16. 12. 1994 auch nicht als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Das Berufungsgericht gab der vom Kläger erhobenen Berufung nicht Folge. Zwar könne die Sicherung von Beweisen, um allfällige Schadenersatzansprüche besser untermauern zu können, grundsätzlich noch als Ausübung der selbständigen Erwerbstätigkeit als Land-(Forst-)wirt betrachtet werden, weil sie letztlich der Förderung der selbständigen Existenz diene; dies gelte allerdings nur insoweit, als sich der Kläger darauf beschränkt hätte, die möglicherweise schädigenden Vorgänge zu beobachten, Notizen anzufertigen, Zeugen hinzuzuziehen oder zu fotografieren. Da der Kläger sich nicht damit beschränkt, sondern darüber hinaus versucht habe, durch aktives körperliches Eingreifen die Arbeit der Holzfäller zu unterbinden oder zu behindern, habe er das Risiko einer Verletzung erheblich erhöht und ohne jeden inneren Zusammenhang mit seiner geschützten Tätigkeit sich einer leicht erkennbaren Gefahr ausgesetzt, weshalb in Übereinstimmung mit dem Erstgericht ein Arbeitsunfall zu verneinen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Revisionsgründe der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision des Klägers mit dem Antrag, das bekämpfte Urteil im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist gemäß § 46 Abs 3 ASGG auch ohne Vorliegen der besonderen Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Unter dem Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit werden die Feststellungen der Vorinstanzen im Zusammenhang mit dem Ablauf des Tatgeschehens in Abrede gestellt. Als Ersatz für eine im Revisionsverfahren unzulässige Beweisrüge (Kodek in Rechberger, ZPO Rz 1 zu § 503) kann der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit jedoch nicht herangezogen werden (2 Ob 171/97d). Der geltend gemachte Revisionsgrund liegt daher nicht vor, was gemäß § 510 Abs 3 dritter Satz ZPO keiner weiteren Begründung bedarf.

In Behandlung der Rechtsrüge ist zunächst voranzustellen, daß die Beurteilung des gegenständlichen Sachverhaltes im Hinblick auf das Datum des Ereignisses nach § 175 Abs 1 ASVG und noch nicht nach dem (insoweit wortgleichen) § 148c Abs 1 BSVG in der mit 1. 1. 1999 in Kraft tretenden Fassung der 22. Novelle (BGBl I 1998/140) zu erfolgen hat. Auszugehen ist davon, daß es sich nach den maßgeblichen Feststellungen bei der Auseinandersetzung, die zur Verletzung des Klägers führte und nunmehr Gegenstand seines Rentenbegehrens ist, um eine solche handelte, die vom Kläger selbst ausging und provoziert wurde. Unabhängig davon, ob sich der Vorfall auf der im Eigentum des Klägers oder der seinem Nachbarn gehörenden Fläche ereignete (wie dies vom Erstgericht, eingebettet in seine rechtliche Beurteilung - Seite 7 des Ersturteils - den vorangegangenen Feststellungen "nachgeschoben" wurde), ist nämlich davon auszugehen, daß der Kläger diese Parzelle nicht aufsuchte, um dort betrieblich tätig zu werden (S 5 des Ersturteils), sondern ausschließlich um dort "beweissichernde" (für eine Strafanzeige und/oder Zivilklage) Aktivitäten zu setzen. Selbst wenn man (diese Feststellung als eigentlich der rechtlichen Beurteilung zugehörig qualifizierend) unterstellte, daß ein gewisser innerer Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit (als Landwirt) darin erblickt werden könnte, daß es sich hier bei dieser vom Anwalt angeratenen Beweissicherung um eine solche betreffend seine land- bzw forstwirtschaftlichen Grundstücke (näherhin angeblich gestohlenes bzw unrechtmäßig gefälltes Holz aus der Forstwirtschaft) handelte, weil dies (in weiteren Sinne) auch der Aufrechterhaltung, Förderung und Abwicklung der selbständigen Existenz dienlich war (vgl Tomandl in Tomandl, System, 280), so ereignete sich doch der Unfall selbst nicht bei der Vornahme solcher Handlungen (etwa Sturz beim Fotografieren im steilen Gelände), sondern erst und ausschließlich dadurch, daß der Kläger sich dem Traktor seines "Kontrahenten" M***** entgegenstellte, um zu verhindern, daß dieser zu einem (zum Abtransport bestimmten) Baum gelangte, wodurch die - bis dahin nur verbal geführte - Auseinandersetzung eskalierte und die Tätlichkeiten einsetzten.

Jedenfalls durch das Einlassen auf die Auseinandersetzung trat nach Auffassung des Senates eine Lösung von einem zuvor allenfalls bestandenen betrieblichen Zusammenhang ein. Dazu können nämlich nach der Rechtsprechung nur solche Tätigkeiten gezählt werden, die unmittelbar der Aufrechterhaltung, Förderung und Abwicklung der selbständigen Existenz dienen; es ist nach objektiven Gesichtspunkten zu prüfen, ob sich die Tätigkeit als zur Aufrechterhaltung, Förderung und Abwicklung der selbständigen Existenz tauglich darstellt und ob sie vom Handelnden subjektiv auch in dieser Intention entfaltet wurde (SSV-NF 10/50 mwN). Dadurch, daß der Kläger in provozierender Weise den Fortgang der Arbeiten M***** hindern wollte, indem er sich vor dessen Traktor stellte, um diesen am Weiterfahren zu hindern, löste aber der Kläger jedenfalls einen aus einem zuvor allenfalls bestandenen Bezug zur betrieblichen Sphäre gegebenen Zusammenhang; im Hinblick auf die gespannte Atmosphäre, die sich bereits in der vorangegangenen wörtlichen Auseinandersetzung manifestierte, mußte er damit rechnen, daß sein Kontrahent sein Verhalten nicht einfach hinnehmen, sondern unter Umständen auch mit Gewalt versuchen werde, den ihm entgegengesetzten Widerstand zu brechen. Dieses Vorgehen des Klägers war unter diesen Umständen weder objektiv geeignet, dem eigenen Betrieb dienlich zu sein, noch konnte er ernstlich dieser Ansicht sein. Selbst wenn er der Überzeugung gewesen sein sollte, daß die Schlägerungsarbeiten auf seinem Grundstück durchgeführt wurden, stellte sich sein Verhalten somit nicht als geeignetes Mittel dar, diesen - seiner Ansicht nach rechtswidrigen - Vorgang wirksam zu unterbinden. Es mußte ihm vielmehr klar sein, daß er dadurch, daß er sich auf eine immer weiter eskalierende Auseinandersetzung einließ, keinen für seinen Betrieb in irgendeiner Weise förderlichen Erfolg erzielen konnte.

Jedenfalls die unmittelbar zur behaupteten Verletzung führenden Vorgänge waren demnach vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht (mehr) umfaßt. Wer sich - so wie der Kläger hier - ohne einen solchen Zusammenhang einer leicht erkennbaren Gefahr aussetzt und von dieser sodann ereilt wird, kann nämlich nicht auf Leistungen der Versichertengemeinschaft rechnen; die versicherte Tätigkeit war damit keinesfalls mehr wesentliche Bedingung des Unfalles, sondern war die Verletzung auf den von ihm selbst letztlich provozierten Streit zurückzuführen, ohne daß der typischerweise mit der betrieblichen Tätigkeit eines Land- und Forstwirtes verbundene Gefahrenzusammenhang noch bejaht werden könnte (vgl SSV-NF 4/52).

Dieses Ergebnis entspricht - worauf abschließend nur vollständigkeitshalber noch hingewiesen werden soll - auch der herrschenden Auffassung in der Bundesrepublik Deutschland, wonach auch dort Streitigkeiten oder Raufereien nicht mehr als im inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit stehend qualifiziert werden, wenn dieser nicht aus (rein) betrieblichen Gründen motiviert und begründet ist; in derartigen Fällen ist die Versichertengemeinschaft ebenfalls nicht verpflichtet, daraus resultierende Risken zu übernehmen und Versicherungsschutz zu gewähren (vgl Lauterbach, Unfallversicherung Sozialgesetzbuch VII, Band 1, 4. Auflage, RN 274 zu § 8 sowie derselbe, 3. Auflage, Anm 60 zu § 548 RVO).

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes, daß der Unfall nicht im von der gesetzlichen Unfallversicherung geschützten Lebensbereich eingetreten ist, ist damit zutreffend (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO).

Der Revision des Klägers war damit ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch aus Billigkeit liegen nicht vor und wurden auch nicht geltend gemacht.

Stichworte