OGH 10ObS277/98b

OGH10ObS277/98b15.12.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Jörg Krainhöfner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Helmut Stöcklmayer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gerhard S*****, vertreten durch Dr. Edeltraud Bernhart-Wagner, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Pflegegeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Februar 1998, GZ 9 Rs 143/97h-43, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wr. Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 10. Jänner 1997, GZ 4 Cgs 282/95w-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Wiedergabe des Parteivorbringens und der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen kann sich auf das beschränken, was zum Verständnis der Rechtsausführungen des Revisionsgerichtes erforderlich ist (§ 510 Abs 3 Satz 1 ZPO).

Mit Bescheid der Beklagten vom 28. 3. 1995 wurde dem am 7. 1. 1942 geborenen Kläger, der bei einem Unfall vom 19. 3. 1994 ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitten hat, ein Pflegegeld der Stufe 2 ab 1. 11. 1994 gewährt. Mit Bescheid vom 8. 8. 1995 wurde der Antrag des Klägers vom 6. 4. 1995 auf Erhöhung des Pflegegeldes abgelehnt.

Das Erstgericht wies das gegen den zweitgenannten Bescheid erhobene Klagebegehren auf Gewährung eines die Stufe 2 übersteigenden Pflegegeldes ab 1. 4. 1995 ab. Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung nach Beweisergänzung nicht Folge und bestätigte das Ersturteil mit der Maßgabe, daß das Begehren auf Gewährung eines über die Stufe 2 hinausgehenden Pflegegeldes für den Zeitraum vom 1. 4. 1995 bis 30. 6. 1995 zurückgewiesen, ab 1. 7. 1995 abgewiesen wurde.

Das Berufungsgericht trat der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes bei, wonach der Pflegebedarf des Klägers durchschnittlich zwar mehr als 75 Stunden, aber nicht mehr als 120 Stunden monatlich betrage. Die Möglichkeit von ein bis zwei großen epileptischen Anfällen (Grand mal) pro Monat lasse die ständige Anwesenheit einer Hilfsperson nicht als adäquat erscheinen. Der damit zusammenhängende Zeitaufwand sei daher nicht bei der Bemessung des Pflegegeldes zu berücksichtigen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus den Gründen der Aktenwidrigkeit und unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben (gemeint: dahin abzuändern), daß dem Klagebegehren stattgegeben wird; hilfsweise wird die Aufhebung und Zurückverweisung beantragt.

Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit (§ 503 Z 3 ZPO) liegt nicht vor; dies bedarf nach § 510 Abs 3 Satz 3 ZPO keiner weiteren Begründung.

In rechtlicher Hinsicht geht der Revisionswerber in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen davon aus, daß der (sonst 120 Stunden monatlich nicht übersteigende) Pflegebedarf des Klägers nur bei einer Berücksichtigung des mit einer dauernden Beaufsichtigung des Klägers verbundenen Zeitaufwandes eine höhere Pflegestufe (gemeint offenbar Stufe 6) rechtfertigt, weil dann der monatliche Pflegebedarf durchschnittlich mehr als 180 Stunden betragen würde. Die Überlegungen, ob ein bis zwei große epileptische Anfälle (Grand mal) pro Monat eine ständige Beaufsichtigung des Klägers wegen sonst gegebener Lebensbedrohung erfordern, können jedoch - soweit es den hier zu bemessenden Pflegebedarf des Klägers betrifft - auf sich beruhen.

Die Pflegegeldregelungen des Bundes nehmen auf die "Beaufsichtigung" in zwei Bestimmungen bezug. § 4 Abs 2 Stufe 6 BPGG normiert den Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 6 für Personen, deren Pflegebedarf nach § 4 Abs 1 BPGG durchschnittlich mehr als 180 Stunden monatlich beträgt, wenn dauerende Beaufsichtigung oder ein gleichzuachtender Pflegeaufwand erforderlich ist. § 4 EinstV bestimmt, daß die Anleitung sowie die Beaufsichtigung von Menschen mit geistiger oder psychischer Behinderung bei der Durchführung der in den § 1 und 2 EinstV angeführten Verrichtungen der Betreuung und Hilfe selbst gleichzusetzen ist. Diese Bestimmung war für die Berücksichtigung des Aufwandes für die Beaufsichtigung bei der Vornahme der in den § 1 und 2 EinstV genannten Verrichtungen erforderlich, weil die letztgenannten Bestimmungen nur Werte für den Betreuungs- und Hilfsbedarf bei tatsächlicher Verrichtung der Tätigkeit durch eine vom Pflegebedürftigen verschiedene Person vorsehen und es sich bei der Beaufsichtigung bei der Durchführung dieser Verrichtungen durch den Pflegebedürftigen selbst um etwas anderes handelt als bei der Vornahme der Verrichtungen durch eine Betreuungsperson. Die Regelung zeigt aber, daß dem Verordnungsgeber die Problematik der notwendigen Beaufsichtigung einer behinderten Person bekannt war. Daß er nur für den dort genannten Fall die Berücksichtigung des Zeitaufwandes für die Beaufsichtigung vorsah, spricht dafür, daß er im übrigen die für eine notwendige Beaufsichtigung erforderliche Zeit nicht bei der Ermittlung des Betreuungs- und Hilfsaufwandes einbeziehen wollte.

Die EinstV sieht wohl keinen abgeschlossenen Katalog aller möglichen Betreuungshandlungen vor, die bei Prüfung des Anspruches auf Pflegegeld zu berücksichtigen sind. Die dort genannten Fälle legen aber den grundsätzlichen Charakter der Verrichtungen fest, die der Betreuung zuzuzählen sind. Es sind die Verrichtungen, die der Normsetzer dahin qualifiziert, daß der Pflegebedürftige bei ihrem Unterbleiben der Verwahrlosung ausgesetzt wäre. Der Aufwand für die notwendige Betreuung bei diesen Tätigkeiten soll durch das Pflegegeld abgegolten werden. Für die wenn auch notwendige Betreuung in Bereichen, die dieser Art von Verrichtungen nicht zugezählt werden können, gebührt kein Pflegegeld und sie ist bei der Ermittlung des Betreuungsaufwandes außer Betracht zu lassen. Daß der Gesetzgeber nicht den gesamten im Einzelfall anfallenden Betreuungsaufwand abgelten wollte, zeigt die Tatsache, daß etwa für den Bereich der Hilfe Fixwerte vorgesehen wurden (§ 4 Abs 3 Z 3 BPGG bzw § 2 Abs 3 EinstV). Auch wenn der Aufwand im Einzelfall diese Fixwerte wesentlich übersteigt, sind die verbindlichen Pauschalwerte zugrundezulegen, während ein allfälliger höherer Aufwand unabgegolten bleibt. Da der Aufwand für die bloße Beaufsichtigung (nicht bei den in den § 1 und 2 EinstV genannten Verrichtungen) sich seiner Art nach von den in der EinstV genannten Betreuungs- und Hilfshandlungen grundsätzlich unterscheidet, es sich dabei um eine andere Dimension eines Pflegeaufwandes handelt, ist die hiefür notwendige Zeit bei der Prüfung des Anspruches auf Pflegegeld nicht in Anschlag zu bringen (10 ObS 447/97a zu dem insoweit vergleichbaren Wiener Pflegegeldgesetz; 10 ObS 449/97w zu dem ebenfalls vergleichbaren Tiroler Pflegegeldgesetz).

Zusammenfassend ist daher die Zeit der reinen Beaufsichtigung eines Pflegebedürftigen bei der Ermittlung des Betreuungsaufwandes nicht in Anschlag zu bringen, weil das Erfordernis der dauerenden Beaufsichtigung oder eines gleichzuachtenden Pflegeaufwandes nur entscheidend wird, wenn der Pflegebedarf schon ohne diese Beaufsichtigung durchschnittlich mehr als 180 Stunden monatlich beträgt und davon abgesehen die Anleitung und die Beaufsichtigung von Menschen mit geistiger oder psychischer Behinderung bei der Durchführung der in den §§ 1 und 2 EinstV angeführten Verrichtungen der Betreuung und Hilfe selbst gleichzusetzen, nicht aber darüberhinaus gesondert zu veranschlagen ist (ebenso 10 ObS 374/97s zum Wiener Pflegegeldgesetz; 10 ObS 235/98a und 10 ObS 255/98t zum BPGG; s. Judikaturübersicht in RIS-Justiz RS0109571).

Im vorliegenden Fall ergibt sich daraus, daß bei einem Pflegebedarf des Klägers nach § 4 Abs 1 BPGG von durchschnittlich mehr als 75 Stunden monatlich jedoch nicht durchschnittlich mehr als 120 Stunden monatlich weiterhin nur ein Anspruch auf Pflegegeld in Höhe der Stufe 2 besteht. Ein darüberhinausgehender Pflegebedarf durch das (allfällige) Erfordernis der dauernden Beaufsichtigung (oder dauernden Bereitschaft) einer Pflegeperson ist aus den oben dargelegten rechtlichen Gründen nicht zu berücksichtigen. Der im Mittelpunkt der Revisionsausführungen stehenden Frage, ob der Leidenszustand des Klägers tatsächlich eine ständige Beaufsichtigung erfordert, kommt daher für die Entscheidung keine Bedeutung zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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