OGH 9ObA248/98f

OGH9ObA248/98f25.11.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Bernhard Rupp und Franz Ovesny als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Michael S*****, Schlosser, *****, vertreten durch Mag. Wolfgang Kleinhappel, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Susanne S*****, Hausfrau, *****, vertreten durch Dr. Herbert Hochegger und Mag. Markus Kajaba, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 408.547,82 brutto sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 1. Juli 1998, GZ 8 Ra 77/98x-29, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Arbeitsrechtssache wird an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Urteilsfällung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger begehrt von der Beklagten S 408.547,82 brutto sA (Lohn für die Zeit vom 1. 7. 1995 bis 24. 1. 1997, 936 Überstunden, Urlaubszuschuß und Weihnachtsremuneration sowie Urlaubsentschädigung). Er sei vom 1. 7. 1995 bis 24. 1. 1997 bei der beklagten - seiner damaligen Lebensgefährtin - als Würstelverkäufer beschäftigt gewesen, wobei er von Montag bis Donnerstag je 11 Stunden und an Freitagen 8 Stunden gearbeitet habe. Das Dienstverhältnis sei durch Dienstgeberkündigung am 24. 1. 1997 beendet worden. Er habe während der gesamten Dauer des Dienstverhältnisses keinen Lohn erhalten. Der Berechnung seiner Ansprüche liege der Kollektivvertrag für das Gastgewerbe (Büffethilfe mit Inkasso) zugrunde.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Sie stellte "Beginn und Ende des Dienstverhältnisses und Beendigungsart" außer Streit, wendete aber ein, daß der Kläger maximal zwei Stunden pro Tag gearbeitet habe. Der gesamte Lohn sei ausgezahlt bzw. vom Kläger selbst einbehalten worden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und stellte folgenden Sachverhalt fest:

Die Streitteile, die damals in Lebensgemeinschaft lebten, bauten gemeinsam einen Würstelstand auf. Die Idee dazu hatte der Kläger; die Beklagte verfügte über die erforderliche Konzession. Die Beklagte beschäftigte den Kläger vom 1. 7. 1995 bis zum 24. 1. 1997 als Würstelverkäufer.

Als nicht feststellbar erachtete das Erstgericht die Arbeitszeit des Klägers, in welcher Höhe die Streitteile Entgeltzahlungen vereinbarten und wieviel Entgelt dem Kläger ausgezahlt wurde.

Auf dieser Grundlage vertrat das Erstgericht die Rechtsauffassung, daß dem Kläger der Beweis von Ansprüchen gegen die Beklagte nicht gelungen sei.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und vertrat die Rechtauffassung, daß die Streitteile ihr Verhältnis hinsichtlich des Würstelstandes nicht den Rahmenbedingungen eines Gesellschaftsvertrages, sondern jenen eines Arbeitsverhältnisses unterworfen hätten. Da das Erstgericht keine Feststellungen darüber habe treffen können, ob aus einer Gegenüberstellung aller aus den Arbeitsleistungen des Klägers resultierenden Ansprüchen und der erfolgten Zahlungen bzw. Entnahmen ein Saldo zugunsten des Klägers verbleibe, sei das Klagebegehren aufgrund der Beweislastregeln in "non liquet" Fällen abzuweisen. Im übrigen spreche im Falle einer Lebensgemeinschaft der typische Geschehensablauf gegen das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. § 863 ABGB greife hier nicht, weil man in der Regel keine zweifelsfreie Situation vorfinde. Sollte der Wille zum Abschluß eines Arbeitsverhältnisses in besonderer Weise manifestiert worden sein, würde dies regelmäßig mit einer Verdichtung der Einhaltung arbeitsrechtlicher Vorgangsweisen einhergehen (Aufzeichnung der geleisteten Arbeitsstunden und des offenen Urlaubs; Bestätigung geleisteter Entgeltzahlungen; Weisungsgebundenheit; Eingliederung in einen fremden Betrieb). An all diesen Merkmalen fehle es im vorliegenden Fall, woran die formale Außerstreitstellung der rechtlichen Existenz eines Arbeitsverhältnisses nichts ändere.

Die ordentliche Revision sei nicht zuzulassen, weil eine erhebliche Rechtsfrage iS des § 46 Abs 1 ASGG nicht zu lösen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen iS der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Rechtslage verkannt hat. Sie ist im Sinne der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung auch berechtigt.

Das Berufungsgericht geht in seiner rechtlichen Beurteilung der Sache zunächst - wie die Parteien und die Vorinstanzen - davon aus, daß zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden habe; auf dieser Grundlage erachtete es nach den seiner Ansicht nach anzuwendenden Beweislastregeln die Abweisung der Klage durch das Erstgericht als zutreffend. In weiterer Folge stellt das Berufungsgericht jedoch Überlegungen über die Rechtsbeziehungen zwischen den Streitteilen an, die erkennen lassen, daß es das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses verneint.

Letzterem hält der Revisionswerber zutreffend entgegen, daß zwischen den Parteien im Verfahren erster und zweiter Instanz das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses nicht strittig war. Die Beklagte hat das in diesem Sinne erstattete Vorbringen des Klägers nicht nur nicht bestritten, sondern seine Behauptungen über Beginn, Ende und Art der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausdrücklich außer Streit gestellt. Sie hat auch die Entstehung von Lohnforderungen des Klägers nicht bestritten, sondern vorgebracht, daß der ihm zustehenden Lohn ausgezahlt bzw vom Kläger selbst entnommen worden sei. Damit ist aber - wie der Revisionswerber zutreffend geltend macht - das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses als zugestanden zu betrachten.

Richtig ist allerdings, daß rechtliche Qualifikationen nicht Gegenstand eines prozessualen Geständnisses sein können (Rechberger in Rechberger, ZPO Rz 1 zu § 267). Verwenden aber die Parteien in ihrem Geständnis einfache und eindeutige Rechtsbegriffe des täglichen Lebens, gelten die dem Rechtsbegriff zugrundeliegenden Tatsachen als zugestanden (9 ObA 196/98h; Fasching, Lehrbuch2 Rz 840). Davon muß auch hier ausgegangen werden, zumal Tatsachen, die ungeachtet der übereinstimmenden Auffassung der Parteien der Annahme eines Arbeitsverhältnisses entgegenstünden, weder behauptet noch festgestellt wurden. Soweit das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang auf das Fehlen von Weisungsgebundenheit und Eingliederung in einen fremden Betrieb verweist, kann es sich weder auf entsprechende Prozeßbehauptungen der Parteien, noch auf die - überaus dürftigen - Feststellungen des Ersturteiles stützen. Daß Aufzeichnungen über den offenen Urlaub des Klägers fehlen, hat schon deshalb nicht die vom Berufungsgericht angenommene Bedeutung, weil zwischen den Parteien nicht strittig ist, daß der Kläger während der Zeit des behaupteten Arbeitsverhältnisses keinen Urlaub konsumiert hat. Daß - wie das Berufungsgericht weiter hervorhebt - Aufzeichnungen der geleisteten Arbeitsstunden und Bestätigungen der geleisteten Entgeltzahlungen fehlen, vermag aber für sich allein die übereinstimmenden Behauptungen der Parteien über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses nicht zu widerlegen, wozu noch kommt, daß der Kläger nach seinem Vorbringen - Feststellungen dazu fehlen - im Einverständnis mit der Beklagten selbst Aufzeichnungen über die von ihm geleisteten Arbeitsstunden geführt hat. Daß eine Lebensgemeinschaft das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses nicht ausschließt, hat im übrigen das Berufungsgericht selbst ausgeführt. Die des weiteren dazu zitierte Rechtsprechung, wonach in diesem Zusammenhang § 863 ABGB nicht greife, bezieht sich - wie sämtliche dazu zitierten Entscheidungen deutlich machen - auf in der Regel aus Gründen familiärer Beistandspflicht erbrachte Dienstleistungen von Familienmitgliedern. Sie ist daher auf das Verhältnis zwischen Lebensgefährten, zwischen denen einer derartige Beistandspflicht nicht besteht, nicht übertragbar. Daß Lebensgefährten konkludent ein Arbeitsverhältnis vereinbaren können, ist vielmehr allgemein anerkannt (Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht6 145). Dazu führt das Berufungsgericht im ersten Teil seiner Rechtsausführungen im übrigen selbst aus, daß die Streitteile im maßgebenden Zusammenhang ihr Verhältnis "den rechtlichen Rahmenbedingungen ... eines Arbeitsvertrages" unterworfen haben (S 7 des Berufungsurteils).

Dem Revisionswerber ist daher beizupflichten, daß die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes, soweit darin das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses verneint wird, weder den übereinstimmenden Prozeßstandpunkten der Parteien entspricht, noch durch die - insofern in keiner Weise aussagekräftigen - Feststellungen des Erstgerichtes gedeckt ist. Entsprechend dem übereinstimmenden Parteienvorbringen ist daher vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zwischen den Streitteilen auszugehen.

Daß nicht feststellbar ist, in welcher Höhe Entgeltzahlungen vereinbart wurden, kann daher im Hinblick auf das unter dieser Voraussetzung jedenfalls geschuldete kollektivvertragliche Entgelt die Abweisung des Klagebegehrens nicht rechtfertigen.

Zurecht macht der Revisionswerber ferner geltend, daß die Vorinstanzen die Beweislastverteilung im Zusammenhang mit Entgeltzahlungen an den Kläger unrichtig beurteilt haben. Im Gegensatz zur von ihnen vertretenen Auffassung kann dem Kläger nämlich nicht entgegengehalten werden, daß nicht festgestellt werden konnte, "wieviel Entgelt dem Kläger ausgezahlt wurde". Die Beweislast für den rechtsvernichtenden Umstand der Zahlung des ihm zustehenden Lohnes trifft nämlich nicht ihn, sondern die Beklagte als Arbeitgeber. Der von der Beklagten in ihrer Revisionsbeantwortung vertretene Standpunkt, daß dies erst dann gelten solle, wenn der Kläger die ihrer Ansicht nach anspruchsbegründende Tatsache eines Entgeltrückstandes bewiesen habe, stellt die eben dargelegte Grundregel der Beweislastverteilung geradezu auf den Kopf. Die vom Erstgericht getroffene negative Feststellung über Lohnzahlungen an den Kläger geht daher zu Lasten der Beklagten.

In diesem Zusammenhang ist allerdings aufzugreifen, daß sich die Beklagte in ihrem Vorbringen nicht nur auf Lohnzahlungen an den Kläger, sondern auch darauf berufen hat, daß sich der Kläger den ihm zustehenden Lohn selbst entnommen habe. Dazu hat aber das Erstgericht keine Feststellungen getroffen.

Ebenso fehlen verwertbare Feststellungen über das Ausmaß der vom Kläger zu leistenden bzw. der von ihm tatsächlich geleisteten Arbeitszeit. Das Erstgericht hat dazu lediglich ausgeführt, "die Arbeitszeit" des Klägers nicht feststellen zu können, ohne aber klarzustellen, ob damit die von den Parteien vereinbarte Arbeitszeit oder das Ausmaß der vom Kläger tatsächlich geleisteten Arbeit gemeint ist. Diese Klarstellung ist aber erforderlich, weil vereinbarte und tatsächlich geleistete Arbeitszeit gerade unter den hier gegebenen Umständen nicht ident sein müssen. Denkbar ist auch, daß die Streitteile überhaupt keine Arbeitszeitvereinbarung getroffen haben und daher der Kläger nach der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit zu honorieren ist. Unter dieser Voraussetzung wäre er für das zeitliche Ausmaß der von ihm geleisteten Arbeit beweispflichtig. Dabei kann - entgegen der Meinung des Erstrichters - nicht unbeachtet bleiben, daß die Beklagte in ihrem Prozeßvorbringen ausdrücklich zugestanden hat, daß der Kläger "maximal zwei Stunden pro Tag" gearbeitet hat (S 23 des Aktes). Daß er überhaupt nicht gearbeitet hat, hat sie nicht einmal behauptet.

Da das Verfahren somit nicht spruchreif ist und es zur Schaffung der erforderlichen Tatsachengrundlage einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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