OGH 9ObA276/98y

OGH9ObA276/98y11.11.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Heinz Paul und ADir. Winfried Kmenta als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Kemal K*****, Arbeiter,*****, vertreten durch Dr. Walter Silbermayr, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei S***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Rudolf Schaller, Rechtsanwalt in Oberpullendorf, wegen S 32.033,21 brutto sA (Revisionsinteresse S 31.850,13 brutto abzüglich S 1.903 netto sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Juni 1998, GZ 10 Ra 131/98b-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 17. Dezember 1997, GZ 3 Cga 164/97a-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.058,88 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 676,48 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der Beklagten vom 25. 6. 1996 bis zu seiner am 11. 4. 1997 erfolgten Entlassung als Hilfskraft beschäftigt. Er ist türkischer Staatsangehöriger, befindet sich seit 19. 3. 1993 in Österreich und verfügt über einen Befreiungsschein, der vom 24. 6. 1993 bis zum 23. 6. 1998 Gültigkeit hatte. Der Kläger ist mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet. Aufgrund eines Hinweises der Ehegattin des Klägers wurde dieser am 4. 7. 1997 von der Beklagten erfolglos zur Vorlage eines Visums aufgefordert. Er verfügte zu diesem Zeitpunkt über keine Aufenthaltsberechtigung. Ein Verfahren über deren Erteilung war anhängig. Ihm von der Beklagten überlassene Arbeitskleidung hatte der Kläger nach der Entlassung zurückgestellt.

Mit der Behauptung, er sei ungerechtfertigt entlassen worden, begehrte er von der Beklagten S 32.033,21 brutto sA an Lohn, Kündigungsentschädigung, aliquote Sonderzahlungen und Urlaubsentschädigung.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Der Kläger sei entlassen worden, weil er trotz Aufforderung kein Visum vorgelegt habe. Er habe zum Entlassungszeitpunkt nicht über die erforderliche Aufenthaltsberechtigung verfügt. Hilfsweise werde eine Gegenforderung von S 1.900 eingewendet, weil der Kläger ihm von der Beklagten zur Verfügung gestellte Arbeitskleidung nicht zurückgestellt habe.

Das Erstgericht erkannte die Klageforderung mit S 31.850,13 brutto abzüglich S 1.903 netto als zu Recht, die Gegenforderung aber als nicht zu Recht bestehend und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung des eben genannten Betrages. Das Mehrbegehren von S 183,08 brutto sA wies es ab. Es stellte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest und vertrat die Rechtsauffassung, daß der in Betracht kommende Entlassungsgrund des § 82 lit b GewO 1859 nicht verwirklicht sei. Eine aktuelle Arbeitsunfähigkeit des Klägers zum Entlassungszeitpunkt sei zu verneinen, weil das Fehlen der Aufenthaltsbewilligung nur bedeute, daß er allenfalls in Zukunft von einer Abschiebung bedroht gewesen wäre. Der potentielle Eintritt einer Arbeitsunfähigkeit in der Zukunft rechtfertige die Entlassung aber nicht. Für die Beklagte wäre die Weiterbeschäftigung des Klägers während der 14-tägigen Kündigungsfrist nicht unzumutbar gewesen. Eine Abschiebung innerhalb dieser Frist sei unwahrscheinlich gewesen, zumal der Kläger wegen seiner Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin nach den Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes bevorzugt zu behandeln sei. Die Klageforderung sei daher - vom abzuweisenden Mehrbegehren abgesehen - berechtigt, während der eingewendeten Gegenforderung keine Berechtigung zukomme.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die Zulässigkeit der Beschäftigung eines Ausländers ausschließlich nach den Normen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes zu beurteilen sei. Dieses nehme in § 25 zwar ausdrücklich auf das Verhältnis zur Aufenthaltsberechtigung Bezug, beschränke sich dabei aber auf die Anordnung, daß der Befreiungsschein etc. den Ausländer nicht von der Verpflichtung enthebe, den jeweils geltenden Vorschriften über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern nachzukommen. Hätte der Gesetzgeber weitere Rechtsfolgen beabsichtigt, hätte er dies in dieser Gesetzesstelle zum Ausdruck gebracht. Daß dem Kläger der Befreiungsschein mangels gültiger Aufenthaltsberechtigung zu entziehen sei, sei unrichtig. Diese Rechtsfolge trete nach § 16 Abs 1 AuslBG nur ein, wenn der Ausländer im Antrag auf Ausstellung eines Befreiungsscheines wissentlich falsche Angaben gemacht oder Tatsachen verschwiegen habe. Das Fehlen bzw. der Wegfall der Aufenthaltsbewilligung führe nicht zur rechtlichen Unmöglichkeit der Erfüllung des Arbeitsvertrages. Nicht jede Gesetzesverletzung mache ein Rechtsgeschäft nichtig. Entscheidend sei der Verbotszweck der verletzten Norm. Während das AuslBG vorwiegend arbeitsmarktpolitische Zwecke verfolge, sei der Normzweck des Aufenthaltsgesetzes vorwiegend im sicherheitspolitischen Bereich zu finden. Daß ein Verstoß gegen das Aufenthaltsgesetz durch einen Ausländer, der über einen gültigen Befreiungsschein verfüge, gerade durch die Erfüllung seines Arbeitsvertrages zu einem erhöhten Sicherheitsrisiko führen solle, sei nicht erklärbar. Vielmehr sichere der Ausländer, der einer legalen Beschäftigung nachgehe, dadurch seinen Unterhalt und seine ortsübliche Unterkunft. Zudem sei im Fall des Klägers ein Verfahren über die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung anhängig, das gemäß § 5 Abs 2 Aufenthaltsgesetz zur Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung führen könne. Die Unmöglichkeit der Erfüllung des Arbeitsvertrages trete erst mit der tatsächlichen Abschiebung des Ausländers ein, die aber bis zum Schluß der Verhandlung erster Instanz nicht erfolgt sei.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Frage der Einwirkung des Fehlens einer Aufenthaltsbewilligung auf den Arbeitsvertrag eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Vorweg ist festzuhalten, daß für die Beurteilung der fremden- und aufenthaltsrechtlichen Aspekte des Sachverhaltes nicht das Fremdengesetz (FrG) 1997, sondern die Bestimmungen des FrG BGBl Nr. 838/1992 und des Aufenthaltsgesetzes (AufG) maßgebend sind (§ 111 FrG 1997).

Die Revisionswerberin stützt ihren Rechtsstandpunkt auf die schon vom Berufungsgericht erörterten Ausführungen Schrammels (Rechtsfragen der Ausländerbeschäftigung, 153 f), der die Auffassung vertritt, daß der Verlust des Aufenthaltsrechtes einen unmittelbaren Eingriff in das Arbeitsverhältnis darstelle, der dazu führe, daß der Arbeitnehmer unfähig werde, die versprochenen Dienste anzubieten. Das AufG normiere nämlich, daß der Ausländer - falls über die Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung negativ entschieden oder diese Bewilligung wiederrufen werde - das Land zu verlassen habe. Eine dem § 7 Abs 8 AuslBG vergleichbare Vorschrift, daß eine allfällige Beendigung des Arbeitsvertrages unter Beachtung der die Rechte des Ausländers sichernden gesetzlichen Bestimmungen zu erfolgen hätte, kenne das AufG nicht.

Demgegenüber vertritt Schnorr (AuslBG4 Rz 10) - allerdings auf der Grundlage des FrG 1997 - zur Frage, wie sich Erlöschen oder Widerruf eines Aufenthaltstitels auf die Gültigkeit der Beschäftigungsbewilligung auswirken, folgende Auffassung:

"Weder das FrG noch das AuslBG enthalten ausdrückliche Bestimmungen über die gegenseitige Beeinflussung - mit Ausnahme der [Anm: hier nicht interessierenden] Beschäftigungsbewilligung als fiktive Aufenthaltserlaubnis bei zusätzlichen Saisonarbeitskräften. .... Mangels einer generellen Regelung muß aber davon ausgegangen werden, daß die Beendigung des Aufenthaltstitels einerseits und der Beschäftigungsbewilligung andererseits zwar getrennt nach den Rechtsvorschriften zu beurteilen ist, daß dabei aber der Normzweck nicht außer acht gelassen werden darf. Daraus ergibt sich folgende rechtliche Situation:

Das Ende eines Aufenthaltstitels oder dessen Ungültigerklärung nach § 16 Abs 1 FrG bedeutet noch nicht, daß sich der Ausländer illegal im Bundesgebiet aufhält. Nach dem zeitlichen Ende des Aufenthaltstitels hat der Ausländer durchaus die Möglichkeit, im Inland einen neuen Aufenthaltstitel zu beantragen (§ 14 Abs 2 FrG). Für den Fall der Ungültigerklärung des Aufenthaltstitels bestimmt § 16 Abs 2 FrG ausdrücklich, daß dieser erst ungültig wird, wenn eine Ausweisung durchsetzbar wird. Da kann es aber geschehen, daß die Ausweisung aus humanitären, familiären oder zeitlichen Gründen wegen des Art 8 MRK oder wegen sog Aufenthaltsverfestigung nach § 35 FrG unzulässig ist. Daraus folgt, daß Ende und Ungültigerklärung des Aufenthaltstitels allein nicht zur automatischen Ungültigkeit der Beschäftigungsbewilligung führen können. Die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice hat vielmehr nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß § 9 Abs 2 lit a [AuslBG] zu entscheiden, ob die Ungültigerklärung des Aufenthaltstitels so schwerwiegende Auswirkungen auf die Beschäftigung des Ausländers hat, daß ein Widerruf der Beschäftigungsbewilligung gerechtfertigt erscheint. Für die Arbeitserlaubnis und den Befreiungsschein ist die Ungültigerklärung des Aufenthaltstitels ohnehin kein Widerrufsgrund, da dies in den §§ 14f und 16 [AuslBG] nicht einschlägig ist, es sei denn, der Ausländer hat bei der Antragstellung überhaupt verschwiegen, daß er über gar keinen Aufenthaltstitel verfügt.

Anders ist die Rechtslage bei der behördlichen Durchsetzung der Ausweisung nach Ungültigerklärung des Aufenthaltstitels. In diesem Fall besteht ein so enger rechtlicher Zusammenhang, daß mit der Ausweisung die Beschäftigungsbewilligung, aber auch die Arbeitserlaubnis und der Befreiungsschein automatisch erlöschen."

Diesen Überlegungen schließt sich der erkennende Senat an. Wie ausgeführt, beruhen sie zwar auf der Rechtslage nach dem FrG 1997; sie sind aber auch auf die vorher bestandene Rechtslage übertragbar.

Auch das FrG 1992 enthielt keine ausdrückliche Bestimmung darüber, wie sich das Erlöschen oder der Widerruf der Aufenthaltsbewilligung auf die Gültigkeit der Beschäftigungsbewilligung oder des Befreiungsscheines auswirken. Ebenso fehlte auch im FrG 1992 eine ausdrückliche Bestimmung, die anordnet, daß der Ausländer im Falle des Erlöschens oder des Widerrufs der Aufenthaltsbewilligung sofort das Land verlassen muß. Vielmehr normierte § 17 Abs 1 FrG 1992, daß "Fremde mit Bescheid auszuweisen (sind), wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten; hiebei ist auf § 19 Bedacht zu nehmen". Nach § 19 FrG 1992 war - sofern eine Ausweisung gemäß § 17 Abs 1 in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingriff - die Ausweisung nur zulässig, wenn sie "zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten genannten Ziele dringend geboten" war. § 17 Abs 4 FrG 1992 ordnete an, daß - falls der Behörde im Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung auf ihr Befragen bekannt wird, daß der Fremde rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz (§ 6 Abs 3) gestellt hat, über den noch nicht entschieden wurde - über die Ausweisung erst nach Erledigung dieses Antrages zu entscheiden ist. Nach § 22 FrG 1992 wurde die Ausweisung gemäß § 17 Abs 1 FrG 1992 erst "mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar; der Fremde hat [erst] dann unverzüglich auszureisen."

Auf Antrag konnte die Behörde gemäß § 22 Abs 1 FrG 1992 die Durchsetzbarkeit der Ausweisung auf höchstens drei Monate hinausschieben. Der Ausschluß der aufschiebenden Wirkung einer Berufung gegen eine Ausweisung konnte von der Behörde gemäß § 27 Abs 3 FrG nur dann angeordnet werden, wenn die sofortige Ausreise des Fremden im Interesse der öffentlichen Ordnung erforderlich war.

All diese Bestimmungen machen somit deutlich, daß auch nach den Bestimmungen des FrG 1992 das Erlöschen oder der Widerruf der Aufenthaltsbewilligung noch nicht die Verpflichtung des Ausländers zur sofortigen Ausreise bewirkte. Damit kommen aber die für die wiedergegebenen Rechtsauffassung Schnorrs maßgebenden Überlegungen auch nach der Rechtslage nach dem FrG 1992 zum Tragen. Der erkennende Senat vertritt daher die Auffassung, daß auch nach der hier anzuwendenden Rechtslage das Erlöschen oder der Widerruf des Aufenthaltstitels für sich allein noch nicht die Unfähigkeit des Ausländers zur vereinbarten Arbeitsleistung zur Folge hat.

Im hier zu beurteilenden Fall ist allerdings den Feststellungen nicht zu entnehmen, ob das festgestellte Fehlen einer Aufenthaltsbewilligung des Klägers zum Entlassungszeitpunkt auf deren Erlöschen oder Widerruf zurückzuführen ist, oder ob der Kläger nie über eine Aufenthaltsbewilligung verfügt hat. Auch im zuletzt genannten Fall wäre aber der unrechtmäßige Aufenthalt des Klägers im Inland nach den dargestellten Bestimmungen des FrG 1992 nicht gleichbedeutend mit seiner (erst mit der Rechtskraft der Ausweisung entstehenden) Verpflichtung zur sofortigen Ausreise. Daran würde sich auch dann nichts ändern, wenn der Kläger bei der Antragstellung auf Ausstellung seines Befreiungsscheines über wesentliche Tatsachen falsche Angaben gemacht oder solche Tatsachen verschwiegen hätte. Dies wäre zwar nach § 16 AuslBG ein Grund, den Befreiungsschein zu widerrufen. Ein solcher Widerruf muß aber dem Ausländer gegenüber ausgesprochen werden, um gültig zu sein (Schnorr, aaO, Rz 1 zu § 16). Selbst ein wirksamer Widerruf des Befreiungsscheines führt aber nicht automatisch zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, zumal aus § 16 Abs 2 iVm § 7 Abs 8 AuslBG zu schließen ist, daß der Ausländer selbst in diesem Falle vom Arbeitgeber bis zur (unverzüglich in die Wege zu leitenden) privatrechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses weiter beschäftigt werden kann (Schnorr, aaO, Rz 2 zu § 16).

Der Oberste Gerichtshof teilt daher die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, daß der Kläger im Entlassungszeitpunkt zur Erbringung der vereinbarten Arbeitsleistung nicht unfähig war. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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