OGH 10ObS282/98p

OGH10ObS282/98p10.11.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Hopf als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Hübner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Johann Holper (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johannes P*****, Student, ***** vertreten durch Dr. Alfred Windhager, Rechtsanwalt in Linz-Urfahr, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1200 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. Februar 1998, GZ 12 Rs 22/98m-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 11. November 1997, GZ 7 Cgs 146/97i-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nach § 503 Z 2 ZPO und eine Aktenwidrigkeit nach § 503 Z 3 ZPO liegen nicht vor; diese Beurteilung bedarf nach § 510 Abs 3 Satz 3 ZPO keiner Begründung. Wenn der Revisionswerber unter dem Rechtsmittelgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens die Unvollständigkeit der Feststellungen rügt, macht er einen Aspekt der rechtlichen Beurteilung geltend (Kodek in Rechberger, ZPO Rz 5 zu § 503); dieser Vorwurf ist allerdings auch unbegründet.

Die Vorinstanzen verneinten zurecht die Berechtigung des Klagebegehrens. Zum Parteivorbringen und der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage wird auf die Berufungsentscheidung verwiesen (§ 510 Abs 3 ZPO). Rechtlich ist den Ausführungen des Revisionswerbers entgegenzuhalten:

In der Unfallversicherung gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit h und i ASVG sind Arbeitsunfälle Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Schul(Universitäts)ausbildung ereignen (§ 175 Abs 4 ASVG). § 175 Abs 2 Z 1 ASVG ist entsprechend anzuwenden. Danach sind Arbeitsunfälle also auch Unfälle, die sich auf einem mit der Schul(Universitäts)ausbildung zusammenhängenden Weg zur oder von der Schule (Universität) ereignen.

Wie sich aus der ständigen Rechtsprechung dieses Senates ergibt, ist grundsätzlich nur der direkte Weg zwischen den angeführten Orten geschützt. Dies wird in der Regel die streckenmäßig oder zeitlich kürzeste Verbindung zwischen dem Ausgangs- und Zielpunkt des Arbeitsweges im Sinne des § 175 Abs 2 Z 1 ASVG sein, wobei der Versicherte zwischen im wesentlichen gleichwertigen Verbindungen frei wählen kann. Auf einem längeren Weg zur oder von der Schul(Universitäts)ausbildungsstätte besteht allerdings nur dann Versicherungsschutz, wenn der an sich kürzeste Arbeitsweg unter Bedachtnahme auf das benützte private oder öffentliche Verkehrsmittel entweder überhaupt nicht (zB wegen einer Verkehrssperre) oder nur unter vor allem für die Verkehrssicherheit wesentlich ungünstigeren Bedingungen (zB Witterungs-, Straßen- und Verkehrsverhältnisse) benützt werden oder der Versicherte solche für die tatsächlich gewählte Strecke sprechende Bedingungen wenigstens annehmen konnte (SSV-NF 3/132 mwN, 3/158, 4/67, 9/94; Arb 4.641/24/95 ua).

Ob diese Voraussetzungen für einen Versicherungsschutz auf einem längeren Weg zur Schule (Universität) vorliegen, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Die Voraussetzungen liegen aber jedenfalls nicht vor, wenn wie im vorliegenden Fall, der Versicherte, ein Student an der Technischen Universität Graz, mit dem Motorrad auf dem Weg von Linz (Wohnung) nach Graz (Universität) über Steyr und Bruck an der Mur zur Vermeidung der mautpflichtigen S35 Brucker Schnellstraße (Mautstreckenverordnung BGBl 1996/615) einen Umweg auf einer weniger ausgebauten Landstraße über die Teichalm Richtung Weiz oder andere Nebenstraßen nach Graz wählt, weil er - laut seiner Darstellung - zum einen keine Vignette gemäß Bundesstraßenfinanzierungsgesetz 1996 - BStFG 1996, BGBl 1996/201, besitzt und ihm zum anderen als Motorradfahrer die Strecke über die Teichalm besonders reizvoll erscheint. Durch den Umweg des Klägers erhöhte sich die Wegstrecke von Bruck an der Mur nach Graz von 40 km auf etwa 80 km. Der dabei vom Kläger am 20. 5. 1997 bei Fladnitz erlittene Unfall (Sturz mit dem Motorrad in einer Kurve bei der Talfahrt) ist nicht versichert, weil der Umweg allein aus privatwirtschaftlichem Interesse gewählt wurde (SSV-NF 3/132 mwN, 3/158 ua). Der Kläger ließ sich in seiner Zielsetzung von Umständen leiten, die nicht mit seiner Universitätsausbildung im inneren Zusammenhang standen, sondern privat motiviert waren (Lauterbach, Unfallversicherung3, 62. Lfg., 279/4).

Tomandl (SV-System, 317) unterscheidet bei einer Abweichung vom Arbeitsweg aus privaten Gründen, ob eher dem Versicherten der Verzicht auf die Abweichung oder der Unfallversicherung die Gefahrtragung für die örtlich verschobene Risikosphäre zugemutet werden kann. Die Lösung hängt von der allenfalls eintretenden Gefahrenerhöhung, von der Art des Nebenzieles, das der Versicherte durch seine Abweichung verfolgte, sowie vom Ausmaß der Verlängerung der Wegstrecke ab. Auch diese Abwägung schlägt nicht zugunsten des Klägers aus. Der von ihm gewählte Umweg bewirkte eine Verlängerung der Wegstrecke auf das Doppelte (gerechnet ab dem Einsetzen des Umweges). Eine Verlängerung in diesem Ausmaß muß wohl als erheblich, also den Versicherungsschutz in Frage stellend, angesehen werden, zumal für diese Wahl andere Gründe ausschlaggebend waren, als die Absicht, den Studienort auf dem streckenmäßig oder zeitlich kürzesten Weg zu erreichen (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band 3, Rz 224 zu § 8). Ob die Belastung des Versicherten mit dem Vignettenpreis bei Benützung bestimmter mautpflichtiger Strecken (für einspurige Fahrzeuge: Jahresvignette S 220, Zweimonatsvignette S 80, § 7 Abs 2 und 3 BStFG 1996) wirtschaftlich zumutbar ist, kann hier dahingestellt bleiben. Der Kläger läßt nämlich gänzlich unberücksichtigt, daß praktisch parallel zur mautpflichtigen S 35 Brucker Schnellstraße ohnehin auch eine direkte, nicht mautpflichtige Straßenverbindung zwischen Bruck an der Mur und Graz besteht, und zwar die L 121 Brucker Begleitstraße bis Peggau (Kundmachung des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung vom 15. 11. 1974, Grazer Zeitung, Amtsblatt für das Land Steiermark, Nr. 478/1974) sowie die B 67 Grazer Straße ab Peggau bis Graz (Anlage zum Bundesstraßengesetz 1971 - BStG 1971, BGBl 1971/286, Verzeichnis 3/Bundesstraßen B; siehe zum konkreten Straßenverlauf etwa auch großer Auto Atlas Österreich 1997/1998, Freytag & Berndt). Der Vignettenpreis kann daher vom Kläger nicht als Argument für den von ihm gewählten Umweg über die Teichalm ins Treffen geführt werden. Auf das individuelle Vergnügen des Versicherten beim Befahren einer besonders für Motorradfahrer reizvollen Strecke kann auf Kosten der Versichertengemeinschaft nicht Rücksicht genommen werden.

Die erstmals in der Revision erwähnten Tunnelbenützungsgebühren von jeweils S 180 können hier dahingestellt bleiben, denn sie beziehen sich offenbar auf den Bosrucktunnel und Gleinalmtunnel auf der A9 Pyhrn Autobahn (Mautstreckenverordnung BGBl 1996/615), sohin auf eine gänzlich andere als vom Kläger gewählte Route für die Fahrt von Linz nach Graz.

Die Berechnung des Umweges des Klägers ab Bruck an der Mur beruht entgegen der Annahme des Revisionswerbers nicht auf einem "Denkfehler" der Vorinstanzen. Dem Kläger wurde ohnehin nicht vorgehalten, daß nur die Fahrt über die A9 Pyhrn Autobahn der direkte Weg von Linz nach Graz gewesen wäre, sondern - zu seinen Gunsten - angenommen, daß er auf der von ihm gewählten anderen Route über Steyr und Bruck an der Mur noch auf dem direkten Weg war. Zweigte er allerdings auf diesem Weg zwischen Bruck an der Mur und Graz über die Teichalm ab, dann ist nur dieser Teil des Weges zu prüfen. Überlegungen des Revisionswerbers zur "Verkehrsdichte" in Graz, die seines Erachtens ohnehin jegliche Zeitersparnis zunichte mache, gehen am hier relevanten Problem vorbei und ändern nichts an den rechtlichen Folgen des von ihm gewählten Umweges.

Die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen ist entgegen der Auffassung des Klägers in der Berufung nicht vom "offensichtlichen Bemühen der österreichischen Institutionen" getragen, "einen jungen Menschen bei der ersten Gelegenheit von der Illusion zu befreien, in einem Rechtsstaat zu leben". Der Ausschluß allein im privatwirtschaftlichen Interesse gewählter Umwege vom Unfallversicherungsschutz bewirkt auch keine Verletzung des Art 6 Abs 1 StGG, wobei im übrigen der Revisionswerber bei seinem diesbezüglichen Vorwurf offen läßt, welches der drei Grundrechte - Aufenthaltsfreiheit, Liegenschaftsfreiheit, Erwerbsfreiheit (Mayer, B-VG**2 [1997], Art 6 StGG, 486 ff) - im vorliegenden Fall verletzt worden sein soll.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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