OGH 4Ob277/98h

OGH4Ob277/98h10.11.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Werner W*****, vertreten durch Dr. Johannes Patzak, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Verlassenschaft nach der am 1. Jänner 1989 verstorbenen Anna W*****, vertreten durch Dr. Friedrich Bubla, Rechtsanwalt in Baden, als Kollisionskurator, wegen S 10.000.000.- s. A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 29. April 1998, GZ 16 R 185/97m-32, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 17. Juli 1997, GZ 22 Cg 380/93w-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Anna W***** starb am 1. 1. 1989 unter Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung vom 5. 5. 1981 samt Nachtrag vom 14. 12. 1972 (kundgemacht am 23. 3. 1989, ON 3 des Verlassenschaftsaktes 3 A 1132/92g Bezirksgericht B*****) und eines weiteren Nachtrags vom 5. 5. 1981 (kundgemacht am 12. 1. 1990, ON 13a des Verlassenschaftsaktes). Der Kläger ist der Adoptivsohn von Anna W*****. Die Erblasserin hat ihn in den genannten letztwilligen Verfügungen als Legatar eines Hausanteils, von Wertpapieren und anderen Vermögensgegenständen eingesetzt und darüber hinaus verfügt, daß - soweit diese Legate dem Pflichtteil nicht entsprechen - die Differenz von einem weiteren Legatar auszuzahlen sei. Der Kläger erklärte sich aufgrund des Gesetzes unter der Rechtswohltat des Inventars zum gesamten Nachlaß als Erbe. Das Verlassenschaftsgericht wies diese Erbserklärung nicht zurück und überließ dem Kläger mit Beschluß vom 22. 2. 1990 (ON 23 des Verlassenschaftsaktes) die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses. Auf Antrag zahlreicher Legatare wurde die Nachlaßseparation bewilligt und Dr. Friedrich Bubla am 17. 5. 1995 zum Separationskurator bestellt (ON 196 des Verlassenschaftsaktes). Der testamentarische Erbe Dr. Christian K***** hat bisher keine Erbserklärung abgegeben.

Am 31. 12. 1991 brachte der Kläger gegen die Verlassenschaft nach Anna W***** eine Klage auf Zahlung des Pflichtteils von S 10.000.000.- samt 8 % Zinsen seit 2. 1. 1989 mit der Behauptung ein, Anna W***** sei - vom Kläger abgesehen - kinderlos verstorben; der Pflichtteil des Klägers, der am 2. 1. 1989 fällig geworden sei, betrage S 10.000.000.-. Nach Einlangen der Klage fragte das Erstgericht beim Bezirksgericht B***** an, ob ein Verlassenschaftskurator bestellt sei und erhielt zur Antwort, daß dem Kläger die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses überlassen worden sei. Mit dem am 12. 5. 1992 beim Erstgericht eingelangten Schriftsatz ON 3 kündigte der Klagevertreter an, daß der Beklagten ein Kurator zu bestellen wäre, die Verlassenschaft aber unmittelbar vor der Einantwortung stehe, wodurch der Rechtsstreit entbehrlich würde; der Klagevertreter kündigte einen Bericht an das Prozeßgericht an und regte die Kalendierung des Aktes zum 30. 6. 1992 an. Am 30. 7. 1992 (ON 4) langte ein weiterer Schriftsatz ein, in dem der Klagevertreter neuerlich die alsbaldige Beendigung des Verlassenschaftsverfahrens ankündigte und anregte, den Akt bis 31. 12. 1992 zu kalendieren. Am 11. 1. 1993 (ON 6) teilte der Klagevertreter dem Gericht mit, daß das Verlassenschaftsverfahren unmittelbar vor dem Abschluß stehe, der Nachweis der Legatserfüllung fehle noch, der Akt möge bis 31. 3. 1993 auf Kalender gelegt werden. Mit Schriftsatz vom 28. 5. 1993 (ON 7) berichtete der Klagevertreter, daß noch eine Schätzung ausstehe und beantragte, den Akt bis 31. 7. 1993 zu kalendieren. Anläßlich einer persönlichen Vorsprache beim Erstgericht am 8. 10. 1993 (ON 8) teilte der Klagevertreter mit, daß die Einantwortung in einem halben Jahr zu erwarten sei. Nachdem der Akt bis 1. 8. 1994 kalendiert worden war, berichtete der Klagevertreter mit dem Schriftsatz vom 12. 8. 1994 (ON 9), daß im Verlassenschaftsverfahren die Schlußanträge gestellt worden seien und regte die Kalendierung des Aktes bis 30. 9. 1994 an. Mit Schriftsatz vom 22. 12. 1995 (ON 10) beantragte der Kläger, einen Kollisionskurator zu bestellen und dafür den vom Verlassenschaftsgericht eingesetzten Separationskurator Dr. Friedrich Bubla in Aussicht zu nehmen. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes B***** vom 29. 1. 1996 (ON 12 = ON 213 des Verlassenschaftsaktes) wurde Dr. Bubla zum Kollisionskurator bestellt und mit der Vertretung des Nachlasses im Streitverfahren beauftragt.

In der am 28. 2. 1996 zur Post gegebenen Klagebeantwortung beantragte der Kollisionskurator die Abweisung des Klagebegehrens. Er erhob die Einrede der Verjährung und führte dazu aus, der Kläger habe die Klage am Tag vor Ablauf der Verjährungsfrist eingebracht, das Verfahren aber nicht gehörig fortgesetzt. Überdies sei der Anspruch bei weitem überhöht; aus dem Legatsprozeß zu 24 Cg 300/95y des Erstgerichtes ergebe sich, daß der Kläger (dort als Organ der beklagten Verlassenschaft auftretend) seine Pflichtteilsansprüche in einer geringeren Höhe einschätze.

Gegen die Verjährungseinrede wendete der Kläger seinerseits Arglist ein. In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 9. 10. 1996 (ON 18) beantragte der Kläger die Unterbrechung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verlassenschaftsverfahrens, damit nicht weitere auf jeden Fall den Kläger belastende Kosten entstünden. In dieser Tagsatzung vereinbarten die Parteien (einfaches) Ruhen des Verfahrens. Auf Antrag der Beklagten wurde das Verfahren sodann fortgesetzt und geschlossen.

Das Erstgericht wies - ausgehend von dem oben wiedergegebenen Sachverhalt - das Klagebegehren mit der Begründung ab, der Anspruch des Klägers sei verjährt. Pflichtteilsansprüche verjährten in drei Jahren, wobei die Verjährungsfrist mit der Kundmachung des Testaments beginne. Die Klage sei zwar innerhalb der Verjährungszeit bei Gericht eingelangt, das Verfahren sei aber nicht gehörig fortgesetzt worden. Die Untätigkeit des Klägers sei nicht auf einen einvernehmlichen Parteiwillen zurückzuführen, der Grund dafür läge vielmehr nur beim Kläger.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die ordentliche Revision deshalb zulässig sei, weil über die Unterbrechungswirkung einer Klage, die die Beteiligung der beklagten Partei am Prozeß nicht ermögliche, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle. Es vertrat ebenso wie das Erstgericht, wenn auch aus teilweise anderen Gründen, die Ansicht, daß der Klageanspruch verjährt sei. Der Kläger sei zwar offenbar im Testament übergangen, sei aber der einzige aus dem Gesetz berufene Erbe, der eine Erbserklärung abgegeben habe; der Nachlaß sei außerdem durch Vermächtnisse stark belastet. Auch ein gesetzlicher Erbe sei zweifellos berechtigt, seinen Pflichtteil geltend zu machen und allenfalls bei Verkürzung des Nachlasses dessen Ergänzung (Anrechnung von Schenkungen) zu verlangen. Der Pflichtteilsanspruch des Klägers als gesetzlicher Erbe sei aber kein bloßer Ausfolgungsanspruch, sondern - weil er sich gegen das Testament richte - die Geltendmachung eines Anspruches, den die Erblasserin in ihrer letztwilligen Verfügung nicht ausdrücklich zuerkannt habe, auch wenn der Testamentserbe nie eine Erbserklärung abgegeben habe. Es gelte daher die kurze Verjährungszeit des § 1487 ABGB, was im übrigen auch von den Parteien nie anders angenommen worden sei. Der Verjährungsbeginn sei nach der Rechtsprechung mit der Verkündung des Testaments anzusetzen, demnach am 23. 3. 1989. Der Kläger habe mit der rechtzeitig eingebrachten Klage mit dem ruhenden Nachlaß ein juristisches Gebilde geklagt, das ohne weitere Angaben an dem Prozeß nicht beteiligt habe werden können. Erst am 22. 12. 1995, also nahezu vier Jahre nach der Klageeinbringung, habe der Kläger die Bestellung eines Kollisionskurators beantragt, mit dem schließlich das Verfahren habe durchgeführt werden können. Die Einbringung einer Klage gegen eine (juristische) Person könne aber dann, wenn darin Angaben fehlten, die die Beteiligung der beklagten Partei am Verfahren überhaupt erst möglich machten, die Unterbrechung der Verjährung nicht bewirken. § 1497 ABGB setze voraus, daß derjenige, der sich auf die Verjährung berufe, vom "Berechtigten belangt" werde. Dieses "Belangen" fehle aber, wenn der Kläger dem Gericht gar nicht die Möglichkeit gebe, die beklagte Partei in das Verfahren einzubeziehen. Diese Möglichkeit habe der Kläger erst mit seinem Antrag auf Bestellung des Kollisionskurators vom 22. 12. 1995 geschaffen. Erst in diesem Zeitpunkt hätte die Unterbrechungswirkung eintreten können, wäre nicht die Verjährungszeit längst abgelaufen gewesen. Welche Motive der Kläger gehabt habe, mit seinem Antrag auf Kuratorbestellung so lange zuzuwarten, müsse auf sich beruhen, weil es auf subjektive Momente bei der Beurteilung, ob die Klageerhebung noch innerhalb der Verjährungsfrist erfolgt sei, nicht ankommen könne. Den teilweise durchaus verständlichen, geradezu leidenschaftlich vorgetragenen Argumenten des Klägers, wonach er aus Kostengründen die Führung des Verfahrens zunächst habe vermeiden wollen, weil die von ihm ehebaldigst erhoffte Beendigung des Verlassenschaftsverfahrens den Prozeß überhaupt wegen des Zusammenfalls von klagender und beklagter Partei unnötig gemacht hätte und er in jedem Fall mit den Kosten des Verfahrens belastet worden wäre, sei zu erwidern, daß die Interessenslage des Klägers und der beklagten Partei durchaus verschieden sei. Der Nachlaß habe (unter anderem) auch das Interesse gegenüber den Vermächtnisnehmern wahrzunehmen, die denen des Klägers wohl zumindest zum Teil widersprächen; außerdem existiere ein im Testament eingesetzter Erbe. Der Pflichtteilsanspruch des Klägers müsse daher (ohne Rücksicht auf das Verlassenschaftsverfahren) im Prozeßweg, vor Einantwortung eben gegen den Nachlaß wirksam geltend gemacht werden. Auf die Frage der gehörigen Fortsetzung des Verfahrens sei somit nicht mehr einzugehen, weil der Kläger die Beklagte nicht innerhalb der Verjährungszeit belangt habe. Sein Anspruch sei daher verjährt. Die Replik des Klägers, die Verjährung sei geradezu arglistig eingewendet worden, trage nicht, weil dies voraussetzte, daß der Gläubiger durch den Schuldner veranlaßt worden sei, die Forderung innerhalb der Verjährungszeit nicht geltend zu machen; davon könne hier keine Rede sein.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist zulässig, weil das Berufungsgericht in seiner Beurteilung der Verjährungsfrist von höchstgerichtlicher Rechtsprechung abgewichen ist; sie ist auch berechtigt.

Gemäß § 1487 ABGB verjährt das Recht, den Pflichtteil oder dessen Ergänzung zu fordern, in drei Jahren. Nach Lehre und Rechtsprechung gilt die kurze Verjährungsfrist nur für die Klage des zu Unrecht enterbten oder übergangenen Noterben, nicht aber für die Klage des vom Erblasser ohnehin bedachten Noterben. Ein solcher aus der letztwilligen Verfügung abgeleiteter, nicht gegen diese gerichteter Anspruch liegt auch dann vor, wenn der Noterbe im Testament auf den Pflichtteil beschränkt wurde und es nur um die Erfüllung dieser im Testament angeordneten Forderung geht. Der gesetzgeberische Grund für die kurze Verjährungsfrist des § 1487 ABGB besteht darin, daß dem Testamentserben möglichst rasch Gewißheit verschafft werden soll, ob der letzte Wille des Erblassers einer Anfechtung durch dritte Personen unterliegt (SZ 57/170 = NZ 1985, 209 mwN; Schubert in Rummel, ABGB**2 Rz 3 zu § 1487 mwN; Mader in Schwimann, ABGB**2 Rz 5 zu § 1487 mwN; zuletzt 6 Ob 189/98g). Die kurze Frist gilt also nicht für den im Testament ohnehin berücksichtigten, auf den Pflichtteil gesetzten oder in anderer Form (etwa durch ein Legat) bedachten Noterben, der einen Anspruch auf Ausfolgung des Pflichtteils geltend macht (Mader aaO mwN). Entscheidend ist, ob der Pflichtteilsanspruch aus der letztwilligen Verfügung des Erblassers abgeleitet wird (dreißigjährige Verjährungsfrist) oder gegen den testamentarisch zum Ausdruck gebrachten Willen des Erblassers durchgesetzt werden soll (dreijährige Verjährungsfrist; vgl. SZ 57/170).

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes kann keine Rede davon sein, daß der Kläger "offenbar im Testament übergangen" worden ist:

Die Erblasserin hat ihn in ihren letztwilligen Verfügungen nicht nur als Legatar mehrerer Vermögensgegenstände eingesetzt, sondern darüber hinaus auch noch verfügt, daß ihm - soweit die Legate dem Pflichtteil nicht entsprechen - die Differenz auszuzahlen ist. Der Kläger als Pflichtteilsberechtigter macht deshalb mit seiner Klage einen Anspruch geltend, der dem in den letztwilligen Verfügungen zum Ausdruck kommenden erblasserischen Willen entspricht und nicht gegen diesen Willen durchgesetzt werden soll; ein solcher Ausfolgungsanspruch unterliegt aber, wie dargestellt, der dreißigjährigen Verjährungsfrist des § 1478 ABGB, die im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht abgelaufen war.

Ausgehend von einer unrichtigen Rechtsansicht haben die Vorinstanzen keine Feststellungen zur Höhe des geltend gemachten Anspruches getroffen; dieser Feststellungsmangel zwingt zur Aufhebung ihrer Entscheidungen und zur Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht (§ 510 Abs 1 ZPO).

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

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