OGH 11Os101/98

OGH11Os101/983.11.1998

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. November 1998 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Schmucker, Dr. Habl und Dr. Zehetner als weitere Richter, in Anwesenheit der Richteramtsanwärterin Mag. Holy als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Kirsten und Michael K***** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 16. Dezember 1997, GZ 11 Vr 802/97-87, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Kirsten und Michael K***** (neben in Rechtskraft erwachsenen Teilfreisprüchen) der Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I), des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (II), der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 und Abs 3 zweiter und dritter Fall StGB (III) (Kirsten K***** zu I bis III teilweise als Beitragstäterin gemäß § 12 dritter Fall StGB) und der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 3 StGB (V) sowie des Vergehens des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (IV) schuldig erkannt.

Danach haben sie an nicht näher bekannten Tagen im Zeitraum Mitte April 1996 bis 25. Jänner 1997 in Großklein

I. die am 3. September 1988 geborene, also unmündige Nadine K***** auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht, und zwar

1. Michael K***** teils allein, teils im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit einer nicht bekannten Person als unmittelbarer Täter in zahlenmäßig nicht näher bekannten Angriffen durch Ausführen des Analverkehrs, wobei Kirsten K***** dazu beitrug, daß sie durch ihre Anwesenheit die Genannten in ihrem Vorgehen bestärkte und Nadine K***** fallweise am Kopf festhielt,

2. Kirsten K***** durch Betasten ihrer Scheide,

II. Michael K***** teils allein, teils im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit einer nicht bekannten Person als unmittelbarer Täter in nicht näher bekannten Angriffen mit der am 3. September 1988 geborenen, also unmündigen Nadine K***** den außerehelichen Beischlaf unternommen, wobei Kirsten K***** dazu dadurch beitrug, daß sie durch ihre Anwesenheit die Genannten in ihrem Vorgehen bestärkte und Nadine K***** fallweise am Kopf festhielt,

III. Michael K***** und eine nicht bekannte Person im bewußten und gewollten Zusammenwirken als unmittelbare Täter Nadina K***** in zahlenmäßig nicht näher bekannten Fällen durch Festhalten, also durch Gewalt wie im Punkt II. dargestellt, zur Duldung des Beischlafs und wie im Punkt I.1. genannt, zur Duldung des Analverkehrs, also einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, genötigt, wobei Nadine K***** durch die Taten längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt sowie durch die Aufzeichnung der Taten auf Videofilm beziehungsweise Fotografien und in einem Fall durch die Vorführung eines dieser Videofilme in besonderer Weise erniedrigt wurde, wobei Kirsten K***** teils allein, teils im bewußten und gewollten Zusammenwirken als unmittelbare Täter ihre am 3. September 1988 geborene, also minderjährige beziehungsweise ihrer Erziehung unterstehende Tochter Nadine K***** durch einzelne der zu Punkten I. und II. angeführten Handlungen zur Unzucht mißbraucht, und

V. Kirsten K***** und Michael K***** im bewußten und gewollten Zusammenwirken als unmittelbare Täter in wiederholten Angriffen Nadine K***** durch die Äußerung, wenn sie jemandem von den zu den Punkten I., II. und III. dargestellten Taten erzähle, gebe es "Patsch", womit sie Schläge gegen den Körper meinten, also durch Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper zu der Unterlassung, davon Abstand zu nehmen, sich an außenstehende Personen um Hilfe zu wenden, genötigt, wodurch besonders wichtige Interessen der Nadine K***** verletzt wurden.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diese Schuldsprüche richtet sich die von beiden Angeklagten gemeinsam ausgeführte, auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a, 9 lit a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde, die nicht berechtigt ist.

Soweit das Vorbringen zum erstgenannten Nichtigkeitsgrund (Z 4) neben weitwendigen allgemeinen Betrachtungen die Abweisung konkreter Beweisanträge und Einwendungen (S 235,283 und 303 f/II) moniert, wird keine Verletzung von Verteidigungsrechten aufgezeigt.

Die auf die Zeugin Nadine K***** bezogene Beschwerdeausführungen gehen schon deshalb fehl, weil sich die Genannte, die im Vorverfahren kontradiktorisch vernommen wurde (§ 162a StPO; ON 36 und 46), in der Hauptverhandlung vom 16. Dezember 1997 gemäß § 152 (Abs 1 Z 2 und 3) StPO als Angehörige der Nichtigkeitswerber und unmündiges Tatopfer berechtigt entschlagen hat (S 271/II), sodaß die Voraussetzungen für die Verlesung der Protokolle (S 278/II) gemäß § 252 Abs 1 Z 2a StPO und damit die Verwertungsmöglichkeit im Urteil vorlagen.

Was die begehrte Beiziehung eines (gerichts-)psychologischen Sachverständigen zum Beweis dafür, daß die vorgelegten Zeichnungen des Tatopfers nicht auf einen sexuellen Übergriff der Eltern, sondern auf eine externe Beeinflussung schließen lassen (S 231 und 301/II), anlangt, entbehrt bereits die Antragstellung - abgesehen davon, daß das Beweisthema auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis hinausläuft - einer Darlegung, weshalb die angestrebte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis erbringen werde, zumal die psychologische Sachverständige Dr. Christa Sch***** ohnedies zu den relevierten Zeichnungen Stellung genommen und ausgeführt hat, daß die Anfertigung von Zeichnungen sexuellen Inhalts noch nicht allein den Schluß auf sexuellen Mißbrauch zulassen (S 297/II; Mayerhofer StPO4 § 281 Z 4 E 19 ff).

Falls die Angeklagten mit ihrem Vorbringen auch die Befassung eines weiteren (anderen) Sachverständigen gemeint haben, was jedoch weder aus der Antragstellung noch aus ihren Beschwerdeausführungen eindeutig hervorgeht, so werden hiefür Gründe im Sinne der Bestimmungen der §§ 118 Abs 2, 125 f StPO nicht geltend gemacht. Sollten aber bloß Unklarheiten in der Interpretation der Zeichnungen beseitigt werden, wäre es Aufgabe der Verteidigung gewesen, durch entsprechende Fragestellung an die Sachverständige in der Hauptverhandlung die gewünschte Aufklärung zu erwirken.

Das gleiche gilt für die beantragte Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen zu Fragen der Hymenverletzung (S 231 und 301 f/II). Abgesehen davon hat die Sachverständige Dr. Monika S***** im Sinne des reklamierten Beweisthemas (wenngleich als unwahrscheinlich) ausdrücklich eingeräumt, daß die konstatierten Verletzungen der Unmündigen auch ohne sexuelle Mißbrauchshandlungen entstanden sein können.

Der Beschwerde zuwider ist der Antrag auf Durchführung eines Lokalaugenscheines, "bei welchem das Tatopfer zeigen soll, wie und wo die Filmaufnahmen anläßlich der sexuellen Übergriffe gemacht wurden" (S 231/II), zu Recht der Abweisung verfallen (S 237/II), lassen doch die zu beweisenden näheren Umstände der Aufnahmen eine Entscheidungsrelevanz für die Schuldfrage oder den anzuwendenden Strafsatz nicht erkennen.

Dieselbe Wesentlichkeit des Beweisthemas fehlt dem Antrag auf Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Gebiet der Graphologie über das Zustandekommen der vorgelegten Tagebuchaufzeichnungen der Zeugin Sylvia Kr***** (S 303/II), sodaß der angezogene Nichtigkeitsgrund in keinem der behaupteten Fälle gegeben ist.

Das Vorbringen zur Mängelrüge (Z 5) vermag keine formellen Begründungsgebrechen darzulegen. Die Beschwerdeführer übersehen vor allem, daß die erfolgreiche Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes unabdingbar voraussetzt, daß sich die diesbezüglichen Rechtsmittelausführungen auf entscheidende - also entweder für die Unterstellung der Tat unter ein bestimmtes Strafgesetz oder für die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes maßgebende - Umstände beziehen (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 5 E 18, 26 ua). Die Urteilsfeststellungen müssen zudem in ihrer Gesamtheit berücksichtigt werden, weshalb Einwendungen, die nur auf einzelne, isoliert betrachtete Gesichtspunkte abstellen, von vorneherein kein Erfolg beschieden sein kann.

Demnach versagen die Beschwerdeargumente, die bloß eine Reihe von unerheblichen Tatsachen relevieren, nämlich insbesondere das Milieu der Beteiligten, das Zustandekommen des von der Pflegemutter Kr***** vorgelegten Tagebuches, den Verkauf von Videofilmen und Fotos sowie den Aufenthaltsort des Bruders des Tatopfers während der Tathandlungen. Da nicht festgestellt ist, daß die Angeklagten Besitzer des Videogerätes gewesen seien, betrifft auch der diesbezügliche Beschwerdeeinwand keinen entscheidenden Umstand.

Die übrigen Ausführungen zur Mängelrüge über die zeitliche Verhinderung des Angeklagten K***** an Taten wegen abendlicher beruflicher Abwesenheit und die Möglichkeit der Selbstbeschädigung des Mädchens richten sich mit spekulativen und teilweise aus dem Zusammenhang der Verfahrensergebnisse gelösten Erwägungen in Wahrheit gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung, welche in unzulässiger Weise nach Art einer Schuldberufung in Frage gestellt wird.

Auch aus dem Beschwerdehinweis auf die unterschiedliche Beurteilung der Beweissituation hinsichtlich des freigesprochenen Mitangeklagten Mario U***** ist für die Nichtigkeitswerber nichts zu gewinnen, weil dies einen zulässigen Akt freier richterlicher Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) darstellt, der formellen Einwänden nicht zugänglich ist.

Dem Vorwurf, das Erstgericht habe seine Konstatierung, der Angeklagte K***** habe die Unmöglichkeit des Eindringens seines Geschlechtsteiles wegen der kindlichen Entwicklung des Opfers im Genitalbereich festgestellt (US 13), aktenwidrig getroffen, da Derartiges weder vom Rechtsmittelwerber gesagt worden sei noch dem sonstigen Akteninhalt entspreche, ist zu entgegnen, daß der Schöffensenat diese Urteilsannahme ersichtlich auf die Aussage der Zeugin Sylvia Kr***** (S 89/I iVm S 213/II und US 17 oben) gestützt hat.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) stellt neuerlich bloß eine Anfechtung der Abwägung der Beweisergebnisse dar, ohne jedoch erhebliche Bedenken gegen entscheidende Tatsachenannahmen anhand der Aktenlage aufzuzeigen. An der Forderung der Beschwerdeführer, das Erstgericht hätte ihren strikt jede Schuld von sich weisenden Verantwortungen, nicht aber den widersprüchlichen Angaben der Nadine K***** Glauben schenken müssen (S 393 f/II), ist vielmehr das Ziel einer anderen Bewertung der Beweiskraft gegensätzlicher Aussagen unmißverständlich erkennbar.

Soweit die Angeklagten die (nunmehr amtswegige) Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen zur Klärung von Verletzungsspuren im Analbereich des Opfers verlangen, vermögen sie die mangelnde Ausschöpfung zugänglicher Beweisquellen in entscheidenden Belangen nicht darzutun, hat doch die Sachverständige Dr. S***** ohnedies erläutert, daß derartige durch Mißbrauch zustandegekommene Verletzungen rasch heilen (S 461/I iVm S 287/II).

Der nur von der Angeklagten Kirsten K***** in der Rechtsrüge (Z 9 lit a) vorgetragene Einwand, das ihr vorgeworfene Betasten der Scheide ihrer Tochter (I/2) könne auch im Zuge von Körperpflege erfolgt sein, übergeht die gegenteilige Feststellung über die sexuelle Tendenz dieser Berührung (US 3 f; 13 f; 21 f). Damit verfehlt dieses Vorbringen zum relevierten materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrund, der stets den Vergleich des gesamten Urteilssachverhaltes mit dem darauf angewendeten Strafgesetz erfordert, die prozeßordnungsgemäße Darstellung.

Die in der Subsumtionsrüge (Z 10) vertretene Auffassung, die Tathandlungen beider Angeklagten seien nur "durch einen (einzigen) Tatbestand abgedeckt", läßt nicht erkennen, welche konkrete Gesetzesstelle nach Meinung der Rechtsmittelwerber auf das konstatierte Tatsachensubstrat anzuwenden wäre, weshalb dieser Beschwerdeeinwand mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung des Umstandes, der den Nichtigkeitsgrund bilden soll, ebenfalls nicht den Verfahrensvorschriften entspricht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher als teils unbegründet, teils nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt bereits bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 285d StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichtes Graz zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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