OGH 1Nd16/98

OGH1Nd16/982.11.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer und Dr.Gerstenecker als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Stella Maria K*****, 2.) mj. Victor Henrique K***** und 3.) mj. Helena Caroline K*****, Zweitkläger und Drittklägerin vertreten durch ihre Eltern Emmerich und Maike Lia K*****, alle vertreten durch Dr. Werner Stauder, Rechtsanwalt in Graz als Verfahrenshelfer, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen 1,134 Mio S sA und Feststellung (Streitwert 300.000 S) infolge Vorlage der Akten durch das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien (AZ 33 Cg 22/98t) zur Fällung einer Ordinationsentscheidung gemäß § 28 JN folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache wird gemäß § 28 JN das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien als örtlich zuständig bestimmt.

Text

Begründung

Die in Brasilien lebenden Kläger begehrten vom beklagten Rechtsträger Bund aus dem Titel der Amtshaftung den Zuspruch von insgesamt 1,134 Mio S sA (die Erstklägerin 756.000 S, der Zweitkläger 252.000 S sowie die Drittklägerin 126.000 S je sA) sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für sämtliche Schäden, die daraus resultierten, daß ihrem Vater ein österr. Reisepaß nicht rechtzeitig ausgestellt worden sei. Dazu tragen die Kläger im wesentlichen vor, ihrem Vater sei zu Unrecht von 1989 bis 1995 - offensichtlich von den österr. Vertretungsbehörden in Brasilien - kein österr. Reisepaß ausgestellt bzw sein Reisepaß nicht verlängert worden; die österr. Vertretungsbehörden hätten sich ferner geweigert, dem Vater der Kläger ein Führungszeugnis auszustellen. 1981 sei in Österreich zu Unrecht gegen den Vater der Kläger ein Verfahren wegen Kindesentführung nach § 195 StGB - weil die Erstklägerin mit ihrem Vater nach Brasilien ausgewandert sei - eingeleitet worden. Dadurch habe der Vater der Kläger einen Vermögensschaden erlitten, der im Hinblick auf die Unterhaltspflicht des Vaters für die Kläger auch auf diese durchschlage.

Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz wies die Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit zurück und überwies die Rechtssache sodann antragsgemäß an das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien, das den Akt dem Obersten Gerichtshof gemäß § 28 JN zur Entscheidung über den Ordinationsantrag der Kläger ON 3 vorlegte.

Rechtliche Beurteilung

Der Ordinationsantrag ist berechtigt.

Nach nunmehr herrschender Lehre und stRspr besteht die österr. inländische Gerichtsbarkeit in Zivilsachen für alle Rechtssachen, die durch positive gesetzliche Anordnung, durch völkerrechtliche Regeln oder zufolge eines durch die inländischen Verfahrensordnungen anerkannten Anknüpfungspunkts an das Inland vor die österr. Gerichte verwiesen sind (SZ 62/101, SZ 62/31 ua, 1 Nd 5/95; Fasching, Lehrbuch2 Rz 76). Nun ist auch hoheitliches Verhalten von Organen österreichischer Rechtsträger im Ausland nach österr. Amtshaftungsrecht zu prüfen (1 Nd 5/95; Schragel AHG2 Rz 235; Vrba/Zechner, Kommentar zum Amtshaftungsrecht 23 mwN in FN 24, 137 f). Besteht eine ausreichende inländische Nahebeziehung, fehlt es aber an einem inländischen Gerichtsstand, so hat § 28 JN Abhilfe zu schaffen (RdW 1994, 313 mwN; Mader in Schwimann2, § 9 AHG Rz 2). Nach § 28 Abs 1 Z 2 JN hat der Oberste Gerichtshof, wenn für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts im Sinn dieses Gesetzes oder einer anderen Rechtsvorschrift nicht gegeben oder zu ermitteln sind, aus den sachlich zuständigen Gerichten eines zu bestimmen, das für die fragliche Rechtssache als örtlich zuständig zu gelten hat, wenn die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre. Die Bestimmung der Zuständigkeit (Ordination) durch den Obersten Gerichtshof setzt somit, außer bei Vorliegen einer hier fehlenden völkerrechtlichen Regelung (§ 28 Abs 1 Z 1 JN), eine - im vorliegenden Fall zu bejahende - hinreichende Nahebeziehung zum Inland voraus. Aus dem Vorhandensein einer solchen hinreichenden Nahebeziehung allein folgt indes noch nicht die inländische Gerichtsbarkeit. Für die Rechtsverfolgung im Inland muß darüber hinaus ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis gegeben sein (RdW 1994, 313 mwN; 1 Nd 5/95; Mayr in Rechberger, § 28 JN Rz 4 mwN). Das ist bei Amtshaftungssachen wegen der fehlenden Anerkennung und Vollstreckbarkeit einer ausländischen Entscheidung gegen österr. Rechtsträger zu bejahen (Schragel aaO Rz 236 mwN). Da sich aus der § 74 JN verdrängenden Sonderbestimmung des § 9 AHG kein Anknüpfungspunkt für ein örtlich zuständiges Gericht ergibt, ist angesichts dieser Gesetzeslücke (Vrba/Zechner aaO 232 unter Hinweis auf EvBl 1981/24) über Antrag des Klägers (§ 28 Abs 2 JN) ein inländisches Landesgericht gemäß § 28 JN als zuständig zu bestimmen (JBl 1959, 599; JBl 1978, 653; 1 Nd 5/95; Schragel aaO Rz 257 mwN; Vrba/Zechner aaO 232). Die Bestimmung des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien entspricht auch dem Antrag der Kläger nach Zurückweisung ihrer Klage durch das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.

Über die übrigen Anträge ist erst im Gefolge dieser Ordination zu entscheiden; das gilt auch für allfällige amtswegig zu treffende Verfügungen und Entscheidungen.

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