OGH 13Os87/98

OGH13Os87/9821.10.1998

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. Oktober 1998 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel, Dr. Rouschal, Dr. Habl und Dr. Ratz als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Urban als Schriftführer, in der Strafsache gegen Peter S***** wegen des Verbrechens des Mißbrauches der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Schöffengericht vom 9. September 1997, GZ 10 Vr 715/97-14, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Raunig, des Angeklagten Peter S***** und des Verteidigers Dr. Boyer, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil im Freispruch des Angeklagten Peter S***** aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen (auch den rechtskräftigen Freispruch eines Mitangeklagten enthaltenen) Urteil wurde Peter S***** von der Anklage des Verbrechens des Mißbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Ihm liegt zur Last, als Klassifizierer des durch die "A*****" zugelassenen Klassifizierungsdienstes "S***** GmbH", damit als Beamter, mit dem Vorsatz, den Bund in seinem Recht auf ordnungsgemäße Feststellung des Gewichtes von Schlachtkörpern zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung des Qualitätsklassengesetzes, BGBl 161/1967, Amtsgeschäfte vorzunehmen, dadurch wissentlich mißbraucht zu haben, daß er sich beim Abwiegen von Schweinehälften im Fleischhauereibetrieb des Johann J***** deren Gewicht jeweils vom Betriebsinhaber ansagen ließ, ohne dies selbst zu prüfen.

Die von der Staatsanwaltschaft aus § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist im Recht.

Rechtliche Beurteilung

Das Tatgericht bejahte die Beamteneigenschaft (§ 74 Z 4 StGB) des Angeklagten und stellte fest, er habe im Vertrauen auf die Richtigkeit der (jedoch) falschen Gewichtsangaben des Fleischhauers diese gutgläubig in das von ihm zu führende Protokoll eingetragen, ohne die diesbezüglichen Waageanzeigen sehen zu können, und sich nicht vergewissert, daß die vom Betriebsinhaber angegebenen Gewichte richtig wären (US 5). Es erachtete jedoch die subjektive Tatseite als nicht erwiesen, weil er zwar bei seiner Ausbildung das Klassifizierungsgesetz und die Tätigkeit als Klassifizierer erklärt erhalten habe, jedoch nicht darauf aufmerksam gemacht worden sei, "daß er bei seiner Tätigkeit die Befugnis hatte, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze tätig zu werden und ein Mißbrauch seiner Befugnis einen Amtsmißbrauch darstellt und er dadurch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann". Es habe dem Angeklagten daher an dem für die Begehung eines Amtsmißbrauches notwendigen Tatbestandsmerkmal der Wissentlichkeit im Sinne des § 5 Abs 3 StGB gefehlt (US 6), er habe von seiner Beamteneigenschaft nichts wissen können (US 8). Es fehle ihm an der erforderlichen Wissentlichkeit hinsichtlich des Befugnismißbrauchs, wegen des Ausbildungsmangels (zur Beamteneigenschaft) sei ihm auch nicht bewußt gewesen, durch die inkriminierte Pflichtverletzung ein konkretes Recht des Staates zu schädigen (US 9).

Die diesbezügliche Verantwortung des Angeklagten wurde als glaubwürdig angesehen, weil im vorliegenden Fall der Gesetzesvollzug einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (siehe oben) übertragen gewesen sei und dieser Vollzug zudem eine nicht augenscheinlich unter dem Begriff der Hoheitsverwaltung fallende Materie betroffen habe (neuerlich US 9).

Das Erstgericht unterließ es jedoch, alle entscheidungsrelevanten Umstände zu erörtern, weswegen sein Ausspruch zur subjektiven Seite unzureichend begründet ist.

Wissentlichen Befugnismißbrauch begeht, wer Inhalt und Umfang seiner amtlichen Obliegenheiten kennt und weiß, daß er diesen Obliegenheiten zuwiderhandelt (Leukauf-Steininger Komm3 § 302 RN 35). Dafür ist ein besonderes Wissen, der Begriffsbestimmung eines Beamten im strafgesetzlichen Sinn zu entsprechen, nicht erforderlich, wird nur die Befugnis zur Vornahme dieser Obliegenheit im Wissen darum mißbraucht.

Das Erstgericht hat die Tätigkeit des Angeklagten auch zutreffend als diejenige eines Beamten nach § 74 Z 4 StGB (hier zweiter Fall als sonst mit Aufgaben der Bundesverwaltung Betrauter) als (zumindest einer) Organhandlung in Vollziehung der Gesetze (gleichwertig) eingestuft (Leukauf-Steininger aaO RN 14 f, 22).

Nach den wesentlichen Urteilskonstatierungen war der Angeklagte nach Absolvierung eines vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft veranstalteten Schulungskurses als Klassifizierer der "S***** GmbH" tätig. Diese Servicestelle ist mit Bescheid der "A*****" (AMA) - einer auf Grund des Bundesgesetzes Nr. 376/1992 (AMA-Gesetz 1992) errichteten Marktordnungsstelle - vom 6. September 1994 (S 169 ff) gemäß § 25a des Bundesgesetzes vom 12. April 1967 über die Einführung von Qualitätsklassen für landwirtschaftliche Erzeugnisse (Qualitätsklassengesetz) BGBl 161/1967 (in der damals geltenden Fassung) als für die Durchführung der entsprechenden Klassifizierung geeigneter Klassifizierungsdienst zugelassen worden ("Beleihung" mit hoheitlichen Aufgaben, s. Mayer B-VG2, Art 20 B-VG A.I.2).

Gemäß § 25a Abs 1 des Qualitätsklassengesetzes kann für dort näher bezeichnete Erzeugnisse, die von Schlachtbetrieben in Verkehr gebracht werden (darunter insbesondere Fleisch von Rindern und Schweinen), mit Verordnung bestimmt werden, daß die Einstufung und Kennzeichnung solcher Erzeugnisse nach den Bestimmungen des betreffenden Bundesgesetzes (und hiezu ergangener Verordnungen) ausschließlich durch Angehörige von durch die A***** zugelassenen Klassifizierungsdiensten (Klassifizierer) zu erfolgen hat.

Durch eine entsprechende Verordnung ermächtigt hat die A***** mit dem vorangeführten Bescheid von dieser Befugnis Gebrauch gemacht. Die Aufgabe des von der S***** gestellten Klassifizierungspersonals und damit auch des Angeklagten bestand in der dem § 25a Qualitätsklassengesetz sowie den betreffenden Verordnungen des Bundesministeriums für Landund Forstwirtschaft über Qualitätsklassen (Verordnung vom 6. April 1994, BGBl 262/1994 idF BGBl 158/1996) und den Richtlinien der A***** für die Durchführung der Klassifizierung entsprechenden Einstufung in Qualitätsklassen und Kennzeichnung landwirtschaftlicher Erzeugnisse (Feststellung von Qualität und Gewicht von Schweinehälften), damit diese Erzeugnisse unter den entsprechenden Qualitätsklassenbezeichnungen in Verkehr gesetzt werden durften. Hierüber war vom jeweiligen Klassifizierer auch ein Meßkartenprotokoll zu führen und damit Qualität und Gewicht der Erzeugnisse zu beurkunden. Der Klassifizierer war demgemäß in den Normenvollzug im Bereich der Hoheitsverwaltung einbezogen.

Auf Grund der vorangeführten Verordnung des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft über Qualitätsklassen für Schweinehälften hatte dieses Klassifizierungsverfahren auch die für die Klassenzuordnung unabdingbare Feststellung des Gewichtes der Schweinehälften zum Gegenstand, woraus sich nicht nur die funktionelle Beamteneigenschaft des Angeklagten sondern auch sein Handeln in Vollziehung der Gesetze ergibt.

Bei seiner festgestellten Ausbildung über seine Verpflichtung zur Durchführung der Klassifizierung (im Sinne des Qualitätsklassengesetzes sowie der darauf gegründeten Verordnungen und Richtlinien) einerseits und der leichten Erkennbarkeit der Vereitelung des Zweckes des Klassifizierungsverfahrens durch das inkriminierte Verhalten andererseits hätte es einer Begründung dafür bedurft, weshalb der Angeklagte als ausgebildeter Klassifizierer nicht über die Fähigkeit zum Erkennen des (sozialen und rechtlichen) Bedeutungsgehaltes der für seine Tätigkeit maßgebenden Umstände verfügte und er bei unbestrittener Kenntnis seiner Aufgaben seine Befugnis nicht wissentlich mißbraucht hat.

In diesem Zusammenhang wäre insbesondere auch die Verantwortung des Angeklagten, nicht nur das Klassifizierungsgesetz gelernt (S 207) sondern auch gewußt zu haben, auf Grund einer Verordnung tätig geworden zu sein (S 211), wobei ein anderer Grund zum Handeln im vorliegenden Fall von vornherein ausscheidet, sowie die Aussage des Zeugen Dr. M***** über das Vertrautmachen der Klassifiziererkandidaten mit dem Qualitätsklassengesetz während des Ausbildungskurses (S 228) zu berücksichtigen gewesen.

Ob die Beamteneigenschaft des Angeklagten während der Ausbildung ausdrücklich als solche bezeichnet wurde, ist nicht maßgebend. Zum normativen Tatbildmerkmal des Beamten genügt die Erfassung ihres rechtlichen und sozialen Sinngehaltes nach "Laienart", dh eine entsprechende "Parallelwertung in der Laiensphäre" für die Wissenskomponente des insoweit (für § 302 Abs 1 StGB) ausreichenden bedingten Vorsatzes (vgl Steininger Komm3 § 7 RN 6; Kienapfel AT6 Z 15 Rz 8 und Z 16 Rz 4; Triffterer AT2 S 179).

Ob der Angeklagte bei dieser laienmäßigen Einschätzung die seine Beamteneigenschaft begründenden Umstände erkannt hat, kann abschließend erst im Wege einer (vom Erstgericht unterlassenen) umfassenden Prüfung der dargelegten rechtlichen Kriterien beurteilt werden. Dabei wird auch die festgestellte Kenntnis der ihm gestellten Aufgaben insgesamt und sein hieraus resultierender Vorsatz bei Mißachtung wesentlicher Verfahrensvorschriften zu berücksichtigen sein. Die bloße Fehleinstufung dieser Tätigkeit als nicht im Bereich der Hoheitssondern jenem der Privatwirtschaftsverwaltung angehörender (und demzufolge im Mißbrauchsfall nicht nach § 302 Abs 1 StGB pönalisierter) Normenvollzug würde nur einen irrelevanten Irrtum darstellen, zumal der Beamtenbegriff des § 74 Z 4 StGB für beide Aufgabenbereiche gilt und es überdies auch nicht am Unrechtsbewußtsein des Angeklagten mangelte.

Der Beschwerde ist auch darin beizupflichten, daß das festgestellte Wissen des Angeklagten von seinen Pflichten der Annahme, durch das inkriminierte Verhalten sei seine Befugnis nicht wissentlich mißbraucht worden, zuwiderläuft.

Das Erstgericht hat somit dem Fehlen eines (strafrechtlich irrelevanten) Wissens über ein Tatbestandsmerkmal zu Unrecht entscheidende Bedeutung beigemessen. Die Urteilsgründe enthalten deshalb keine ausreichenden Erörterungen in sachverhaltsmäßiger und rechtlicher Hinsicht zur Frage der Schädigung des Bundes an seinem Recht auf normenkonforme Klassifizierung von Schweinehälften. Die konstatierte Gutgläubigkeit des Angeklagten gegenüber den vom Betriebsinhaber gemachten Gewichtsangaben stehen der Annahme eines tatbildmäßigen Schädigungsverhaltens (schon durch die eine normgerechte Klassifizierung hintanhaltende Negierung grundlegender Verfahrensvorschriften) auch in subjektiver Hinsicht nicht entgegen.

Die beschriebenen Mängel erfordern demnach die Kassierung des Freispruchs des Beschwerdeführers und die Anordnung der Erneuerung des ihn betreffenden Verfahrens in erster Instanz.

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