Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil bezüglich der Abweisung des Klagebegehrens gegen die dritt- bis fünftbeklagte Partei aufgehoben; zugleich wird auch das Urteil des Erstgerichtes insoweit aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Entscheidung an dieses zurückverwiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Am 26. 8. 1989 ereignete sich in Österreich ein Verkehrsunfall, an dem ein vom Erstbeklagten gelenkter, von der drittbeklagten Partei gehaltener und bei der viertbeklagten Partei haftpflichtversicherter PKW der Marke VW-Passat Kombi und ein von Uwe B***** gelenkter PKW der Marke BMW 325i (beide mit deutschem Kennzeichen) beteiligt waren. Uwe B***** wurde bei dem Unfall getötet. Das Alleinverschulden an dem Unfall trifft den Erstbeklagten, der das Fahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand und ohne Lenkerberechtigung lenkte.
Der Kläger war Beifahrer in dem vom Erstbeklagten gelenkten PKW. Er war zum Unfallszeitpunkt nicht angegurtet und wurde aus dem Fahrzeug geschleudert und lebensgefährlich verletzt; auch er war alkoholisiert. Aufgrund der bei dem Unfall erlittenen Verletzungen ist er querschnittgelähmt.
Die fünftbeklagte Partei haftete zum Unfallszeitpunkt für den PKW der drittbeklagten Partei nach dem Londoner Abkommen.
Der Kläger begehrt von den Beklagten die Zahlung von S 1,517.270,04 sA und außerdem die Feststellung ihrer Schadenersatzpflicht.
Diese wendeten ein, daß sich der Kläger ein Mitverschulden im Ausmaß von mindestens 50 % anrechnen lassen müsse, weil er zum Unfallszeitpunkt nicht angegurtet gewesen und in das vom Erstbeklagten gelenkte Fahrzeug eingestiegen sei, obwohl ihm bewußt gewesen sei, daß dieser eine Schwarzfahrt unternehme, alkoholisiert sei und keine Lenkerberechtigung habe.
Mit Teilurteil des Berufungsgerichtes vom 26. 9. 1996 wurde ein gegen die dritt- bis fünftbeklagte Partei erhobenes Teilbegehren von S 30.000 rechtskräftig abgewiesen.
Mit dem nunmehr im zweiten Rechtsgang ergangenen Teilurteil verurteilte das Erstgericht die erst- und zweitbeklagte Partei zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 471.817,51 sA und die dritt- bis fünftbeklagte Partei zur Zahlung von S 1,517.270,04 sA. Dem Feststellungsbegehren wurde hinsichtlich aller Beklagten zur Gänze stattgegeben.
Die Entscheidung über den vom Kläger geltend gemachten Verdienstentgang von S 298.795,50 sA wurde dem Endurteil vorbehalten. Dabei wurden, soweit für das Revisionsverfahren relevant, im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Der 1970 geborene Kläger und der 1971 geborene Erstbeklagte waren bis zum Unfallszeitpunkt befreundet. Beide waren von Freunden mit Autos in eine Diskothek gebracht worden, wo sie vor dem Unfall Alkohol konsumierten. Beim Eintreffen in der Diskothek um 22 Uhr war der Kläger bereits alkoholisiert. Schon in der vorigen Nacht hatte er diese Diskothek besucht und im Fahrzeug seines Bekannten vor der Diskothek geschlafen. Dieser bedeutete ihm auch am 25. 8. 1989, er könne wiederum in seinem Auto schlafen. Schon am Nachmittag des 25. 8. 1989 hatte der Kläger einige Weizenbier in einem Gasthaus konsumiert. Daß er schon während der Arbeit Alkohol konsumiert hätte, wurde nicht als erwiesen angenommen, es konnte aber auch nicht ausgeschlossen werden, daß er vor dem Besuch der Diskothek mehr als einen halben Liter Wein getrunken hatte. In der Diskothek trank er noch mindestens 2 1/2 l Bier. Darüber hinaus konsumierte er mehrere Mischgetränke aus Bier, Cola und Schnaps. Tatsächlich war er stark alkoholisiert, als er nach Mitternacht an der Bar einschlief. Ab 1 Uhr früh nächtigte er zuerst im Obergeschoß der Diskothek auf bzw neben einem Billard-Tisch. Spätestens gegen 3 Uhr früh verließ er die Diskothek, um im Auto seines Freundes zu nächtigen. Zu diesem Zeitpunkt war der Erstbeklagte bereits als Mitfahrer in einem anderen PKW abgefahren. Zu Hause angekommen, nahm er den Schlüssel zum Dienstfahrzeug des Zweitbeklagten, seines Vaters, an sich und setzte den versperrten PKW in Betrieb, ohne daß der Zweitbeklagte dies merkte. Daß der Erstbeklagte schon Schwarzfahrten unternommen hatte, wurde von ihm im Freundeskreis erzählt. Dort wußte man auch, daß ihm jedenfalls 1989 von der Führerscheinbehörde mangels Verkehrszuverlässigkeit die Lenkerberechtigung versagt worden war. All dies war auch dem Kläger vor der Unfallsfahrt zur Kenntnis gelangt.
Damit, daß ihn der Erstbeklagte am Morgen des 26. 8. 1989 wecken werde, hatte der Kläger nicht gerechnet. Dies war eine spontane Idee des zufolge des Alkoholkonsums fahruntüchtigen Erstbeklagten. Der Kläger hatte, als er gegen 3.30 Uhr des 26. 8. 1989 geweckt wurde, zufolge der starken Alkholisierung und seiner Müdigkeit tief geschlafen und setzte dem Ansinnen des Erstbeklagten, in den PKW der drittbeklagten Partei umzusteigen, keinen nachhaltigen Widerstand entgegen. "Wahrscheinlich ist", daß der Kläger in dem durch die Berauschung und die Müdigkeit hervorgerufenen Zustand grober Sinnesverwirrung in den PKW der drittbeklagten Partei einstieg und daß er dabei nicht in der Lage war zu überlegen bzw zu erkennen, daß der Erstbeklagte keinen Führerschein besitze und zudem alkoholisiert eine Schwarzfahrt mache, was er ohne dieses Sinnesverwirrung wußte bzw gewußt hätte. "Gut möglich ist", daß die Urteilsfähigkeit des Klägers auch noch zum Unfallszeitpunkt gänzlich ausgeschlossen war, sodaß er bis dahin den Umstand, daß er den Sicherheitsgurt am Beifahrersitz des PKW der drittbeklagten Partei nicht trug, nicht erkannte bzw nicht reflektierte.
Im Rahmen der Beweiswürdigung führte das Erstgericht aus, es sei von einer starken Beeinträchtigung der Wahrnehmungs- und Dispositionsfähigkeit des Klägers zum Zeitpunkt des Umstieges in den vom Erstbeklagten benützten PKW und dann während der Unfallsfahrt auszugehen, wobei ein die Urteilsfähigkeit aufhebender Alkoholkonsum (verbunden mit Müdigkeit) als wahrscheinlich unterstellt wurde.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Meinung, es habe dem Kläger zumindest wahrscheinlich die Diskretions- und Dispositionsfähigkeit gefehlt. Da ihm wenigstens diese Beweisführung gelungen sei, sei die Geltendmachung der Schadenersatzansprüche gegenüber der dritt- bis fünftbeklagten Partei nicht rechtsmißbräuchlich.
Das von der dritt- bis fünftbeklagten Partei angerufene Berufungsgericht wies das gegen diese gerichtete Klagebegehren ab; es sprach aus, die ordentliche Revision sei nicht zulässig.
Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und führte in rechtlicher Hinsicht aus, die Teilnahme des Klägers an der Schwarzfahrt führe dann zu einer Abweisung des gegen die drittbis fünftbeklagte Partei gerichteten Klagebegehrens, wenn er an dieser in Kenntnis der Tatsache der unberechtigten Inbetriebnahme durch den Lenker teilgenommen habe, was insoferne seine Diskretions- und Dispositionsfähigkeit voraussetze. Daß diese beim Kläger ausgeschlossen war, stehe nicht fest. Ein Beweis sei nämlich nur dann erbracht, wenn der Richter die volle Überzeugung vom Vorhandensein der behaupteten oder amtswegig zu ermittelnden Tatsache erlangt habe. Es genüge zwar, daß eine "an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit" vorliege, daß eine Tatsache nur wahrscheinlich sei, genüge für die Glaubhaftmachung, nicht aber für den Beweis. Vom Erstgericht sei zwar festgestellt worden, daß es "wahrscheinlich" sei, daß der Kläger in dem durch die Berauschung und die Müdigkeit hervorgerufenen Zustand grober Sinnesverwirrung in den PKW der drittbeklagten Partei einstieg und dabei nicht in der Lage war zu überlegen bzw zu erkennen, daß der Erstbeklagte keinen Führerschein besitzt und alkoholisiert eine Schwarzfahrt unternimmt. Ebenso sei festgestellt worden, daß es "gut möglich ist", daß die Urteilsfähigkeit des Klägers auch noch zum Unfallszeitpunkt gänzlich ausgeschlossen war. Daß der Kläger sich in einem seine Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand befand, sei somit nicht mit "an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" bewiesen und stehe damit auch nicht fest. Beweispflichtig hiefür wäre aber der Kläger gewesen.
Die subjektiven Fähigkeiten zur Einhaltung der objektiv gebotenen Sorgfalt seien gemäß §§ 1297, 1299 ABGB zu vermuten. Daher müsse der Schädiger, der eine Sorgfaltsverletzung des Geschädigten in eigenen Angelegenheiten behaupte, nur die Verletzung der objektiven Sorgfalt beweisen (SZ 62/185). Der Beweis des Fehlens des subjektiven (Mit-)Verschuldens obliege dem Geschädigten (Reischauer in Rummel**2 Rz 12 zu § 1297 und Rz 10 zu § 1304). Fehlten bei einem Mündigen eine einzelne oder alle Fähigkeiten an sich oder im Schädigungszeitpunkt, so habe er dies zu beweisen (Reischauer, aaO Rz 12 zu § 1297). So treffe auch den über 14jährigen die Beweislast dafür, daß er bloß einen Geisteszustand aufweise, der unter dem eines 14jährigen liege (Reischauer, aaO Rz 11 zu § 1310).
Der Nachweis, daß der Kläger objektiv auf eigene Gefahr gehandelt habe, sei der dritt- bis fünftbeklagten Partei gelungen. Es stehe nämlich fest, daß er in nicht alkoholisiertem Zustand in der Lage gewesen wäre zu erkennen, daß der Erstbeklagte keinen Führerschein hatte, den PKW der drittbeklagten Partei unbefugt in Betrieb nahm und damit eine Schwarzfahrt unternahm, und daß der Erstbeklagte überdies alkoholisiert war. Der Kläger habe aber den Beweis dafür nicht erbracht, daß er aufgrund seiner Berauschung subjektiv nicht in der Lage war, dies zu erkennen und mit jener Einsicht zu handeln, die von einem in eigenen Angelegenheiten durchschnittlich sorgfältigen Menschen erwartet werden könne. Er habe daher auf eigene Gefahr gehandelt, was die Geltendmachung eines Schadenersatzanspruches gegen die dritt- bis fünftbeklagte Partei ausschließe.
Das Berufungsgericht sprach aus, die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil zur Beweislast im Zusammenhang mit den subjektiven Fähigkeiten zur objektiv gebotenen Sorgfalt eine einheitliche Rechtsprechung bestehe.
Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß dem gegen die dritt- bis fünftbeklagte Partei erhobenen Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die dritt- bis fünftbeklagte Partei haben in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt, dem Rechtsmittel des Klägers keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig, weil das Berufungsgericht den Feststellungen des Erstgerichtes einen anderen Sinngehalt zugemessen hat, als er ihnen nach dem gesamten Inhalt der Entscheidung zukommt; sie ist im Sinn ihres Eventualantrages auf Aufhebung auch berechtigt.
Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit liegt allerdings nicht vor, was gemäß § 510 Abs 3 ZPO keiner weiteren Begründung bedarf.
Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung macht der Kläger geltend, er habe den prima-facie-Beweis erbracht, daß er sich zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens im Zustand der vollen Berauschung befand und damit dispositions- und diskretionsunfähig war. Da für die Erbringung dieses Beweises eine überwiegende Wahrscheinlichkeit genüge, hätten die beklagten Parteien eine zumindest ebenso wahrscheinliche Möglichkeit der Dispositionsfähigkeit des Klägers nachweisen müssen, was aber nicht geschehen sei.
Aufgrund der herrschenden Ansicht zu den Voraussetzungen des prima-facie-Beweises hätte der Kläger nur die überwiegende Wahrscheinlichkeit und nicht die hohe Wahrscheinlichkeit seiner Dispositionsunfähigkeit nachweisen müssen.
Hiezu wurde erwogen:
Wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, hat das Erstgericht keine Feststellungen getroffen, aus denen sich ergibt, daß die Diskretions- und Dispositionsfähigkeit des Klägers ausgeschlossen war. Richtig ist auch, daß es für die Erbringung des Beweises nicht ausreicht, daß eine Tatsache nur wahrscheinlich ist. Vielmehr ist aus § 272 ZPO abzuleiten, daß im Regelfall an die zum Beweis erforderliche Wahrscheinlichkeit hohe Anforderungen zu stellen sind (Rechberger/Simotta, Grundriß des österreichischen Zivilprozeßrechts4 Rz 580); das Regelbeweismaß der ZPO ist daher die hohe Wahrscheinlichkeit (Rechberger/Simotta, aaO; Rechberger in Rechberger, ZPO Rz 5 Vor § 266; ders, Maß für Maß im Zivilprozeß? FS Baumgärtel 471 [484]). Es bedarf aber - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes - grundsätzlich nicht einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit; eine solche ist nur in den Fällen eines erhöhten Regelbeweismaßes erforderlich (s hiezu Rechberger/Simotta, Grundriß Rz 581; Rechberger in Rechberger Rz 6
Vor § 266; ders, FS Baumgärtel 483).
Ausgehend von der demnach unrichtigen Rechtsansicht, es genüge die Wahrscheinlichkeit des Fehlens der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit, hat das Erstgericht hiezu in Wahrheit keine Feststellungen getroffen. Die Feststellung, daß es "gut möglich" bzw daß es "wahrscheinlich" ist, daß die die Urteilsfähigkeit des Klägers ausgeschlossen war, kann nicht dahin verstanden werden, daß das Erstgericht damit zum Ausdruck bringen wollte, der angeführte Umstand könne nicht festgestellt werden. Vielmehr muß in den Tatsachenfeststellungen eindeutig zum Ausdruck kommen, ob dieser Umstand festgestellt wird oder daß eine solche Feststellung nicht möglich ist, weil er nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit als erwiesen angenommen werden kann. Im fortgesetzten Verfahren wird daher das Erstgericht unter Berücksichtigung des oben dargelegten Regelbeweismaßes die Tatsachen festzustellen haben, die dafür maßgebend sind, daß die Urteilsfähigkeit des Klägers ausgeschlossen war. Sollte es im Rahmen der Beweiswürdigung zur Überzeugung kommen, daß alle oder einzelne dieser Tatsachen nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit als erwiesen angenommen werden können, wird es dies (auch) im Rahmen der Tatsachenfeststellungen zum Ausdruck zu bringen haben. In diesem Fall werden die vom Berufungsgericht zutreffend dargelegten Beweislastregeln - auf die entsprechenden Ausführungen im Berufungsurteil kann gemäß § 510 Abs 3 ZPO hingewiesen werden - zum Tragen kommen.
Keinesfalls sind aber - entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht - die Voraussetzungen des prima-facie-Beweises gegeben. Dessen Wesen besteht darin, daß ein typischer Geschehensablauf feststeht, der nach der Lebenserfahrung auf einen bestimmten Kausalzusammenhang oder ein Verschulden hinweist (Rechberger in Rechberger, ZPO Rz 22 Vor § 266). Einen Erfahrungssatz, aus dem sich zwingend der Mangel der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit des Klägers ergeben würde, hat der Kläger im Verfahren und insbesondere auch in der Revision nicht aufgezeigt und er wurde auch weder festgestellt noch ist er zu erkennen.
Es waren daher die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und ist dem Erstgericht eine neue Entscheidung aufzutragen.
Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf § 52 ZPO.
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